Zu: Gottfried August Bürger - "An die Menschengesichter" (Gedichtinterpretation)


Seminararbeit, 2003

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

I Einleitung

II Interpretation des Gedichtes An die Menschengesichter von Gottfried August Bürger

III Stilistik, Sprachstil und Verständlichkeit des „Volksdichters“

IV Das Hauptmotiv der „unkonventionellen“ Liebe als epochentypisches Merkmal

V Naturrecht und Der versetzte Himmel – Thematische Gemeinsamkeiten und Unterschiede

VI Schluss

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Zum Forschungsstand bzw. zur Sekundärliteratur ist zu vermerken, dass vorgefertigte Interpretationen als auch weiterführende Sekundärliteratur, die sich explizit mit Gottfried August Bürgers Gedicht An die Menschengesichter auseinandersetzt, nicht vorliegen, d.h. fortan will ich versuchen, den Text sowohl in Zusammenhang zu anderen Gedichten des Autors zu stellen, eventuelle gattungs- oder epochentypische Merkmale bzw. Motive herauszuarbeiten und daneben nicht zuletzt anhand eigener interpretatorischer Ansätze Erkenntnisse aus dem Text selber zu ziehen, wobei ich mir der Tatsache bewusst bin, dass derartige Erkenntnisse nicht von allen, die sich wissenschaftlich mit poetischen Texten befassen, geteilt werden. Die Entstehung des Werkes selbst ist auf das Jahr 1778 datiert, der vorliegende Text in der uns vorliegenden Fassung geht auf einen Druck im Jahr 1789 zurück, erschienen im selben Jahr in der zweiten Bürgerschen Gedichtsausgabe.

Bei dem folgenden Versuch einer Interpretation will ich mich im Wesentlichen auf den Textinhalt beschränken, formale Aspekte will ich lediglich, sofern nicht nötig bzw. der Untermalung des Inhaltes verdeutlichend, einer untergeordneten Betrachtung zukommen lassen. Gerade die Liebeslyrik des Sturm und Drang-Poeten G. A. Bürger wird wissenschaftlich immer wieder in eine Linie zu stellen versucht mit subjektiven Erfahrungen des Dichters, der unter seinen schärfsten Kritikern noch zu dessen Lebzeiten als Bigamist verrufen war.[1] Darüber hinaus zeigt ein Teil seiner Liebeslyrik frivole, obszöne oder gar pornographische Ansätze, was in der strengen Moral des Bürgertums Widerstreben auslöste.[2] Dennoch will ich versuchen – soweit möglich – subjektive Erfahrungen des Dichters außen vor zu lassen, um die poetische Wahrheit in erster Linie im Werk und weniger in biographischen Daten und Anmerkungen zu suchen.

II. Interpretation des Gedichtes An die Menschengesichter von Gottfried August Bürger

Vorneweg sei angemerkt, dass das fortan im Mittelpunkt der Beleuchtung stehende Bürgersche Gedicht den Titel An die Menschengesichter trägt, ein Titel, mit dem der Leser sofort eine Briefanrede assoziiert. Der Text selber beinhaltet wenige briefartige Elemente, eher ist der Gedichtstitel zu werten als eine Adressierung an die zeitgenössische Gesellschaft, die dem lyrischen Ich ungewogen ist aufgrund dessen sexueller Exzesse, wie der Text es vermuten lässt. In Bitten und Appellen versucht das lyrische Ich, die „bösen Blicke“ der Gesellschaft von sich abzuwenden, einen Raum für Verständnis zu schaffen und fragwürdige moralische Konventionen zu hinterfragen.

In der ersten Strophe besingt das lyrische Ich in einer Art lautstarken Klage seinen Schmerz über seine Liebe zu einer nicht näher genannten oder umschriebenen Person, in vorschützender, beinahe vorweg entschuldigender Form schränkt es seine Schuldfähigkeit ein in dem Halbsatz „was kann ich dafür“? Schon hier lässt sich die Verzweiflung eines Unglücklichen assoziieren, der seine Gründe für sein Unglück, für sein Scheitern in den „Menschengesichtern“ erkennt, die ihm nicht gewogen sind, die Frage nach den Ursprüngen dieser Ablehnung durch die Menschen bleibt hierbei noch unbeantwortet. Im produktiven Akt des Seidespinnens wird das menschliche Streben nach materiellen Werten durch das lyrische Ich verneint, verstärkt wird die Aussage noch in der Erwähnung des Begriffes „Gold“ im selben Zusammenhang, die Erwähnung lässt vermuten, dass lyrische Ich erkenne die Selbstdefinition der „Menschengesichter“ allein in materiell-finanziellen Aspekten, sich “Herzeleid“ zu spinnen, wie es hingegen dem lyrischen Ich widerfährt, lässt sich interpretieren als ein den angesprochenen Menschen unbedeutend erscheinender, ja gleichgültig bleibender Nebeneffekt, die Tiefgründigkeit und die zwangsläufig ins Verderben führende Tragweite dieses Herzeleids bleibt den Menschengesichtern versagt in einem Maß an emotionaler Verrohung, wie sie dem konventionellen Beschränkungen unterlegenen Menschen zu dieser Zeit zu eigen ist. In der zweiten Strophe nimmt das lyrische Ich dieselben Bezüge erneut thematisch auf, diesmal aus der Sicht des vorhergehenden Objekts, d.h. seiner Geliebten. Die Thematik des Schmerzempfindens nimmt leierhafte Züge an, die anfangs wortgetreue Wiederholung lässt den Schmerz als doppelten, zwei Individuen betreffenden verstehen, durch den wiederum die innere Einigkeit, die schicksalhafte Verschmelzung beider im Geiste symbolisiert wird. Das lyrische Ich spricht im letzten Vers von „Elend und Schmerz“, die Häufung der e-Laute lassen in den kaum zu verschärfenden Begriffen, die die Situation seiner Geliebten betreffen, das Hadern zum Ausdruck kommen, das Hadern mit dem schier unabänderlichen Schicksal, das ihnen beiden durch die bösen Blicke der Menschen auferlegt wird. Die Dramatisierung der Ausdrucksweise steigert sich fortan in der Verb-Alliteration „seufzen, sehnen und schmachten“ , die dem Leser ein Gefühl der Hilflosigkeit sowohl der Individuen selbst als auch gegenüber ihnen verleihen. Die kreuzweise Wiederholung der Verben „sehnen bzw. seufzen“ lassen die Eindringlichkeit dieser Gefühlsausdrücke spüren, die Ausdrücklichkeit – erstmals im Werk vereinen sich die beiden Liebenden zu dem starken gemeinsamen „wir“ – schafft das Bild einer gemeinsamen Anklage der Menschen. Ein Bild von Krankheit, die durch dieses beschriebene Liebesleid zwangsläufig entstehen muss, wird projiziert gepaart mit der zwischen den Zeilen zu erkennenden Resignation des lyrischen Ichs, das sich seinem Schicksal zu unterworfen haben scheint. Die Erklärung für das Liebesleid liegt in den Menschengesichtern, die den Liebenden anzunehmenderweise übel „nachreden, ihnen bald dies und bald das tun und ihnen Fessel und Zwang schmieden“. Gerade die Begriffe, die die Zwanghaftigkeit und die starren Konventionen moralischer Strenge herausheben, lassen im Umkehrschluss verlauten, welchen Idealzustand sich das lyrische Ich herbeisehnt, nämlich einen Zustand der Freiheit des Einzelnen frei von moralischen, bisweilen scheinmoralischen Konventionen, frei von Unterdrückung einer Form von Sinnlichkeit, die in den Augen der Menschengesichter als pervertiert geächtet wird. Das Gerede, die bösen Gerüchte, die sich um das Liebespaar zu ranken scheinen, beschwören zwangsläufig eine Form von Krankheit hervor, die wohl dadurch entsteht, Sinnlichkeit und Liebe nicht frei von gesellschaftlich ethisch-moralischen Maßregeln ausüben zu können. Genauer definiert werden das Gerede der Menschen allerdings nicht, weswegen uns die genauen Gründe der Unglücklichkeit beider, die sich im Gerede der Menschen zeigen könnten, weiter verborgen bleiben.

[...]


[1] Vgl. Alfons Höger, Bürger: Galanterie und Sinnlichkeit S.260.

[2] Vgl. Alfons Höger, Bürger: Galanterie und Sinnlichkeit S.265.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Zu: Gottfried August Bürger - "An die Menschengesichter" (Gedichtinterpretation)
Hochschule
Universität Regensburg  (Philosophische Fakultät (Germanistik))
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
13
Katalognummer
V29050
ISBN (eBook)
9783638306768
ISBN (Buch)
9783638748421
Dateigröße
709 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit beschäftigt sich thematisch mit der Interpreation des relativ unbekannten Gedichts "An die Menschengesichter" von Gottfried August Bürger. Das Gedicht wurde meines Wissens wissenschaftlich bislang kaum behandelt.
Schlagworte
Gottfried, August, Bürger, Menschengesichter
Arbeit zitieren
Holger Hufer (Autor:in), 2003, Zu: Gottfried August Bürger - "An die Menschengesichter" (Gedichtinterpretation), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29050

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