Zu: Johann Wolfgang Goethes 'Die Laune des Verliebten'. Eine literarische Fingerübung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Schäferspiel Die Laune des Verliebten
2. 1 Die Geschichte der Schäferdichtung

3. Zwischen Rokoko und Empfindsamkeit
3. 1 Traditionelle Rokokoform
3. 2 Abweichungen Goethes in seinem Schäferspiel von der traditionellen Rokokoform

4. Die Wahl des Schäferspiels

5. Resümee

6. Literaturverzeichnis

Johann Wolfgang Goethes

„Die Laune des Verliebten“:

Eine literarische Fingerübung

1. Einleitung

In meiner Arbeit zu Johann Wolfgang Goethes Die Laune des Verliebten soll geklärt werden, wieso der junge Schriftsteller sich bei seinem Erstlingswerk ausgerechnet der Gattung des Schäferspiels bedient. Dazu werde ich vorab die Geschichte der Schäferdichtung skizzieren, um daraus herzuleiten, inwiefern sich Goethe den zur Entstehungszeit aktuellen Normvorgaben des rokokohaften Schäferspiels bedient. Eingehaltene Aspekte sowie Abweichungen von der Vorschrift, die mit der literarischen Strömung der Empfindsamkeit in Verbindung gebracht werden, sollen mit Textbelegen angereichert werden. Biographische Entstehungszusammenhänge, die besonders bei Werken Goethes immer wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken, werden ebenfalls berücksichtigt, bevor letztlich in einem Resümee die theoretische Grundlage für die Wahl des Untertitel der Arbeit, „Eine literarische Fingerübung“, der gleichzeitig auch das Ergebnis bezeichnet, herausgearbeitet und erläutert werden soll.

2. Das Schäferspiel Die Laune des Verliebten

Goethes Schäferspiel Die Laune des Verliebten wird von Alfred Anger als das „schönste Beispiel der Gattung“[1] gepriesen. Wolfgang Martini schlägt in die gleiche Kerbe und nennt es das „abgerundetste[n] und zierlichste[n] seiner Gattung.“[2] Das „ästhetisch vollkommenste Beispiel dieser Rokoko-Version des Schäferspiels“[3] ist ein weiteres Prädikat, mit dem Goethes Die Laune des Verliebten versehen worden ist. Doch am präzisesten stellt für mich Carl Otto Conrady in seiner Goethe-Biographie die Bedeutung Goethes Erstlingswerkes dar. Er bezeichnet es „als den Höhepunkt der Geschichte des deutschen Schäferspiels [...], der zugleich ihr Ende bedeutet.“[4] Diese Einschätzung soll in der Folge, in der ich versuchen werde, die Geschichte der Schäferdichtung und damit des Schäferspiels zu skizzieren, belegt und veranschaulicht werden.

2. 1 Die Geschichte der Schäferdichtung

Die Tradition der Schäferdichtung, die neben Kleinformen wie die Idylle oder Ekloge auch die dramatische Form des Schäferspiels beinhaltet, reicht bis zu Theokrit (3. Jh. v. Chr.), dem Begründer und größten Vertreter der griechischen Hirtendichtung, zurück. Der römische Dichter Vergil (70 - 19 v. Chr.) schloss an Theokrits Idyllen an und verfasste seine erstmals in Arkadien angesiedelte Bukolika.[5]

Das griechische Arkadien, eine gebirgige Landschaft auf der Peloponnes, ging in die bukolische Dichtung wie auch später in die Schäferdichtung des 17. Jahrhunderts als Schauplatz idyllischen Landlebens ein. Während Theokrit in seinen Idyllen Arkadien ebenfalls schon an drei Stellen erwähnte, sich dabei aber immer auf die reale griechische Landschaft bezog, schuf Vergil im Gegensatz dazu das mythische Arkadien, wenn auch davon auszugehen ist, dass die Reallandschaft dabei Hintergrund für seine Naturschilderungen bildete.[6]

Die schon bei Vergil durch zeitgeschichtliche Anspielungen angebahnte Neigung zur Schlüsselliteratur fand in der italienischen Renaissance, zur Zeit der Auflebung, wie Goethe statt Renaissance sagte, weite Verbreitung. Übertragungen von Torquato Tassos L’Aminta, das 1573 auf der Po-Insel Belvedere vor dem Ferrareser Hof aufgeführt wurde[7], und Giovanni Batista Guarinis Il pastor fido (1580 – 1583) führten dazu, dass sich das ursprünglich italienische Schäferspiel im 17. Jahrhundert in Deutschland durchsetzte. Zu dieser Zeit hatte das Schäferspiel durch Werke wie Diana (1542) des Spanier Montemayor, Arcadia (1590) von Sir Philipp Sidney und Astrée (1607 – 1627) von Honoré d’Urfé bereits Anklang in weiten Teilen Europas gefunden. Der junge Goethe selbst wird das Schäferspiel Il pastor fido schon in einer Ausgabe in der Bibliothek des Vaters gelesen haben, die er später aus dessen Nachlass auch übernahm.[8]

Die deutsche Hirtendichtung, in Theorie und Praxis stets von den romanischen abhängig, begann also mit Übersetzungen erst nach der ausländischen Hochblüte im 17. Jahrhundert und verbreitete sich in der Folge mit dem höfischen Gesellschaftsideal des Barock. Besonders Martin Opitz wirkte über die Weite des Jahrhunderts hinaus „als kräftiger Mitanbahner der deutschen Schäferdichtung.“[9] Schon in seinem Buch von der deutschen Poeterey (1624) erkannte Opitz die Bedeutung der Schäferdichtung an, die er genauso wie die Nürnberger Dichterschule bis ins 18. Jahrhundert in allen Dichtungsarten pflegte. Seiner Freundschafts- und Heimatdichtung mit lehrhaftem Unterton Schäfferey von der Nimfen Hercinie (1630) ließ Opitz acht Jahre später eine überarbeitete Übersetzung Sydneys Arcadia folgen. Die ideale Schäferwelt wurde mittlerweile völlig vom realen Leben getrennt, eine „sentimentale Sehnsucht nach der Naturnähe eines goldenen Zeitalters“[10] war nicht mehr Inhalt der Dichtung. Vielmehr wurde versucht, die Wirklichkeit zu verschleiern und die Gestalten maskiert auftreten zu lassen. Die Hirtendichtung war zu einem bewussten literarischen Gesellschaftsspiel geworden, in dem sich meist nur den Eingeweihten die Anspielungen auf Liebesbeziehungen oder hohe zeitgenössische Personen und Ereignisse im Schäfergewand offenbarten.[11]

Im frühen 18. Jahrhundert trat dann in Deutschland Johann Christoph Gottsched, dessen Vorlesungen Goethe in Leipzig gelegentlich hörte, als Theoretiker des Schäferspiels auf. In seinem Versuch einer critischen Dichtkunst (1730) strebte Gottsched eine strenge Regelung der Gattung an, die letztendlich in den Kleinformen der Anakreontik und des Rokoko einmündete. Der berühmte Leipziger Professor „reinigte das barocke Schäferspiel ganz im Sinne des Klassizismus von mythologischem und allegorischem Aufputz, [...] nahm ihm alle Satire, alle Anspielungen auf wirkliche Personen und Verhältnisse und gab in seiner Atalanta (1741) ein Musterbeispiel“[12] für ein fünfaktiges Schäferspiel, welches sofort viele Nachahmer fand. Die klassische, sich auf Aristoteles berufende Drei-Einheiten-Lehre müsse Gottsched zufolge bewahrt werden, wobei er als Ort der Handlung ein Gebüsch, eine Wiese oder eine Schäferhütte in einem aus allen historischen Vermittlungen enthobenen Arkadien vorschlägt. Der Schreibstil müsse zudem unterhalb der einer Tragödie anzusiedeln sein und die möglichst gereimten Verse sich durch Natürlichkeit und Leichtigkeit auszeichnen.[13] Dabei kam es dem einstigen Literaturpapst anders als beim Lustspiel nicht darauf an, menschliche Schwächen zu entlarven und dem Gelächter preiszugeben, vielmehr sollte versucht werden, „die Tugend in ihrem vorteilhaftesten Lichte erscheinen zu lassen.“[14] Gemeint ist hiermit das phantasierte Ideal einer antiken, arkadischen Tugendhaftigkeit, wonach der Mensch nur gut, edel und schön sei. Dabei durften auch „«die kleinen Bekümmernisse unglücklicher Liebenden» nie das «vergnügte Ende» gefährden.“[15]

Durch die Berührung mit der Rokokokultur, zu der Gottsched kein Verhältnis hatte, bekam das Schäferspiel allerdings erst seine eigentümliche, unverwechselbare Form, der sich letztlich auch Goethe bedienen sollte. Johann Christoph Rost (Die gelernte Liebe 1742) und seine Nachfolger, unter denen Goethes populärer Berater Christian Fürchtegott Gellert (Sylvia 1745) hervorstach, stellten das Schäferspiel, das auf wenige Seiten beschränkt wurde, ganz in den Dienst zierlicher Idyllik. Darüber hinaus wurde das Personal verringert, die Handlung vereinfacht, aufdringliche Tugendmalereien zugunsten rokokohafter Tändelei und Neckerei sowie empfindsamer Zärtlichkeit zurückgedrängt und so das einaktige Miniaturformat des Schäferdramas geschaffen, „das bis zu Goethe sich einer großen Beliebtheit erfreute.“[16] Weitere bekannte Autoren dieser Gattung nach französischem Muster waren Karl Christian Gärtner (Die geprüfte Treue 1744) und Johann Wilhelm Ludwig Gleim (Der blöde Schäfer 1743).

Das einfache Schema der Handlung wurde in dem kleinen Schäferspiel stets durch zwei Paare bestimmt, die das ganze Personal des Stücks bildeten. Dabei lebte das eine in harmonischer Zweisamkeit, ohne sich jedoch vor der Welt zu verschließen, während das andere, beeinflusst durch Eifersucht oder Zurückhaltung eines Partners, erst durch die Hilfe der glücklich Liebenden zu dieser Harmonie geführt werden musste. Am Schluss aber waren jeweils alle Hindernisse aus dem Weg geräumt und auch das anfänglich disharmonische Paar hatte verstanden, „daß sprödes Sichzieren verfehlt ist und Liebe nicht bedeuten darf, den Partner restlos besitzen zu wollen und ihn anderer Geselligkeit zu entziehen.“[17]

Nach diesem Rokoko-Muster schrieb nun Goethe Die Laune des Verliebten. „In der Wahl der Gattung des Schäferspiels [...] zeigt sich Goethe fest an die Tradition gebunden“[18], stellt dementsprechend Hanna Fischer-Lamberg in ihrer kommentierten Ausgabe von Der junge Goethe heraus. Auch Gero von Wilpert hält für das Werk des damals 18-Jährigen ein Beachten der Konventionen und stereotypen Handlungszügen des einaktigen Schäferspiels fest.[19] Doch Alfred Anger gibt zu bedenken, dass das deutsche Rokoko als Zeitstil „seine unverwechselbare charakteristische Tönung erst durch die Mischung und Verbindungen, die es mit anderen Strömungen des 18. Jhs, vor allem mit der frühen Empfindsamkeit eingeht“[20], erhält. Unter Berücksichtigung dieses Gedanken soll deshalb anschließend diskutiert werden, inwiefern Goethe in Die Laune des Verliebten trotz Beachtung der Formvorgaben über die veraltete Gattung des Rokoko-Schäferspiels hinausgeht und derart – wie oben zitiert – den Schlusspunkt der Geschichte des deutschen Schäferspiels setzt.

[...]


[1] ANGER, ALFRED: Literarisches Rokoko. Stuttgart, 1968, S. 71.

[2] MARTINI, WOLFGANG: Die Technik der Jugenddramen Goethes. Ein Beitrag zur Psychologie der Entwicklung des Dichters. Weimar, 1932, S. 54.

[3] CATHOLY, ECKEHARD: Das deutsche Lustspiel. Von der Aufklärung bis zur Romantik. Stuttgart, 1982, S. 80.

[4] CONRADY, Karl Otto: Goethe. Leben und Werk. Erster Band: Hälfte des Lebens. Königstein/Ts., 1982, S. 74f.

[5] vgl. WILPERT, GERO VON: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart, 2001, S. 342.

[6] vgl. WERNER-FÄDLER, MARGARETHE: Das Arkadienbild und der Mythos der goldenen Zeit in der französischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Salzburg, 1972, S. 17f.

[7] vgl. GARBER, KLAUS: Der locus amoenus und der locus terribilis. Bild und Funktion in der deutschen Schäfer- und Landlebendichtung des 17. Jahrhunderts. Köln, 1974, S. 51.

[8] vgl. WILPERT, GERO VON: Goethe-Lexikon. Stuttgart, 1998, S. 432.

[9] BOOR, HELMUT DE / NEWALD, RICHARD: Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 5. München, 1967, S. 165.

[10] WILPERT, GERO VON: Sachwörterbuch der Literatur. S. 343.

[11] ebd.

[12] ANGER, ALFRED: Literarisches Rokoko. S. 70.

[13] vgl. LUSERKE, MATTHIAS: Der junge Goethe. Ich weis nicht warum ich Narr soviel schreibe. Göttingen, 1999, S. 37.

[14] CATHOLY, ECKEHARD: Das deutsche Lustspiel. Von der Aufklärung bis zur Romantik. S. 79f.

[15] ebd. S. 80.

[16] ANGER, ALFRED: Literarisches Rokoko. S. 70.

[17] CONRADY, Karl Otto: Goethe. Leben und Werk. Erster Band. S. 74.

[18] FISCHER-LAMBERG, HANNA (Hrsg.): Der junge Goethe. Neu bearbeitete Ausgabe in fünf Bänden. Bd. 1. August 1749 – März 1770. Berlin, 1963, S. 483.

[19] vgl. WILPERT, GERO VON: Goethe-Lexikon. S. 609.

[20] ANGER, ALFRED: Literarisches Rokoko. S. 21.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Zu: Johann Wolfgang Goethes 'Die Laune des Verliebten'. Eine literarische Fingerübung
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Veranstaltung
HS Der junge Goethe
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V29499
ISBN (eBook)
9783638309929
ISBN (Buch)
9783638703024
Dateigröße
513 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Johann, Wolfgang, Goethes, Laune, Verliebten, Eine, Fingerübung, Goethe
Arbeit zitieren
Daniel Schneider (Autor:in), 2004, Zu: Johann Wolfgang Goethes 'Die Laune des Verliebten'. Eine literarische Fingerübung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29499

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