Performative Strategien bei DADA Zürich

Die Dada-Manifestationen in Zürich in den Jahren 1916 bis 1918 vor dem Hintergrund einer Ästhetik des Performativen


Magisterarbeit, 2004

120 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil a
1. Kulturkrise
1.1 Medien
1.2 Aura Medien, Aura und die Avantgarde
1.3 Sprachkrise
1.4 Wege aus der Krise
‚Physiologische‘ Entgrenzung – der Rausch
Entgrenzung als Setzung des ‚Anderen‘
2. Performativität
Ereignis
Performanz
Theater als Modell
2.1 Performative Ästhetik
Ästhetik der Avantgarde
Zusammenfassung Teil a
Problematik des Forschungsgegenstands

Teil b
1. DADA-Konzepte
1.1 Kunst und Leben
Schöpferischer Instinkt
Hingabe an das Hier und Jetzt
Eigenwert des Materials
Destruktion und Konstruktion
Vom dualistischen zum ganzheitlichen Subjekt
1.2 Manifestantismus
Manifest
1.3 Sprache
Nonsens-Sprechen
Sprachmagie
1.4 Rückbesinnung auf den mythologischen Ursprung
Primitivismus
1.5 Dadaistischer Realismus
Spontaneität und Zufall
1.6 DADA-Wahrheiten
2. Literarische Produktion
„parole in libertà“
2.1 Simultangedicht
2.2 Lautgedicht
Kunst jenseits des Logos
Das orale Wort als Ereignis
Lautgedicht und Körper
3. DADA-Aktionen
Exkurs. DADA-Geschichtsschreibung
3.1 ‚Gadji beri bimba‘ - Abend im Cabaret Voltaire am 23. Juni 1916
3.2 I. DADA-Abend am 14. Juli 1916 im Zunfthaus zur Waag
3.3 DADA-Abend in der Galerie Dada am 26. März 1917
Die drei Abende
4. Aspekte der DADA-Aufführungen
4.1 Raum
Exkurs. Fest und Karneval
4.2 Stimme und Körper
Tanz
‚Negerkultur‘
4.3 Verschmelzung von Gattungen
4.4 Repräsentation und Präsentation

Resümee
Anlagen
DADA-Literatur
Monographien
Sammelbände
Zeitschriften/Zeitschriftenartikel
Kataloge
WEITERE LITERATURANGABEN

Einleitung

Dada kann man nicht begreifen, Dada muß man erleben.[1]

Seit Austins „How to do things with words“[2] und dessen Sprechakttheorie hat der Begriff der Performanz Einzug in die Kultur- und Geisteswissenschaften gehalten und kann sich mittlerweile eines Modestatus‘ nicht erwehren. Allgemein meint Performanz eine neue Perspektivierung hinsichtlich der Produktion von Kultur bzw. kulturellen Erzeugnissen. Die textuelle bzw. repräsentationale Ebene von Kultur rückt in den Hintergrund, stattdessen richtet sich das Augenmerk auf ihren Herstellungs prozess.

Seit der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts[3] lässt sich ein ‚Performatisierungsschub’ in den Künsten vermuten. Man wendet sich von einer elitären Kunstszene und von konventionellen ästhetischen Vorstellungen ab, die an Kategorien wie Kunstwerk und Schöpfersubjekt gekoppelt sind. Der Prozess des Schaffens selbst sowie die Konfrontation mit dem Publikum rücken, insbesondere bei den Futuristen und Dadaisten, in den Mittelpunkt der künstlerischen Arbeit.

Im Fokus dieser Analyse soll der Ursprung der DADA-Bewegung in Zürich[4] in den Jahren 1916 bis 1918 stehen. Diese Auswahl wurde bewusst getroffen, da sich vorzugsweise bei den Zürcher Dadaisten Diskursivierungen einer Ästhetik des Performativen[5] nachweisen lassen, die selbstverständlich noch nicht mit den heutigen Begriffen belegt werden.

Das Konzept einer performativen Ästhetik – wie es in jüngster Zeit in den Kultur- und Geisteswissenschaften entwickelt wurde – taugt meiner Ansicht nach dazu, sich dem Phänomen DADA Zürich jenseits der Kategorien von Kunst und Anti-Kunst anzunähern.

Die Leitfragen lauten dementsprechend, inwieweit die Konventionen überschreitenden Aktionen der Dadaisten in Zürich als ausdrücklich performative ästhetische Praktiken aufgefasst werden können und inwieweit sich die oben skizzierte Entwicklung von einer objekthaften hin zur einer prozesshaften Kunst nachweisen lässt.

Zunächst soll in einem einführenden Teil (a) eine Ästhetik des Performativen als theoretische Ausgangslage – insbesondere vor dem kulturgeschichtlichen Hintergrund zu Beginn des 20. Jahrhunderts – skizziert werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Sprach- und Kulturkrise seit Mitte des 19. Jahrhunderts und den geistigen Vorläufern des Dadaismus.[6] Ausgangspunkt ist die Entwicklung neuer Medientechniken, die als Initiationsmoment für ein neues Bewusstsein gegenüber Formen der Repräsentation angesehen werden können. Die sprachkritischen Ansätze, wie sie seit Nietzsche bis zu DADA entfaltet wurden, sollen im weiteren näher beleuchtet werden. Sie dienen als Anschlusspunkt für ästhetische Fragestellungen, die insbesondere seit der Avantgarde auftauchen und die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten jenseits der ‚Erzählung‘ beinhalten.

Eine Ästhetik des Performativen, orientiert an den Ansätzen von Erika Fischer-Lichter und Dieter Mersch, wird darauf folgend skizziert und als Beschreibungsmodell vorgestellt, um dieses im Hauptteil (b) der Analyse dahingehend zu überprüfen, ob es als theoretisches Instrument dazu geeignet ist, den darstellungs- und kunstkritischen Produktionen der Avantgarde bzw. des Dadaismus positiv zu begegnen und ihr genuin Neues herauszuarbeiten.

Der Hauptteil der Arbeit soll den Untersuchungen der DADA-Konzepte und der DADA-Aktionen gewidmet sein. Manifeste, theoretische Schriften und literarische Produkte wie Laut- und Simultangedichte werden zunächst im Hinblick auf das sich in ihnen artikulierende künstlerische Selbstverständnis näher beleuchtet. Im Anschluss an die konzeptuelle Dimension werden einige DADA-Aktionen und -Aufführungen exemplarisch untersucht und deren grundlegende Aspekte herausgestellt. In diesem Zusammenhang wird bezüglich der Aufführungspraxis der Dadaisten der postmoderne Begriff der ‚Performance‘[7] angelegt und auf seine Funktionsfähigkeit überprüft. Am Ende sollen die Ergebnisse im Hinblick auf eine Ästhetik des Performativen, wie sie in Teil a erarbeitet wurde, zusammengefasst werden.

Als Quelle dient vornehmlich archiviertes Textmaterial der Zürcher Dadaisten. Hier ist zu unterscheiden zwischen Texten, die in der Zeit zwischen 1916 und 1918 bzw. 1919 verfasst wurden, und Erinnerungs- oder Dokumentationstexten aus späterer Zeit, die direkt oder indirekt auf diese Periode bezug nehmen.

Teil a

Seit Nietzsche wurden die Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache skeptisch hinterfragt. Die Entwicklung neuer Medien, die Großstadterfahrung und das daraus resultierende Erlebnis von Unordnung, Orientierungslosigkeit und Simultaneität unterschiedlichster Reize gehen einher mit einem Gefühl des Verfalls hinsichtlich des Signifikanten als Bedeutungsträger.

Vor diesem Hintergrund ist ein Wandel der Relation von Wahrnehmung, Körper und Sprache zu beobachten, der sich ebenso im Bereich der Kunst niederschlägt.

Im folgenden Teil der Arbeit wird der Versuch unternommen, Fäden zwischen der fortschreitenden Medienentwicklung, der Sprach- und Kulturkrise sowie einer veränderten Kunstauffassung seit der Avantgarde zu knüpfen. Dies soll gleichzeitig ein näheres Verständnis des gesellschaftlichen und philosophischen Hintergrunds der DADA-Bewegung ermöglichen.

1. Kulturkrise

Eine Zeit bricht zusammen. Eine tausendjährige Kultur bricht zusammen. Es gibt keine Pfeiler, Stützen, keine Fundamente mehr, die nicht zersprengt worden wären.[8][9]

Was Hugo Ball in seiner Vortragsschrift „Kandinsky“ formuliert, ist Ausdruck einer fundamentalen Krisenerfahrung, apokalyptisch anmutend. Die Grundelemente, auf der die abendländische Kultur bis dahin fußte, scheinen ihre Gültigkeit verloren zu haben. Pathetisch schreibt Ball von der simultanen Vernichtung der Grundsätze in der Religion durch die moderne Philosophie, in der Wissenschaft durch die Auflösung des Atoms und im Sozialen durch die moderne Massengesellschaft. Metaphern des Zerstörens, des Verlusts und der Auflösung durchziehen den Text. Der Mensch wird in einem Vakuum zurückgelassen.[10]

Das vielbeschworene Krisengefühl der Jahrhundertwende und des beginnenden 20. Jahrhunderts erwächst keineswegs dem Nichts; es ist vielmehr gekoppelt an technische und gesellschaftliche Phänomene.[11] Die fortschreitende Industrialisierung, neue Medien wie der Film, das Grammophon oder die Schreibmaschine[12], hinzukommend das ausuferndes Zeitungswesen, die Entstehung von Großstädten und die Entwicklung schnellerer Fortbewegungsmittel wie Eisenbahn, Tram oder Automobil sind die Faktoren, welche den Lebens- und Erlebens-Horizont maßgeblich verändern bzw. erweitern. Alles scheint in Bewegung. Der vorläufige Höhepunkt ist mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges erreicht.

Endzeit- und Aufbruchsstimmung gehen parallel; die Menschen sind empfänglich für Visionen jeglicher Art - für Untergangsvisionen und Utopien gleichermaßen.[13] Es kündigt sich ein Bewusstseinswandel an, den Hans Robert Jauß als die „Epochenschwelle“[14] der Moderne bezeichnet.

1.1 Medien

Seit dem ausgehenden 19. Jahrhunderts vollzieht sich durch die Entwicklung neuer Medientechniken ein elementarer Umbruch im Bereich der Kommunikation. Dieser ist bezüglich seines revolutionären Gehalts mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert vergleichbar.[15][16] Die neue Lebenswelt der Menschen ist mehr und mehr eine Medienwelt.

Die Frage ist nun, welche veränderten Bedingungen sich für die Kunst durch die neuen Medien wie Fotografie, Schreibmaschine, Grammophon und Stummfilm[17] ergeben und wie diese auf die ‚alten Medien‘ im künstlerischen Bereich wie z.B. Theater, Tanz und Literatur zurückwirken.

Im ‚Zeitalter des Buches‘ bzw. der Schriftkultur, bevor also die neuen Medientechniken und die damit verbundene optische und akustische Datenspeicherung entwickelt werden, kam dem Schreiben und dem Lesen Friedrich Kittler zufolge eine vollkommen andere Bedeutung zu. Die Schrift war das Medium, welches synästhetische Erfahrungen herbeiführen wollte. In der Zeit der ‚Dichtung‘, die Kittler von der Entwicklung des Buchdrucks bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmt, setzten sich besonders sinnliche und leidenschaftliche Arten des Schreibens durch, welche die noch nicht technisch reproduzierbaren ‚sinnlichen Daten‘ im Text simulieren:

Solange das Buch für alle seriellen Datenflüsse aufkommen mußte, zitterten seine Wörter vor Sinnlichkeit und Erinnerung. Alle Leidenschaft des Lesens war es, zwischen den Buchstaben oder Zeilen eine Bedeutung zu halluzinieren: die sichtbare oder hörbare Welt romantischer Poetik.[18]

Die multisinnlichen Datenflüsse mussten demzufolge linearisiert werden bzw. den Engpass des Signifikanten wie z.B. den Buchstaben oder die Note passieren. Durch die neuen Medien vollzieht sich laut Kittler dagegen eine ‚Entsinnlichung‘ der gedruckten Sprache, welche mit einem Autoritätsverlust einhergeht. Andere Medien übernehmen nun diese Rolle.[19]

Die Dominanz der Textualität wird durchbrochen, in verschiedensten kulturellen Bereichen sind Performativierungsschübe zu verzeichnen. Die durch die neuen Medien und die fortschreitende Technisierung der Lebenswelt hervorgerufene Simultaneität von Bildern, Texten, Geräuschen, Tönen und Sprachlauten bricht in die Linearität der Schrift ein und zerstört sie. Damit verliert die Schrift ihre vormalige Autorität.

Gleichzeitig zeigt sich eine verstärkte Aufmerksamkeit für Akustisches und Visuelles, was nun technisch reproduziert und damit präsentiert werden kann. Analoge Medien wie die Foto grafie und der Phono graph erlauben die direkte Einschreibung von Körpern, Gegenständen oder Tönen – die Herstellung eines quasi körperlichen Abdrucks. Die Schrift, welche - mit Ausnahme von Onomatopoetika oder bewusst gestalteter Literatur[20] - vornehmlich rein repräsentativ funktioniert, tritt in Konkurrenz zu Medien, die wesentlich präsentieren. Gegenständliches, Leibliches und Klangliches kann nun medial erfahren werden. Fotografien, Filme und Tonaufnahmen beanspruchen, die Wirklichkeit zu ‚auszustellen‘, aufgeladen mit dem Gestus der Authentizität.[21]

Schon die Fotografie, doch besonders die Erfindung des Phonographen und des Kinetoskops leiten eine fundamentale Veränderung hinsichtlich der Wahrnehmung von Wirklichkeit ein. Akustische und optische Daten können nun im Zeitfluss selbst festgehalten werden, gleichzeitig können sie aber noch mehr: Das Mittel der Schnittechnik erlaubt eine quasi perfekte Illusion in der Kategorie der Raum-Zeit, die nach Kittler eine manipulative Kraft entfaltet.

Medien kreuzen einander in der Zeit, die keine Geschichte mehr ist. Mit Soundtricks, Montagen und Schnitten hat das Tonband die akustische Datenspeicherung vollendet; mit Filmtricks, Montagen und Schnitten hat die Speicherung optischer Abläufe begonnen. Kino war von Anfang an Manipulation der Seenerven und ihrer Zeit.[22]

Kittler konstatiert weiter, dass sich die besondere Manipulationskraft[23], die von den neuen Medien ausgeht, direkt auf die wahrnehmenden Organe überträgt. Mit anderen Worten: Wer einen Film gesehen hat, wird in Zukunft auch sein alltäglichen Umfeld anders wahrnehmen.

Verstärkt wird diese Manipulation der Wahrnehmungsorgane durch die Ausdifferenzierung der Medien: Durch die Isolierung einzelner Sinnesorgane, die bei der Rezeption eines Mediums ‚autonom‘ beansprucht werden, zergliedert sich der Gesamteindruck der Wirklichkeit.[24] Die Zerstückelung der Wahrnehmung eröffnet einerseits neue sinnliche Erfahrungen, gleichzeitig reißt sie den Menschen aus seiner gewohnten Situation in einer ‚multi-sinnlichen Umgebung‘ heraus.

1.2 Aura

Als das Gegenmodell zu Medien- und Reproduktionstechniken entwirft Walter Benjamin das Konzept des ‚Auratischen‘:

Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.[25]

Was Benjamin als die Spur bezeichnet, könnte ebenso als das medial vermittelte Datum[26] gelesen werden, als das Reproduzierte, als das, womit umgegangen werden kann. Demgegenüber ist die Aura etwas Unverfügbares, etwas, das uns entgegenkommt und sich „unser bemächtigt“: eine Überwältigung. Die Gewahrung des Fremden, des Besonderen oder in Benjamins Worten der „Erscheinung einer Ferne“ ist an die Präsenz, an das Hier und Jetzt gebunden. Die Aura geschieht; sie ist nicht technisch reproduzierbar.

In seinem Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seinen technischen Reproduzierbarkeit“ konstatiert Benjamin den ‚Auraverlust‘ von Kunstwerken durch deren Massenreproduktionen. Die ‚sekundäre‘ Rezeption vernichtet das Aura-Erlebnis. Durch die technische Vervielfältigung von Kunstwerken geht das Besondere des Originals verloren. Die Reproduktion ist lediglich ein Platzhalter für das eigentliche Kunstwerk; das vormals Präsentative[27] wird zugunsten des Repräsentativen aufgegeben:

Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura. [...] Die Reproduktionstechnik [...] löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. Indem sie die Reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises.[28]

Die Reproduktion von Kunstwerken hat nach Benjamin entscheidenden Einfluss sowohl auf die zeitgenössische Kunstproduktion als auch auf Werke vergangener Epochen. Da die Werke nun massenweise zugänglich gemacht werden könnten, damit für die Massen konsumierbar sind, „erlosch auf immer der Schein ihrer Autonomie“[29].

Medien, Aura und die Avantgarde

Die Avantgarde reagiert auf die veränderten Bedingungen in einer vermehrt technisierten Lebenswelt sowohl antizipierend, z.B. indem sie massenhaft hergestellte Objekte als Material für Collagen und Montagen verwenden, als auch kritisch, verzweifelt oder bewusst verweigernd.

Eine kritische Position drückt sich in Hans Arps Erinnerung „Dada war kein Rüpelspiel“ aus, in deren Rahmen er den ‚neuzeitlichen Menschen‘ beschreibt:

Sein Lärm und sein Geschrei erstickt jedes Gedicht, jedes Gebet. Einstmals was der Sinn des Lebens, sich auf den Tod vorzubereiten. Heute ist der Sinn des Lebens, Geschwätzgewerbe zu veranstalten, gigantische Krachmaschinen, Heulmaschinen, Geschwätzverstärkungsmaschinen Tag und Nacht in Betrieb zu halten.[30]

Das Gespür für Kunst, für Kontemplation, damit für die Aura im Benjaminschen Sinne gehe nach Arp in der mechanisierten und mediatisierten Welt zugrunde. Das Individuelle wird im ‚Maschinenbetrieb‘ außer Kraft gesetzt. Das permanente ‚Ausgesetztsein‘ einer lärmenden, mechanisierten Umwelt wird von Arp als erstickende Last empfunden. Die Angst vor dem Verlust der Lebenswelt, vor dem Kontakt mit der Wirklichkeit ist gegenwärtig.

Auch Hugo Ball thematisiert in seiner Vortragsschrift „Kandinsky“ das Gefühl der Orientierungslosigkeit, wie es sich durch die Allpräsenz des Medialen und der fortschreitenden Technisierung der Lebenswelt ergebe:

Der einzelne Eindruck besagte nichts mehr. Komplektisch drängen die Gedanken und Wahrnehmungen auf die Gehirne ein, symphonisch die Gefühle. Maschinen entstanden und traten an Stelle der Individuen.[31]

Die Textpassage liest sich als ein Ausdruck eines überforderten Individuums, das sich der ‚Reizüberflutung‘ nicht mehr gewachsen sieht. Ball artikuliert eine Verlusterfahrung: Wenn Maschinen, Reproduktionstechniken und Medien an die Stelle vormals individuellen Handelns treten, scheint der Mensch überflüssig zu sein. Der einzelne kann sich der Entwicklung nicht verschließen: Denken, Wahrnehmung und Gefühle sind unmittelbar betroffen.

Gleichzeitig eröffnen die neuen Reproduktionstechniken im Sinne einer körperlichen Einschreibung erweiterte Wahrnehmungs – und Umgangsformen von und mit Objekten und Körpern, welche allererst zu einer Differenzierung – wie sie Benjamin symptomatisch für seine Zeit feststellt – zwischen Reproduktion und Aura hinführen. Die Suche nach einem Jenseits der Reproduktion führt zu einer Grenzziehung, welche die Utopie eines Authentischen in sich hervorbringt. Die Idee eines Authentischen ist demnach gleichzeitig Antipode und Produkt der Medientechnik.

1.3 Sprachkrise

Medienentwicklung und Sprachskepsis bzw. Sprachkritik vollziehen sich parallel. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bildet sich ein Diskurs heraus, der Skepsis und Unbehagen gegenüber der Sprache ausdrückt. Im folgenden wird anhand einzelner sprachkritischer Textpassagen die später zu entfaltende Sprachauffassung der Dadaisten in einen historischen Kontext eingebettet. Die Auswahl von Hofmannsthal, Nietzsche, Mauthner und Landauer wurde bewusst getroffen, da diese von den Dadaisten, insbesondere von Hugo Ball rezipiert wurden und als geistige Vorläufer der dadaistischen Sprachkritik gelten können.[32]

Hugo von Hofmannsthal versucht in seinem „[Ein] Brief“ seine verzweifelte Suche nach einem sprachlichen Ausdruck in Worte zu fassen:

Ich empfand ein merkliches Unbehagen, die Worte ‚Geist‘, ‚Seele‘ oder ‚Körper‘ nur auszusprechen. [...] die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muß, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze. [...] Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen.[33]

Hofmannsthals Unbehagen entzündet sich an den abstrakten Begriffen, die vornehmlich dem subjektphilosophischen Diskurs zuzuordnen sind. Begriffe wie Geist, Seele und Körper sind eng an ein dualistisches Menschenbild gebunden, das eine klare Trennung zwischen Körper und Geist vorgibt. Diese Begriffe scheinen für Hofmannsthal jegliche Ausdruckskraft eingebüßt zu haben. Doch sie sind für ihn nicht bloß Leerformeln, sondern extrem negativ aufgeladen. Er artikuliert sein Ekelgefühl gegenüber den Abstrakta, die ihm im Mund „wie modrige Pilze“ zerfallen. Der Ekel erscheint bei Hofmannsthal als ein Gefühl gegenüber dem Fremden, dem Anderen, welches die Begriffe sind, zu denen ihm jeglicher Zugang versperrt zu sein scheint.

Mit den Begriffen lösen sich für ihn gleichzeitig die Phänomene auf, da man ihrer nicht mehr habhaft werden kann. Die Abstrakta als das Erkenntnisinstrument stehen nicht mehr zur Verfügung. Das Moment der Verzweiflung, welches in Hofmannsthals Text klar spürbar ist, markiert den Punkt, an welchem dem in einer logozentrischen Kultur bzw. Schriftkultur situierte Mensch sein Erkenntnis- und somit Identifikationsinstrument zu entgleiten droht.

Bei Hofmannsthal zeigt sich, dass die Sprachskepsis bzw. die Sprachkrise gleichzeitig eine Krise der Erkenntnis, der Wahrnehmung und damit des Subjekts auslöst.

Wenn Friedrich Nietzsche[34] in den „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ eine ‚Krankheit der Sprache‘ diagnostiziert, weist er ausdrücklich darauf hin, dass sie zugleich eine ‚Krankheit der Kultur‘ und damit des Individuums bedeutet:

[...] überall ist hier die Sprache erkrankt, und auf der ganzen menschlichen Entwicklung lastet der Druck dieser ungeheuerlichen Krankheit. [...] Der Mensch kann sich in seiner Noth vermöge der Sprache nicht mehr zu erkennen geben, also sich nicht wahrhaft mitteilen: bei diesem dunklen gefühlten Zustande ist die Sprache überall eine Gewalt für sich geworden, welche nun wie mit Gespensterarmen die Menschen fasst und schiebt, wohin sie eigentlich nicht wollen.[35]

Nietzsche stellt einen elementaren Notstand fest. Die Sprache, wie sie zeitgenössisch verwendet wird, erfüllt nicht mehr ihre grundlegende Funktion, nämlich die des individuellen Ausdrucks. Durch die fortwährende Ausdifferenzierung in ‚Fachsprachen‘, durch die Technisierung und Instrumentalisierung der Sprache und durch den inflationären Gebrauch abstrakter Begriffe vollzieht sich ihre Abkopplung von den direkten menschlichen Ausdrucksbedürfnissen. Gemäß Nietzsches Diagnose steht der Mensch der Sprache fremd gegenüber und kann mit ihrer Hilfe nicht einmal mehr seinen „schlichten Gefühlen“[36] Ausdruck verleihen.

Das Verhältnis kehrt sich um: Nicht mehr der Mensch hat die Sprache in seiner Gewalt, sondern diese bemächtigt sich seiner. Der Mensch ist von der „Krankheit der Sprache“ unmittelbar betroffen. Nietzsche betont das Identifikationsmoment, welches die Sprache in der individuellen Mitteilung, dem individuellen Ausdruck besitzt. Wenn dieser Ausdruck scheitert, verliert der Mensch gleichsam seinen autonomen Spielraum.

Fritz Mauthner knüpft in seinem Text „Beiträge zur Kritik der Sprache“ in dem Sinne an die Diagnosen Hofmannsthals und Nietzsches an, als er die Sprache ebenfalls ihrer Ausdrucksmöglichkeiten beraubt sieht:

Mit dem Worte stehen die Menschen am Anfang der Welterkenntnis und sie bleiben stehen, wenn sie beim Worte bleiben. Wer weiter schreiten will, auch nur um den winzigen Schritt, um welchen die Denkarbeit eines ganzen Lebens weiter bringen kann, der muss sich vom Worte befreien und vom Wortaberglauben, der muss seine Welt von der Tyrannei der Sprache zu erlösen versuchen.[37]

Mauthner sieht sich in einem diskursiven Netz gefangen. Er gibt dem Gefühl Ausdruck, dass die Sprache den Menschen von der Welt entfremdet. Ein Durchbruch zur Wirklichkeit ist nach Mauthner erst jenseits der Sprache möglich. Der Weg dahin führt über die Bewusstbarmachung der eigenen sprachlichen Determiniertheit.

Mauthner erachtet erst ein Denken, das sich von den ‚sprachlichen Fesseln‘ entledigt hat, als produktiv, wobei er jedoch offen lässt, wie sich dieses gestaltet. Indem er die Sprache als Gewalt empfindet, die sich der Menschen bemächtigt, knüpft er direkt an Nietzsche an. Auch Mauthner sucht einen Ausweg aus dem ‚Gefängnis des Diskurses‘, doch gerade dieses lässt sich für ihn nicht sprachlich bewältigen, denn sprachlich kommt er nicht aus diesem heraus.

Mauthners Propagieren von Ausdrucksmitteln jenseits der „Tyrannei der [Wort-]Sprache“ verweist wiederum auf ein ganzheitliches Subjektkonzept. Die Wortsprache, die konventionell mit dem Geist, dem Intellekt, dem rationalen Denken in Verbindung gebracht wird, verstellt bei Mauthner gerade den Zugang zur ‚Welterkenntnis‘ und damit zur ‚Ich-Erkenntnis‘. Mauthner weist im weiteren auf das Paradox hin, ‚Welterkenntnis‘ jenseits des logischen Sprechens erlangen zu wollen.[38] Die Sprache vermag den doppelten Anspruch, zugleich Repräsentation der chaotischen Zustände bzw. der ‚unlogischen‘ Wirklichkeit und Erkenntnisinstrument zu sein, nicht einzulösen.

Mauthners Suche nach einem Durchbruch zur Wirklichkeit gestaltet sich als ein – wie er selbst reflektiert - paradoxes Unterfangen. In der Form des argumentierenden Textes kann er sein propagiertes Terrain ‚jenseits des Sprach-Aberglaubens‘ für den Leser nicht erlebbar machen. Das ‚Denken des Außen‘ ist für ihn eine müßige Angelegenheit. Denn man denkt und redet nun mal in dieser Sprache, um sich verständlich zu machen. Die Lösung des Dilemmas könnte in der Überschreitung der Sprachgrenze, im ‚Tun‘, im ‚Ereignen‘, im Modus eines ‚anderen Sinns‘, auf dessen Suche sich die Avantgarde-Bewegungen der Zeit begeben, liegen.[39]

Gustav Landauer knüpft in seiner Schrift „Skepsis und Mystik“ an Mauthners Sprachkritik an. Seiner Ansicht nach birgt das poetische Sprechen, welches per definitionem jeglicher Aussagenlogik entbunden ist, die Möglichkeit der ‚Sagbarkeit des Unsagbaren‘ in sich. Für den Leser eröffnet die Poesie somit das Potenzial, sinnliche Erlebnisse herzustellen, die sich gleichzeitig innerhalb und außerhalb der Sprache ereignen:

[Da] die Sinnenwelt nicht sagbar ist, [...] geben uns nun die Poeten nicht nur den Rhythmus ihres Lebens und ihrer Gefühle: sondern eben so [sic] die Bilder der Sinnenwelt: als das Unsagbare. Dieses Ineinanderschwingen der Unsagbarkeiten, die von den entgegengesetzten Enden herströmen – der Rhythmus aus der Zeit, das Sinnenbild aus dem Raum, - dieses Auflösen alles Realen im Elemente des Traumes: das finde ich in den Dichtungen derer, die ich genannt habe [Hofmannsthal, George], und das eben scheint mir die Stimmung zu sein, in der man einzig und allein von der Sprachkritik zur Wortkunst zurückkehren kann.[40]

Die einzig mögliche Wortkunst nach der Infragestellung von Sprache überhaupt ist für Landauer eine Dichtung, welche die „Sinnenwelt“, das für ihn genuin „Unsagbare“, auszudrücken vermag. Er zeichnet Rhythmus, Bild und Traum als die poetischen Qualitäten aus. Durch das Kreieren von Bildern, durch das Spiel mit Imaginationen entsteht eine Atmosphäre, die dynamisch durchlässig ist. Die durch die poetische Sprache hervorgerufenen Bilder lösen sich vom Text ab und entwickeln so ein Eigenleben. Die Bilder können so in Interaktion mit anderen Bilderwelten treten.

Die von Landauer favorisierte Wortkunst ist nicht die einer durchgeformten Erzählung, in der jedes Element des Textes sich in ein Gesamtkonzept bzw. eine bestimmte Erzählhandlung einfügt. Es geht ihm vielmehr um die nicht-repräsentationalen Anteile wie Melodie, Rhythmus, Lautlichkeit, Metaphorik, welche für den Rezipienten eine Sinnenwelt erlebbar machen. Landauers Konzept ist rezeptionsorientiert; der Text konstituiert sich erst in den Erlebniswelten, die im Prozess des Lesens produziert werden, ausgelöst durch die körperlichen bzw. sinnlichen Anteile des Textes. Es zeichnet sich bei ihm eine neue Perspektive bezüglich der Textrezeption ab, welche die performativen Elemente in den Vordergrund rückt.

Bereits sechs Jahre vor DADA verfasst Hugo Ball seine Streitschrift „Nietzsche in Basel“[41]. In deren Rahmen legt er den Schwerpunkt auf Nietzsches Huldigung des Anti-Logischen, Rauschhaften und Dionysischen. Die Streitschrift bildet das Fundament seiner späteren Sprachkritik.

In seinem Tagebuch „Die Flucht aus der Zeit“[42] knüpft er gedanklich an seine Streitschrift an. Ball notiert am 13. November 1915 das Erlebnis einer kantischen Verzweiflung: Es gelingt ihm kein Kontakt zu den Dingen, zum ‚Ding an sich‘. Er stellt eine Barriere fest, welche ihm den ‚Durchbruch zur Wirklichkeit‘ verwehrt:

Bei genauerem Hinsehen lösen die Dinge sich in Phantasmata auf. Das ganze Arrangement erscheint als verhängnisvoller Ablauf optischer Täuschungen, worin der bewußte Irrtum und die gefaßte Lüge am ehesten noch eine Art von Sinn und Halt, eine Perspektive aufrechterhalten. Was man gemeinhin Wirklichkeit nennt, ist, exakt gesprochen, ein aufgebauschtes Nichts.[43]

Ball empfindet die Wirklichkeit als etwas Arrangiertes bzw. Inszeniertes. Das „Arrangement“ der Wirklichkeit entlarvt er als einen subjektiv konstruierten ‚Phantasie- oder Projektions-Kosmos‘, als ein individuell aufgeladenes Konglomerat – sich zusammensetzend aus unbekannten Komponenten.

Die Realität konstituiert sich für ihn durch Projektionen und Phantasien. Ball propagiert eine ehrliche Umgangsweise mit dieser Erkenntnis: Das bewusste sich Ausliefern und das Spielen mit dem Schein ist dem Verharren auf einer auf Tatsachen beharrenden Verhaltensweise gegenüber der Welt vorzuziehen. Das Problem potenziert sich dort, wo der Schein verleugnet wird. Balls Sprachkritik entzündet sich in dieser Passage an denen, welche „die Angewohnheit hätten, auf Tatsachen zu insistieren“[44]. Behauptungen, also die Aussagen, welche Relationen zwischen Dingen herstellen und diese für wahr befinden, sie also als Tatsachen ausweisen, entfernen sich Ball zufolge so weit von der Wirklichkeit, dass sie nur mehr als „Schatten des Nichts“ fungieren können.

Es wird deutlich, dass Ball sich in die Linie der hier herangezogenen ‚Sprach- und Erkenntniskritiker‘ einreihen lässt. Er fordert implizit ein Reflektieren über die Möglichkeiten sinnvollen Sprechens und Erkennens. Seine Wortwahl zeigt seine Abscheu einem Denken und Sprechen gegenüber, welches sich einem ‚Wahr/Falsch-Konzept‘ blind hingibt.

Im Anschluss an Nietzsche, Mauthner und Landauer, findet auch in Balls Sprachkritik eine Übertragung auf die Problematik statt, die sich für das Individuum oder das Künstler-Ich aus dieser Krisenerfahrung ergibt. Die Sprach- bzw. Kulturkrise ist unmittelbar verknüpft mit einer Krise des Subjekts:

Fragt man die Künstler, woran sie leiden, so kann man immer wieder dasselbe hören. Sie haben keine Beziehung mehr zur Wirklichkeit. [...] Es finden sich, soweit überhaupt von einer distinguierenden Umgebung die Rede sein kann, kaum zwei Menschen mehr, die noch dasselbe glauben und lieben.[45]

Insbesondere der Künstler bzw. der nach Ausdruck suchenden Mensch empfindet die Krise als fundamental. Seinem Schaffen steht etwas Essenzielles im Weg: Es fehlt die gemeinsame Verstehensbasis, da die ‚Welt‘ oder das, was von der ‚Welt‘ erlebt wird, was in sie eingeschrieben ist, selbst in Frage gestellt wird. Die Identifizierung mit anderen oder mit dem, was andere über die ‚Welt‘ kommunizieren, kann nicht gelingen, wenn die Orientierungs- und Anschlusspunkte in der Wahrnehmung, Erfahrung und Interaktion nicht auszumachen sind.[46]

1.4 Wege aus der Krise

Hugo Ball beschreibt ein elementares Krisengefühl, dass sich in Philosophie und Kunst niederschlägt: die Zeitkrankheit. Er diagnostiziert ein unspezifisches Gefühl des Verfalls, der Orientierungslosigkeit und der Isolation, das die Ausdrucksbarriere auslöst, an der der Künstler leidet.[47]

Für Ball scheint alles bereits dagewesen zu sein; die Formen sind ausgereizt. Der Künstler kann sich nur mehr eines Fundus‘ vorgefertigter Versatzstücke bedienen und mit diesen „Klitterungen“[48] vornehmen. Seine Kunst ist in diesem Sinne präformiert, sogar die künstlerische Imagination selbst.[49] Er fühlt sich gefangen in einem intertextuellen/interimaginären Netz.[50]

Die Krise der Kunst lässt sich ebenso als eine Krise des Werks und der dazugehörigen Kategorien lesen: Elemente wie Form, Ganzheit, Originalität, Imagination und entsprechend Dauer, Autor- bzw. Künstlerschaft und Stil, die traditionell unabdingbar für ein im Kunstsystem anerkanntes Werk stehen, werden zunehmend hinterfragt und vor dem Hintergrund des Kategorien- und Wertezerfalls als unbrauchbar ausgewiesen.

Die Avantgarde sieht sich konfrontiert mit dem beschriebenen Gefühl von Unfreiheit. Sie bricht aus, in dem sie ‚Es‘ einfach tut. Eine Sehnsucht nach dem Spirituellen, nach dem Transzendenten oder nach dem Jenseits der Grenze – der Sprache und der Kultur – materialisiert sich möglicherweise in den Aktionen der neuen künstlerischen Avantgarde-Bewegungen.

‚Physiologische‘ Entgrenzung – der Rausch

Nietzsche benennt als eine Vorbedingung ästhetischen Schaffens wie Erlebens überhaupt den Rausch, den Exzess, die Trunkenheit[51] – den Zustand, in welchem jegliches rationale Denken versagt.[52]

Der Rausch ist bei Nietzsche positiv besetzt; er umfasst für ihn das Gebiet im ‚Jenseits des Logos‘. Der Rausch ist die Negation, der Umsturz aller Zeichen und damit der Verbindlichkeiten des Alltäglichen. Der Trunkene befindet sich im ‚Außen‘. Und genau dort ist nach Nietzsche der einzige Ort, wo ästhetisches Schaffen möglich ist. In diesem Sinne vollzieht sich in seinem Denken eine Umwandlung der klassischen Ästhetik - weg vom werkästhetischen Kunstwerk hin zu einer Ästhetik der Avantgarde[53]:

Der Künstler liebt allmählich die Mittel um ihrer selber willen, in denen sich der Rauschzustand zu erkennen gibt: die extreme Freiheit und Pracht der Farbe, die Deutlichkeit der Linie, die Nuance des Tons: das Distinkte, wo sonst, im Normalen, alle Distinktion fehlt. [...] - die Wirkung der Kunstwerke ist die Erregung des kunstschaffenden Zustandes, des Rausches.[54]

Der Rauschzustand ermöglicht eine neuartige, intensive sinnliche Wahrnehmung, ein Gespür für die feinen Unterschiede, welche sich im Kunstwerk herausbilden. Es ist das Hervorbrechen des Ungebärdigen, des Entgegenkommenden. Im Medium der Kunst wird eine Sprengkraft freigesetzt, die vormals dem Schrecken der Natur zukam.

Aber Nietzsche bleibt nicht auf der Seite des Schaffenden stehen. Seiner Ansicht nach birgt die im Rausch geborene Kunst das Potenzial in sich, ebenso einen Rauschzustand auf der Seite des Rezipienten auszulösen. Nach Nietzsche fungiert das Kunstwerk somit als Übertragungsmedium: Der Rauschzustand des künstlerisch Schaffenden und der des Rezipienten verschmelzen im Kunstwerk. Nietzsche vollzieht mit diesem Konzept bereits die Wende hin zu einer Ästhetik des Ereignens. Dies hat auf die Avantgarde-Bewegungen einen unmittelbaren Einfluss ausgeübt[55].

Gerhard Fuchs, der sich bereits um die Jahrhundertwende für eine Reform des Theaters bzw. des Tanzes einsetzt, greift Nietzsches Gedanken auf und überträgt ihn auf den Tanz. Fuchs definiert den Tanz als rhythmische Bewegung des menschlichen Körpers im Raum, ausgeübt aus dem schöpferischen Drange, eine Empfindung durch die Ausdrucksmittel des eigenen Leibes zur Darstellung zu bringen, und in der Absicht, sich dadurch eben jenes inneren Dranges lustvoll zu entladen, daß man andere Menschen in gleiche oder ähnliche Schwingungen und damit in einen gleichen oder ähnlichen Rauschzustand versetzt.[56]

Der körperliche Ausdruck erscheint bei Fuchs als ein Ventil für den schöpferischen Drang. Er betont wie Nietzsche den Aspekt der Entgrenzung im Rausch und projiziert diesen auf den Tanz, der ein ekstatisches Gemeinschaftserlebnis ermöglicht. Der Rauschzustand, welcher sich vom Tänzer auf die Anwesenden überträgt, reißt die Grenzen zwischen den Körpern, zwischen den Individuen ein, sie werden quasi vom „Drang“, von den „Schwingungen“ absorbiert: Die Bewegung im Raum wirkt als Verschmelzungsphänomen.

Fuchs interessiert sich nicht für die choreographischen bzw. die formalen Qualitäten des Tanzes, sondern allein für das Phänomen der leiblichen Bewegung im Raum und was diese auslöst: Rhythmus, Atmosphäre, Schwingung und Energie. Er fokussiert somit die Elemente, die sich im Prozess des Tanzes ergeben. Er hat dabei insbesondere die spezifischen Wirkungen auf die Anwesenden im Blick.

Auch Hugo Ball hebt es als die gedankliche Leistung Nietzsches hervor, dass dieser den Taumel bzw. den Rausch der antiken Musik als ästhetisches Ursprungsphänomen wiederentdeckt und für die zeitgenössische Kunst fruchtbar gemacht hat:

Das musikalische Element indessen als Ausfluß der zum Taumel gesteigerten Lebensgefühle in ethnischen, ja kosmischen Umfang als Genesiselement der Kunst und Tragödie befürwortet und dadurch einerseits eine rigoros ästhetische Weltinterpretation, andrerseits eine rigoros ästhetische Kulturperspektive für die Gegenwart anhand der Griechen gewonnen zu haben, das ist der Verdienst Nietzsches.[57]

Indem Hugo Ball den Taumel als Initiationserlebnis für Kultur überhaupt ausweist, erscheint das ganze Leben fundiert im ästhetischen Erlebnis. Ball betont weiterhin Nietzsches Abkehr von der sokratischen Weltansicht als einer „rein intellektualistische[n] Verstandeskultur“[58] und liest darin gleichsam eine Propagierung der ‚Anti-Logik‘ oder des ‚Anti-Rationalisimus‘.

Im Hinblick auf DADA werden die ‚rauschhaften‘ Elemente eine fundamentale Rolle hinsichtlich ihrer eigenen Kunstkonzeption spielen: Der Rausch fungiert einerseits als Sinnbild für die Übersteigerung der Lebensgefühle oder der ‚ekstatischen‘ Kunst. Andererseits steht die Idealisierung des Rausches in einer Linie mit der Faszination für einen universalen Urzustand, der - im Unbewussten vergraben – nur (wieder-)erweckt werden muss.[59]

Entgrenzung als Setzung des ‚Anderen‘

Was in Hugo Balls Arbeit über Nietzsche bereits anklingt, ist der Versuch, sich von der landläufigen Ästhetik abzugrenzen, indem anerkannte ästhetische Ideale wie Schönheit oder Form kategorisch abgelehnt und stattdessen der ‚Rausch‘ als der künstlerisch wertvolle Zustand herausgestellt wird.

Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts nimmt eine Diskussion um die ‚richtige‘ oder ‚wahre‘ Kunst einen immer größeren Raum ein. Nicht die Kunstwerke selbst, sondern vielmehr die Pamphlete, die Manifestationen stehen im Vordergrund. Die Manifeste fungieren dabei als Abgrenzungsmittel gegenüber anderen Stilrichtungen.

Adorno beurteilt die separierenden und anti-traditionellen Bestrebungen der Avantgarde-Bewegungen, wie folgt:

Nicht jedoch ist sie durch ihre abstrakte Negation abzufertigen. Indem sie angreift, was die gesamte Tradition hindurch als ihre Grundschicht garantiert dünkte, verändert sie sich qualitativ, wird ihrerseits zu einem Anderen.[60]

Der qualitative Fortschritt in der Kunst ereignet sich Adorno zufolge durch die Abgrenzung von der Tradition. Durch die Provokationen der Avantgarde wird ein ‚Anderes‘ gesetzt, das auch die traditionelle Kunst auf eine kritische Weise beleuchtet.

Die Avantgarde erweitert somit nicht nur den Bereich künstlerischen Wirkens, sondern bewirkt durch ihre Abgrenzungs- bzw. Gegensetzungs-Strategien gegenüber den traditionellen Konventionen eine kritische Reflexion des Phänomens Kunst. Sie führt auf diese Weise ein selbstreflexives (und selbstreferentielles) Moment in die Kunst ein.

Die Krise der Moderne lässt sich als eine ‚Grenzerfahrung‘ lesen: der Grenzen des ‚Wahrheitsdiskurses‘, der Erkenntnismöglichkeiten und damit der Grenzen individuellen Wahrnehmens und Handelns. Für den Künstler zieht dieses Krisengefühl, wie es z.B. Hugo Ball ausdrückt, die grundsätzliche Frage nach sich, ob ein ästhetischer Ausdruck überhaupt noch gelingen kann. Demgegenüber bilden sich Entgrenzungs-Strategien heraus: Man versucht in einem ‚Anderen‘ die verloren geglaubte Wahrhaftigkeit wiederzufinden. Dieses ‚Andere‘ wird im Anti-Rationalen oder Anti-Logischen bzw. dem Rauschhaften gesucht.

Die Sprach- und Kulturkrise der Moderne erscheint somit als ein ambivalentes Phänomen: Parallel werden Grenzen der Sprache und des Subjekts gesetzt und gleichzeitig bewusst durchbrochen. Aus ästhetischen Prozessen der De- und Rekonstruktion kann die Kunst in neuen Gestalten hervorgehen.

2. Performativität

Hinter dem ‚Performanz-Modell‘[61] verbirgt sich ein neues Kulturverständnis: Kultur besteht demnach nicht nur aus Artefakten, sondern wird in ‚Performances‘ wie Ritualen, Festen, Spielen, politischen Zeremonien etc. hervorgebracht.[62] Die Entscheidung hinsichtlich der theoretischen Fundierung durch den Ansatz einer performativen Ästhetik wurde bewusst getroffen, um der veränderten Kunstauffassung der Avantgarde, welche sich durch eine verstärkte Betonung des Ereignis- und Prozesshaften auszeichnet, gerecht zu werden.

Im Zentrum des Interesses liegt demgemäß nicht mehr ein fertiges Kunstprodukt, sondern die Tätigkeiten, die zu seiner Hervorbringung führen, die Handlungen, Veränderungen und Dynamiken, durch die sich geltende ästhetische Strukturen auflösen und neu herausbilden. Der Aufführungscharakter überwiegt den Artefaktcharakter. An die Stelle des Kunstwerkes tritt das Ereignis. Zugleich werden Materialität, Medialität und interaktive Prozesse in das Blickfeld genommen.

Ereignis

Heidegger denkt die Kunst aus dem Ereignis und kann somit als ein Wegbereiter für eine Ästhetik des Performativen angesehen werden. Sein Kunstbegriff zeichnet sich durch die ausdrückliche Betonung des Prozessualen, des „Ins-Werk-Setzens“[63] aus: „Das Erlebnis ist nicht nur für den Kunstgenuß, sondern ebenso für das Kunstschaffen die maßgebliche Quelle. Alles ist Erlebnis.“[64]

Der ästhetische Prozess bzw. das „Ins-Werk-Setzen“ ereignet sich nach Heidegger in der gemeinsamen Partizipation von Produzent und Rezipient am Kunstereignis. Die Trennung von Produzent und Rezipient wird also im Ereignisgedanken aufgehoben. Man nimmt teil. Denkt man Kunst ausgehend vom ästhetischen Erlebnis, erhält das Werk einen sekundären Status. Es ist das auslösende Moment für das Erlebnis, welches erst die Kunst konstituiert.

Der Ereignisbegriff, wie ihn Heidegger bereits definiert, wird zum Schlüsselbegriff einer postmodernen Ästhetik. Lyotard situiert das Ereignis gleichzeitig innerhalb und außerhalb der Darstellungsmodi: Es ist einerseits gekoppelt an symbolischen Strukturen, die alles Ereignen begleiten bzw. ermöglichen, andererseits handelt es sich bei dem ästhetischen Ereignis gerade um den ‚Überschuss‘, der aus den Strukturen des Signifikanten hervorbricht. Um ein Ereignis überhaupt als ein solches wahrnehmen zu können, bedarf es Lyotard zufolge einer bestimmten Sensibilität und Bereitschaft:

Um ein Gespür für ihre Eigenschaft als tatsächliche Ereignisse zu erlangen, um fähig zu werden, ihren Klang jenseits von Stille und Lärm zu vernehmen, um offen zu werden vor allem für das „Es geschieht, daß“ und weniger für das „Was geschieht“, bedarf es zumindest einer im hohen Maß geschärften Wahrnehmung für feine Unterschiede.[65]

Man muss sich nach Lyotard auf den Moment einlassen, es geht um das Erspüren des Ereignishaften selbst – fernab eines bestimmten Inhalts, eines Resultats. Die Wahrnehmung wird im Moment aktiviert, ohne dass sie funktionalisiert in ein bestimmtes Erkennen dessen, was geschieht, eingebunden ist. Lyotard betont die aisthetische Komponente des Ereignisses: Der Wahrnehmende muss empfänglich sein für die Aura des Ereignens, für das, „Es geschieht, daß“. Die ‚offene‘, ‚geschärfte‘ Wahrnehmung konfrontiert den Wahrnehmenden mit dem Schock des Ungemachten, des Unverfügbaren. Als Wahrnehmender soll man, so Lyotard, sich nicht nur als Produzent seiner eigenen Wahrnehmung verstehen. Um für das Ereignis empfänglich zu werden, muss man allererst Empfangender sein, und zwar indem sich die Wahrnehmung von der automatisierten Bedeutungsbeilegung befreit, die jedes Datum als etwas Bestimmtes interpretieren möchte:

Weder aggressive Autonomie noch spontane Phantasie ermöglichen ein solches Aufblitzen. Wir müssen unseren Zustand dem eines argwöhnischen, streng arbeitenden Empfängers angleichen, dessen Wahrnehmung auf das unverkennbare unheimliche „Faktum“ konzentriert ist, daß hier und jetzt etwas ist, das „es gibt“, egal, worum es sich handelt.[66]

Die Semiotisierung der Wahrnehmung unterschlägt mithin gerade jene Momente, die ein Erspüren des Ereignishaften ermöglichen könnten. Lyotards Konzept der Präsenz des Was, des „Faktums“[67] durch dessen auratische Gewahrung im Zustand extremer Aufmerksamkeit leitet direkt zu einer Auffassung bzw. Ästhetik hin, die vom Aufblitzen eines ‚Authentischen‘ bzw. Nicht-Kontruierten oder Nicht-Mediatisierten ausgeht und die diesen Überschuss, dieses unkalkulierbare Etwas oder aber dieses Ereignen in den Mittelpunkt rückt.

Performanz

Der Begriff des Performativen wurde zuerst in der Sprechakttheorie von John L. Austin entwickelt.[68] Der performative Sprechakt ist nicht nur eine Aussage, sondern vielmehr eine Handlung, eine Tätigkeit, die neue Realitätsbedingungen schafft.[69] Austins Performanzbegriff verweist auf die Funktion der Wirklichkeitskonstitution im Prozess des Sprechens.

Wenn in anderen Disziplinen als der Sprachwissenschaft wie z.B. der Theaterwissenschaft, Ethnologie, Literaturwissenschaft oder Philosophie der Begriff des Performativen oder der Performanz herangezogen wird, findet sich als gemeinsames Moment die Betonung eines Prozesses, durch den sich etwas verändert bzw. konstituiert. Dies könne, wie Uwe Wirth betont, gleichermaßen ein Akt des Sprechens, des Lesens, der theatralen Aufführung wie auch Handlungen im Rahmen eines Rituals sein:

Performanz kann sich ebenso auf das ernsthafte Ausführen von Sprechakten, das inszenierende Aufführen von theatralen oder rituellen Handlungen, das materiale Verkörpern von Botschaften im „Akt des Schreibens“ oder auf die Konstitution von Imaginationen im „Akt des Lesens“ beziehen.[70]

Performanz ist in diesem Sinne eine universelle Kategorie. Jedem (symbolischen) Prozess kommt gleichzeitig ein performatives Moment zu: jeder Schaffung eines Objekts und jeder Handlung, somit ebenso jeglicher Kunst-, Text- und Diskursproduktion.

Sybille Krämer stellt die These auf, dass alles Symbolische nur als ‚Aufführung‘ existiert. Sie betont damit das Prozesshafte jeglicher Formen von Sinnerzeugung; diese sind nie statisch. Prozesse der Symbolisierung beruhen nach Krämer auf Prozeduren der Wiederholung. Die Kraft des Performativen entfaltet sich, wenn in Form von Mutationen die genaue Wiederholung unterlaufen, wenn also Neues hervorgebracht wird.[71]

Dieter Mersch arbeitet in seiner Arbeit „Ereignis und Aura“ die neuen Perspektivierungs- und Erkenntnismöglichkeiten heraus, die sich durch den sogenannten ‚performative turn‘ in den Wissenschaften ergeben. Der neue Zugriff auf Ästhetik und Kultur „[...] enthüllt den Aktcharakter, das Vollzugsereignis, die Momente der Setzung, wie sie in Äußerungen, der Prägung einer Marke, der Plazierung eines Kunstwerks oder Inszenierungen von Herrschaft zum Ausdruck kommen.“[72] Die Art des Vollzugs zeigt sich demnach im Vollzug selbst. Der Gedanke, dass die Inszenierung die Machtstrukturen oder die Plazierung allererst das Kunstwerk hervorbringt, liegt dem zugrunde.

Erika Fischer-Lichte geht von den beiden Polen Textualität und Performativität innerhalb einer jeden symbolischen Kultur aus. Ihr Ansatz ist ein historischer, demgemäß zu bestimmten Zeiten die performative, zu anderen die textuelle Seite einer Kultur betont wird. Seit Beginn der Neuzeit hat nach Fischer-Lichte das Textuelle maßgeblich die Hervorbringung von Kultur geprägt. An die Stelle der mittelalterlichen Feste und Gottesdienste tritt das Buch und das Zeitschriftenwesen. Im 20. Jahrhundert – ausgelöst durch die Entwicklung neuer Medientechniken - stellt sie jedoch einen neuen Performativitätsschub bzw. ‚performative turn‘ fest: „Die europäische Kultur hat im 20. Jahrhundert den Übergang von einer dominant textuellen zu einer überwiegend performativen Kultur vollzogen.“[73]

Mit der Neubetonung des Performativen wird nach Fischer-Lichte ein Vorurteil in Frage gestellt, welches die elitäre und schriftkundige Gesellschaftsschicht gegenüber der ‚einfachen‘ Volkskultur hegte: die höhere Wertigkeit der Schrift gegenüber dem gesprochenen Wort, sowie des Artefakts gegenüber der Aufführung. Während ‚Werke der Dauer‘ wie z.B. Literatur oder Gemälde bis gegen Ende des 19. Jahrhundert klar positiv besetzt und höher bewertet wurden als Aufführungen jeglicher Art, setzt seit dieser Zeit ein Umdenken ein:

Diese Dichotomie zwischen einer modernen elitären textuellen Kultur, die ihr Selbstbild und Selbstverständnis in Texten und Momenten artikuliert, und einer ‚primitiven‘ performativen Kultur, die sich in Aufführungen repräsentiert sieht bzw. deren Bild als das des vollkommen anderen in Aufführungen repräsentiert wird, scheint um die Jahrhundertwende ihre Funktionsfähigkeit einzubüßen.[74]

Die Aufhebung des Tabus, von ästhetischen Konventionen der vor- und außerbürgerlichen Kulturgeschichte Gebrauch zu machen, öffnet den Weg für neue Kunstformen wie Performance oder Happening.

Theater als Modell

Wir sehen das Theater nicht mehr als Spezialität. Wir sinds selber geworden.[75]

Für Fischer-Lichte fungiert das Theater als modellbildend für den Begriff des Performativen und für die Vorstellung einer ‚performativen Kultur‘. Das Theater erfüllt Fischer-Lichte zufolge immer zugleich eine referentielle und eine performative Funktion. Die referentielle Funktion bezieht sich auf die Darstellung von Figuren, Handlungen, Situationen etc., wohingegen die performative Funktion den Vollzug von Handlungen – durch die Akteure und zum Teil auch durch die Zuschauer – und deren unmittelbare Wirkung betrifft.[76]

Dieses ließe sich zwar ebenso für beliebig andere bedeutsame bzw. theatrale Situationen sagen, im Theater jedoch befinden sich die Anwesenden in einem Zustand besonderer Aufmerksamkeit, was sich in einer sensibilisierten Raum-, Körper- und Zeitwahrnehmung ausdrückt. Fischer-Lichte nimmt für das Theaterpublikum ein Bewusstsein für die theatralischen Elemente an, und somit eine besondere Aufmerksamkeit für das, was auf der Bühne im Moment der Aufführung passiert.

Mit dem ‚performative turn‘, wie er in der Avantgarde einsetzt, wächst sukzessiv das ‚theatrale Bewusstsein‘. Was für das Theater gilt, wird universal. Es vollzieht sich nach Fischer-Lichte ein Paradigmenwechsel in Kunst und Kultur hin zur Performanz.[77]

Wenn Hugo Ball, wie bereits erwähnt, die künstlerische Imagination als präformiert entlarvt, stellt er ein Kulturverständnis grundlegend in Frage, das allein auf Artefakten basiert. Stattdessen rückt er die theatrale Dimension von Kultur in den Vordergrund. Dies zeigt sich in seinen Bemerkungen zur Theaterkunst in bezug zur Psychologie.

[...]


[1] Richard Huelsenbeck (Hg.), DADA-Almanach (1920), New York 1966, S. 4.

[2] John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte [Originaltitel: How to do things with words ], Stuttgart 1979. (Das Buch basiert auf einer Vorlesung, in deren Rahmen John L. Austin 1955 die Sprechakttheorie entwickelt hat.)

[3] Hier sind insbesondere die Futuristen hervorzuheben, die bereits in den 1910er Jahren mit Aktionskunstformen an die Öffentlichkeit getreten sind.

[4] Auch wenn im Rahmen der Arbeit zahlreiche Zuschauende und Teilnehmende zitiert werden, liegt der Schwerpunkt auf den wichtigsten ImpulsgeberInnen der DADA-Bewegung, namentlich Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco, Sofie Taeuber und Tristan Tzara, sowie später Walter Serner.

[5] Was im Rahmen der Arbeit unter einer ‚Ästhetik des Performativen‘ verstanden werden soll, wird im Abschnitt ‚Performativität‘ dargelegt.

[6] Die Forschungsliteratur zum Dadaismus in Zürich umfasst zahlreiche Untersuchungen, die sich mit den historischen bzw. kulturellen Bedingungen wie z.B. der Exilsituation bzw. dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen und sich mit deren Wirkungen auf die Kunstproduktionen befassen. Rudolf Kuenzli z.B. interpretiert die DADA-Aktionen in Zürich als eine Kritik am Nationalismus. (Rudolf E. Kuenzli, Dada gegen den Ersten Weltkrieg: Die Dadaisten in Zürich, in: Wolfgang Paulsen und Helmut G. Hermann (Hg.), Sinn aus Unsinn. Dada International, München 1982 S. 87-100.) Diese Analyse soll jedoch von den konkreten historischen wie individuellen Begebenheiten absehen, um demgegenüber den Schwerpunkt auf ideen- und bewusstseinsgeschichtliche Aspekte zu legen.

[7] Im folgenden bezieht sich der Begriff der ‚Performance‘ auf die konkrete künstlerische Praxis, wohingegen der Begriff der ‚Performativität‘ für eine bestimmte Perspektive auf kulturelle Phänomene stehen wird.

[8] Der Begriff der Krise soll hier gemäß seiner etymologischen Bedeutung verwendet werden. Krise stammt aus dem Griechischen (‚krísis‘) und kann mit Entscheidung übersetzt werden. Es handelt sich allgemein um eine schwierige, gefährliche Situation, in der es gilt zu handeln, also sich zu entscheiden. Im Drama ist die ‚krísis‘ gleichzeitig Höhe- und Wendepunkt der Handlung. Auch hier soll die Betonung auf den Entwicklungen liegen, die einen Wendepunkt markieren.

[9] Hugo Ball, Kandinsky, in: Klaus Schuhmann (Hg.), sankt ziegenzack springt aus dem ei, Leipzig und Weimar 1991, S. 98. Hugo Ball hat Kandinsky bereits 1912/13 in München persönlich kennengelernt. Seinen Vortrag über Kandinskys Ästhetik, auf dem dieser Text basiert, hat er am 7. April 1917 in der „Galerie DADA“ gehalten.

[10] Vgl. ebenda, S. 98ff.

[11] Als zeitgenössischer Beobachter macht insbesondere Walter Benjamin auf die enge Verzahnung von Medientechnik und Kultur aufmerksam (vgl. z.B. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt am Main 1963.).

[12] Vgl. Friedrich Kittler, Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986.

[13] Als Beispiele können z.B. die Begeisterung für marxistische Ideen oder aber für dystopische Visionen, wie sie z.B. von Oswald Spengler in seinem Werk „Der Untergang des Abendlandes“ ausgedrückt wurden, gelten.

[14] Vgl. Hans Robert Jauß, Die Epochenschwelle von 1912: Guillaume Apollinaires „Zone“ und „Lundi Rue Christine“, in: Ders., Studien zum Epochenwandel der ästhetischen Moderne, Frankfurt am Main 1989, S. 216-255.

[15] Als Medien sollen hier Prozesse der Symbolisierung verstanden werden, worunter demgemäß auch die Sprache selbst fällt. Demzufolge verweisen Medien auf Zeichensysteme, mit denen sie eng verzahnt sind. Ein solcher Medienbegriff lässt sich auf kulturelle Prozesse überhaupt anwenden, da diese generell an symbolische Praktiken geknüpft sind. Für den folgenden Abschnitt ist jedoch weniger die Problematik des Medialen als die konkreten Entwicklungen und Wirkungen der neuen Medientechniken seit Ende des 19. Jahrhunderts relevant.

[16] Selbstverständlich war die Entwicklung in einer Kultur schon immer eng an Medientechniken gebunden. Die ‚neuen‘ technischen Medien, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden, haben jedoch einen weitaus größeren Wirkkreis. Man muß z.B. nicht mehr ‚alphabetisiert‘ sein, um sich dieser bedienen zu können. Außerdem bergen die neuen technischen Medien im Sinne des ‚real-time‘ wie z.B. der Film eine wesentlich stärkere illusionäre Kraft in sich.

[17] Die hier erwähnten Medientechniken wurden alle zwischen der Mitte und dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt: L. J. M. Daguerre gelang 1837 die Erfindung der nach ihm benannten ‚Daguerreotypie‘, auf deren Technik die Fotografie basiert. Die Schreibmaschine wurde um 1860 entwickelt, 1877 präsentierte Thomas Alva Edison den Prototyp des Phonographen, 1892 das erste Kinetoskop, wozu drei Jahre später die Brüder Lumière die Projektionsmöglichkeit demonstrierten.

[18] Kittler, Grammophon, S. 20.

[19] Vgl. ebenda, S. 20ff.

[20] Als Beispiel für eine solche Literatur können die Laut- und Simultangedichte der Dadaisten gelten, die im Abschnitt ‚Literarische Produktion‘ näher beleuchtet werden.

[21] Dieter Mersch legt den Fokus seines Medienbegriffs auf das Stoffliche, auf das Materiale, gleichzeitig Unverfügbare des Mediums. Da Medien und Materialität zusammengehören, es keine Medien ohne eine materiale Verkörperung gibt, ergibt sich die paradoxe Eigenschaft alles Medialen, dass nämlich die Verkörperung einerseits den Datenfluss erst ermöglicht, gleichzeitig die Daten an die Verkörperung gebunden sind: „In dem Maße, wie sie ermöglichen, begrenzen sie auch.“ (Dieter Mersch, Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2002, S. 62.) Im folgenden soll es hier konkret um die ‚Ermöglichungs- und Begrenzungsweisen‘ der neuen Medientechniken gehen.

[22] Kittler, Grammophon, S. 177.

[23] Für Friedrich Kittler sind Medien Techniken zur Zeitachsenmanipulation, da sie ein reproduzierbares Datum speichern. Sie transformierten Ereignisse in speicherbare, übertragbare und bearbeitbare Daten. Es bilden sich „Aufschreibesysteme“ als Netzwerke technischer und institutioneller Elemente. Technische Medien können das kontingenzbehaftete physikalisch Reelle selbst aufzeichnen, codieren und bearbeiten. (Vgl. ebenda, S. 177ff.)

[24] Vgl. Kittler, Grammophon, S. 27.

[25] Walter Benjamin, Das Passagenwerk (2 Bände), Gesammelte Schriften, V.1 und V.2, Frankfurt am Main 1982, S. 560.

[26] Problematisch ist der Vergleich jedoch, wenn das Medium sowohl in seiner datenspeichernden als auch in seiner materialen Eigenschaft betrachtet wird: „Die sinnprägende Rolle von Medien muß also nach dem Modell der Spur eines Abwesenden gedacht werden; so rückt in den Blick, warum die Bedeutung von Medien gewöhnlich verborgen bleibt. Das Medium ist nicht einfach die Botschaft; vielmehr bewahrt sich an der Botschaft die Spur des Mediums.“ (Sybille Krämer, Das Medium als Spur und als Apparat, in: Dieselbe, Medien – Computer – Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien, Frankfurt am Main 1998, S. 81.)

[27] Originale Kunstwerke haben gleichwohl repräsentationale Anteile, indem sie von etwas handeln bzw. etwas darstellen. Hier ist jedoch nicht der ‚Inhalt‘ von Kunstwerken von Interesse, sondern die Form ihrer Zuschaustellung bzw. ihrer Rezeption.

[28] Benjamin, Das Kunstwerk, S. 13.

[29] Ebenda, S. 22.

[30] Hans Arp, Unsern täglichen Traum... Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914-1954, Zürich 1955/1995, S. 21.

[31] Ball, Kandinsky, in: sankt ziegenzack, S. 99.

[32] Vgl. dazu insbesondere Hugo van den Bergs sehr detaillierte Untersuchung „Avantgarde und Anarchismus. Dadaismus in Zürich und Berlin“ (Heidelberg 1999).

[33] Hugo v. Hofmannsthal , Ein Brief, in: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Erzählungen, erfundene Gespräche und Briefe, Reisen, Frankfurt am Main 1979, S. 465-466.

[34] Die Chronologie der zitierten sprachkritischen Texte wird zugunsten einer aspektorientierten Vorgehensweise aufgegeben.

[35] Friedrich Nietzsche, Vierte Unzeitgemäße Betrachtung, Werke in drei Bänden, München 1956, Bd. I, S. 387f.

[36] Ebenda, S. 387.

[37] Fritz Mauthner, Beiträge zur Kritik der Sprache, Bd. 1 (Sprache und Psychologie), Stuttgart 1901, S. 1.

[38] „Nur wenn die menschliche Sprache und insbesondere meine Muttersprache nicht zuverlässig und nicht logisch ist, nur dann werde ich hinter dem äußersten Abstraktum „die Sprache“ noch etwas Wirkliches entdecken; dann aber werde ich wegen der Unzuverlässigkeit des Werkzeugs die Untersuchung nicht so gründlich vornehmen können, wie ich möchte.“ (Ebenda, S. 5.)

[39] Natürlich ist jedes ‚Tun‘ oder ‚Ereignen‘ gleichfalls bedeutungsbehaftet und damit nur eine scheinbare Überschreitung der Sprachgrenze. Für die Analyse ist jedoch weniger die grundsätzliche Verwobenheit von Bedeutung und Performanz als die avantgardistischen Strategien, der ‚Krise der Bedeutung‘ zu begegnen, von Interesse.

[40] Gustav Landauer, Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluß an Mauthners Sprachkritik, Berlin 1903, zitiert nach: Hubert van den Berg, Avantgarde und Anarchismus. Dadaismus in Zürich und Berlin, Heidelberg 1999,

S. 258.

[41] Hugo Balls Aufsatz war eigentlich als Promotion angelegt, die jedoch nie zum Abschluss gebracht wurde. Vgl. Hugo Ball, Nietzsche in Basel. Eine Streitschrift (1909/1910), in: Derselbe, Der Künstler und die Zeitkrankheit, Frankfurt am Main 1984, S. 61-101.

[42] Hugo Balls „Flucht aus der Zeit“ ist erst 1927, also 10 Jahre nach der DADA-Periode erschienen und von ihm nach eigener Aussage nachbearbeitet worden. Wenn es unter dieser Perspektive auch nicht als der unmittelbare Ausdruck des Erlebten gelten kann, ist es für die Analyse sekundär, ob Ball sein ‚Tagebuch‘ zeitgenössisch oder erst im nachhinein verfasst hat, da es im Rahmen der Analyse vorwiegend um dadaistische Mechanismen der ‚diskursiven Selbstinszenierung‘ geht. Da eine Grenzziehung aus der heutigen Perspektive nicht möglich ist, werden die Texte – in dem Bewusstsein, dass sie eben von den Dadaisten oder anderen im nachhinein verfasst wurden - als Quelle herangezogen. (Vgl. Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit, Zürich 1992.)

[43] Ball, Flucht (13. November 1915), S. 70/71.

[44] „Wer eine Neigung hätte, auf Tatsachen zu insistieren, der müßte gar bald die Erfahrung machen, daß er noch weniger als ein Nichts, nur Schatten des Nichts und Befleckung durch diese Schatten gesammelt hat.“ (Ebenda.)

[45] Hugo Ball, Der Künstler und die Zeitkrankheit (1926), in: Ders., Der Künstler und die Zeitkrankheit, Frankfurt am Main 1984, S. 108.

[46] Während der DADA-Aktion wurde das gemeinsame Erlebnis als eine Möglichkeit der Verbindung und Identifizierung - vor dem Hintergrund einer Skepsis gegenüber den kommunikatorischen Verständigungsmöglichkeiten - betrachtet. Im Erlebnis geht es nicht mehr um den Austausch von Argumenten, Aussagen, sondern um die gemeinsame kreative, spontane Interaktion, die je anders erlebt werden kann und soll und eine individuelle Anschlussmöglichkeit in sich birgt. Im Teil b soll dieser Aspekt vertieft werden.

[47] „Der Künstler, der auf Überlieferungen angewiesen ist, erscheint den Ankömmlingen als Romantiker, wenn nicht als ein verstiegener Narr. [...] Die Termini dafür schwanken, je nach der Heftigkeit und der Dauer des Konfliktes zwischen Zwangsneurose, Hysterie, depressivem Irrsein und Dementia praecox. Mit anderen Worten: Das romantische Problem erweitert sich zu einem pathologischen.“ (Ball, Der Künstler, S. 110).

[48] Ball, Flucht (1. März 1916), S. 81.

[49] Vgl. ebenda.

[50] Ball drückt das moderne Krisengefühl aus, nach dem die wahre künstlerische Inspiration auf einer Täuschung beruht, wenn alles präformiert ist. Schon bei DADA, deutlicher in der ‚postmodernen‘ Kunst oder PopArt seit den fünfziger Jahren, z.B. bei Andy Warhol, wird im Gegensatz dazu genau diese ‚moderne Erkenntnis‘ wieder produktiv gemacht, indem die ‚Versatzstücke‘ aus solche ausgewiesen werden und als solche in die Kunst einfließen.

[51] Auf eine Diskussion der nietzscheanischen Gegensätze des Dionysischen und Appolinischen wird hier bewusst verzichtet, da für den Dadaismus – wie später entfaltet werden soll – in erster Linie der ‚dionysische‘ Aspekt des Rausches von Bedeutung ist.

[52] Vgl. Friedrich Nietzsche, Götzendämmerung, in: Kritische Studienausgabe, München 1999, Bd. 6, S. 111.

[53] Das Dionysische bzw. der Rauschzustand wird von Ball als Schlüsselgedanke für eine neue Ästhetik begriffen: „Der dionysisch ästhetischen Geburt der Tragödie gegenüber waren Theismus, Moral und Christentum als Gegenstände erschienen, die sich von selbst aufhoben, die durch die pure Existenz des Gegenideals als aus der Welt eliminiert schienen. Ein anderes Prinzip der Wertschätzung war aufgestellt: das der schöpferischen Köpfe anstelle der gehorchenden, erziehenden; das des Geschmacks anstelle der Pflicht; das der persönlichen Freiheit anstelle der persönlichen Abhängigkeit (ethisch): Die „Geburt der Tragödie“ als erste „Umwertung aller Werte“.“ (Ball, Nietzsche in Basel, in: Der Künstler, S. 91.)

[54] Friedrich Nietzsche, Aus dem Nachlass der Achtzigerjahre, Werke in drei Bänden, München 1956, Bd. 3,

S. 784.

[55] „Wir hatten mit Nietzsche die Relativität der Dinge und den Wert der Skrupellosigkeit schätzen gelernt, wir aspirierten nach dem Bluff, einer großen strahlenden Universalität der Mittel, die sich im Leben so gut wie in der Kunst äußern konnte.“ (Richard Huelsenbeck/Tristan Tzara, DADA SIEGT! Bilanz und Erinnerung (1920), Zürich und Hamburg 1980, S. 15.)

[56] Georg Fuchs, Der Tanz. Flugblätter für künstlerische Kultur, Stuttgart 1906, S. 13, zitiert nach: Erika Fischer-Lichte, TheaterAvantgarde, S. 168.

[57] Hugo Ball, Nietzsche in Basel. in: Der Künstler, S. 72.

[58] Ebenda, S. 73.

[59] Der Gedanke eines ‚Ur‘ bzw. eines ‚Schöperischen Instinkts‘ spielt für die Dadaisten eine fundamentale Rolle (vgl. den gleichnamigen Abschnitt dieser Arbeit).

[60] Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1990, S. 41.

[61] Einen guten Einstieg in die Performanztheorien bietet der Sammelband von Uwe Wirth „Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaft“. Unter den vielfältigen Ansätzen einer Theorie bzw. Ästhetik des Performativen wurden insbesondere der Erika Fischer-Lichtes (Theaterwissenschaft) und Dieter Merschs (Philosophie) sowie Gernot Böhmes Begriff der ‚Atmosphäre‘ für die Arbeit ausgewählt.

[62] In der Ethnologie spielte der Begriff der Aufführung für die Hervorbringung von Kultur bereits seit den 50er Jahren eine Schlüsselrolle, vgl. z.B. Milton Singer (Hg.), Traditional India. Structure and Change, Philadelphia 1959.

[63] „Die Kunst ist das Ins-Werk-Setzen der Wahrheit.“ (Heidegger, Ursprung des Kunstwerks, Stuttgart 1992,

S. 79f.)

[64] Ebenda, S. 83.

[65] Jean-François Lyotard , Streifzüge. Gesetz, Form, Ereignis, Wien 1989, S. 43f.

[66] Ebenda, S. 45.

[67] Interessant ist an dieser Stelle die Parallele, die sich zwischen Lyotards Begriff des ‚Faktum‘ und Roland Barthes Begriff des ‚punctum‘ zeigt. Beide bemühen sich um eine Versprachlichung dessen, was uns im Erlebnis eines Ereignisses oder während der Rezeption von Kunst (bzw. bei Roland Barthes von Fotografie) ‚anspringt‘: „denn punctum, das meint auch: Stich, kleines Loch, blinder Fleck, kleiner Schnitt – und: Wurf der Würfel. Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht.“ (Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main 1989, S. 35.)

[68] Vgl. John L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1979.

[69] Als Beispiel könnte z.B. der Akt der Eheschließung durch die Befragung der Brautleute und deren Zustimmung zur Heirat gelten.

[70] Uwe Wirth, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaft, Frankfurt am Main 2002, S. 9.

[71] Vgl. Sybille Krämer, Sprache-Stimme-Schrift. Sieben Thesen über Performativität als Medialität, in: Uwe Wirth (Hg.), Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaft, Frankfurt am Main 2002, S. 48.

[72] Dieter Mersch, Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2002, S. 290.

[73] Erika Fischer-Lichte, Theater als Modell für eine performative Kultur – Zum performative turn in der europäischen Kultur des 20. Jahrhunderts (vorgetragen am 28. Januar 2000), Saarbrücken 2001, S. 3.

[74] Ebenda, S. 7.

[75] Hugo Ball, Das Psychologietheater, in: Phöbus, Jg. 1 (1914), H.3, S. 139-140.

[76] Vgl. Erika Fischer-Lichte, Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Wege zu einer performativen Kultur, in: Uwe Wirth (Hg.), Performanz, S. 279.

[77] Vgl. ebenda.

Ende der Leseprobe aus 120 Seiten

Details

Titel
Performative Strategien bei DADA Zürich
Untertitel
Die Dada-Manifestationen in Zürich in den Jahren 1916 bis 1918 vor dem Hintergrund einer Ästhetik des Performativen
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
120
Katalognummer
V27688
ISBN (eBook)
9783638296663
ISBN (Buch)
9783638702621
Dateigröße
2306 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Performative, Strategien, DADA, Zürich, Dada-Manifestationen, Performativen, performativ, Performance, Lautgedicht, Tristan, Tzara, Hugo, Ball, Richard, Huelsenbeck, Raoul, Schrott, Erika Fischer-Lichte, Roland Barthes, Walter Benjamin, Aura, Avantgarde, Sprachmagie, Simultangedicht, Lautmalerei, Dadaismus, Aktionismus, Tristan Tzara, Hugo Ball, Richard Huelsenbeck, Ästhetik, Friedrich Kittler
Arbeit zitieren
Jessica Heyser (Autor:in), 2004, Performative Strategien bei DADA Zürich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27688

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