Zentrale versus dezentrale Anwendung des europäischen Kartellrechts


Seminararbeit, 2000

20 Seiten, Note: 13 Punkte


Leseprobe


Gliederung

A. Einleitung

B. Regelungen zur Rechtsanwendungskonkurrenz
I. Fusionskontrolle
II. EGV
III. EGKS
IV. Euratomvertrag

C. Dezentrale Anwendung
1. Anwendung durch die nationalen Gerichte
a. Aktuelles Verfahren
b. Probleme dieses Systems
aa. Auslegung
bb. Gruppenfreistellung, Einzelfreistellung
cc. Negativattest
dd. Verwaltungsschreiben, comfort letter
ee. Schlußfolgerung
c. Weißbuch
2. Anwendung durch die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten
a. Aktuelles Verfahren
aa. Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten
bb. Fälle von überwiegend nationaler Bedeutung
cc. Fälle, mit denen die Kommission als erste befaßt war
dd. Fälle, mit denen eine nationale Behörde als erste befaßt war
ee. Schlußfolgerung
b. Weißbuch

D. Gesamtbetrachtung, Blick in die Zukunft

A. Einleitung

Zu den grundlegenden Tätigkeitsfeldern der Europäischen Union gehört gemäß Art. 3 I lit. g EGV[1] die Schaffung eines Systems, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor Ver­fäl­schungen schützt. Nach Art. 4 I EGV sind die Mitgliedstaaten und die Euro­päische Gemeinschaft bei ihrer Tätigkeit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet. Dem Ziel eines freien Wettbewerbs dienen die Kartell­rechts­vorschriften der Art. 81, 82 EGV und Art 65, 66 EGKS[2]. Auf der Ebene des sekun­dären Gemeinschafts­rechts hat der Rat mit der Fusions­kontroll-Verordnung (FusKontrVO) von 1989 einen gemein­schafts­rechtlichen Ordnungs­rahmen für Unter­neh­mens­­zusam­men­schlüsse geschaffen.

Problematisch erweist sich die Anwendung dieses Wettbe­werbs­­rechts. So gibt es auf der einen Seite die zentrale Anwen­dung durch die Generaldirektion IV der Europäischen Kom­mission, auf der anderen Seite die nationalen Behörden und Gerichte, die das euro­päisches Wettbewerbsrecht dezentral anwenden. Somit stellt sich die Frage nach der Rechts­an­wendungs­­konkurrenz, daß heißt, die Frage, nach zentraler oder dezentraler Anwendung des Gemeinschafts­recht. Dies ist das Thema der folgenden Arbeit.

B. Regelungen zur Rechtsanwendungskonkurrenz

Teilweise wurde diese Problematik der Rechtsanwendungs­konkurrenz gesetzlich geregelt.

I. Fusionskontrolle

So wurde im Bereich der Fusionskontrolle von europäischer Bedeutung mit der VO 4064/89 (FusKontrVO) eine Regelung auch zur Rechtsanwendungs­konkurrenz geschaffen. Nach Art. 21 I, II FusKontrVO ist die Kommission für Unternehmens­zusammen­schlüsse auf europäischer Ebene zuständig. Unter den Voraus­setzungen des Art. 9 III lit. b FusKontrVO kann die Kommission den Fall an die zuständige Wettbewerbsbehörde des jeweiligen Mitglied­staates verweisen, die den Fall dann nach nationalem Recht be­handelt. Das Gemein­schaftsrecht tritt in solchen Fällen zugunsten des nationalen Rechts zurück, so daß es dann nicht um dezentrale Anwendung des Gemein­schaftsrechts geht, sondern um die Anwendung des nationalen Rechts in einem Fall, der an sich gemeinschaftsweite Bedeu­tung hat, aber einen räumlichen Referenz­markt aufweist[3].

Eine Abgrenzung von Gemeinschafts- und nationalem Recht erfolgt gemäß Art. 1 FusKontrVO. Danach unter­fallen alle Zu­sam­men­­schlüsse von gemeinschafts­weiter Be­deutung, daß heißt, von bestim­mten Größen (Schwellenwerten) nach den Absätzen 2 und 3 dem EG-Recht.

II. EGV

Zu den Wettbewerbsregeln der Art. 81, 82 EGV bestand mit Inkrafttreten am 1.1.1958 mit Art. 84 EGV zunächst eine Regelung zur Rechtsanwendungskonkurrenz. Danach waren allein die Mitgliedstaaten zuständig, über Verstöße gegen Art. 81, 82 EGV und die Erteilung von Freistellungen nach Art. 81 III EGV zu entscheiden. Das Bundeskartellamt hatte in der Zeit bis 1962 ein Verkaufssyndikat und drei Patentlizenz­ver­ein­bahrungen freigestellt[4].

Mit der auf Grundlage des Art. 83 I EGV erlassenen VO 17/62 änderte sich die ursprüngliche Regelung. Durch diese Ver­ordnung sollte ein System geschaffen werden, welches den Wett­bewerb innerhalb des gemeinsamen Marktes vor Ver­fälschungen schützt. Voraussetzung dafür war die einheitliche Anwendung des Gemein­schaftsrechts. Aufgrund der, in den Anfangsjahren des EGV, zum großen Teil fehlenden Erfahrung mit dem Wettbewerbsrecht und auch fehlenden Wettbe­werbs­behörden in den einzelnen Mitglied­staaten kam nur eine zentrale Anwendung des europäischen Wett­bewerbs­rechts in Betracht.

Die Behörden der Mit­glied­­staaten blieben deshalb nach Art. 9 III VO 17/62 nur so lange zuständig, Art. 81 I und 82 EGV nach Art. 84 EGV anzuwenden, bis die Kommission nach Art. 2 (Negativattest), 3 (Unter­sagung) oder 6 (Freistellung)VO 17/62 ein Verfahren ein­leitete. Mit der Einleitung lag dann die Kompetenz ausschließlich bei der Kommission. Für die Freistellung nach Art. 81 III EGV wurde gemäß Art. 9 I VO 17/62 ausschließlich die Kommission zuständig.

Im Bereich Verkehr wurden aufgrund des besonderen Marktes einige Sonderverordnungen erlassen. So nahm die VO Nr. 141/1962 den Verkehr aus dem Anwendungs­bereich der VO 17/62 so gut wie ganz heraus, um später den gesamten Bereich durch Sondervorschriften zur Konkretisierung von Art. 81 I EGV und Freistellungs­ver­ordnungen zu regeln. Dieses Bereiche waren der Eisen­bahn-, Straßen- und Binnenschiffs-, See und Luftverkehr. Nach Art. 5, 6 VO 1017/68 besitzt die Kommission die ausschließliche Kompetenz zur Freistellung und Mißbrauchsaufsicht[5]. Sobald die Kommission ein Verfahren eingeleitet hat, konzentrieren sich die Zuständig­keiten bei ihr.

III. EGKS

Nach 305 I EGV haben die Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags als Spezialvorschriften Vorrang vor den Wettbe­werbs­regeln des EGV[6]. Obwohl das Kartellrecht des EGKS in mancher Hinsicht von den Art. 81ff EGV abweicht, betont der EuGH[7] die Einheit der Gemeinschaftsverträge, so daß man dank seiner Rechtsprechung von einem europäischen Kartell­recht sprechen kann, das aus zwei sich ergänzenden Rege­lungen besteht[8]. Nach den Art. 65, 66 EGKS wendet die hohe Behörde die Regelungen des EGKS an.

IV. Euratomvertrag

Da der Euratomvertrag keine Wettbewerbsregeln enthält, gelten in vollem Umfang die Art. 81, 82 EGV[9].

C. Dezentrale Anwendung

Mit der VO 17/62 und der gleichzeitig mit dem Bosch-Urteil[10] beginnenden Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendung des Wettbewerbsrechts durch die Mitgliedstaaten, waren die Probleme zur Anwendung der Wettbewerbsregeln zunächst geklärt.

Aufgrund der fortschreitenden Inte­gration des euro­päischen Binnen­marktes und der weiten Auslegung der Zwischen­staatlich­keits­klausel durch Kommission und EuGH[11] haben sich die Fälle, die unter die gemein­schafts­recht­lichen Wettbewerbs­regeln fallen, ständig erhöht. Dadurch ist die Arbeits­belastung der Kom­mission beträchtlich ge­wachsen. Mit dem Beitritt wei­terer Staaten zur Europäischen Union wird sich diese Situation noch verstärken.

Aufgrund dieser, auch durch Maßnahmen wie der Ver­bes­serung des Verfahrens oder Gruppenfrei­stellungs­ver­ordnungen, nicht zu verhindernden Tendenz und dem Ausbau der natio­nalen Behörden kam es in neuerer Zeit erneut zur Diskussion über die dezentrale Anwendung des EG-Kartellrechts. Insbesondere haben der Gerichts­­hof durch seine Delimitis-Ent­scheidung[12] und die Kom­mission durch zwei Bekannt­machungen[13] versucht, der dezen­tralen Rechtsanwendung neue Impulse zu geben.

Zu unterscheiden ist dabei zwischen der dezentralen An­wendung durch die nationalen Gerichte und die nationalen Behörden.

1. Anwendung durch die nationalen Gerichte

a. Aktuelles Verfahren

Der EuGH hatte in seiner Delimitis-Entscheidung bestätigt, daß der nationale Richter die Möglichkeit zur unmittelbaren An­wen­dung des Art. 81 I, 82 EGV besitzt[14]. Betroffene können sich bei Verstößen gegen das europäische Wettbewerbsrecht an die nationalen Gerichte wenden und diese müssen das EG-Recht wie das innerstaatliche von Amts wegen berück­sichtigen[15]. Eine nur zentrale Anwendung des EG-Rechts würde bedeuten, daß dem einzelnen Rechte im zivilrechtlichen Streit vor den nationalen Gerichten genommen werden, die ihm aufgrund des Vertrages zustehen[16]. Aufgrund des Fehlens einer gemeinschafts­recht­lichen Zivil­gerichtsbarkeit, wendet der natio­nale Richter deshalb auch bei der Berücksichtigung des EG-Wettbewerbsrechts sein nationales Verfahrensrecht an. Er ist dabei jedoch an das Interpretationsmonopol des Euro­päischen Ge­richts­­hofs für den EGV gemäß Art. 234 EGV gebunden.

In Deutschland bestimmt sich die Zuständig des nationalen Kartellgerichts seit der 5. GWB-Novelle nach den §§ 87 ff. GWB.

Noch komplizierter wird dieses Rechtsanwendungssystem dadurch, daß das europäische Wettbewerbsrecht nicht nur aus den Verboten der Art. 81 I, 82 EGV besteht, sondern die Kommission ein Freistellungsmonopol für bestimmte Fälle hat. Das heißt, der nationale Richter hat zu klären, ob eine Vereinbarung dem Kartellverbot des Art. 81 I EGV unterliegt und ob keine Gruppen- oder Einzelfreistellung für diesen Fall durch die Kommission erteilt wurde. Er ist jedoch nicht befugt, selbst Unternehmen nach Art. 81 III EGV freizustellen[17]. Begründet wurde dies mit der zu komplexen Beurteilung wirtschaftlicher Art bei der Erteilung von Freistellungen und der Gefahr für die Rechtssicherheit[18].

[...]


[1] Aufgrund der Änderungen im EGV durch Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam am 1.1.1993 und des GWB durch die 6. GWB-Novelle sind zur Übersichtlichkeit folgend in allen Zitaten die neuen Normen genannt

[2] Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) = Montanunionsvertrag (MUV)

[3] Bunte in DB 1994, 921, 922

[4] BKartA WuW/E 25, 241, 254, 465

[5] Immenga/Mestmäcker - Basedow S. 2027

[6] Immmenga/Mesrmäcker - Rehbinder S. 54 Rdnr. 6, Groeben - Schröter vor Art. 85 Rdnr. 24 ff.

[7] EuGH „Ruhrkohlenverkauf“, Sgl. 8, 214, 477

[8] Rittner § 5 Rdnr. 100

[9] Immmenga/Mesrmäcker - Rehbinder S. 54 Rdnr. 6; Groeben - Schröter vor Art. 85 Rdnr. 28 ff.

[10] EuGH „De Geus/Bosch“, Sgl. 1962, 97, 117, später noch EuGH „BRT/SABAM“, Sgl. 1974, 51, 62

[11] EuGH „Maschinenbau Ulm“, Slg. 1966, 281, 303; „Consten/ Grundig“, Slg. 1966, 322, 389; „BNIC/Clair“, Slg. 1985, 391

[12] EuGH „Delimitis/Henninger Bräu“, Sgl. I 1991, 935

[13] Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Art. 85 und 86 des EWG-Vertrags (Komm 1. BM); Bekanntmachung über die Zusammenarbeit der Kommission und den Wett­bewerbsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Bearbeitung von Fällen im Anwendungsbereich der Art. 85 und 86 EGV (2. BM)

[14] EuGH „Delimitis/Henninger Bräu“, Sgl. I 1991, 935, 977

[15] EuGH „van Schijndel“, EuZW 1996, 542f.

[16] EuGH „BRT/SABAM“, Sgl. 1974, 51, 72

[17] EuGH „Delimitis/Henninger Bräu“, Sgl. I 1991, 935, 991f.

[18] Komm XXIII 1993, Rdnr. 190; XXIV 1994 Rdnr. 26

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Zentrale versus dezentrale Anwendung des europäischen Kartellrechts
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Deutsches und eupäisches Kartellrecht)
Veranstaltung
Seminar zum deutschen und europäischen Kartellrecht
Note
13 Punkte
Autor
Jahr
2000
Seiten
20
Katalognummer
V10523
ISBN (eBook)
9783638169202
ISBN (Buch)
9783638746571
Dateigröße
467 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zentrale, Anwendung, Kartellrechts, Seminar, Kartellrecht
Arbeit zitieren
Dr. Mathias Hildebrandt (Autor:in), 2000, Zentrale versus dezentrale Anwendung des europäischen Kartellrechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10523

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Zentrale versus dezentrale Anwendung des europäischen Kartellrechts



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden