Die Patchworkfamilie - Verhaltensmuster und Verankerung im Bildungsplan


Examensarbeit, 2004

111 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definitionen
2.1 Familie
2.2 Stieffamilie
2.3 Patchworkfamilie
2.4 Zweitfamilie
2.5 Blended Family

3. Demographische Lage

4. Die Patchworkfamilie
4.1 Entwicklungsphasen einer Patchworkfamilie
4.4.1 Die Trennungsphase
4.4.2 Die Teilfamilienphase
4.4.3 Die neue Partnerschaft
4.2 Strukturen
4.2.1 Stiefmutterfamilie
4.2.2 Stiefvaterfamilie
4.2.3 Die zusammengesetzte Familie
4.2.4 Die Stieffamilie mit gem. Kind oder Kindern
4.2.5 Stieffamilie, Adoptivfamilie, Pflegefamilie
4.3 Die neuen Rollen in der Patchworkfamilie
4.3.1 Stiefmutter
4.3.2 Stiefvater
4.3.3 Situation der Kinder
4.3.4 Geschwister, Stiefgeschwister

5. Probleme und Chancen

6. Beratungsstellen und Hilfe

7. Rechtliche Grundlagen
7.1 Das Namensrecht
7.1.1 Die Adoption
7.2 Das Sorgerecht
7.3 Das Umgangsrecht
7.4 Das Unterhaltsrecht

8. Verhaltensmuster
8.1 Komplexität von Patchworkfamilien
8.2 Studien von Verhaltensmustern
8.3 Geschlechtsspezifisches Verhalten – Verhalten sich Jungen anders als Mädchen?
8.4 Gespräche mit Verwandten und Bekannten

9. Verankerung im Bildungsplan
9.1 Schulbezug
9.2 Die einzelnen Fächer im alten Bildungsplan für die Grund- und Hauptschule
9.2.1 Heimat- und Sachkunde
9.2.2 Deutsch
9.2.3 Evangelische Religion
9.2.4 Katholische Religion
9.2.5 Fächerverbindende Themen
9.3 Die einzelnen Fächer im neuen Bildungsplan für die Grund- und Hauptschule
9.3.1 Mensch-Natur-Kultur
9.3.2 Deutsch
9.3.3 Evangelische Religion
9.4 Die Lehrkräfte informieren
9.5 Möglichkeiten der Umsetzung in der Schulpraxis
9.5.1 Klassengespräche
9.5.2 Bilder
9.5.3 Texte schreiben
9.5.4 Rollenspiele
9.5.5 Filme
9.5.6 Basteln
9.5.7 Literatur
9.6 Literaturvorschläge für den Unterricht
9.6.1 Bücher für Anfangsklassen der Grundschule
9.6.1.1 Papa wohnt jetzt in der Heinrichstrasse
9.6.1.2 Die zweigeteilte Anna
9.6.1.3 Du bleibst immer mein Papa
9.6.1.4 Funkspruch von Papa
9.6.1.5 Mama hat sich verliebt Und jetzt auch noch Max
9.6.1.6 Nella Propella
9.6.1.7 Scheidung auf dinosaurisch
9.6.1.8 Alles Familie
9.6.1.9 Moritz heißt immer noch Meier
9.6.1.10 Von Papa lass ich mich nicht scheiden
9.6.2 Bücher Klassen 4 und
9.6.2.1 Das Geheimnis des Regenbogens
9.6.2.2 Fränze
9.6.2.3 Einen Vater hab ich auch
9.6.2.4 Patchworkfamilie
9.7 Wie können Lehrer helfen?

10. Schlusswort

11. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Familie wird als eine der ältesten und beständigsten Formen menschlichen Zusammenlebens bezeichnet. In vielen Köpfen herrscht noch das Bild der „Normalfamilie“ vor, obwohl es heute eine Vielzahl an gelebten Familienformen gibt. Heutzutage wird jede dritte Ehe geschieden. Häufig schließen geschiedene Ehepartner bzw. Ehepartnerinnen wieder eine Ehe und ein weiterer großer Teil lebt in einer festen partnerschaftlichen Beziehung.

Die traditionelle Familie hat Konkurrenz bekommen von einem Modell, das unter vielen verschiedenen Namen auftritt: „Stieffamilie“, „Folgefamilie“, „Lego-Familie“, „Zweitfamilie“ oder „Patchworkfamilie“.

Immer mehr Erwachsene und Kinder leben in einer Patchworkfamilie.

Da ich die Situation einer Scheidung, sowie die Situation einer Stieffamilie und Patchworkfamilie aus persönlichen Erfahrungen kenne, möchte ich meine Zulassungsarbeit dazu nutzen, die Patchworkfamilie einmal näher zu betrachten.

Hierbei stelle ich mir die Frage, ob eine Patchworkfamilie als Phänomen unserer heutigen Gesellschaft gesehen und ob sie automatisch als so genannte „Problemfamilie“ aufgrund ihrer Konstellation bezeichnet werden kann.

Mein Interesse gilt auf der einen Seite den strukturellen Besonderheiten einer Patchworkfamilie. Des Weiteren möchte ich auf die Probleme und Chancen sowie die rechtlichen Grundlagen dieser Familien eingehen. Außerdem werde ich über die Verhaltensmuster schreiben. Ein weiteres besonderes Interesse von mir ist der Schulbezug dieses Themas und in wie fern die Patchworkfamilie im Bildungsplan verankert ist oder verankert werden kann.

Zunächst wird auf die Begriffe eingegangen. Im Anschluss daran berichte ich über die demographische Lage in der Bundesrepublik Deutschland. Ausführlich wird die Patchworkfamilie im Bezug auf die Entwicklungsphasen, die Struktur und die Rollen besprochen. Im Folgenden möchte ich auf die Probleme und Chancen, Beratungsstellen und die rechtlichen Grundlagen eingehen.

Anschließend betrachte ich die Verhaltensweisen, deren Komplexität mit Studien und Beispielen verdeutlicht wird.

Daraufhin überprüfe ich wie das Thema „Patchworkfamilie“ im Unterricht eingebunden werden kann. Ich möchte anhand verschiedener Kinder- und Jugendbücher Möglichkeiten der Umsetzung in der Schulpraxis zeigen.

Schlussendlich befasse ich mich mit dem Thema inwieweit Lehrer und Lehrerinnen Kinder unterstützen können, die in Scheidungs-, Stief- bzw. Patchworkfamilien aufwachsen.

Abrunden möchte ich meine Zulassungsarbeit mit einem allgemeinen Schlusswort.

2. Definitionen

„Definitionsversuche“ wäre vermutlich der bessere Titel. Denn wie definiert man am besten den Begriff „Familie“? Es gibt sehr viele Ansichten. Wenn man z. B. wie die Soziologin, Rosemarie Nave-Herz, das Kind in den Mittelpunkt stellt und Familie als soziales Netz auffasst, welches ein Kind umfängt, so ist die allein erziehende Mutter mit ihrem Kind genau so, wie der allein erziehende Vater, auch wenn dies nicht so häufig vorkommt, eine Familie. Genau so bilden auch eine Oma, die ihr Enkelkind großzieht, ein homosexuelles Paar, welches ein Kind adoptiert, eine geschiedene Mutter mit zwei Kindern, die sich in einen getrennt lebenden Vater einer Tochter verliebt und mit ihm zusammen noch ein gemeinsames Kind bekommt, eine Familie. (Vgl. Nave-Herz, 1994)

Ich möchte anmerken, dass ich in vielen deutsch- als auch englischsprachigen Lexika nach den Begriffen Familie, Patchworkfamilie, Stieffamilie, Zweitfamilie und Blended Family gesucht habe. Sogar beim Tippen dieser Begriffe musste ich auch durch das rot gezackte Unterstreichen feststellen, dass mein Computer diese Wörter ebenfalls nicht kannte. Schon hier begannen die ersten Probleme. Familie war der einzige Begriff, der in allen Wörterbüchern in ähnlicher Form auftauchte. Hier kann man erstens sehen, dass die oben genannten Wortbedeutungen in unserer Gesellschaft noch nicht sehr gängig sind und zweitens, dass es nicht gerade einfach ist, diese Familienkonstellationen überhaupt zu definieren. Auffällig war allerdings, dass je neuer die Lexika waren, mehr solcher Begriffe auch zu finden waren. Ich denke in ein paar Jahren wird es kein Problem sein, diese Definitionen auf zu finden, denn die Bücher passen sich dem gesellschaftlichen Wandel meistens an. Weiterhin fiel mir auf, dass in den englischen Enzyklopädien mehr dieser Art von Definitionen niedergeschrieben wurden als in den deutschsprachigen. Dies ist darauf zurück zu führen, dass diese Art des Zusammenlebens in den Vereinigten Staaten häufiger vorkommt und auch schon längere Zeit vorherrscht.

2.1 Familie

Der Begriff Familie leitet sich von dem lateinischen Wort ‚familia’ ab. Eine ‚familia’ im antiken Rom war eine Lebensgemeinschaft, die durch die patriarchalisierte Ordnung gebildet wurde. Zu dieser Zeit war der Begriff Großfamilie oder Mehrgenerationenfamilie gängig, welches das Zusammenleben von mindestens drei Generationen in einem Wohnverband, meist unter der Herrschaft des Patriarchen, des einzigen Mannes aus der ältesten Generation beschreibt. Weiterhin gehörten außer dem Familienvater, der Frau und den Kindern auch alle die zum Haus gehörten, sowie Sklaven, das Vieh, der gesamte Besitz, sowie das Vermögen eines Verstorbenen Ahnen. (Vgl. Meyers Großes Taschenbuch ³/1990)

Diese Definition ist natürlich im Laufe der Jahrhunderte einem großen Wandel unterlegen.

Heutzutage wird der Begriff Familie unter dem biologischen Standpunkt und dem Standpunkt der Soziologen aufgeteilt. In der Biologie ist die Familie „eine Gruppe von Gattungen, die untereinander näher verwandt sind als mit anderen Gattungen.“ (Microsoft® Encarta® 1999 Enzyklopädie: Familie[Biologie] )

Sie weisen gemeinsame Eigenschaften auf, die sie von anderen Verwandten oder Vorfahren übernommen haben.

Die soziologische Perspektive ist für uns in diesem Fall von größerer Bedeutung. Die Soziologie bezeichnet die Familie als eine „soziale Gruppierung, (…) die in unserer Gesellschaft die bedeutendste Lebensform“ einnimmt. Die Verbindung einer solchen Gruppierung beruht auf Heirat oder Verwandtschaft. Weiterhin besagt die soziologische Perspektive, dass die Familie als soziale Institutionen mit gesellschaftlichen Leistungen/ Funktionen gesehen werden kann. Dies sind vor allem die soziale Reproduktions- und Sozialisationsfunktion. (Vgl. Microsoft® Encarta® 1999 Enzyklopädie: Familie[Soziologie] )

Es gibt unterschiedliche Formen der Familie, welche auch ansatzweise in Lexika zu finden sind. Encarta spricht z. B. von der Kernfamilie, Großfamilie, erweiterten Familie und von der Ein-Eltern-Familie.

Die Kernfamilie (auch Kleinfamilie oder englisch: nuclear family) ist der Typ von Familie, den die Gesellschaft immer noch als „Normal-Familie“ ansieht. Es ist die häufigste Familienkonstellation. Man versteht darunter „das eheliche oder eheähnliche Zusammenleben von Frau und Mann mit ihrer unmündigen Nachkommenschaft“

( Microsoft® Encarta®1999 Enzyklopädie: Familie[Soziologie] )

Einen weiteren Familientypus bildet die Ein-Eltern-Familie , in der die Kinder mit einem unverheirateten, geschiedenen oder verwitweten Elternteil zusammenleben.

2.2 Stieffamilie

Die Bezeichnung von Stieffamilie ist im keinem deutschsprachigen Lexikon zu finden. In Meyers Großem Taschenlexikon (1999), lassen sich Definitionen zu Stiefkind, Stiefmutter, Stiefeltern und stiefmütterlich finden, aber nicht zu Stieffamilie.

Encarta hat zwar keinen separaten Eintrag für diese Bezeichnung, man findet aber eine Definition unter dem Eintrag Familie selber:

„Eine Stieffamilie entsteht durch die Wiederheirat eines Elternteiles. Sie kann aus einem Elternteil mit Kindern und einem kinderlosen Ehepartner bestehen, aus einem Elternteil mit Kindern und einem Ehepartner, dessen Kinder nicht bei ihm leben, oder aus zwei Ein-Eltern-Familien.“( Microsoft® Encarta®1999 Enzyklopädie: Familie[Soziologie] )

Im englischsprachigen Lexikon Webster’s New World College Dictionary; (1999) lassen sich Einträge zu step- , stepbrother, stepchild, stepdaughter, stepfamiliy, stepfather, stepmother, stepparent, stepparenting, stepsister sowie stepson finden.

Die Definition von Stepfamily ist identisch mit der deutschsprachen Definition, die ich bei Encarta fand.

2.3 Patchworkfamilie

Der eigentliche Begriff „Patchwork“ stammt aus dem Englischen und definiert: „sewn work using small pieces of cloth with different designs, forming a pattern.“

(The Oxford Desk Dictionary, 1997) Gesprochen wird hier von einem „Flickwerk“, welches aus kleinen Stoffstücken, mit unterschiedlichen Musterformen zu einem großen Stück zusammen genäht wird. Dies ist meines Erachtens gut auf diese Art Familie zu beziehen. Aus vielen Teilen, oft sehr unterschiedlich, soll eine Einheit entstehen.

Der Begriff Patchworkfamilie an sich wird erst seit Mitte der 90iger Jahre geprägt.

Laut Meyers großem Taschenlexikon wird von einer Patchworkfamilie gesprochen, wenn „Familien, die durch Scheidung und Wiederverheiratung von Eltern mit Partnern, die ihrerseits Kinder mit in die Ehe bringen, eine neue Art von Großfamilien bilden.“(Meyers Großes Taschenbuch 7/1999)

Die 7. Auflage von Meyers großen Taschenlexikon, welche 1999 erschien, ist die erste Auflage von diesem Verlag in der eine Definition zu finden war.

Eine weitere Definition, die ich aus dem Brockhaus der Psychologie entnommen habe, unterscheidet sich insofern von der allgemeinen Definition, dass hier keine Ehe bestehen muss. Sie sprechen von der „Bezeichnung für familienähnliche Lebensgemeinschaften oder Familien, in denen Menschen zusammenleben, die zuvor einer anderen Familie angehörten oder allein erziehend waren.“

(Der Brockhaus der Psychologie, 2001)

Der Begriff Patchworkfamilie unterscheidet sich insofern von der Stieffamilie, dass in dieser Konstellation die beiden verheirateten Eltern jeweils die Position einer Stiefmutter bzw. Stiefvater einnehmen und gleichzeitig aber noch leibliche Eltern sind.

2.4 Zweitfamilie

Dieser Terminus wird hauptsächlich von Hermann Giesecke geprägt. Er spricht von der gleichen Familienkonstellation wie die Stieffamilie oder Patchworkfamilie beschreibt. „Es kann sein, dass ein allein erziehender Elternteil wieder einen Partner findet … - mit oder ohne Trauschein - mit dem Partner zusammenzieht, so dass dieser zum „Stiefelternteil“ für die Kinder wird.“(Hermann Giesecke, 1987)

Diesen Typus bezeichnet er als Zweitfamilie. In einer Zweitfamilie haben alle Mitglieder schon in einer anderen Ehe bzw. in einer anderen Familie gelebt. Giesecke betont, dass er von einer Erstfamilie und Zweitfamilie im Sinne eines zeitlich- biographischem Nacheinander spricht, nicht im Sinne einer vergleichbaren Wertung. (Vgl. Hermann Giesecke, 1987 S.18)

2.5 Blended Family

Die Definition von „blended Family“ findet man nur in englischsprachigen Enzyklopädien, diese wiederum haben allerdings keinen Eintrag für die Patchworkfamilie.

„A blended familiy is a social unit consisting of two previously married parents and the children of their former marriages.“(Webster’s College Dictionary, 4/1999) Wie man aber sieht sprechen wir hier von ein und demselben. Diesen Begriff habe ich hinzugefügt, weil ich es äußerst interessant finde, dass in den Vereinigten Staaten, >Blended Family< der gängigere Begriff für eine solche Familienkonstellation ist. Die Patchworkfamilie ist in den USA nicht soweit verbreitet wie der Begriff „blended Family“. Das finde ich insofern wissenswert, da man annimmt, dass der Begriff Patchworkfamilie die eigentliche Bezeichnung ist, da das Wort aus dem englischen stammt. Es ist nicht so, dass „Patchworkfamilie“ überhaupt nicht verwendet wird, aber es hält sich doch eher in den Kreisen der Soziologen und der Psychologen. Zu den Blended Families zählen auch Familien mit Adoptivkindern, Kinder, die von ihren Großeltern großgezogen werden, und Pflegefamilien, die sowohl ihre eigenen Kinder als auch Pflegekinder großziehen.

3. Demographische Lage

Über die aktuelle Situation der Bevölkerung hat das Statistische Bundesamt folgende Daten in dem Datenreport 2002 veröffentlicht:

In Deutschland schlossen in dem Jahre 2001 389 000 Paare die Ehe. Danach ist die Zahl der Eheschließungen weiterhin rückläufig. Im Gegensatz dazu haben die Ehescheidungen einen neuen Höchstpunkt erreicht. 2001 stieg ihre Zahl auf 197 000 an. Auf 10 000 bestehende Ehen kamen damit etwa 103 Ehescheidungen.

Berücksichtigt man die Ehedauer der geschiedenen Ehen, so wäre bei einem Anhalten der derzeitigen Scheidungshäufigkeit damit zu rechnen, dass etwa 38% der Ehen im Laufe der Zeit wieder geschieden werden.

Von der Scheidung sind nicht nur die Ehepartner, sondern auch deren minderjährige Kinder betroffen. 98 000 der geschiedenen Ehepaare hatten Kinder unter 18 Jahren. Insgesamt erlebten 154 000 minderjährige Kinder im Jahr 2001 die Scheidung ihrer Eltern. (http://www.destatis.de/download/veroe/1_01.pdf)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

http://www.destatis.de/download/veroe/1_01.pdf

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In einem zweiten Teil des Datenreports 2002 untersuchte das statistische Bundesamt die „objektiven Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden im vereinten Deutschland“. Aus dem Teil C „Lebensbedingungen und ihre Bewertung“ ergaben sich unter dem Titel folgende Daten:

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es unterschiedliche Lebens- und Familienformen. Mehr als ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung (18 Jahre und älter) lebt in einer Kernfamilie, d. h. zusammen mit einem Ehepartner und mindestens einem Kind.

Die Lebensform der geschieden Alleinlebenden ist nur begrenzt, da sie oft durch eine Wiederheirat abgelöst wird.

In den Medien wird im Zusammenhang mit der Ausbreitung so genannter »alternativer Lebensformen« über eine Krise der Familie diskutiert. Die größte Gruppe stellen in diesem Zusammenhang »Singles« dar.

Eine gesunkene Heiratsneigung und die verbreitete Vorstellung, dass man ohne Familie glücklich sein kann, bedeutet nicht, dass jüngere Männer und Frauen auf dauerhafte Partnerschaft verzichten.

Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist eine »normale« Lebensform, die mittlerweile die Mehrheit der jüngeren Ehepartner als Phase durchläuft.

(http://www.destatis.de/allg/d/veroe/d_datend.htm)

Die nachstehenden zusammengestellten Daten beziehen sich auf Stieffamilien und auf Patchworkfamilien. Diese Daten sind zum Teil Schätzwerte bzw. Hochrechnungen, da Stieffamilien nicht explizit beim Mikrozensus erfasst werden. 38,4 Millionen der rund 81,5 Millionen Menschen in Deutschland lebten 2001 als Paar (Ehepaar oder Lebensgemeinschaft) mit Kindern zusammen. 5,7 Millionen Personen waren Alleinerziehende mit Kindern. (Pressemitteilung Statistisches Bundesamt, 03.05.2002)

Im April 2001 (siehe unten abgebildetes Diagramm) lebten in Deutschland 15,1 Millionen minderjährige Kinder bei ihren Eltern bzw. einem Elternteil. 12,2 Millionen (81%) dieser Kinder werden bei ihren verheiratet zusammenlebenden Eltern groß, 2,1 Millionen (14%) lebten bei allein erziehenden Müttern und Vätern und 820 000 (5%) wurden von Lebensgemeinschaften versorgt. (Pressemitteilung Statistisches Bundesamt, 13.05. und 18.09.2002)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ob bei Eheschließungen Kinder bzw. wie viele in die neue Partnerschaft mitgebracht werden, wird statistisch leider nicht erfasst. Knapp zwei Drittel aller durchgeführten Adoptionen waren im Jahr 2000 Stiefadoptionen, überwiegend Stiefvateradoptionen. Der Anteil dieser Adoptionen lag deutlich höher als im Vorjahr (1999: 50%). (Statistisches Bundesamt 2001)

In Deutschland sind Patchworkfamilien nicht so verbreitet wie in Amerika, wo sie bereits die häufigste Familienform darstellen. Nach Expertenmeinung zählt bereits jede siebte Familie in Deutschland zu den Patchworkfamilien. Mehr als die Hälfte der Patchworkfamilien werden wieder geschieden. (http://www.brigitte.de/frau/familie/patchwork/#515 30_1_1)

4. Die Patchworkfamilie

Von außen sehen Patchworkfamilien gleich aus wie Familien, die als „normal“ bezeichnet werden. Die Patchworkfamilien sind laut Gerlinde Unverzagt einfach „ganz normal anders“. Natürlich haben sie ganz andere Voraussetzung und Strukturen. Bei einer zusammen gewürfelten Familie startet jedes Familienmitglied woanders. Sie müssen sich mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten auseinander setzten.

„Nach innen offenbart sich die Stieffamilie als die komplexeste aller Familienformen mit dem größten und verworrensten Geflecht von Beziehungen“(Gerlinde Unverzagt, 2002 S.27)

Patchworkfamilien versuchen wie eine „normale Familie“ zu erscheinen, dies ist ihnen allerdings nicht immer möglich.

Für Normalfamilien gibt es Modelle, wie man sich als Vater, Mutter und Kind zu verhalten hat. Für Mitglieder einer Patchworkfamilie hingegen, gibt es kaum gesellschaftliche Leitbilder, die ihnen Orientierung geben könnten. Auch rechtliche Vorgaben gibt es fast keine, da der Gesetzgeber die Rechte und Pflichten zwischen Stiefelternteil und Kinder nicht geregelt hat.

Die Patchworkfamilie stößt in unserer Gesellschaft, zwar nicht mehr ganz so verhäuft, aber immer noch häufig, auf Unakzeptanz. Sicherlich ist es nicht leicht für solche Familien, insofern, dass sie auch eine große Aufgabe haben, nämlich „das etablierte System zu öffnen und die Unterschiede zwischen ihren Mitgliedern zu respektieren und in das Ganze zu integrieren.“ (Gerlinde Unverzagt, 2002 S.31)

4.1 Entwicklungsphasen einer Patchworkfamilie

Am Anfang jeder Familie steht zunächst die Paarbeziehung. Zwei Menschen werden ein Paar und entwickeln gemeinsame Wertvorstellungen

und Lebensgewohnheiten. Jede Familie durchläuft im Laufe der Zeit eine Reihe von Entwicklungsphasen. Die Phasen bauen in der Regel aufeinander auf. Die erste Krise innerhalb einer Beziehung tritt dann auf, wenn die Beziehung in die nächste Phase übergeht. Dies kann unter anderem auch die Geburt eines Kindes sein. Aus der einst Paarbeziehung wird nun zusätzlich eine Elternbeziehung. Der Beziehungsaufbau in einer Patchworkfamilie verläuft anders. Die Phasen bauen nicht aufeinander auf. Hier kommt es durch eine Scheidung oder durch einen Todesfall zu einem Bruch des natürlichen Phasenverlaufs. Der endgültige Entschluss eine Beziehung aufzulösen, aber auch der Tod eines Ehepartners oder die Scheidung nach vielen Krisen und Auseinandersetzungen sind laut Gerlinde Unverzagt „Ereignisse, die Krisen auslösen und Kräfte freisetzen“(Gerlinde Unverzagt, 2002 S.111)

Mit dem Ende der bisherigen Familie beginnt die erste Phase der Entwicklung, die zur Bildung einer Patchworkfamilie führen kann.

In einer Patchworkfamilie entstehen folgende Phasen:

1. Die Trennungsphase
2. Die Teilfamilienphase
3. Die neue Partnerschaft

Als nächsten Schritt gehe ich nun auf die unterschiedlichen Phasen einer Patchworkfamilie ein:

4.4.1 Die Trennungsphase

Nach der Trennung müssen verschiedene Lebensbereiche neu geregelt werden, wie z. B. die Aufteilung des Besitzes oder die Umgangsregelungen. Die meisten wollen zwar ihre Partnerrolle aufgeben, ihre Elternrolle allerdings verständlicherweise nicht. An dieser Aufgabe die Elternrolle neu zu definieren scheitern jedoch viele Familien. Oft können die Paare unter sich nicht alles regeln und es werden dann außenstehende Personen eingeschaltet, wie Rechtanwälte, Berater oder Familienrichter. Die Autorin Unverzagt betont in ihrem Buch und dieser Meinung schließe ich mich an, dass es auf den Stil der Trennung ankommt, denn der bestimmt den Verlauf des weiteren Lebens für Kinder und Eltern. Die Ehe muss sachlich beendet werden. Es ist wichtig nicht mehr die Schuld zu verteilen, vor allem müssen Unhaltsregelungen und Besuchzeiten vernünftig geregelt werden. „Das kostet in einer so schwierigen Zeit fast übermenschliche Anstrengung, aber wenn das nicht gelingt, werden sehr wahrscheinlich alle Beteiligten jahrelang unter Aggressionen, wirtschaftlicher Not und psychischen Störungen leiden. Für die Kinder ist das am schlimmsten, weil sie noch dabei sind, die Verhaltens- und Gefühlsmuster ihres ganzen Lebens auszuprägen.“(Gerlinde Unverzagt, 2002 S.112)

Als Paar getrennt, als Eltern gemeinsam! Es ist sicherlich nicht immer einfach mit demjenigen zu kooperieren, den man manchmal lieber auf den Mond schießen würde, aber es ist die Aufgabe der Eltern, den Kindern verständlich zu machen, dass sie sich zwar als Paar trennen, jedoch die gemeinsame Elternschaft bestehen bleibt. Es ist ganz wichtig den Kindern zu sagen, dass sie nicht die Ursache für die Trennung sind und dass sie keinerlei Schuld tragen.

Alle Familienmitglieder sollten die Möglichkeit haben zu trauern und von der alten gewohnten Familienform Abschied zu nehmen. Trauer muss ausgelebt werden, denn verdrängte Trauerprozesse tun noch mehr weh.

Eltern müssen nicht zusammenbleiben, aber sie müssen wohl zusammenhalten. Eltern haben absolut kein Recht ihre Kinder unter Druck zu setzen weder in irgendwelche Konflikte mit ein zu beziehen. „Fingerspitzengefühl, Takt und Selbstbeherrschung waren noch nie so wertvoll wie gerade jetzt!“(Gerlinde Unverzagt, 2002 S.117)

Es ist ganz wichtig für Kinder zu wissen, dass ihnen beide Elternteile erhalten bleiben, auch wenn mit veränderter Kontakthäufigkeit. Dies ist natürlich bei einem Todesfall eines Elternteils anders. In dieser Situation fühlen sich die Kinder ganz häufig für den Tod verantwortlich. Man sollte trotz allem über den Tod und seine Gegebenheiten mit den Kindern sprechen. Hier ist natürlich auf das Alter des hinterbliebenen Kindes zu achten.

4.1.2 Die Teilfamilienphase

Nachdem die Trennung nun vollzogen ist und auch die Abschiedsphase überwunden ist, tritt nun die Teilfamilienphase bzw. die Ein-Eltern-Familie ein. Hier müssen sich alle Familienmitglieder auf die neue Familienstruktur einstellen und teilweise neue Aufgaben übernehmen. Immer mehr Frauen und zunehmend auch Männer erziehen ihre Kinder allein. Allein erziehende Mütter haben es mit ganz unterschiedlichen Arten von Vätern zu tun. Väter, die weder zahlen noch sich um ihre Kinder kümmern, Väter, die verzweifelt den Kontakt zu ihren Kindern suchen, während die Mütter dies strikt verweigern, Väter, die wegen ihrem schlechten Gewissen ihre Kinder „erkaufen“ wollen. Und Väter, die mal hier und da auftauchen. Unversagt nennt die zuletzt genannte Art, den „Vater-Morgana-Typ“. (Vgl. Gerlinde Unverzagt, 2002 S.117)

Laut einer bundesweiten Studie, die die Sozialwissenschaftlerin R. Nave-Herz durchführte, resultierte das Ergebnis, dass geschiedene Mütter sich im Allgemeinen nicht für einen Lebensstil als Alleinerziehende entschieden, sondern gegen eine bestehende Ehe, sofern diese Entscheidung nicht von ihrem Mann getroffen wurde. (Vgl. Nave-Herz,1994)

Der in der Familie verbleibende Elternteil ist aufgrund der finanziellen Lage meist gezwungen einer Berufstätigkeit nachzukommen. Durch den Einstieg in das Berufsleben wird die Doppelbelastung von Familie und Beruf erlebt. Die Mütter und Väter haben nun die Aufgabe ihre Kinder unterzubringen, solange sie beim Arbeiten sind.

Als wichtige Aufgaben in dieser Teilfamilienphase gelten:

- eine Neuverteilung der Rollen innerhalb des Zusammenlebens
- zu verhindern, dass der freigewordene Elternplatz durch eines der Kinder

eingenommen wird.

Um nochmal auf den zuletzt genannten Punkt einzugehen schreibt Unverzagt, dass oft Söhne, in der Phase, in der sie mit ihrer Mutter alleine leben, sehr viel Verantwortung übernehmen. Sie nehmen nahezu eine elterliche oder partnerschaftliche Rolle, wenn nicht die Rolle zum Herrn des Hauses auf sich. Dies ist eine große Verantwortung und kann die Kinder schnell überfordern.

In der Teilfamilienphase, haben die Ein-Elternteile oft Vorstellungen von einer neuen Partnerschaft und Familie.

4.1.3 Die neue Partnerschaft

In vielen Ein-Elternteil-Familien bilden sich nach der Phase der Teilfamilie eine neue Partnerschaft, die auf Dauer angelegt ist. Dies führt natürlich erneut zu einer weitreichen Veränderung innerhalb der Teilfamilie. Viele Eltern fragen sich in dieser Zeit, ob man von Kindern überhaupt verlangen kann, mit einer neuen Partnerschaft des erziehenden Elternteils umzugehen. Laut Giesecke ist diese Frage eindeutig mit ja zu beantworten. Vor allem dann, wenn die neue Partnerschaft die Rolle des Gastes einnimmt. Giesecke schreibt, dass sie nicht dazu da sind „jemanden zu gefallen“. „Die Kinder dürfen ja auch ihre Freunde mitbringen.“(Giesecke, 1987 S. 54)

Man sollte als allein erziehender Elternteil unbedingt auf das Verhältnis des Kindes zum ehemaligen Partner Rücksicht nehmen. Takt und Verständnis ist geboten, vor allem wenn die Trennung noch nicht verarbeitet ist. Die Rücksichtsnahme des allein erziehenden Elternteils darf jedoch nicht so weit gehen, dass derjenige seine Gefühle und Wünsche aufgibt. Auch er oder sie hat ein Recht auf ein eigenes Leben und die Befriedigung von Bedürfnissen. Daraus resultiert nicht selten eine Zufriedenheit, die sich auf die Erziehung und das Familienklima auswirkt. Eifersucht und Misstrauen sind ganz normale Reaktionen von Kindern, die bereits den Verlust eines Elternteils erlebt haben und nun fürchten der andere könne sich ebenso abwenden. Der bislang allein erziehende Elternteil hofft nicht selten wieder eine vollständige Familie geben zu können, während die Kinder genau das befürchten. Eingespielte Familienregeln gelten nicht mehr, Rollen verändern sich, und der neue Partner droht seinen Vorgänger zu verdrängen. (Vgl. Gerlinde Unverzagt, 2002 S.127)

Die Sichtweisen der Familienmitglieder driften oft sehr weit auseinander. Jeder sieht das Familienleben aus einem ganz eigenen Winkel. Hierzu ein Beispiel wie solche Sichtweisen am Anfang einer neuen Partnerschaft aussehen könnten:

Die Mama fühlt sich hin und her gerissen. Ihre Tochter ist lang nicht mehr so ein fröhliches Kind seitdem ihr Vater ausgezogen ist. In der Schule strengt sie sich an, aber abends schläft sie schlecht ein und ganz oft hat sie Wutausbrüche. Die Mama grübelt oft, ob sich ihre Kinder besser entwickelt hätten, wenn sie sich nicht von ihrem Mann getrennt hätte. Sie spürt, dass ihre Kinder leiden und möchte so viel wie möglich wieder gut machen. Die Kinder sollen keine Angst haben auch noch ihre Mutter zu verlieren. Ihren neuen Partner hält sie auf Distanz, wenn die Kinder dabei sind. Die Geliebte ist sie erst wenn die Kinder im Bett sind.

Die Tochter vermisst ihren Papa ganz fürchterlich. Sie will aber ihrer Mutter keinen Kummer machen. Um die Schule braucht sich Mama mal nicht zu kümmern. Mamas neuen Freund findet sie ganz nett, aber das Meiste kann Papa wirklich besser.

Der Sohn ist sauer auf Mama, weil sie Papa hat gehen lassen und ist sauer auf Papa, weil der weggegangen ist. Und auf den neuen Freund von Mama, der jetzt in Mamas Bett liegt, obwohl da doch Papa hingehört. Wenn Mama mit ihrem Freund weggeht, macht er ein Riesentheater. Es könnte doch sein, dass sie nicht mehr wieder kommt, so wie Papa damals. Aber wenn Mamas Freund mit ihm spielt oder Mama mit ihm kuschelt, dann geht es ihm richtig gut! Der will nicht, dass Mamas neuer Freund wieder weggeht, weil seitdem er bei ihnen wohnt Mama richtig gute Laune hat.

Mamas Freund mag die Kinder wirklich gerne und er spielt auch gerne mit ihnen, aber er mag nicht, dass die Kinder immer an erster Stelle stehen. Wenn ein Kind ruft, lässt sie alles stehen und liegen, auch ihn. Kindererziehung stellt er sich anders vor. Laut aussprechen kann er die Kritik allerdings nicht, denn dann geht seine Freundin sofort an die Decke. Dabei will er sie eigentlich nur entlasten. Für seine Beziehung hängt viel davon ab wie die Kinder zu ihm stehen. Wenn sie sich gegen ihn stellen, verliert er alles.

Der Papa (außen stehend) sieht das alles mit gemischten Gefühlen. Eifersüchtig ist er nicht, aber es fragt sich, was er weiterhin für eine Rolle für seine Kinder spielen wird. Irgendwie wurmt ihn dieses neue Glück.

Das Durchleben einer ersten Verliebtheit ist in einer neuen Partnerschaft meist nur begrenzt möglich. Der hinzukommende Stiefelternteil bekommt nicht nur einen neuen Partner, sondern eine ganze Familie hinzu. Hat dieser Stiefelternteil keine eigenen Kinder, fehlt ihm die Erfahrung der Entwicklungsstadien, die Kinder und Eltern durchlaufen. Werden allerdings, so wie in einer Patchworkfamilie ebenfalls Kinder mitgebracht, gibt es sehr große Veränderungen im bisherigen Alltag der Teilfamilie. Die Beziehungsebenen untereinander müssen geregelt werden. In den meisten Fällen führt eine solche Veränderung in der Familie zu einer Verkleinerung des bisherigen Territoriums. Außerdem kann es zu einer Veränderung der Geschwisterreihe kommen. Das bisherige Nesthäkchen der Familie bekommt plötzlich Konkurrenz durch ein jüngeres Geschwisterkind. Ferner können verschiedenen Erziehungsstile oder Lebensgewohnheiten Probleme auslösen.

4.2 Strukturen

Je nachdem, ob die Position der Mutter oder des Vaters von einem Stiefelternteil ausgefüllt wird, lassen sich Patchworkfamilien in struktureller Hinsicht voneinander unterscheiden. Krähenbühl et al unterscheidet vier verschiedene Stieffamilientypen: Stiefmutterfamilie, Stiefvaterfamilie, zusammengesetzte Familie und Stieffamilien mit einem oder gemeinsamen Kindern. (Vgl. Krähenbühl, 1995)

4.2.1 Stiefmutterfamilie

Es wird von einer Stiefmutterfamilie gesprochen, wenn zu einem Mann mit leiblichen Kindern eine Frau dazukommt. Durch die geringere Lebenserwartung der Frauen infolge von Geburtskomplikationen, Kindbettfieber oder ähnliches bekamen Kinder bis ins 20. Jahrhundert häufiger eine Stiefmutter. Damals überwogen die Stiefmutterfamilien gegenüber den Stiefvaterfamilien. Heute gehen Scheidung und Trennung der Entstehung einer zusammengesetzten Familie voraus; und da in den meisten Fällen die Kinder bei den Müttern bleiben, gibt es die Stiefmutterfamilie seltener als die Stiefvaterfamilie. Die leibliche Mutter, ausgehend von einer Scheidungssituation, nimmt durch die Verbindung zu ihrem Kind in dieser Familiensituation eine besondere Stellung ein. Sie muss ihre Rolle als Mutter neu definieren. Ebenso muss sich die Stiefmutter mit ihrer neuen Rolle identifizieren.

4.2.2 Stiefvaterfamilie

Von einer Stiefvaterfamilie wird gesprochen, wenn zu einer Frau mit leiblichen Kindern ein Mann dazu kommt. Auch hier spielt der leibliche Vater, insofern er noch vorhanden ist in der Stieffamilie eine besondere Rolle und muss seine Vaterrolle neu ordnen. Im Gegensatz zur Stiefmutterfamilie spielt hier die Mutter die Hauptrolle und dem Stiefvater stellt sich das Problem, sich in die Mutter-Kind-Beziehung einbringen zu müssen. Als wesentlichen Unterschied sieht Krähenbühl

den Unterschied, dass es Kindern oft leichter fällt Stiefväter zu akzeptieren wie Stiefmütter. (Vgl. Krähenbühl, 1995)

4.2.3 Die zusammengesetzte Familie

Was Krähenbühl als zusammengesetzte Familie bezeichnet, ist genau der Familientyp, der auch als Patchworkfamilie bezeichnet wird. Es kommt also zu einer Mutter mit Kindern ein Vater mit Kindern hinzu. Es treffen zwei Teilfamilien aufeinander und versuchen ein gemeinsames System als „neue“ Familie zu bilden. Dies ist nicht immer ganz einfach, denn hier treffen nun zwei Parteien aufeinander, die jeweils ihre eigenen Lebensvorstellungen und Gewohnheiten haben. Neue Bedingungen müssen also geschaffen werden, die für alle akzeptabel sind. Ein Vorteil ist hier sicherlich, dass beide Elternteile mit der Elternrolle bereits vertraut sind, anders zu den zwei oben genannten Typen, in der die Rollen des Stiefvaters bzw. der Stiefmutter definiert werden müssen.

4.2.4 Die Stieffamilie mit gemeinsamen Kind oder Kindern

Von diesem Familientyp wird gesprochen, wenn zu den Stiefkindern noch ein oder mehrere gemeinsame Kinder hinzukommen. Dieses gemeinsame Kind spielt eine Art Schlüsselrolle, das beide Familienteile zu einer Einheit verbindet. Wenn sich die Stiefkinder durch die neue Situation an den Rand gedrängt fühlen, können allerdings auch Probleme und Spannungen auftreten.

4.2.5 Stieffamilie, Adoptivfamilie, Pflegefamilie

Die Autoren Visher/ Visher zählen zu den unterschiedlichen Strukturen der Stieffamilie auch die Adoptivfamilie und die Pflegefamilie. Von der Struktur her gesehen ähnelt eine Pflegefamilie sehr einer Stieffamilie. Dabei ist jedoch zu beachten, dass ein Pflegekind beiden Pflegeelternteilen gleich nahe steht. Außerdem kann das Pflegeverhältnis wieder aufgelöst werden, wenn das Zusammenleben nicht funktioniert. Diese Möglichkeit besteht bei einer Stieffamilie nicht. Generell ist zu sagen, dass Stieffamilien zwar strukturelle Elemente mit den anderen Familienformen gemeinsam haben, jedoch weisen sie die komplexeste Struktur auf.

Anhand einer Tabelle (siehe Seite 26) möchte ich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Familienmustern unter strukturellen Aspekten betrachten. Zu der in der Tabelle nicht erwähnten Patchworkfamilie sei zu sagen, dass diese der Stieffamilie gleichzusetzen ist.

Tabelle Vgl. Visher/Visher: Stiefeltern, Stiefkinder und ihre Familien 1987, S.41

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4.3 Die neuen Rollen in der Patchworkfamilie

Was sind Rollen überhaupt? Eine bekannte Definition von Dahrendorf beschreibt soziale Rollen als „ein Bündel von Erwartungen, die sich in einer gegebenen Gesellschaft an das Verhalten der Träger von Positionen knüpfen.“(Nave-Herz 1994 S.30) Der Rollenbegriff geht von Erwartungen aus, die typifiziert wurden. Rollen werden herausgehoben und geformt.

4.3.1 Stiefmutter

Ein chinesisches Sprichwort besagt:

„Es gibt auf der Erde drei tödliche Gifte:

Der Wind, der durch die Ritzen dringt,

der Stachel des Skorpions

und einer Stiefmutter Herz“

Was ist nur mit dieser „Stiefmutter“??? Eindeutig kommt sie einfach schlecht weg. Alleine nur die Bezeichnung verbinden viele Menschen mit etwas Negativem. Das schlechte Bild ist natürlich auf das Image der „bösen Stiefmutter“ zurückzuführen. In allen Märchen, die uns, unseren Eltern und unseren Großeltern vorgelesen wurden, war immer die Stiefmutter „die Böse“! Und man muss dazu sagen, dass wir unseren Kinder die Märchen immer noch vorlesen, nur vielleicht mit dem Zusatz, dass wir sagen: „ Es sind nicht alle Stiefmütter so!“. Der Mythos der „bösen Stiefmutter“, der durch Märchen und Erzählungen bei vielen in ihren Vorstellungen fest verankert ist, ist schwer abzuschütteln.

Die Stiefmutter hat es sicherlich nicht immer leicht. „Biologische Mütter können sich in ihrem Verhalten an gesellschaftlich vorgegebenen Mustern orientieren, während Stiefmütter auf ihre eigenen Erlebnisse und die Schlüsse, die sie daraus ziehen, angewiesen sind“

(Gerlinde Unverzagt, 2002 S.80)

Eine Stiefmutter hat die Aufgabe ihre eigene Rolle zu finden und einen Platz in der Familie zu finden, der ihren Erwartungen genau so gerecht wird, wie die Erwartungen ihres Mannes und ihrer Stiefkinder.

Eine Stiefmutter möchte schließlich die neue Familie genau so fürsorglich und liebevoll umsorgen wie eine leibliche Mutter. Sofern eine Frau zum zweiten Mal heiratet oder in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt, in der Kinder einbezogen sind, so stellen sich oft Frauen „unrealistische Anforderungen“(Visher/Visher 1987 S.64). Außerdem werden oft diese hohen Erwartungen nicht nur von den Stiefmüttern selbst, sondern auch von den Partnern, der Verwandtschaft und der Gesellschaft unterstützt.

Visher/Visher beschreiben in ihrem Buch (4. Kapitel) fünf Erwartungen, die in der Regel eine Stiefmutter bewusst aber auch unbewusst erreichen will. Sie meint es müsse ihr gelingen,

[...]

Ende der Leseprobe aus 111 Seiten

Details

Titel
Die Patchworkfamilie - Verhaltensmuster und Verankerung im Bildungsplan
Hochschule
Pädagogische Hochschule Weingarten
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
111
Katalognummer
V35999
ISBN (eBook)
9783638357531
ISBN (Buch)
9783638704885
Dateigröße
1061 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Patchworkfamilie, Verhaltensmuster, Verankerung, Bildungsplan
Arbeit zitieren
Jennifer Medford (Autor:in), 2004, Die Patchworkfamilie - Verhaltensmuster und Verankerung im Bildungsplan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35999

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