Roelof Temmingh: „Kantorium (2003) für Sopran-, Alt-, Tenor- und Bass-Solo, gemischten Chor und Orchester“

Eine Auftragskomposition der Evangelischen Kirche der Pfalz zur Eröffnung des Pfälzer Kirchentages 2004


Examensarbeit, 2005

345 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

VORWORT

1 DER KOMPONIST ROELOF TEMMINGH

2 DIE GATTUNG KANTORIUM - KANTATE UND ORATORIUM
2.1 Kantate
2.1.1 Terminologie
2.1.2 Form
2.2 Oratorium
2.2.1 Terminologie
2.2.2 Form
2.3 Kantorium

3 DAS KANTORIUM
3.1 Der Anlass
3.1.1 475 Jahre Protestation
3.1.2 100 Jahre Gedächtniskirche
3.2 Der Titel
3.3 Die Besetzung
3.4 Der inhaltliche Aufbau des Werkes
3.4.1 Teil I „Schöpfung - Welt, das Leben, der Mensch, auch das Böse“
3.4.2 Teil II
3.5 Der Text
3.6 Werkanalyse - Erster Teil
3.6.2 Werkanalyse - Zweiter Teil

4 DIE URAUFFÜHRUNG
4.1 Die Verbindung zwischen Bachs „Singet dem Herrn ein neues Lied“ und Temminghs „Kantorium“
4.2 Presse

5 NACHWORT

6 VERZEICHNISSE
6.1 Literaturverzeichnis
6.2 Abbildungsverzeichnis
6.3 Quellenverzeichnis
6.3.1 Webseiten
6.3.2 E-Mails
6.3.3 Faxe
6.3.4 Begriffsdefinitionen

7 ANHANG
7.1 Das Textbuch von Dr. Wien
7.2 Das Textbuch von R. Temmingh
7.3 Die Partitur

8 VERSICHERUNG

Vorwort

In dieser Arbeit geht es um das Kantorium (2003) für Soli, Chor und Orchester von Roelof Temmingh, das am 3. September 2004 in der Gedächtniskirche zu Speyer, anlässlich des Pfälzer Kirchentages, von der Evangelischen Jugendkantorei der Pfalz uraufgeführt wurde.

Ich habe in dieser Arbeit versucht, alles, was zur Entstehung des Kantoriums beigetragen hat zu sammeln und zu verarbeiten.

Leider musste ich feststellen, dass einige Quellen, vor allem E-Mails und ähnliches schon nicht mehr vorhanden bzw. rekonstruierbar waren.

Damit die mir vorhandenen Quellen nicht verloren gehen, habe ich mich dazu entschlossen, Quellen wie z.B. das Textbuch von Dr. U. Wien im Anhang abzudrucken, um diese für die mögliche spätere Verwendung zu erhalten. E- Mails, aus denen ich zitiert habe, sind im Anhang nicht abgedruckt, da sie teilweise sehr persönlich sind und ein Abdruck indiskret wäre.

Da es sich um einen zeitgenössischen Komponisten handelt, ließ es sich nicht vermeiden auf Internetquellen zurückzugreifen.

Zur musikalischen Analyse ist zu sagen, dass diese nur grob gemacht werden konnte, da eine intensivere Werkanalyse den Rahmen einer Examensarbeit bei weitem gesprengt hätte.

Die abgedruckte Partitur darf zu Studienzwecken verwendet werden. Die Freigabe für eine mögliche Aufführung ist beim Amt für Kirchenmusik, Roßmarktstr. 4 in 67346 Speyer einzuholen.1 2 3

1 Der Komponist Roelof Temmingh

Roelof Temmingh wurde am 28. September 1946 in Amsterdam als drittes von vier Kindern geboren. Sein Vater war Musiklehrer und Organist. Im Jahre 1958 wanderte er nach Südafrika aus, wo er heute in Stellenbosch lebt. Schon sehr früh improvisierte er auf dem Klavier, fing mit dem Komponieren aber erst im Alter von 13 Jahren an.

In seiner Jugendzeit schrieb er Stücke für verschiedene Instrumente, dabei war er vor allem durch J. S. Bach, Debussy, Ravel, Stravinsky,

Hindemith und den Barock geprägt. Zwischen 1965 und 1970 studierte er

Abbildung 1: Roelof Temmingh

BMus (Bachelor of Music), BA (Bachelor of Arts) und MMus (Master of Music) an der University of Cape Town. Danach studierte er in Deutschland bevor er 1972 einen Lehrauftrag am Music Departement of the University of Port Elizabeth und 1973 an der University of Stellenbosch bekam.

Er wurde für den SAMRO Overseas Scholarship for young composers nominiert, was ihm die Möglichkeit bot in den 70er Jahren regelmäßig an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teilzunehmen. In den folgenden Jahren wurde er zu einem ausgesprochenen Vertreter der europäischen Avantgarde.

1976 bekam er einen Dr. Phil in Musicology bevor er 1979 Computermusik an der Universtiy of Utrecht in Niederlande studierte. Um 1990 schlägt Temmingh eine neue Richtung ein, die als „Neue Tonalität“ oder „Neue Einfachheit“ bezeichnet werden kann.

Dieser neue Stiel ist vor allem in seinen Opern „Enoch, Prophet of God“ (1995), „Sacred Bones“ (1997) und „Buchuland“ (1998), sowie in seinen sieben Konzerten für verschiedene Soloinstrumente zu erkennen. Im Jahre 1994 und 2002 erhielt er für seine Kompositionen „Drei Sonette für Streichorchester“ und die Kantate „Wenn wir in höchsten Nöten sein“ (Eine Komposition im Auftrag der Evangelischen Landeskirche der Pfalz) den Helgaard Steyn Preis, der die höchste Auszeichnung für Komponisten in Südafrika darstellt. Dieser Preis wird seit 1990 alle vier Jahre verliehen. Mit diesen Auszeichnungen zählt Roelof Temmingh zu den erfolgreichsten und profiliertesten Komponisten Südafrikas.

Von seinen mehr als 116 Werken sind über 50 vokal, entweder a-capella oder mit unterschiedlichster instrumentaler Besetzung.

2 Die Gattung Kantorium - Kantate und Oratorium

Temmingh überschreibt sein Werk mit dem Titel „Kantorium“. Im eigentlichen Sinne ist dies aber gar kein Titel, es ist viel mehr eine Gattung. Doch was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung?

Im Folgenden werde ich versuchen eine Definition des Kantoriums zu geben, in dem ich die Definitionen der Gattungen Kantate und Oratorium, aus dem sich die Gattung Kantorium zusammensetzt, verwende und daraus die Definition der Gattung Kantorium herleite.

2.1 Kantate

2.1.1 Terminologie

Der Begriff Kantate leitet sich vom lateinischen Wort cantare = singen ab. Erstmalig wird der Begriff 1620 im Titel einer Sammlung von weltlichen Werken von A. Grandi verwendet („ Cantade ed Arie “).4

2.1.2 Form

Der Begriff Kantate bezeichnete anfangs vor allem eine durchkomponierte strophische Variation einer Singstimme über einem gleich bleibenden Bass.5 Bei der italienischen Kantate ist „…der Wechsel von rezitativischen und ariosen Abschnitten […], dem im Text der Wechsel von verschiedenartigen Affekten und Sinneinheiten oder auch von Erzählungen und Betrachtungen vorgegeben ist.“6 das Wichtigste. Vertreter der italienischen Kantate sind St. Landi, B. Ferari und vor allem L. Rossi.

Die Italienische Kantate verliert nach und nach die Form der strophischen Variation, der Arie oder des Ariosos. Sie besteht immer häufiger aus einer freien Folge von rezitativischen und ariosen Teilen mit häufiger da Capo-, Rondo-, und Strophenbildung. Ende des 17. Jh. und Anfang des 18. Jh. besteht die Kantate dann meist aus einer schematischen starren Bauweise in der Rezitativ und Arie konsequent getrennt werden.7

Die französische Kantate ist sehr stark an das italienische Vorbild angelehnt, jedoch „…galt in dieser Zeit [Anfang 18. Jh.] in Frankreich die Bezeichnung K. nicht ausschließlich für Werke mit weltlichen, sondern auch für solche mit geistlichem Text [Cantates spirituelles].“.8

2.1.2.1 Die Deutsche (Kirchen-)Kantate

In Deutschland geht der Begriff Kantate in der 2. Hälfte des 17. Jh. aus dem Geistlichen Konzert hervor.

Heute wird die evangelische Kantate wie folgt definiert:

„[Die Kantate ist] ein mehrteiliges Werk instrumental-vokaler Besetzung, dessen Glieder musikalisch und oft mit der Zeit sogar in der Regel, auch textlich verschiedenartig sind.“9

Wie auch das Geistliche Konzert hat die Kantate mit unmittelbarem Anschluss an die Lesung ihren festen liturgischen Platz in der lutherischen Messe. War die Funktion der Geistlichen Konzerte, die Lesung teilweise oder vollständig darzubieten, um die Verkündigung zu erhöhen, so geht die Kantate weit darüber hinaus. Sie geht „…mit Hilfe von Textkombinationen, denen bestimmte musikalische Formen entsprechen, […] zu deren predigthafter Erläuterung.“10 Oft wird der Text von den Komponisten selbst zusammengestellt.

2.1.2.2 Die Kantate im 19. und 20. Jahrhundert

Die Kantaten im 19. und 20. Jh. ähneln oft dem Oratorium. Sie verwenden sowohl weltliche als auch geistliche Texte. In der Besetzung finden sich Soli oder Chor oder auch Soli, Chor und Orchester. Eine Abgrenzung zum weltlichen Oratorium in dieser Zeit kann nicht gemacht werden. Auch in der Neuen Musik und der Avantgarde taucht der Kantatenbegriff immer wieder auf. Die wichtigsten Vertreter sind hier A. v. Webern, W. Fortner, P. Boulez, I. Stravinsky, B. A. Zimmermann und H. W. Henze.

2.2 Oratorium

2.2.1 Terminologie

Der musikalische Gattungsbegriff Oratorium ist vom lateinischen Begriff Beethaus oder -saal abgeleitet.

Der Begriff Oratorium meint damit die Musik, die in den Beetsälen gepflegt wurde. Hiermit ist also nicht die streng liturgische Musik gemeint. Auch heute ist das Oratorium „…weithin der einzige Rest Kirchenmusik, der […] nahezu ausschließlich in Konzerten, innerhalb oder außerhalb von gottesdienstlichen Räumen“11, aufgeführt wird.

Entstanden ist das Oratorium in der ersten Hälfte des 17. Jh. und ist aus der Dialogkomposition hervorgegangen. Der musikalische Begriff Oratorium wird erstmals um 1640 benutzt.12

2.2.2 Form

Den ersten Werken, die als Oratorium bezeichnet wurden, fehlte noch eine vordefinierte Werkform. Es handelte sich „…um Werke mit geistlichem Text und dramatischer Gliederung bei aufgeteilten Rollen, aber ohne szenische Aufführung.“13

Im 17. Jh. basieren die Texte vor allem auf dem Alten Testament. Auch Texte aus dem Neuen Testament und der christlichen Legende kommen vor. Zudem sind die Bibeltexte oft frei übernommen ohne den exakten Wortlaut beizubehalten.14

2.2.2.1 Das Deutsche Oratorium

Das Deutsche Oratorium knüpfte zum einen an die Dialogkompositionen des 17Jh. an, zum anderen an die nicht nur auf den Bibeltext beschränkten Generalbasspassionen.15 Der Schwerpunkt der Oratorien lag generell auf Passionsvertonungen.

In der 1. Hälfte des 18. Jh. beschreibt J. G. Walther das Oratorium im Musicalischen Lexicon (1732) wie folgt:

„Oratorio … eine geistliche Opera, oder musikalische Vorstellung einer geistlichen Historie in den Capellen und Cammern großer Herrn, aus Gesprächen, Soli, Duo und Trio, Ritornellen, starcken Chören etc. bestehend …“16

Mit dem in der 2. Hälfte des 18. Jh. aufkommenden „lyrischen Drama“ das „keine allmähliche sich entwickelnde Handlung [habe und bei dem] weder Dialog, noch Erzählungen, noch Nachrichten von dem was vorgeht, nöthig sind“17 nähert sich das Oratorium der Kantate, da es sich aus „dramatisch verbrämten Stimmungsbildern, die von Reflexionen begleitet werden…“ 18 zusammensetzt.

Das Oratorium wird vornehmlich in der protestantischen Kirche gepflegt.

2.3 Kantorium

Aus den Gattungen Kantate und Oratorium schafft R. Temmingh die Verbindung, die er Kantorium nennt.

Eine Definition könnte wie folgt aussehen:

Ein Kantorium ist ein mehrteiliges Werk mit geistlichem Text, instrumental- vokaler Besetzung, dessen Glieder musikalisch und textlich verschiedenartig sind. Es folgt einer dramatischen Gliederung, hat aber auch betrachtende Elemente, aufgeteilte Rollen, diese jedoch ohne szenische Aufführung.

Betrachtet man R. Temminghs Kantorium, so fällt auf, dass Temmingh gänzlich auf Arien verzichtet und lediglich ariose Elemente verwendet. Die Handlung wird zum einen durch rezitativartige Stücke, zum anderen durch die schon erwähnten ariosen Elemente vorangetrieben.

Dazwischen wirkt der Chor, oft betrachtend und choralartig, aber auch dramatisch und drastisch.

Der Bass übernimmt im zweiten Teil des Kantoriums die Rolle Jesu. Der Tenor, wie so oft in Kantaten und Oratorien, hat den Erzählerpart. Dieser ist jedoch nicht ausschließlich auf den Tenor beschränkt.

Zusätzlich übernimmt der Tenor auch noch die Rolle Jesajas, der nach der christlichen Lehre, neben Johannes dem Täufer, als Wegbereiter Jesu gilt. Auch Sopran und Alt übernehmen teilweise die Rolle des Erzählers, jedoch in kleinerem Umfang. Der Sopran wird von R. Temmingh zusätzlich als „Tochter Zions“ eingesetzt, also als Sprachrohr des Volkes Israel. Darüber hinaus wirken die Solisten ohne feste Rolle in mehreren Stücken mit.

Ich denke man könnte das Kantorium durchaus als Kantate beschreiben, da sich die Gesamthandlung in mehrere Teilbereiche aufsplittet. Die

Gemeinsamkeit mit einem Oratorium, nämlich das Dramatische, liegt beim Hören jedoch sofort auf der Hand.

R. Temminghs Musik ist hochdramatisch, diese „nur“ als Kantate zu bezeichnen wäre in jedem Falle falsch.

3 Das Kantorium

Am Anfang des Briefwechsels, der für die Entstehung des Werkes von Bedeutung ist, steht eine E-Mail von Roelof Temmingh. Dieser hatte für die Evangelische Jugendkantorei der Pfalz, im Auftrag der Evangelischen Kirche der Pfalz, die Choralkantate „Wenn wir in höchsten Nöten sein“ (2001) komponiert. Diese wurde dann 2002 in der Schlosskirche in Bad Dürkheim uraufgeführt. Im selben Jahr gewann er mit dieser Choralkantate den „Helgaard Steyn Award“.

Roelof Temmingh schreibt hierzu:

„… This award was started in 1990 and takes place every 4 years. It is given to the composer of the best work of the previous 4 years. […] in 1990, I won it with a piece for string orchestra. […] AND THEN: 2002: The winning work was our KANTATE! [„Wenn wir in höchsten Nöten sein“] It is very surprising that one person can win it twice! […] on the same day […] my University has awarded me the Rectors Award for Excellence for my oeuvre as composer - and here too the Kantate must have had a role to play - beeing commissioned from Germany“.19

Diese E-Mail sollte den Beginn des Briefwechsels zum Kantorium werden, zwar, so sagte mir KMD J. Steuerwald in einem persönlichen Gespräch, habe er schon lange zuvor an R. Temmingh als Komponist für ein größeres Werk anlässlich des Pfälzer Kirchentages 2004 gedacht, allerdings wäre er bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht dazu gekommen, mit R. Temmingh in Kontakt zu treten. Dies tat er dann am 22.06.2002 beim Beantworten der oben teilweise abgedruckten E-Mail.

Im Folgenden soll nun die Entstehung des Kantoriums anhand verschiedener Aspekte besprochen werden.

3.1 Der Anlass

Anlass für die in Auftrag gegebene Komposition war der Pfälzer Kirchentag 2004. Dieser stand unter dem Motto „Protestantisch - Pfälzisch -Profiliert“. Gefeiert wurden vor allem 475 Jahre Protestation sowie 100 Jahre Gedächtniskirche zu Speyer. Im Folgenden sollen diese Jahreszahlen etwas genauer beleuchtet werden.

3.1.1 475 Jahre Protestation

Die 475 Jahre Protestation beziehen sich auf den Reichstag zu Speyer im Jahre 1529. Nachdem Martin Luther im Jahre 1517 seine 95 Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen hatte wurde er 1521 vor den Reichstag von Worms geladen. Hier sollte er seine Reformationspläne dem

Kaiser vortragen. Dieser lehnte eine Reform der Kirche ab und verhängte über Luther die „Reichsacht“.

Trotz der Verfolgung von Luthers Anhängern breitete sich die Reformation wie ein Lauffeuer aus. Da der Kaiser in dieser Zeit gegen Frankreich, die Türken und sogar den Papst in Rom Krieg führte und auf die Fürsten, die Luther anhingen, angewiesen war, lies er beim Speyerer Reichstag 1526 die Reformation mit Einschränkungen zu.

Die Reichsacht

Auch Acht, v. althochdt. Ahta = Verfolgung. Die vom Reichsgericht verhängte Acht erstreckte sich auf das gesamte Heilige Römische Reich Deutscher Nationen.

Ein Geächteter war vogelfrei, d.h. jeder konnte diesen ohne Strafe töten, sein Vermögen verfiel, er galt für seine Angehörigen als tot.

Weiterführende Literatur:

BATTENBERG, F., Reichsacht und Anleite im Sp ä tmittelalter, Böhlau, Köln, 1986.

Mit dem Reichstag zu Speyer im Jahr 1529 wollte der Kaiser die Verfolgung der Evangelischen wieder aufnehmen, zuvor jedoch versuchte man eine Einigung zu erreichen.

Es wurde vorgeschlagen, die römisch - katholische Messe in den evangelischen Gebieten wieder einzuführen, was auch mit Mehrheit angenommen wurde. Gegen diesen Beschluss legten jedoch einige Städte und Fürsten „Einspruch“ ein - die so genannte „Protestatio“. Als sie ihre eigenen Vorschläge präsentieren wollten, verließen die Vertreter des Kaisers den Saal. Die Zurückbleibenden legten ihren Standpunkt also in einem Schreiben nieder, das zur Geburtsurkunde der Protestation wurde.20

3.1.2 100 Jahre Gedächtniskirche

3.1.2.1 Der Bau

Die „Gedächtniskirche der Protestation“ wurde durch den „Verein zur Erbauung der Gedächtniskirche der Protestation von 1529 zu Speyer“ gebaut. Dieser war im Jahre 1857 unter dem Namen „Retscherverein“ gegründet worden. Die Mitglieder waren höhere Beamte der protestantischen Kirchenbehörde.

Der Anlass zum Bau der Gedächtniskirche war allerdings nicht, eine neue Pfarrkirche zu bauen, man wollte vielmehr ein protestantisches Denkmal errichten. Das Erbauen von Kirchen mit der Funktion eines Denkmales war in dieser Zeit nicht ungewöhnlich.

Finanziert wurde der Bau durch Spenden. Der „Verein zur Erbauung der Gedächtniskirche“ versuchte von Anfang an auch die jeweiligen Landesfürsten mit einzubeziehen. Dies gelang jedoch erst im Jahre 1876, als der Verein das deutsche Kaiserhaus als Stifter gewinnen konnte. 1890 beschloss der Verein dann, nachdem der Kaiser Wilhelm II. die Restfinanzierung zugesichert hatte, die Bauarbeiten zu beginnen. Das Kaiserpaar unterstützte in den folgenden Jahren den Bau durch großzügige Spenden. Um so verwunderlicher ist es, dass der Kaiser bei der Einweihung am 31. August 1904 nicht anwesend war.21

Die finanzielle Unterstützung kam Der Weltprotestantismus jedoch nicht nur aus Deutschland. Schon im ersten Aufruf des Retschervereins vom 11. Februar 1875 der sich an den „Weltprotestantismus“ wendete, wird für das „gemeinsame Werk aller Protestanten der Erde“ geworben. Vor allem die Protestanten aus Amerika brachten beträchtliche Mittel auf, aber auch Protestanten aus Luxemburg, der Schweiz, Frankreich und vielen

Zum Weltprotestantismus zählen eine Unzahl von Gruppierungen, die aus der Protestation hervorgeganen sind. Zum Beispiel: Die Pietisten, die Methodisten, die Herrenhuter Brüdergemeinde, die Baptisten, die Mennoniten und viele andere.

Weiterführende Literatur:

van de POL, W. H., Der Weltprotestantismus - Glaubens- und Lebenswelt unserer Br ü der, Ludgerus Verlag, Essen, 1960.

anderen Ländern. Eine genaue Aufstellung der Spender ist in den Stifterverzeichnissen verzeichnet, die um 1959 zusammengestellt wurden.22

3.1.2.2 Die Einweihungsfeier

Die Einweihungsfeier der Gedächtniskirche zu Speyer fand am 31. August 1904 statt. Ein bisschen überrascht ist man beim Blick auf die Präsenzliste angesichts der wenigen ausländischen Festgäste, bedenkt man, welche immensen Summen aus dem Ausland gespendet wurden:

„Je ein Name wird aus Basel, Genf, Italien und Österreich genannt. Mehrere Personen sind namentlich aus den Vereinigten Staaten von Amerika aufgeführt…“23.

Auch in der Predigt überrascht die stark auf Deutschland bezogene Sicht:

Hier wird die Gedächtniskirche vorrangig als Werk des deutschen Protestantismus verstanden. Auch fallen Sätze wie „Die Kirche ist im reinen deutschen Stil erbaut. So muß auch der Protestantismus seine Sache als eine Sache Gottes vom weltlichen Wesen rein erhalten, der deutsche Protestantismus muß die Liebe zu deutscher Art und Sitte, die Liebe zum Deutschen Reich pflegen.“24

Wurde noch beim Sammeln des Baugeldes der „Weltprotestantismus“ betont, so scheint dieser bei der Einweihungsfeier in den Hintergrund gerückt zu sein. Hier steht vor allem der „Deutsche Protestantismus“, der in der Predigt indirekt als das einzig Wahre beschrieben wird, im Mittelpunkt.

3.1.2.3 Musik in der Gedächtniskirche zu Speyer

Die Gedächtniskirche diente von Anfang an auch als Ort für Konzerte. Zwar bemängelt der Kantor Diethelm Kaufmann „Der Bau ist einfach zu kurz geraten! […musiziert man mit kleinerer Besetzung, so kommt] im Altarraum der Gedächtniskirche einfach alles „ins schwimmen“.“25, doch sei dies bei größerer Besetzung kein Problem.

Bei der Einweihungsfeier am 31. August 1904 erklang Bachs G-Dur- Präludium, der Psalm 95 eines zeitgenössischen Tonsetzers sowie der Psalm 100 von Felix Mendelssohn-Bartholdy „Jauchzet dem Herrn alle Welt“. In den folgenden Jahren sollte die Gedächtniskirche der Pfalz zum Zentrum der protestantischen pfälzischen Kirchenmusik werden.

Schon 1905 fand hier ein Fest anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Kirchenchorverbandes statt. Bis zum 2. Weltkrieg fanden hier mehrere Musikfeste unter den Titeln „Bachfest“ (1935), „Buxtehude“ (1932/41) und anderen statt. Diese standen unter der Leitung von Pfarrer Imo Schäfer, der die Speyerer Kantorei leitete und nicht etwa unter der Leitung von Adolf Graf (wie es von diesem nachträglich dargestellt wurde).

Nach dem Krieg wurde von der Landeskirche erstmals ein Landeskirchenmusikdirektor [LKMD] besetzt, Adolf Graf.

LKMD A. Graf machte sich vor allem in der Chorarbeit verdient. Er gründete 1951 die Jugendkantorei und gab ab 1952 in regelmäßigem Abstand Chorhefte heraus. Diese waren speziell an die Bedürfnisse der Kirchenchöre angepasst und enthielten einfache drei- und vierstimmige Choräle, Motetten und andere Werke.

Die Jugendkantorei hat sich bis heute zum „Aushängeschild“ der Evangelischen Kirche der Pfalz entwickelt. Nach A. Graf wurde sie von LKMD M. Göttsche und LKMD U. Follert geleitet. Aktuell ist KMD J. Steuerwald künstlerischer Leiter der Evangelischen Jugendkantorei der Pfalz.

Liest man die unzähligen Konzerttitel der in der Gedächtniskirche aufgeführten Werke, wird man kaum ein bekanntes Werk vermissen. Sowohl Alte als auch Neue Musik wurde hier musiziert. Auch beschränkten sich die Veranstaltungen keineswegs nur auf Kirchenmusik. Die Kirche wurde auch um Geld für die Kirchenrenovierung zu bekommen an Konzertagenturen vermietet. D. Kaufmann schreibt hierzu: „In diesen Tagen erklangen hier sogar Orffs „Carmina Burana“! […] im Dezember 2003 [ein] Udo - Jürgens - Medley (etwa mit den Titeln wie „Griechischer Wein“ und „Aber bitte mit Sahne“) bis hin zu Songs der schwedischen Popgruppe „ABBA“: meiner Auffassung nach ist das nicht nur eine Geschmacksverirrung, sondern ebenso eine Entheiligung des gottesdienstlichen Raumes! […] Und da machen wir uns noch Gedanken wegen des Inhalts von Haydns „Jahreszeiten“.“26

Nimmt man den Text der Carmina Burana, so kann ich D. Kaufmann nur zustimmen, ein solches Werk in einer Kirche stellt in jedem Falle eine Entheiligung dar.

3.2 Der Titel

Schon sehr früh in der Planung des Werkes erscheint der Titel „Es ist das Heil uns kommen her“.27 Noch bevor dieser Titel an R. Temmingh als erster Arbeitstitel übermittelt wird, schlägt dieser von sich den Titel „’Elend’ - Redemtion - ’Dankbarkeit’“ vor. Temmingh denkt hierbei an drei einzelne Kantaten.28

Am 06.09.2002 legt KMD J. Steuerwald für R. Temmingh den vorläufigen Arbeitstitel „Es ist das Heil uns kommen her“ fest. Dr. Wien, der die Idee zu diesem Titel hatte, wählte diesen, so KMD J. Steuerwald,

Paul Speratus

Geboren 1484 in Rötlen bei Ellwangen, Priester in Dinkelsbühl und Würzburg, als Anhänger Luthers Prediger in Österreich und Ungarn, Pfarrer in Iglau (Mähren), in Olmütz als Ketzer zum Feuertod verurteilt, aber begnadigt; In Wittenberg beteiligte er sich an den ersten reformatorischen Lied- sammlungen, 1524 von Albrecht von Preußen nach Königsberg berufen, erster lutherischer Bischoff von Pomesanien, in Marienwerder (Westpreußen); dort gestorben 1551.

Quelle:

Ev. Kirche Deutschland, Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe f ü r die Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), Evangelischer Presseverlag Pfalz GmbH, Speyer 1994, S.269.

da das gleichnamige Lied von Paul Speratus als das reformatorische Lied überhaupt gilt.

Der Begriff Oratorium taucht zum ersten Mal in der Mail von KMD J. Steuerwald vom 19.07.2002 auf29. Die Gattung hätte aber an sich schon

festgestanden, so KMD J. Steuerwald in einem Gespräch. Auch seien die Begriffe Oratorium und Kantate nicht trennbar.

R. Temmingh lehnt das Textbuch von Dr. Wien in der Mail vom

27.11.2002 mit folgender Begründung ab: „I am (again) convinced that the „Buch“ is a „Durcheinander“, a „Mischmasch“, a „Sammelsurium“.“30

R. Temmingh meint hiermit, dass das vorliegende Textbuch eine Sammlung der bekanntesten und beliebtesten Bibelzitate ist, die aber nicht zusammenpassen, da die einzelnen Texte aus verschiedenen Epochen stammen und somit sprachlich nicht zueinander passen.

Triptik

Der Begriff Triptik leitet sich vom griechischen Tryptichon ab.

Dabei handelt es sich um einen Begriff aus der Kunst, der ein aus 3 Teilen bestehendes thematisch zusammenhängendes Tafelbild oder

geschnitztes Altarbild, (Flügelaltar mit einem Haupt + beweglichen Seitenbild meint.

Quelle:

Braun, A., Das Neue Bertelsmannlexikon - multimedial, Band 22, Bertelsmann Lexikonverlag GmbH Güthersloh, München, 2003, S.184.

Er schlägt zudem vor, ein eigenes Textbuch zu schreiben. Dieses Textbuch, das er umgehend liefert, trägt den Titel „Triptik“.

KMD J. Steuerwald schreibt zu diesem Titel in der Mail vom 14.02.2002:

„Zu „Triptik“. Ich weiß noch nicht, ob mir der Titel wirklich gefällt. Einerseits ist er optisch und klanglich griffig, andererseits ist es doch ein sehr technischer Begriff. Man nennt eine Oper ja auch nicht „Oper“.“31

Damit ist der Titel jedoch noch nicht abgelehnt. Nachdem KMD J. Steuerwald am 21.02.2002 schriftlich von der Landeskirche informiert wird, dass das Textbuch von R. Temmingh angenommen ist, schreibt er folgendes an Temmingh:

„Über den Titel „Triptik“ hat sich in Speyer niemand geäußert. Vielleicht sollten wir ihn doch behalten“.32

Der Titel „Triptik“ hält sich lange, als jedoch der 3. Teil durch R. Temmingh gestrichen wird, und das Werk somit auf 2 Teile begrenzt wird, fällt der Titel, der ja direkt Bezug auf die dreiteilige Form nimmt, weg.

Hier taucht dann auch der endgültige Titel „Kantorium“ auf. Dieser erscheint das erste Mal am 17.12.2003.33 Auch dieser Titel wird von R. Themmingh gewählt.

3.3 Die Besetzung

KMD J. Steuerwald legt die Besetzung bei der ersten Anfrage an R. Temmingh wie folgt fest:

„Als Besetzung sind bis zu 6 Vokalsolisten, gemischter Chor (ca. 70 Personen) und Sinfonieorchester denkbar.“34

Dr. Wien schickt am 25.06.02 eine Entwurfsskizze die auch Bezug auf die Besetzung nimmt. In der Mail vom 26.06.2002 wird dieser Entwurf an R. Temmingh weitergeleitet.

„Er [Dr. Wien] denkt an vier verschiedene Aufführungsorte:

Apsis (Platz für großen Chor und großes Orchester), die beiden

Seitenemporen (auf der einen Seite Bänke z.B. für Chor, auf der anderen Seite Platz für kleineres Ensemble bis ca. 30 Musiker und Chor) und an die Orgelempore (Orgel 5 Manuale, 103 Register). Platz für kleineren Chor (ca. 30 - 40 Personen).“35

Die Zuordnung der verschiedenen Plätze in Dr. Wiens Entwurf ist wir folgt36:

Apsis: Solus Christus

Nordempore: Sola Gratia

Südempore: Sola Fide Orgelempore: Sola Scriptura

Durch diese

Aufführungspraxis wäre die Kreuzform des Gebäudes noch stärker herausgehoben worden. Der Nachteil wäre allerdings

gewesen, dass zum einen wegen der großen Distanzen

mehrere Dirigenten nötig geworden wären und zum anderen die

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Gedächtniskirche zu Speyer, Grundriss unter den Emporen (verändert nach der Vorlage von Dr. Wien vom 25.06.2002)

Zuhörer die Musiker nur teilweise hätten sehen können.

Doch steht bis zum Mai 2003 die Besetzung eher im Hintergrund. Grund hierfür ist das Ringen um den Text sowie der Wechsel des Textbuches.

Nachdem Temmingh im Mai die Fertigstellung des ersten Teils verkündet, ergeben sich für den zweiten Teil folgende Fragen:

„So far we use 4 solists - S A T B. Should the part of Christ in Teil 2 be sung by solist 5, or can we use the bass already „there“. If not, this fifth singer will only take part in Teil 2.“37

KMD J. Steuerwald schreibt hierauf:

„Was die „Vox Christi“ betrifft, denke ich, Sie sollten frei entscheiden, […]

Nachdem es ja keine „Handlung“ gibt, denke ich, dass es auch kein Problem ist, wenn der vierte Solist die „Vox Christi“ mit übernimmt.“38 Bei dieser Besetzungsaufstellung sollte es dann auch bleiben.

3.4 Der inhaltliche Aufbau des Werkes

Das Kantorium ist inhaltlich in zwei große Teile unterteilt.

3.4.1 Teil I „Schöpfung - Welt, das Leben, der Mensch, auch das Böse“

Den ersten Teil, der vorwiegend aus Zitaten des AT zusammengesetzt ist überschreibt KMD J. Steuerwald in seiner einleitenden Werkbesprechung bei der Uraufführung mit dem Titel: „Schöpfung - Welt, das Leben, der Mensch, auch das Böse“

Zu Beginn steht das durch den Tenor - Solisten gesungene Zitat aus 1. Mose 1,1: „ Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde “ das gleichzeitig als Überschrift gesehen werden kann.

Dann folgt die Schöpfung, wobei der Schöpfungsprozess, in sieben Abschnitte (sieben Tage) aufgeteilt ist. Hier verwendet R. Temmingh lediglich das Orchester; Der Chor sowie die Solisten schweigen.

Im siebten Abschnitt, dem Ruhetag, reflektiert der Chor mit einem Psalm über die Schöpfung:

„ Herr, wie sind deine Werke so gro ß und viel! Du hast sie alle weise geordnet,

und die Erde ist voll deiner G ü ter. “ (Psalm 104,24)

Jetzt geht R. Temmingh wieder ein Stück zurück und stellt die Schaffung des Menschen noch einmal besonders dar. Diesmal übernimmt die Alt-Solistin den Erzählerpart mit folgenden Texten aus 1. Mose 1,27 und 1. Mose 2,25.

„ Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde,

zum Bilde Gottes schuf er ihn; “

„… und schuf sie als Mann und Weib .

Und sie waren beide nackt und sch ä mten sich nicht. “

Auch hier reflektiert der Chor wieder mit einem Psalm (Psalm 95, 6 u. 7)

Eigentlich könnte man die Schöpfung zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen betrachten, aber R. Temmingh geht weiter, er bezieht auch das Böse in die Schöpfung mit ein. Hierbei verwendet er einen Text aus der Offenbarung:

„ Es entbrannte aber ein Kampf im Himmel:

Michael und seine Engel k ä mpften gegen den Drachen. Und der Drache k ä mpfte und seine Engel, und sie siegten nicht,

und ihre St ä tte wurde nicht mehr gefunden im Himmel. Und es wurde hinausgeworfen der gro ß e Drache, die alte Schlange, die da hei ß t:

Teufel und Satan, der die ganze Welt verf ü hrt, und er wurde auf die Erde geworfen,

und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen. “ (Offenbarung 12, 7-9)

R. Temmingh schafft also keine heile Welt, er versucht sie eher darzustellen wie sie ist.

Die nachfolgenden Nummern zeigen den Menschen in seiner verzweifelten Sündhaftigkeit. Hier verwendet R. Temmingh Texte aus dem Römerbrief, den Psalmen und den Klageliedern.

Erst in Nummer 8 geschieht die Wende mit Texten aus Jesaja 40, dem „Trostbuch von der Erlösung Israels“. Hier keimt zum ersten Male Hoffnung für den Menschen auf.

Der Chor singt hier unter anderem:

„ Tr ö stet, tr ö stet mein Volk! Spricht euer Gott. “ (Jesaja 40,1)

Abgeschlossen wird der erste Teil durch einen Psalm, der Trost und Hoffnungsgedanken in sich trägt:

„ Herr deine G ü te reicht, soweit der Himmel ist,

und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen. “ (Psalm 36,6) „ Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,

und in deinem Lichte sehen wir das Licht. “ (Psalm 36,10)

3.4.2 Teil II

Im 2. Teil greift R. Temmingh vor allem auf Texte des Neuen Testaments, und hier vor allem auf die Evangelisten zurück.

3.4.2.1 Jesus Christus „Leben, Lehren, Sterben und Auferstehen“

Der 2. Teil des Kantoriums, der in sich noch einmal zweigeteilt ist, beginnt ähnlich wie der erste Teil mit dem Text aus dem Johannesevangelium, der vom Tenor - Solisten gesungen wird.

„ Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. “

(Johannes 1,1)

Nach dieser „Eröffnung“ singt der Chor den bekannten Text aus dem Johannesevangelium 3,16 „ Denn also hat Gott die Welt geliebt “ bevor R. Temmingh die Handlung weiterführt. Dieser Text aus dem Johannesevangelium weist schon auf den bevorstehenden Opfertod Jesu hin.

In Nummer 14 wird der Einzug von Jesus in Jerusalem dargestellt.

Der Chor, sowie Sopran-, Alt und Tenorsolist singen den Text aus dem Matthäusevangelium:

„ Hosianna dem Sohn Davids!

Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der H ö he! “

R. Temmingh schafft hier eine trügerische euphorische Stimmung, die in der Musik schon Elemente des späteren „Lass ihn kreuzigen“ in sich trägt.

Der Bass übernimmt in Nr. 15 die Rolle Jesu der sich als Retter der Welt deklariert:

„ Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;

Niemand kommt zum Vater denn durch mich. “ (Johannes 14,6b) „ Ich bin das Licht der Welt.

Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis,

sondern wird das Licht des Lebens haben. “ (Johannes 8,12b)

Noch ist der Zuhörer in einer friedlichen Stimmung, doch auf die Aussage Jesu reagiert das Volk mit „ Lass ihn kreuzigen! “ (Matthäus 27). Vielleicht ist dies für uns nicht gleich verständlich, doch galten die folgenden Aussagen in der jüdischen Kultur als Lästerung gegen Gott.

„ Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;

niemand kommt zum Vater denn durch mich. “ (Johannes 14,6b) „ Ich bin das Licht der Welt.

Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis,

sondern wird das Licht des Lebens haben. “ (Johannes 8,12b)

Hierauf stand der Tod. Interessant ist allerdings, dass sich die Juden hier für die Kreuzigung entscheiden, eine Todesart, die eigentlich nur von den Römern, die zu dieser Zeit Israel besetzt hatten, ausgeübt wurde. Typisch für die Juden wäre eher eine Steinigung gewesen.

Nachdem R. Temmingh den Zuhörer so plötzlich aus der eher friedlichen Stimmung gerissen hat, entspannt er die Atmosphäre wieder ein wenig mit dem Bass - Solo, in dem Jesus ruhig auf das rasende Volk mit dem Text aus Johannes 10,14-16 reagiert.

„ Ich bin der Gute Hirte und kenne die Meinen …“ (Johannes 10,14)

Doch das Volk, für das der Chor steht, lässt sich nicht beruhigen und wird nach dieser Aussage noch aufgebrachter. Noch vor kurzem hatte es Jesus als Retter und Erlöser der Welt, aber auch als Befreier von den Römern gefeiert. Nun ruft es:

„ Er hat einen b ö sen Geist und ist von Sinnen; Was h ö rt ihr im zu? “ (Johannes 10,20b) „ Kreuzige ihn! “

Dem Chaos, das im aufgebrachten Volk herrscht, setzt R. Temmingh warnende Aussagen „ Weh euch, Schriftgelehrten und Pharis ä er, ihr Heuchler! [ … ] Wie wollt ihr der h ö llischen Verdammnis entrinnen? “ (Matthäus 23, 15a und 23, 33) der Solisten in Nr. 19 entgegen. Hier demonstriert R. Temmingh zum ersten Mal die Macht Gottes. Wird Gott so oft nur als „Lieber Gott“ dargestellt, so zeigt R. Temmingh hier, dass Gott auch die Schuld der Menschen, die sich gegen ihn stellen einfordert. Ein Wesenszug Gottes, der lange Zeit in der Geschichte der christlichen Religion als Druckmittel verwendet wurde. Heute sieht man darüber gerne hinweg, da die Vorstellung, irgendwann für das eigene Tun die Verantwortung zu übernehmen, für Menschen unbequem ist.

Doch auch die Frage des vorangegangenen Stückes „ Wie wollt ihr der h ö llischen Verdammnis entrinnen? “ kann das aufgebrachte Volk nicht mehr bremsen. In Nr. 20 wiederholt und bekräftigt der Chor die schon zuvor gemachte Aussage „ Lass ihn kreuzigen! “ und setzt noch hinzu „ Sein Blut komme ü ber uns und unsere Kinder! “ (Matthäus 27,25b)

Nun schließt R. Temmingh die Seligpreisungen aus Matthäus 5, 7-10 an.

In den Text arbeitet er das Zitat aus der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) ein:

„ Ein Christenmensch ist ein freier Herr ü ber alle Dinge und niemanden untertan.

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. “ 39

Der Chor reagiert unbeeindruckt mit einem weiteren „ Lass ihn kreuzigen! “

Es folgt die Szene im Garten Gethsemane in der Jesus (Bass-Solist) bittet:

„ Abba, mein Vater, alles ist dir m ö glich;

Nimm diesen Kelch von mir;

doch nicht, was ich will, sondern was du willst. “ (Markus 14,36)

„ Und Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun. “ (Lukas 23,34a)

Dieser Satz bringt die Wende im zuvor so verstockten Chor. Dieser singt in Nr. 24

„ Gott sei mir gn ä dig nach deiner G ü te

und tilge meine S ü nden nach deiner gro ß en Barmherzigkeit. Wasche mich rein von meiner Missetat,

und reinige mich von meiner S ü nde. “ (Psalm 51 3-4)

In der folgenden Nummer, die den 1. Abschnitt des 2. Teils beendet stellt R. Temmingh die Sterbeszene Jesu dar. Diese wird von drei Generalpausen abgeschlossen, vielleicht ein Hinweis auf die Sterbestunde.

[...]


1 STEUERWALD, J., Roelof Temmingh in: Kirchenkonzert - Temmingh - Bach, Textbuch, Amt für Kirchenmusik, Speyer, 2004, S.13.

2 JOHNSON, A., WALTON, C. (ed.), Roelof Temmingh in: Dictionary of African Composers auf: http://sacomposers.up.ac.za/ Stand: 06.02.2005, 20:37.

3 INFORMATION CENTER FOR SOUTHERN AFRICAN MUSIC, Roelof Temmingh (*1946) auf: http://www.puk.ac.za/music/isam/composers/roelof.temmingh.html Stand: 01.03.2005, 13:47.

4 vgl. HONEGGER, M., MASSENKEIL G.(Hrsg.), Kantate in: DAS GROSSE LEXIKON DER MUSIK in acht B ä nden, Band 4, Herder, Freiburg, Basel, Wien, 1978, S.293.

5 vgl. ebenda S.293.

6 vgl. ebenda S.293

7 HONEGGER, M., MASSENKEIL G.(Hrsg.), Kantate in: DAS GROSSE LEXIKON DER MUSIK in acht B ä nden, Band 4, Herder, Freiburg, Basel, Wien, 1978, S.294.

8 ebenda S.294.

9 ebenda S.295.

10 HONEGGER, M., MASSENKEIL G.(Hrsg.), Kantate in: DAS GROSSE LEXIKON DER MUSIK in acht B ä nden, Band 4, Herder, Freiburg, Basel, Wien, 1978, S.295.

11 HONEGGER, M., MASSENKEIL G.(Hrsg.), Oratorium in: DAS GROSSE LEXIKON DER MUSIK in acht B ä nden, Band 6, Herder, Freiburg, Basel, Wien, 1978, S.128.

12 vgl. ebenda S.125.

13 ebenda S.125.

14 ebenda S.125.

15 HONEGGER, M., MASSENKEIL G.(Hrsg.), Kantate in: DAS GROSSE LEXIKON DER MUSIK in acht B ä nden, Band 6, Herder, Freiburg, Basel, Wien, 1978, S.126.

16 ebenda S.126.

17 ebenda S.127.

18 ebenda S.127.

19 TEMMINGH, R. @ STEUERWALD, J., Kantate … .kANTATE … ., Fri, 21.06.2002, 23:48:53 +0200.

20 LANDGRAF, M., Wissenswertes aus der Geschichte der Protestanten, Protestantisch? - Woher kommt das eigentlich? auf: http://www.evpfalz.de/protestantisch2004/anlass/3c_landgraf.php, Stand: 14.03.2005. 17:01.

21 vgl. SOMMER, A., Die Glasmalereien der Ged ä chtniskirche in Speyer in: BÖCHER, OTTO (Hrsg.), BL Ä TTER F Ü R PF Ä LZISCHE KIRCHENGESCHICHTE UND RELIGI Ö SE VOLKSKUNDE - 2004 - HUNDERT JAHRE GED Ä CHTNISKIRCHE DER PROTESTATION ZU SPEYER - 1904 - 2004, Jahresband 2004, 71. Jahrgang, verlag regionalkultur, Speyer, 2004, S.76f.

22 vgl. HANS, F., Geldgeber und Kollektanten in: Hundert Jahre Bauverein der Ged ä chtniskirche in Speyer, Speyer, 1959.

23 vgl. GÜMPEL, L. Weihefeier der Ged ä chtniskirche der Protestation, Speyer 1904, 53ff.

24 vgl. ebenda 86ff.

25 vgl. KAUFMANN, D., Die Kirchenmusikalischen Grossereignisse in hundert Jahren - Oder: Praktische Chorarbeit an der Speyerer Ged ä chtniskirche in: BÖCHER, OTTO (Hrsg.), BL Ä TTER F Ü R PF Ä LZISCHE KIRCHENGESCHICHTE UND RELIGI Ö SE VOLKSKUNDE - 2004 - HUNDERT JAHRE GED Ä CHTNISKIRCHE DER PROTESTATION ZU SPEYER - 1904 - 2004, Jahresband 2004, 71. Jahrgang, verlag regionalkultur, Speyer, 2004, S.429f.

26 KAUFMANN, D., Die Kirchenmusikalischen Grossereignisse in hundert Jahren - Oder: Praktische Chorarbeit an der Speyerer Ged ä chtniskirche in: BÖCHER, OTTO (Hrsg.), BL Ä TTER F Ü R PF Ä LZISCHE KIRCHENGESCHICHTE UND RELIGI Ö SE VOLKSKUNDE - 2004 - HUNDERT JAHRE GED Ä CHTNISKIRCHE DER PROTESTATION ZU SPEYER - 1904 - 2004, Jahresband 2004, 71. Jahrgang, verlag regionalkultur, Speyer, 2004, S.427.

27 vgl. Dr. WIEN, U. @ STEUERWALD, J., Skizze Projekt 475/100 in Speyer, 25.06.2002, 13:13.

28 vgl. TEMMINGH, R. @ STEUERWALD, J., Future, Sun, 23.06.2002, 22:37:56 +0200.

29 vgl. STEUERWALD, J. @ TEMMINGH, R., Speyer, 2004, Fri, 19 Jul 2002, 11:08:01 +0200.

30 TEMMINGH, R. @ STEUERWALD, J., Oratorium, Wed, 27 Nov 2002, 20:12.03, +0200.

31 STEUERWALD, J. @ TEMMINGH, R., m, Fri, 14 Feb 2003, 10:20:33, +0100.

32 STEUERWALD, J. @ TEMMINGH, R., Triptik, Fri, 21 Feb 2003, 11:53:13, +0100.

33 STEUERWALD, J. @ TEMMINGH, R., Partitur, Wed, 17 Dec 2003, 21:29:22, +0100.

34 STEUERWALD, J. @ TEMMINGH, R., Future, Wed, 26 Jun 2002, 14:51:57, +0200.

35 ebenda.

36 vgl. STEUERWALD, J. @ TEMMINGH, R., Future, Wed, 26 Jun 2002, 14:51:57, +0200.

37 TEMMINGH, R. @ STEUERWALD, J., Triptik, May 2003.

38 STEUERWALD, J. @ TEMMINGH, R., Triptik, May 2003.

39 STEUERWALD, J. @ TEMMINGH, R., Triptik, Fri, 21 Feb 2003, 11:53:11 +0100.

Ende der Leseprobe aus 345 Seiten

Details

Titel
Roelof Temmingh: „Kantorium (2003) für Sopran-, Alt-, Tenor- und Bass-Solo, gemischten Chor und Orchester“
Untertitel
Eine Auftragskomposition der Evangelischen Kirche der Pfalz zur Eröffnung des Pfälzer Kirchentages 2004
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Institut für Musikwissenschaft und Musik)
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
345
Katalognummer
V42891
ISBN (eBook)
9783638408134
ISBN (Buch)
9783638706896
Dateigröße
6863 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Examensarbeit behandelt die Komposition "Kantorium (2003)" von Roelof Temmingh von der Entstehung bis zu den Kritiken nach der Uraufführung. Die Gesamt-Partitur ist im Anhang enthalten und darf zu Studienzwecken genutzt werden.
Schlagworte
Roelof, Temmingh, Sopran-, Alt-, Tenor-, Bass-Solo, Chor, Orchester“
Arbeit zitieren
Joachim Dieterich (Autor:in), 2005, Roelof Temmingh: „Kantorium (2003) für Sopran-, Alt-, Tenor- und Bass-Solo, gemischten Chor und Orchester“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42891

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