Quo vadis Filmkompetenz? Eine explorative Studie über Strukturen, Hindernisse und Perspektiven schulischer Filmpädagogik


Magisterarbeit, 2007

141 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Verortung des Gegenstands Film
2.1 Film - Definition und Abgrenzung in dieser Arbeit
2.2 Film - Annäherung von Kino und Fernsehen
2.3 Unterhaltung versus Information im Schulkontext?
2.4 Der Spielfilm und seine didaktischen Potenziale

3. Medienpädagogik als übergeordnetes Ziel
3.1 Verortung der Medienpädagogik
3.2 Medienkompetenz
3.3 Wozu Medienpädagogik und Medienkompetenz überhaupt?
3.3.1 Mediennutzung und ihre gesellschaftliche Bedeutung
3.3.2 Wissenkluft und Digital Divide
3.3.3 Die Bedeutung der Schule

4. Filmpädagogik
4.1 Filmkompetenz als Teil einer übergreifenden Medienkompetenz
4.2 Definition und Verortung der Begriffe um den Komplex Filmpädagogik
4.2.1 Filmbildung und Filmerziehung
4.2.2 Definition Filmkompetenz
4.3 Gesellschaftliche Bedeutung der Filmkompetenz

5. "Kino macht Schule" und Folgeentwicklungen
5.1 Der Kongress "Kino macht Schule" 2003
5.2 Die Filmkompetenzerklärung
5.2.1 Forderung I: Ein Anliegen an die Kultusministerkonferenz
5.2.2 Forderung II: Fächerübergreifend bewegte Bilder zu entziffern lernen
5.2.3 Forderung III: Die Lehrerbildung
5.2.4 Forderung IV: Der Filmkanon und die Reaktionen
5.2.4.1 Der Entstehung des Filmkanons
5.2.4.2 Die Auswahlkommission.
5.2.4.3 Film als Träger von (Jugend-)Kultur
5.2.5 Forderung V: Gründung des Netzwerks Vision Kino
5.2.6 Forderung VI: Novelle des Filmförderungsgesetzes
5.2.7 Forderung VII: Modellprojekt Lehrerfortbildung

6. METHODIK und Forschungsprozess
6.1. Recherche
6.2. Forschungsleitendes Verständnis
6.3. Experteninterviews
6.3.1 Die Experten
6.3.2 Ablauf der Interviews
6.4. Auswertung

7. Zusammenhänge, Strukturen, Hindernisse und Perspektiven schulischer Filmpädagogik
7.1 Schulorganisatorische Strukturen
7.1.1 Eigenes Fach „Filmbildung“ oder integrativer Einsatz?
7.1.2 In welchen Fächern die Arbeit mit Film?
7.1.3 Stellenwert Film im Vergleich zu anderen Medien im Unterricht
7.1.4 „Altes“ Lehrmedium Film in Konkurrenz zu „neuen“ Medien
7.1.5 PISA - Folgen für die Filmpädagogik?
7.2. Einheitliche Bemühungen innerhalb der Filmpädagogik?
7.2.1 Ein Nebeneinander und fehlende Kooperationen
7.2.2 Unterschiedliche filmpädagogische Motive und didaktische Ziele
7.3 Bildungspolitik und die KMK
7.3.1 KMK - Bildungspolitische Entscheidungsträger und Hindernisse
7.3.2 Die föderale Struktur als Bremse für Filmimplementierung?
7.4. Lehrerbildung
7.4.1 Wie steht es um die Filmkompetenz der Lehrer?
7.4.2 Unterhaltungsmedium Film und Akzeptanz
7.4.3 Wie wird Film derzeit eingesetzt?
7.4.4 Hindernisse im Alltag und Organisatorisches
7.4.5 Aus- und Fortbildung
7.5. Ort der Filmrezeption
7.5.1 Vision Kino
7.5.2 Kinointeressen?
7.5.3 Filmrezeption im Kino oder in der Schule - beides?
7.5.3.1 Schule und Urheberrechte des Films
7.5.3.2 Lernort Kino
7.6 Perspektiven: Was verändern? Wie fördern?

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

10. Institutionen Film- und Medienpädagogik...

11. Filmkanon.

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis:

Abbildung 1: Überblick des Forschungsfeldes

Abbildung 2: Schaubild Rezeption

Abbildung 3: Basis-Schaubild Pädagogik

Abbildung 4: Schaubild Filmziele

Tabelle 1: Die Experten

1. Einleitung

Bewegte Bilder nehmen im heutigen Medienzeitalter eine bedeutende Stellung ein. Das Filmische ist allgegenwärtig, ob nun in Rezeptionsform durch das Massenmedium Fernsehen, über Video/DVD, Internet, Handy oder den klassischen Kinobesuch.

Diese Tatsache führt zunehmend zu der Forderung nach Filmkompetenz. Heranwachsende sollen demnach lernen, wie mit dem wachsenden Bilderstrom umgegangen werden kann. Diese Aufgabe fällt hierbei in den übergeordneten Bereich der Medienpädagogik mit der Forderung nach Medienkompetenz[1].

Der Film kann als „Mutter aller audiovisuellen Medien[2]“ (HOLIGHAUS 2003: 4) angesehen werden. Er verbindet die Elemente von Bild und Ton in einer komplexen Form, die vielfältige Ausprägungen finden kann (von einer dokumentarischen Naturaufnahme, über einen ästhetischen Arthouse-Film bis hin zum animierten Trickfilm z.B.).

Dabei bietet diese Form ein großes Potenzial, Zeichen und Informationen mit diversen Wirkungen und angenommenen Rezeptionsweisen zu transportieren. Diese Dimension macht den Film auch für den Schulkontext als didaktisches Lehrmedium und Gegenstand interessant. Darauf wird in Kapitel 2 näher eingegangen.

Diese bisherigen Ausführungen, welche die theoretische Relevanz des Themas verdeutlichen sollen, bieten die Basis für die weiteren Erläuterungen:

Im Schulunterricht hat der Einsatz und die Thematisierung von Filmen momentan (noch) eine geringe Bedeutung (gerade im Vergleich zu anderen Ländern[3] wie z.B. Frankreich, Niederlande, Schweden oder England).

In den letzten Jahren kam nun die Forderung nach Filmkompetenz im Schulkontext in öffentlichkeitswirksamer Form in Deutschland wieder stärker auf die medienpolitische und -pädagogische Agenda[4] (obwohl die Filmpädagogik bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts Bestand hat[5]).

Die Initiative „Kino macht Schule“ der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und der Filmförderungsanstalt/FFA rückte im Jahre 2003 speziell die Filmkompetenz, als Teil der Medienkompetenz, in den Fokus. Dieses Thema wird in Kapitel 5 ausführlich behandelt. Fachleute aus Filmbranche, Politik, Schule und Wissenschaft begegneten sich auf einem Kongress, um über den Status quo und die Perspektiven zur Vermittlung von Filmkompetenz in deutschen Schulen zu diskutieren. Sie entwickelten eine „Filmkompetenzerklärung“, die Maßnahmen enthält, um Film in deutsche Lehrpläne zu implementieren.

Im Jahre 2005 wurde die Erklärung um einen Filmkanon mit 35 Filmen ergänzt, um anhand von ausgewählten Beispielen (die Filme reichen vom Jahr 1922 bis 1999) Filmkompetenz, Filmhistorie und Filmästhetik im Unterricht verankern zu wollen. Im Zuge dessen wurde im Mai 2005 „Vision Kino“ als Netzwerk für Film und Medienkompetenz gegründet, um speziell die Umsetzung dieser Anliegen zu forcieren.

Allerdings versucht der Autor der Arbeit an dieser Stelle eine Forschungsperspektive einzunehmen, die über den beschriebenen Fokus Schule und Kino hinaus reicht (Kapitel 7.5). Es soll ergründet werden, was die unterschiedlichen Akteure im filmpädagogischen Feld für Ziele und Selbstverständnisse haben. Diese werden zusammen getragen und einander gegenüber gestellt (Kapitel 7). Das Vorgehen soll Aufschlüsse über Problemfelder und zukünftige Entwicklungen im Zusammenhang von Film und Schule liefern.

Die allgemeinen forschungsleitenden Fragen lauten dabei:

- Was ist grundsätzlich unter Filmkompetenz zu verstehen und welche Zielsetzungen werden dabei verfolgt (Kapitel 4)?
- Wie ist der Status quo der filmschulischen Arbeit und ihrer Bedeutung?
- Wie ist die Perspektive des Films, in Form der schulischen Thematisierung, zu bewerten?
- Wie sehen die unterschiedlichen Ansichten zur Umsetzung aus? Wo bestehen Unstimmigkeiten, Probleme und Hindernisse mit Filmen zu arbeiten?
- Wie steht es um die Kompetenz und Ausbildung der Lehrer (universitäre Ausbildung, Weiterbildungen)?

Die speziellen Fragen können in den Leitfäden für die Experteninterviews im Anhang eingesehen werden. Wie die folgende Grafik verdeutlicht, ist dieser Themenzusammenhang, wenn man die schulische Filmpädagogik von allen Seiten betrachtet, sehr komplex und beinhaltet mehrere Teilbereiche. Diese Art der überblicksartigen Erforschung von Zusammenhängen, Strukturen, Hindernissen und Perspektiven kann als Pionierarbeit bezeichnet werden. Der Literaturstand, der Weg der Recherche, der Forschungsprozess und die Methodik des Experteninterviews werden ausführlich in Kapitel 6 dargelegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie die Grafik zeigt, nimmt Bereich I eine zentrale Stelle im Forschungsprozess ein. Der bildungspolitische Diskurs darüber, ob, in welcher Form und mit welchen Intentionen Film überhaupt in den Unterricht gehört. Dies wird in den Kapiteln 3.3.3, 4.3 und 7 angemessen thematisiert.

Durch die föderale Struktur Deutschlands und somit der Bildungshoheit der Länder besteht diesbezüglich ein breites uneinheitliches Spektrum an Ansichten und Regelungen. Dies findet in Kapitel 7.3 Beachtung. Auch die Frage, ob Film integrativ in verschiedenen Fächern eingesetzt wird oder ein eigenes Fach wie z.B. „Filmkunde“ sinnvoll ist, steht zur Debatte (Kapitel 7.1).

Verschiedene Initiativen[6] und Institutionen (vgl. Anhang Institutionen) beschäftigen sich mit Film für den Unterrichtskontext. Das Zusammenwirken dieser wird in Kapitel 7.2 behandelt.

Der Komplex II wird partiell mit dem Filmkanon und der dazu gehörigen Diskussion in Kapitel 5.4 der Studie thematisiert. Die inhaltlichen pädagogischen Konzepte, Ausprägungen und Begleitmaterialien stehen in dieser Arbeit allerdings nicht im Mittelpunkt. In Kapitel 2.3 wird exemplarisch auf das didaktische Potenzial des Spielfilms eingegangen. Die außerschulische Filmpädagogik wird in dieser Studie weitestgehend ausgeklammert.

Im Handlungsfeld III geht es um eher pragmatische Voraussetzungen. Aspekte der Gewichtung des Lernorts für Filmrezeption und der Organisation mit Filmarbeit werden im Kapitel 7.5. erörtert.

Der wichtigen Rolle der Lehrer als eine Art „Nadelöhr“ (MIDDEL Interview[7]) im Bereich IV wird ausgiebig in Kapitel 7.4. nachgegangen. Erörtert werden die Lehrerbildung und die Akzeptanz für das Medium Film.

Bereich V stellt das letzte Glied im teilweise wechselseitigen Prozess dar . Die Akzeptanz der Schüler für den Filmeinsatz und deren Erwartungen an ihn kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erkundet werden, da es den Rahmen gesprengt hätte. Dies ergibt sich aus der Vielzahl der verschiedenen Altersstufen und Schulformen[8].

2. Verortung des Gegenstands Film

Der Begriff Film wird nun für die Verwendung in der vorliegenden Arbeit eingeordnet.

2.1 Film - Definition und Abgrenzung in dieser Arbeit

Fernsehen ist das Massenmedium der Gegenwart[9]. Gerade Spielfilme (charakterisiert durch Narration, Fiktion und Dramaturgie)[10] nehmen eine große Rolle im Programm ein, insbesondere in der prime time. Circa 12.000 Kinospielfilme zeigt das Fernsehen jährlich, Fernsehfilme noch nicht mit eingerechnet (vgl. HICKETHIER 2001: 1). Hinzu kommt die Filmrezeption durch Kinobesuche. Der Einfluss des Rezeptionsinhalts Spielfilm auf den alltäglichen Medienkonsum ist demnach immens. Zum einen birgt der Spielfilm eine große Faszination für die Zuschauer und erfreut sich großer Nachfrage. Er erfüllt je nach Genre verschiedenste unterhaltungsorientierte Ansprüche wie die Bedürfnisse nach Zerstreuung, Ablenkung, Spannung etc[11]. Zum anderen kann der Film gleichwohl Elemente transportieren, die dem Rezipienten über den reinen Sehgenuss hinaus, nachhaltig im Bewusstsein bleiben. Diese können, je nach Definition der Inhalte von Lernen und Bildung, durchaus lernrelevante Aspekte sein – vorausgesetzt der Rezipient verarbeitet diese Informationen aktiv in diesem Sinne.

Im Schulunterricht hat die Arbeit mit und die Thematisierung von Filmen und bewegten Bildern generell allerdings (noch) eine geringe Bedeutung (gerade im Vergleich zu anderen Ländern), obwohl der Ruf nach Medienkompetenz im Verlauf der wachsenden Technisierung und Medialisierung zunimmt.

Wenn es hier in dieser Arbeit um den Film für den filmschulischen Kontext geht (die multiplen didaktischen Intentionen werden in Kapitel 7.2. noch detailliert ausgeführt), dreht es sich primär um den Spielfilm[12].

Allerdings geht es dabei nicht um eine deutliche Abgrenzung zum Genre Dokumentarfilm[13]. „Fahrenheit 911“ von Michael Moore z.B. fällt nominell unter dieses Genre. Für die Thematik von z.B. Bildsprache und Filmwirkung bietet der Film trotzdem - oder gerade - ein großes Gesprächspotenzial für den Unterricht. Damit schließe ich Dokumentarfilme nicht aus. In erster Linie geht es aber um den abendfüllenden Spielfilm. Der klassische - bereits akzeptiertere[14] - dokumentarische, eher nüchterne Lehrfilm (für die Fächer Biologie und Erdkunde z.B., klassisch vom FWU vertrieben), indem es primär um eine Veranschaulichung eines Themas mit dem Mittel Film geht, die Filmsprache und die Spezifik des Mediums allerdings sekundär ist, soll in dieser Arbeit tendenziell eher an den Rand rücken. Es geht aber keinesfalls um ein gegeneinander Ausspielen der verschiedenen Arten von Film für den Unterricht. Vielmehr soll das breite Spektrum, welches der Film (für die filmschulische Arbeit) bietet, betont werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Schaubild Rezeption

Es gibt im Sinne von audiovisueller Medienbildung, wie in Abbildung 2 veranschaulicht, folgende Inhalte, die für die schulische Arbeit relevant sein können:

Neben dem Spielfilm, dessen didaktische Möglichkeiten noch im folgenden Kapitel beschrieben werden, existieren andere Gattungen wie der dokumentarisch konzipierte Film. Er ist im Vergleich zum Spielfilm non-fiktional.

Auf das Fernsehen bezogen sind neben Dokumentationen auch Reportagen, Features und Nachrichtenformate gemeint. Alle diese Gattungen vereint eine meist unaufgeregte Bildsprache, der Transport von Informationen und die Beobachtung von Geschehnissen stehen im Vordergrund. (Vgl. dazu z.B. SCHULT / BUCHHOLZ 2002: 117ff.)

Andere Fernsehformate können wiederum sehr hybriden Charakter haben, was Fiktionalität und Non-Fiktionalität angeht. Dies können Talkshows, Telenovelas, interaktive Gameshows und vieles mehr sein.

Mit dem Werbefilm kommt eine Gattung hinzu, die den Rezipienten intendiert manipulieren will und - da als Gattung etabliert und ausgewiesen - medienrechtlich auch darf. Die Rolle des Fernsehens und seine Struktur muss in dieser Arbeit vernachlässigt werden[15], da es den Rahmen, der so schon aufgrund der Komplexität der Filmpädagogik sehr ausgedehnt ist, enorm gesprengt hätte. Dies ist gerade deshalb zu bedauern, da in den Experteninterviews sukzessive die Bedeutung der audiovisuellen Medienbildung als integrativer Ansatz deutlich geworden ist.

Selbstredend macht es - im Verständnis von „the medium is the message“ (MC LUHAN) und unter dem Aspekt des Zwangs des Mediums (MALETZKE) - einen Unterschied, über welches Medium (vgl. Abb.2) ein Inhalt codiert und decodiert wird. Dieser Aspekt wird, aus nach Relevanz gewichteten Indikatoren heraus, allerdings ausgespart werden müssen. Zudem halte ich es für zu vernachlässigen, da der „Löwenanteil“ der bewegten Bilder (im Vergleich zu Kinosaal, DVD, Handy, PC) über das Massenmedium Fernsehen verbreitet und rezipiert wird. Und dort werden die Wahrnehmungsmuster und -standards für Kinder und Jugendliche größtenteils geformt.

2.2 Film - Annäherung von Kino und Fernsehen

Selbstverständlich bestehen viele Verknüpfungen und Verflechtungen zwischen Kino, Film und Fernsehen. Diese Ausführungen über die Bewertung der Unterschiede zwischen Kinosaal und Fernseher werden für Kapitel 7.5.3 noch relevant sein.

Das Zusammenwirken zwischen dem Fernsehen und der Filmwirtschaft wurde seit 1974 mit dem Film-/Fernsehabkommen auch organisatorisch geregelt (vgl. WILKE 2002: 39). Durch solche Gemeinschaftsproduktionen, die nach der Kinoerstaufführung und Ablauf der „Sperrfrist“ dann die Ausstrahlung der Produktion im Fernsehen vorsehen, lässt sich eine latente Konvergenz der Produktion vermuten (vgl. WENDERS 2006). Um die viel umworbene Zulage für eine Drehbuchentwicklung eines Fernsehsenders zu bekommen, muss sich ein Drehbuchautor evt. auch dem Lektorat eines Fernsehredakteurs mehr beugen als ihm lieb ist. Der primär für das Kino produzierte Film hat an Gewicht verloren.[16]

Andersherum haben ursprünglich für das Fernsehen produzierte Fernsehfilme wie z.B. „Alles auf Zucker“ von Dani Levy sogar nachträglich den Weg ins Kino gefunden. Der Inhalt Spielfilm ist in diesem Sinne nicht mehr eindeutig auf das Medium Kino oder das Medium Fernsehen zu determinieren. Auch im Zuge von technologischen Entwicklungen wie DVD, Beamer, digitalem Fernsehen wird, so meine ich, mit dem wachsenden „Heimkino“, zumindest der priviligierte „Rezeptionsgenuss“ im Kinosaal dem Fernsehen und seinen Möglichkeiten gegenüber geringer. Der Reiz der Erstaufführung und das Kollektiverlebnis im Kino sind wieder gesondert zu betrachtende Aspekte hierbei.

Was die praktischen Abläufe in der Produktion angeht, bestehen relativ wenig Unterschiede zwischen Spielfilm und Fernsehfilm. Der Spielfilm hat dagegen in der Regel ein wesentlich höheres Budget. Außerdem können in der Auswahl der Stoffe Unterschiede bestehen, da die Stories von Spielfilmen hauptsächlich für ein Publikum zwischen 14 und 24 Jahren ausgerichtet sind. Zum Luxus von Spielfilmproduktionen gehört oft die Zusammenarbeit mit hochrangigen Autoren, Schauspielern, Komponisten, Cuttern, Kameracrews etc. Dazu kommt gewöhnlich ein aufwändiger Produktionsrahmen. Dies bedeutet kunstvoll ausgestattete Szenenbilder, ausgefallene Originalschauplätze, Spezialeffekte usw. In erster Linie alles, was die Wirkung der Filmbilder erhöhen kann. (Vgl. ARMER 2000: 17f)

„Durch die zunehmende Verbreitung von Videokassetten [und DVDs T.Z.] hat der Kinofilm allerdings von seiner Sonderstellung und Anziehungskraft wieder etwas verloren.“ (vgl. ARMER 2000: 17f). Diese Erkenntnis wird in Kapitel 7.5.2 in Bezug zu aktuellen filmpädagogischen Aktivitäten gestellt.

2.3 Unterhaltung versus Information im Schulkontext?

Der Film hat also eine große Bedeutung in der gesellschaftlichen Nutzung. Gibt es für Rezipienten neben dem Unterhaltungsaspekt auch lernrelevante Faktoren, die ihn interessant machen können?

Ein weit verbreitetes Vorurteil ist nach wie vor, dass man sich Wissen und Informationen besonders im Schulkontext mühsam „erarbeiten“ muss und gleichzeitig Unterhaltendes deshalb nicht lehrreich sein könnte. Zur historisch unterfütterten „curricularen Konkurrenz von Massenmedien und Schule“ vergleiche SCHULTE (1995). Dieses Phänomen wird in Kapitel 7.4.2 noch thematisiert und eine Rolle spielen.

Wie DEHM bereits zur Rezeption von Fernsehinhalten feststellt, besteht für den Zuschauer keine Dichotomie zwischen Information und Unterhaltung (vgl. 2005). D.h. auch aus unterhaltenden Angeboten kann der Rezipient sich etwas „raus ziehen“ ggf. etwas lernen und in seine jeweiligen Zusammenhänge einordnen. Unterstützt wird diese Betrachtung des Rezipienten als aktiv Handelnder, losgelöst von der intendierten Wirkung eines AV-Produktes, vom Uses and Gratifications-Approach (vgl z.B. BONFADELLI 2001). Die Cultural Studies sprechen in diesem Zusammenhang von „Aneignung“ (vgl. z.B. KROTZ 2005).

Diese Erkenntnisse sind meines Erachtens auf Dokumentarfilme und in gewisser Weise auch auf Spielfilme übertragbar, die grundsätzlich fiktional sind. Es kommt letztendlich darauf an, was man als lernrelevant definiert. Für FELSMANN können „[...] Spielfilme, richtig eingesetzt, Lernprozesse nachhaltig befördern [...] Durch ihre Sinnlichkeit sprechen sie die Schüler emotional an und fördern so das Behalten von Gelerntem.“ (vgl. FELSMANN 2005: 17)

In diesem Abschnitt möchte ich, neben den in der Schule dominierenden kognitiven Lerninhalten, die eher emotionalen Komponenten betonen, die im Besonderen ein Spielfilm thematisieren und wecken kann.

Schulen und Lehrern fällt in den letzten Jahren vermehrt die Aufgabe zu - neben der reinen Vermittlung von Wissen – zusätzlich Erziehungsaufgaben zu übernehmen, um teilweise den eigentlichen Unterricht erst zu ermöglichen[17]. Auch die gestiegene Präsenz von Erziehungsformaten im Fernsehen gibt einen Hinweis darauf („die Supernanny“, „S.O.S. Schule“ etc.), dass gesellschaftlich ein Bedürfnis nach Thematisierung und Entwicklung von Fähigkeiten besteht, das über Rechnen, Lesen, Schreiben und „Pauken“ hinausgeht. Grundsätzlich hat es auch mit politischer Schwerpunktsetzung zu tun, ob die Individuen einer Gesellschaft primär für den Arbeitsprozess ausgebildet werden sollen[18] oder auch dafür, wie sie im Leben, dass auch andere Probleme bereit hält, bestehen können. Dieser tiefgreifende Diskurs kann allerdings an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.

2.4 Der Spielfilm und seine didaktischen Potenziale

„Der Spielfilm ist ein Seismograph gegenwärtiger Stimmungen, Befindlichkeiten und Entwicklungen. Gelingt es, ihn in pädagogischen Zusammenhängen zu nutzen, ohne seine Aura zu zerstören und ohne ihn den Jugendlichen durch Pädagogisierung 'wegzunehmen', dann eröffnen sich über dieses Medium zahlreiche Möglichkeiten, bei Kindern und Jugendlichen bereits vorhandene Medienkompetenz abzufragen und zu nutzen und den gezielten Erwerb neuer und erweiterter Fähigkeiten beim Umgang mit Medien zu fördern.“ (WÖRTHER 2006: 6f)

Ausschnittweise soll nun mit dem Einfühlungsvermögen, als Teil emotionaler Intelligenz, eines von vielen Potenzialen des Spielfilms hier konsequent ausgebreitet werden.[19]

„Spielfilme [...] schaffen Perspektiven und ermöglichen Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere Menschen und Lebenssituationen hineinzuversetzen.“ (VON GOTTBERG 2005: 19). Die Ermöglichung von Empathie scheint mir, neben anderen Aspekten die Filmrezeption beinhalten kann, ein aus pädagogischer Perspektive sehr wichtiger Aspekt zu sein, der gesamtgesellschaftliche Bedeutung besitzt und ggf. auch vermehrt zu harmonisierender Interaktion zwischen verschiedenen Ländern, Völkern und Bürgern beitragen könnte.

Leider hat dieser Bereich der Empathiefähigkeit oft nur einen präventiven Charakter in der politischen Wahrnehmung, den man schwerlich sichtbar anpreisen kann – und der z.B. in einer Legislaturperiode auch nicht plakativ als Errungenschaft und Leistung (im Vergleich zu konkreten Prestigebauten o.ä.) dargestellt werden kann. So wie mit den meisten Zuwendungen für soziale Themen (wie für Kinder und sozial benachteiligte Gruppen z.B.), interveniert die Politik oft erst oder setzt andere Schwerpunkte, wenn vorherige präventive Versäumnisse sich in spektakulären Negativ-Situationen bemerkbar machen und der öffentliche Druck wächst.

Den Aspekt des Umgangs und des Verhältnisses von Menschen verschiedener Nationalitäten, Religionen und Kulturen miteinander halte ich in diesem Zusammenhang für bedeutend[20]. Gerade auch bezogen auf den prognostizierten „Clash of Cultures“ (HUNTINGTON) bedeutet Aufgeschlossenheit, Respekt, Toleranz und Verständnis für andere Selbstverständnisse und Lebensentwürfe eine große Tugend und relevante Eigenschaft (vgl. dazu auch NEUMANN 2006: 1).

Eben beschriebene Eigenschaften - ökonomische und machtpolitische Gründe, die die Kommunikation verschiedener Länder und Kulturen problematisch oder konfliktreich machen, mal zur Seite gestellt - schaffen einen flexibleren Ausgangspunkt im Dialog mit Menschen, die ggf. andere Ansichten, Prinzipien oder Glaubensgrundsätze haben. Und dies kann, sowohl innerhalb der gesellschaftlichen Binnenperspektive eines Landes mehr Toleranz gegenüber Andersdenkenden, Kranken o.ä. schaffen, als auch bestenfalls Konflikten oder gar (Bürger-)Kriegen, über die eigene Ländergrenze hinaus vorbeugen. Der Karrikaturenstreit und die tlw. fortschreitende Stigmatisierung der Anhänger des Islamismus im Zuge von Terroranschlägen ist ein Beispiel dafür, wie (gegenseitige) Unkenntnis oder Fehlinterpretationen (vor allem in anderen unaufgeklärteren Ländern, aber auch in Deutschland) Vorurteile schaffen können.

Filme wie „Schläfer“[21], „Folgeschäden“[22], „Grüße aus Kashmir“[23] oder „Fremder Freund“[24] beispielsweise thematisieren diesen Komplex und regen indirekt durch Veranschaulichung einer oder mehrerer Figuren im günstigen Falle zum Nachdenken an. Der Zuschauer taucht möglicherweise in die emotionale Welt eines Charakters ein und kann so mehr Nähe zum Bewusstsein anderer Menschen und evt. sogar Empathie für deren Situation entwickeln. Ich behaupte, dass mit solchen Filmen mehr Menschen, auf einer Ebene, die sie empfänglich für andere Sichtweisen machen, erreicht werden können als mit anderen Medien. In dieser Mischung aus Unterhaltung und Informationen, die ein gut gemachter Film[25] hervorragend vermitteln kann, erhält man einen leichteren oder auch bequemeren Zugang zu Themen, als wenn man sich z.B. erst aus Fachbüchern über ein Thema informieren und kognitiv dominiert relativ abstrakte Gedankengänge (im Vergleich zur Darstellung im Film) nachlesen muss.

3. Medienpädagogik als übergeordnetes Ziel

Dieses Kapitel unternimmt den Versuch sukzessive die übergeordneten Forschungsfelder auf die Fragestellungen hin zu verorten. Wo haben Filmpädagogik und Filmkompetenz ihre Bezugspunkte innerhalb der Medienpädagogik und der Medienkompetenz?

3.1 Verortung der Medienpädagogik

In diesem Teilkapitel möchte ich mich auf eine Hinführung zum Hauptthema der Arbeit, nämlich schulische Filmpädagogik, beschränken. Obwohl noch relativ jung, Ende der Siebzigerjahre trat der Begriff Medienpädagogik[26] erst in die öffentliche Debatte (vgl. SCHORB 1999: 9), beinhaltet der vielschichtige Komplex Medienpädagogik je nach Fokus eine sehr breite und tiefgehende Ausdifferenzierung. Allein beispielsweise das Gebiet Medienwirkungsforschung mit seinen Konsequenzen für die Medienpädagogik (schwerpunktartig eruiert am Feld Fernsehen und Gewalt) ist viel diskutiert, sehr komplex und hat sehr unterschiedliche Ansätze als Grundlage ( z.B. der rezipientenorientierte Uses - and - Gratifications - Approach gegenüber der Klassischen Medienwirkungs-forschung, die starke Medienwirkungen annimmt).[27]

Für einen Überblick zu den diversen Ausformungen der Medienpädagogik im jeweiligen Handlungskontext, die hier nicht angemessen abgedeckt werden können, lege ich das Werk „Grundbegriffe Medienpädagogik“ nahe (HÜTHER / SCHORB 2005). Darin existieren eigene Abhandlungen zu den u.a. hier interessanten Teilbereichen „Schule und Medien“ (TULODZIECKI 2005), „Unterricht und Medien“ (WERMKE 2005), „Mediendidaktik“ (HÜTHER 2005) und vielen weiteren Ausprägungen.

HÜTHER / SCHORB unternehmen darin in einem Kapitel den Versuch, die Medienpädagogik nach den Kategorien: Begriff, Ansätze und Richtungen, Zielkategorien, Aufgabenerweiterung durch Medienwandel und Kompetenz für Medienalltag/Medienhandeln zu strukturieren (vgl. 2005: 265ff.). Was die historische Entwicklung des Gegenstands Medien in Verbindung mit pädagogischen Bemühungen betrifft, geben HÜTHER / PODEHL (2005: 116ff.) hinreichend Aufschluss. Dies beinhaltet auch wichtige Strömungen von der „Bewahrpädagogik“ über die „Kritische Medienpädagogik“ bis hin zur „Handlungsorientierten Medienpädagogik“.

Neben den eben angeführten inhaltlichen Teilgebieten, die im Komplex der Medienpädagogik bestehen, scheint es für den Überblickscharakter der Studie mit dem Ziel Strukturen und Zusammenhänge zu erkunden, wichtiger, den Blick für den Gesamtkontext nicht zu verlieren. Als unterstützende Zurechtfindung im Feld (Medien-)Pädagogik und der Veranschaulichung dieses, dient folgende Darstellung, deren Bedeutung als Orientierungsinstrument im Verlauf späterer Kapitel noch deutlicher werden wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Basis-Schaubild Pädagogik

Diese simple Vereinfachung birgt selbstverständig eine große Angriffsfläche, da sie nur sehr wage und unvollständig sein kann. Jeden einzelnen Begriff könnte man vielschichtig differenzieren und ihre Zusammenhänge ebenso (siehe z.B. HÜTHER / SCHORB 2005: 265ff ; TULODZIECKI / HERZIG 2004: 234ff) .

Diese Abbildung soll nur die Funktion haben, sich in dem Begriffsdschungel an groben Begriffseigenschaften fest halten zu können. Mir jedenfalls fiel es oft sehr schwer in der Literaturrecherche- und Auswertung zu verstehen, was der jeweilige Autor nun genau mit seinem Begriff meint, was er beinhaltet (und wozu er sich im selben Moment auch abgrenzen möchte, also was er nicht meint). Teilweise schienen mir die Begriffe einfach relativ unreflektiert Verwendung zu finden. Das Schaubild soll also nur helfen, sich bei der Vermischung der nicht trennscharfen Begriffe um die Pädagogik besser zurecht zu finden (und soll insbesondere als Basis dienen, der man jeweils die Wörter Medien- und Film- voranstellen kann, um damit alles durchzudeklinieren) und bei Unsicherheit des Begriffverstehens wieder an Orientierung zu gewinnen. In der Auswertung der Interviews im Empirieteil wird dies noch deutlicher werden, wenn es speziell um die Begriffe Filmbildung, Filmerziehung und Filmkompetenz geht (vgl. Kapitel 4.2.1 und 4.2.2)

„Pädagogik“ bildet hierbei den Ausgangspunkt und gleichzeitig Überbegriff. Sie bezeichnet die Theorie und Praxis von „Bildung“ und „Erziehung“. Die beiden folgenden Begriffe zu definieren bzw. auseinander zu halten, ist besonders heikel[28].

„Bildung“ legt den Schwerpunkt vorwiegend darauf, Wissen zu vermitteln und Vorwissen mit ein zu beziehen, etwas weiter entwickeln zu wollen.

„Erziehung“ richtet im Vergleich dazu den Fokus eher darauf, im weitesten Sinne Verhaltens- oder Umgehensweisen zu vermitteln. Ein eher normativeres Moment mit eindeutig intendierten Zielen. Es können Regeln und Verbote postuliert werden oder daran gearbeitet werden, diagnostizierte Defizite möglichst zu verringern.

Die „Didaktik“ ist als Lehre des Unterrichtens das Mittel, die pädagogischen Ziele umzusetzen. Durch Lernen wird dann im Idealfall erzielt, dass der Lernende mit dem vermittelten Stoff selbstständig umgehen kann. Es wird demnach eine Fähigkeit entwickelt, die „Kompetenz“.

Im folgenden Kapitel wird das letztendlich gewünschte Ziel der Kompetenz, speziell Medienkompetenz, genauer erörtert.

3.2 Medienkompetenz

Als „Geburtsstunde“ des Konzeptes der Medienkompetenz gilt die Habilitationsschrift[29] von Dieter BAACKE (vgl. GROEBEN 2002: 11). Seitdem kursiert der Begriff mit einem großen Echo und einem schier unbändigen Prozedere, diesen Begriff definieren und mit verschiedensten Inhalten füllen und beladen zu wollen[30]. In dieser Arbeit fehlt der Raum, um sich dem Diskurs ausführlich zu widmen.

In einer verkürzten Beschreibung, ist nach meiner Einschätzung über das Konstrukt Medienkompetenz folgendes festzustellen:

Medienkompetenz hat zwei Dimensionen[31], zum einen WAS über Medien (als Gegenstand) gelernt wird. Also Aspekte wie Kritikfähigkeit entwickeln, die Produktionsbedingungen von Medien durchschauen usw. Auf der anderen Seite steht das Vermittlungsziel, WIE mit Medien (als Mittel), also die technische Anwendung etc., gelernt und umgegangen werden kann bzw. soll. Diese beiden Aspekte schließen sich nicht aus, haben aber verschiedene Schwerpunkte. Das WAS kann z.B. die Rolle der Medien als Sozialisationsinstanz (neben Elternhaus, Schule und Peergroup) sein, wie MIKOS in seinem eher soziologischen Beitrag „Medienkompetenz im 21. Jahrhundert“ beschreibt (vgl. 2004).

Aspekte des WIE skizziert beispielsweise Sabine SONNENSCHEIN: Die Umsetzung, wie man mit Medien als (Hilfs-)Mittel lernt, wie man mit ihnen umgeht und wie man sie bedient. In ihrem Beitrag wird allerdings auch gleich die mögliche und anzustrebende Dialektik deutlich. Über die eigentliche Fähigkeit der Bedienung von Medien, schwingen hier auch andere Aspekte mit, die über die reine Anwendung hinausgehen. Es geht in diesem Prozess der Beschäftigung mit Medien (z.B. durch die Produktion eines eigenen Filmproduktes) auch um die Förderung der Kritikfähigkeit und Kreativität durch aktive oder rezeptive Medienarbeit. Auch die Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen spielen eine Rolle. Zudem soll dadurch mit einhergehend die demokratische Teilhabe Jugendlicher stärker mobilisiert werden. (Vgl. 2004).

Trotz meinem eben erläuterten Vorschlag der Zusammenfassung, bleibt zu konstatieren, dass der größte Teil der Forschung zur Ausarbeitung des Konzepts Medienkompetenz allerdings noch aussteht (vgl. GROEBEN 2002: 186 ; WIEDEMANN 2006: 15f.).

Ich plädiere grundsätzlich dafür, den Begriff Medienkompetenz nicht zwingend universell definieren zu wollen, da er meines Erachtens in seiner Dichte zu viele Felder berührt und sozusagen ein Fass ohne Boden darstellt. Man kann diesen manchmal nebulös wirkenden Begriff auch überstrapazieren. Deshalb halte ich es für sinnvoller, ihn speziell in dem Zusammenhang zu betrachten, wo man ihn gerade thematisieren und verwenden möchte.

In dieser Arbeit wird dieser Versuch für den Bereich Film, also Filmkompetenz, anhand von Experteninterviews unternommen. Die Schwierigkeiten – bereits mit dieser thematischen Eingrenzung von Film und nicht allgemein den Medien – werden in Kapitel 4.2 genauer aufgeschlüsselt.

In diesem Kapitel der Medienpädagogik möchte ich mich folglich nicht mehr länger an dem Begriff und seiner Definition und Abgrenzung aufhalten, sondern halte es für sinniger, inhaltlich mehr ins Detail zu gehen und seine Relevanz auszumachen.

3.3 Wozu Medienpädagogik und Medienkompetenz überhaupt?

Neben vielen Zugängen, die man wählen kann, werde ich an dieser Stelle den Fokus auf die Medienentwicklung und seine damit verbundenen Konsequenzen für die Heranwachsenden (und indirekt dadurch letztendlich für die Gesellschaftsentwicklung) lenken.

3.3.1 Mediennutzung und ihre gesellschaftliche Bedeutung

„In den letzten Jahren hat sich das Bild der Mediennutzung in Deutschland stark gewandelt. Allein der zeitliche Umfang der Mediennutzung an einem Durchschnittstag (Montag bis Sonntag, 5.00 bis 24.00 Uhr) ist von 1995 bis 2000 um 151 Minuten auf rund achteinhalb Stunden gestiegen. Somit verbringen die Bundesbürger heute etwa die Hälfte der ‚wachen’ Zeit (von ca. 19 Stunden) mit Medien.“ (GERHARDS / KLINGLER 2003: S. 115).

Die vorangestellten Zahlen zeigen deutlich, dass Medien für die meisten Menschen in Deutschland allgegenwärtig sind und das Leben begleiten. Bei der heranwachsenden Generation haben wir in puncto Mediengesellschaft zudem veränderte Bedingungen, was den Vergleich zu deren Eltern betrifft:

Bei den Jugendlichen von 14-19 Jahren ist die durchschnittliche tägliche Nutzung audiovisueller Medien (TV, Radio, Video, Tonträger, PC) von 367 Minuten im Jahr 2000 auf 402 Minuten im Jahr 2004 gestiegen. (Media-Analyse 2004/II).

Für die 6- bis 13-jährigen Kinder in Deutschland gehören Computer und das Internet mittlerweile fast schon zum Alltag. Zwei Drittel der Haushalte, in denen Kinder aufwachsen, verfügen mittlerweile über mindestens einen Computer, in 47 Prozent der Haushalte steht daneben auch ein Internet-Zugang zur Verfügung. Damit hat sich die Verbreitung des Internets in den Familien seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt. (Studie Kinder und Medien “KIM 2002”)

Bei den Eltern sah die Medienlandschaft damals noch anders aus. Bis Mitte der 80er Jahre gab es nur drei Fernsehprogramme und eine überschaubare Anzahl von Radiosendern. Durch die Einführung des dualen Rundfunksystems (neben öffentlich-rechtlichen Anbietern nun auch private) hat sich das Mediensystem mittlerweile stark ausdifferenziert. So genannte „Straßenfeger“, die enorme Einschaltquoten hatten und auch dazu beitrugen, dass sich gemeinsame Gesprächsthemen und Anschlusskommunikation (vgl. hierzu GROEBEN 2002: 178f) ergeben, sind heutzutage kaum noch in diesem Masse möglich. Die Ausdifferenzierung führte zu einer vermehrten Zielgruppenorientierung auf Seiten der Inhaltsanbieter und mehr Individualisierung im Medienkonsum auf Seiten der Nutzer, was sich auch im Print-Bereich mit special-interest-Angeboten zeigt. In den letzten Jahren haben sich zudem neue Medien (Internet, DVD usw.) entwickelt, denen rasant der Einzug in die Massennutzung gelang.

Diese gesamte Medienentwicklung die viele Möglichkeiten und Freiheiten geschaffen hat, führt im Zusammenhang mit der wachsenden Informationsgesellschaft aber auch zu einer gewissen Orientierungslosigkeit. Gerade wenn man das Internet betrachtet, gibt es unzählige Quellen und Informationen. Der Autor oder der Anbieter des Angebots ist aber nicht immer identifizierbar und die Verlässlichkeit und Qualität nicht eindeutig zu beurteilen. Für die heute jungen Erwachsenen und Menschen höheren Alters haben sich die neuen Medien (bei den einen mehr, bei den anderen weniger) langsam in den eigenen Medienkonsum integriert und sich zu den bereits vertrauten konventionellen Medien ergänzt. Es gab vorher also schon Orientierungspunkte und bekannte Bezugsquellen. Also eine Art Wissen oder Kompetenz über verlässliche Informationen und Quellen in Medien und einen gewissen Überblick von der Medienlandschaft. Da für Kinder und Heranwachsende heute eben diese komplexe Medienwelt bereits besteht, kommt der Medienpädagogik eine noch wachsende Bedeutung zu.

3.3.2 Wissenkluft und Digital Divide

Mit der Wissenkluft-Hypothese[32] möchte ich an dieser Stelle einen kommunikationwissenschaftlichen Bezug zur Medienpädagogik herstellen.

Diese verdeutlicht die wachsende Bedeutung der Medienpädagogik (vgl. auch WILLIG 2005: 1) auch in Hinblick auf die Demokratie. Die Ausgangshypothese lautet hierbei:

„Wenn der Informationsfluss in ein Sozialsystem wächst, tendieren die Bevölkerungssegmente mit höherer formaler Bildung zu einer rascheren Aneignung dieser Information als die status- und bildungsniedrigeren Segmente, so dass die Wissenskluft zwischen diesen Segmenten tendenziell zu- statt abnimmt. (TICHENOR / DONOHUE / OLIEN / 1970, S.159, dt. nach SAXER 1978, S.35/36)“

Die homogene Informiertheit[33] in einer Gesellschaft, wie unserer wachsenden Informationsgesellschaft, steigt demzufolge nicht automatisch durch eine größere Informationsdichte, wie man im ersten Moment eigentlich annehmen könnte (z.B. das Internet: Mehr Informationen sind für eine größere Anzahl von Leuten zugänglich à alle sind besser informiert). Das Gegenteil ist nach Grundlage der Wissenskluft-Hypothese der Fall. Für status- und bildungsniedrigere Bürger führe dies eher zu einer wachsenden Informationsüberlastung. Sie seien zwar über bestimmte herausragende Ereignisse informiert, das Wissen bliebe gleichzeitig wiederum in vielen Fällen oberflächlich und bestehe oft nur aus irrelevanten Einzelheiten. Die bildungsmäßig und sozial Privilegierteren nutzen die Medien dagegen vorteilhafter. Sie seien dann besser informiert und weiten ihren Wissensvorsprung demnach noch aus. Sie reagieren sensibler auf neue Themen, haben ein umfangreiches Vorwissen durch Schulbildung und Mediennutzung erworben und seien gegenüber neuen Informationen motivierter, was wieder bessere Lernleistungen ermögliche. Ihre Kommunikations- und Medienkompetenz sei differenzierter, vor allem in der Printmediennutzung. (Vgl. BONFADELLI 2001: S.239).

Um diesem Prozess der Entstehung von Wissenskluft entgegenzuwirken, ist also medienpädagogisches Handeln gerade für die Kinder und Jugendlichen sinnvoll, die familiär keine oder wenig Medienkompetenz vermittelt bekommen.

Hans Dieter ERLINGER formuliert daher ein curriculares Ziel:

„Eine Kultur, deren Alltagsleben, deren Berufswelt, Politik und wirtschaftliche Struktur weitgehend von Medienprozessen abhängt und durch sie geprägt wird, muss der heranwachsenden Generation ihre Bedingungen offen legen und, genauso wichtig, die heranwachsende Generation in Techniken und Praktiken des Mediengebrauchs einüben. (2002: S.3).

3.3.3 Die Bedeutung der Schule

Angebote in der Schule sind eine Möglichkeit, um allen die Chance zu geben, Medienkompetenz zu entwickeln. Für ERLINGER sind curriculare Reformen für die Schule überfällig (vgl. 2003: S.3). Bei nur außerschulischen Projekten besteht meines Erachtens immer die Gefahr, dass wieder nur die Personen diese Angebote nutzen, die vorher schon eine große Affinität, das Vorwissen oder viel Motivation mitbringen.

Neben diesen sozialen Divergenzen und eventuellen Ungerechtigkeiten - die man als stärker oder schwächer beurteilen kann - ist es aber auch gesamtgesellschaftlich und für jeden Einzelnen förderlich, Medienkompetenz zu entwickeln.

BONFADELLI beschreibt, es sei empirisch belegt, dass nur eine relativ schwache Korrelation zwischen der objektiven Mediennutzung und dem Informationsstand bestehe. Die Breite des inhaltlichen Angebots der Medien und selbst deren häufige Nutzung garantieren also keinesfalls schon entsprechende Bildungsprozesse: psychische, soziale und kulturelle Barrieren stehen einem optimalen Wissenstransfer im Weg (vgl. 2001: S.235).

Eine quantitativ hohe Nutzung von Medien führt demnach nicht zwingend auch zu einem größeren Wissen bzw. einer höheren Bildung. Es geht also hauptsächlich darum, welche Informationen ausgewählt werden, wie man diese Informationen verarbeitet und wie man mit ihnen umgeht. Hier liegt die zentrale Aufgabe der Medienpädagogik, die Mediennutzung und Medienkompetenz qualitativ für eine große Anzahl der Bevölkerung, und besonders für die Kinder und Heranwachsenden, zu verbessern (vgl. in diesem Zusammenhang auch HÜTHER / PODEHL 2005: 127).

4. Filmpädagogik

„Mit dem Kongress ‚Kino macht Schule’ wurde also ein klassisches Thema wieder auf die medienpädagogische und medienpolitische Agenda gebracht. (Duve / Krüger 2006: 13)

Dieses klassische Thema ist die Filmerziehung, die bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts existiert. In dieser Arbeit geht es allerdings vornehmlich um aktuelle Entwicklungen und Perspektiven der schulischen Filmpädagogik. Der filmpädagogischen Historie wird deshalb hier nur in verweisender Form Rechnung getragen.

Seit 1895 gab es, mit Ursprüngen in Berlin und Paris, die ersten öffentlichen Filmvorführungen (vgl. WILKE 2002: 18) in Form von Wanderkinos. Als Reaktion auf die wachsende Ausprägung des Kinos entwickelten sich bereits Anfang des 20.Jahrhunderts pädagogische Bewegungen, die seinerzeit mit der Bekämpfung von „Schund und Schmutz“ bezeichnet wurden (vgl. KOMMER 1979: 23). Diesen bewahrpädagogischen Tendenzen entsprang die Kinoreformbewegung, die sich um die Bereitstellung und Vorführung wertvoller Kinder- und Jugendfilme bemühte (vgl. TULODZIECKI 1992: 31). Als eine weitere wichtige Tendenz ist die Schulfilmbewegung zu nennen. Für tiefergehende historische Informationen und Prozesse verweise ich nun, neben den schon angemerkten Werken, insbesondere auf DEGENHARDTs umfassende Ausführungen (2001).

4.1 Filmkompetenz als Teil einer übergreifenden Medienkompetenz

Im Übergang von Kapitel 3 zu Kapitel 4 ist vorauszuschicken, dass in Zeiten fortschreitender digitaler Mediatisierung die Filmkompetenz anscheinend nicht mehr isoliert betrachtet werden kann. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Aussagen der Experten, von denen - wohlgemerkt ungefragt - die Einbettung der Filmkompetenz in den Komplex der Medienkompetenz des Öfteren betont wurde. Äußerungen in die Richtung des umfassenden Verständnisses von Medienpädagogik tauchten am Rande schon in einigen bisher zitierten Passagen auf.[34]

„Filmkompetenz ist generell als Teil einer übergreifenden Medienkompetenz zu verstehen [...]“ beschreibt MIDDEL (Interview). Die ehemalige Staatsministerin Christina WEISS verwendet dasselbe Vokabular (vgl. 2003: 8).

Auch NIESYTO vertritt diese Ansicht. Er bezeichnet Filmbildung als einen Teil von Medienbildung und betont den Zusammenhang von filmpädagogischer und medienpädagogischer Kompetenz. Eine separate Forderung für Filmbildung hält NIESYTO für sehr schwierig und aus seiner Sicht wird es „[...] nicht zu realisieren sein, in der gegenwärtigen Situation und auch nicht mittelfristig nur bezogen auf den Bereich Filmkompetenz [...]“ mehr Verbindlichkeiten zu schaffen. Die Hauptaufgabe besteht für ihn darin, die Medienbildung insgesamt in Bildungs- und Ausbildungsplänen verbindlicher zu verankern. Für sinnvoll hält er allerdings, im Komplex Medienbildung „den Teilbereich audiovisuelle Grundbildung explizit zu benennen.“ (Vgl. Interview)

Dieter WIEDEMANN unterstützt die Argumentation des übergreifenden Ansatzes. Für ihn braucht es „eine Filmbildung die quasi modellhaft audiovisuelle Medienbildung insgesamt befördern kann.“ (vgl. Interview).

Mit welchen Inhalten diese Filmkompetenz gefüllt ist, soll in Kapitel 4.2.2 noch genauer thematisiert werden.

4.2 Definition und Verortung der Begriffe um den Komplex Filmpädagogik

4.2.1 Filmbildung und Filmerziehung

Zu Beginn der Interviews fragte der Verfasser nach Begriffsdefinitionen. Während der Lektüre von Büchern und Artikeln über Filmpädagogik tauchten immer wieder die Begriffe Filmbildung, Filmerziehung und Filmkompetenz auf. Auffällig war allerdings, dass der Inhalt des jeweiligen Begriffes selten genauer erläutert wurde. Dies wäre verständlich, wenn eine Konvention darüber bestünde, was die Begriffe beinhalten und worin sie sich unterscheiden. Dies scheint allerdings nach ausgiebiger Recherche des Autors nicht der Fall zu sein. Oftmals werden die Begriffe in unreflektierter Art verwendet. Hier ist eine Parallele zur Unklarheit der Begriffe in der Medienpädagogik zu erkennen:

„Die Medienpädagogik umfasst eine ganze Reihe von Teilgebieten. [...] Allerdings ist die Verwendung dieser Begriffe weder in der Umgangssprache noch in der medienpädagogischen Literatur einheitlich.“ (TULODZIECKI / HERZIG 2004: 244)

Nun sollen die Begriffe Filmbildung und Filmerziehung auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten untersucht werden. Der Versuch einer Definition der Filmkompetenz erfolgt im nächsten Kapitel.

Konkret wurde den folgenden drei Experten die Frage nach Synonymie bzw. Differenz der Begriffe Filmerziehung und Filmbildung gestellt (vgl. die jeweiligen Leitfäden im Anhang).

NIESYTO äußerst sich noch am Ehesten in die Richtung, die Begriffe von einander abzugrenzen zu können:

„In dem Begriff Bildung schwingt ja mit, dass damit nicht nur intentionale, von Pädagogen intendierte Ziele verfolgt werden, sondern dass Filmbildung auch selbst von Kindern und Jugendlichen erfolgt. Kinder und Jugendliche eignen sich Filmwissen an, sie kennen verschiedene Filme, Genres, die Akteure in Filmen usw. Die Frage ist, was für vorhandene Filmkompetenz Kinder und Jugendliche haben und in welchen Bereichen es notwendig und sinnvoll ist, weitere Filmkompetenz zu vermitteln. Und das ist auch eine Aufgabe von Filmbildung im Sinne von Filmerziehung.“ (Interview)

Wenn ich NIESYTO korrekt interpretiere, setzt die Filmbildung den Fokus auf das bereits vorhandene Wissen über Film, ohne zwangsläufig pädagogisch auf ein intendiertes Ziel hinzuarbeiten. Im Sinne von aktiver, selbst angeeigneter Fähigkeit, die Kinder und Jugendliche aus ihrem bisherigen Filmkonsum mitbringen. Der Filmerziehung obliegt dann die Aufgabe, gezielt weiteres (primär bisher fehlendes) Wissen über Film zu vermitteln.

Bei Dieter WIEDEMANN ist mir auch nach mehrmaligem Lesen, der Unterschied nicht ganz klar geworden[35], da der Begriff Bildung hier für beide Wortpaare eingesetzt wird:

„Wir haben im Moment die Schwierigkeit, wenn wir über Filmbildung, Filmkompetenz und Filmerziehung sprechen, dass wir auf der einen Seite darüber reden, wie man mit Filmen Bildungsprozesse steuern kann. Das ist ja ein bisschen auch das, was Vision Kino macht, also ich setze Filme ein, um bestimmte Wirkungen bei den Kindern zu erreichen, also Weltwissen, ästhetische Bildung, emotionale Bildung usw. Ich nutze Film als eine Art Unterrichtsmittel und das andere, oder der Bereich, der mich mehr interessiert, ist eine Bildung und eine Erziehung hin zum Verstehen von Filmen oder Medien überhaupt.

Das sind ja zwei unterschiedliche Prozesse, die aber in diesem Begriffswirrwarr, der gegenwärtig herrscht und sicher auch noch eine Zeit herrschen wird, nicht genau abgebildet werden. Insofern ist die Filmerziehung für mich eher die Erziehung mit Hilfe des Films, so ist sie auch historisch entstanden in den 20er, 30er Jahren, als man ja schon über den Film als Erziehungsmittel geschrieben hat und die Bildung wäre für mich mehr das Verstehen des Films.“ (Interview)

Nach meinem Verstehen wird auf eine Differenz hingewiesen, zwischen der Steuerung von Lernprozessen mit dem Film in Form eines Unterrichtsmittels, als Filmerziehung bezeichnet - und des Filmverstehens als Filmbildung auf der anderen Seite.

MIDDEL dagegen zieht sich elegant aus der Affäre und relativiert, es bestünden

„[k]eine elementaren Unterschiede, wohl aber graduelle! Die drei Begriffe überschneiden sich gewiss in mehrerlei Hinsicht, ohne dass sie vollständig synonym zu verwenden sind. Je nach Kontext akzentuieren sie mal enger, mal weiter gefasste Dimensionen und Horizonte einer Erfahrung mit dem persönlichkeitsbildenden Medium Film. Im moderneren Begriff von Kompetenzvermittlung und -erwerb, der im schulischen Bildungsdiskurs spätestens seit der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse (Stichworte: Sprach- und Lesekompetenz und der damit einhergehenden Schlüsselkompetenz-Diskussion) Konjunktur hat, klingen Erfordernisse von Standardisierung und Vergleichbarkeit, die Akzentuierung des Erwerbs bestimmter operativer Fähigkeiten und Fertigkeiten etc. deutlicher an als in den altehrwürdigen Begriffen von Erziehung und Bildung – die in den aktuellen Diskussion um „Wertevermittlung“ erneut eine große Rolle spielen.“ (Interview)

Der oben bereits zur Medienpädagogik angemerkte Aspekt der Umgangssprache (neben der Definition in Fachliteratur) wird auch hier an der Filmpädagogik deutlich. In einer Zeitung beispielsweise wird mit „Filmbildung“ Schnitttechnik, Kameraführung und Dramaturgie assoziiert (vgl. ORTMANN 2006), also eher technische und filmanalytische Attribute. Diese disparaten Aufzählungen ließen sich sicherlich endlos weiter fortführen. Um an dieser Stelle auf weiteren Forschungsbedarf zu verweisen: Für ein Projektseminar wäre es bestimmt eine interessante Beschäftigung, sich anhand dieser Aufgabenstellung an einer qualitativen Inhaltanalyse von Zeitungen und Zeitschriften zu versuchen.

MIDDELs weitere symbiotisch anmutende Ausführung macht, wegen der Fülle an Kategorien, indirekt das Dilemma deutlich, dass ein Definitionsversuch mit sich bringt: „Das Begriffsspektrum Filmerziehung – Filmbildung – Filmkompetenzvermittlung umfasst [...] das Ensemble und die Integration kognitiver, diskursiver, moralischer, pädagogischer, sozialer, affektiv-emotionaler, kreativer, ästhetischer und technischer Fähigkeiten im Zusammenhang mit der Rezeption von Filmen als Kunstform und als Ausdruck kultureller Erfahrung in der modernen Gesellschaft.“ (Interview)

[...]


[1] vgl. Kapitel 3

[2] Die durchschnittliche Nutzung von AV-Medien lag 2005 bei 465 Minuten täglich (Media Perspektiven online).

[3] vgl. Veranstaltungsdokumentation „Kino macht Schule“ 2003: 27ff.

[4] vgl. Duve / Krüger 2006: 13

[5] vgl. Kapitel 4

[6] vgl. Veranstaltungsdokumentation „Kino macht Schule“ 2003: 18ff.

[7] Bereits vor dem eigentlichen empirischen Teil der Experteninterviews (Kapitel 7) werden bereits Aussagen der geführten Interviews eingebaut, die den theoretischen Teil sinnvoll ergänzen (zur Methodik vergleiche Kapitel 6).

[8] Im aktuellen Band von 2006 „Jugend:Film:Kultur“ wird ausführlich auf diese Perspektive eingegangen, insbesondere in den Beiträgen von ROLLER „Zur Faszination populärer Filme für Jugendliche“ 49ff, und SCHÄFER „Identifikation und Akzeptanz. Jugendfilme in der Medienpädagogik“ 99ff. Schon 1994 widmeten sich BAACKE / SCHÄFER / VOLLBRECHT in der Publikation „Treffpunkt Kino“ speziell dem Verhältnis von Jugend und Kino.

Zu der Frage, was Kinder nach eigener Meinung aus dem Fernsehen lernen können vergleiche beispielsweise MÜLLER / ZIEBELL 2005.

[9] 210 Minuten ist die konstante durchschnittliche tägliche Sehdauer in den Jahren 2004/05 (vgl. Media Perspektiven online 2006).

[10] vgl. net-lexikon 2006

[11] vgl. z.B. KUNCZIK / ZIPFEL (2001: 345)

[12] der gerade in Beziehung zu Dokumentarfilm, Fernsehspiel und Fernsehfilm nicht allenthalben trennscharf verwendet wird. Um dies zu erkennen, genügt ein stichprobenartiger Vergleich von diversen Fernsehzeitschriften. Der Begriff Spielfilm wird in dieser Arbeit im weiteren Sinne eher umgangssprachlich statt streng filmwissenschaftlich verwendet.

[13] Auch Doku-soaps und andere hybride Formate des Fernsehens mit Themen wie Hausbau, Erziehung, Kochen etc. können meines Erachtens für den Rezipienten wertvolle Informationen vermitteln. Trotz - oder gerade wegen - den Attributen von Emotionalisierung, Personalisierung, Dramatisierung usw.

[14] MÜLLER-GOEBEL berichtet aus ihrem LMZ: „ [.] gegenüber didaktisch strukturierten klassischen Bildungsfilmen, Unterrichtsfilmen spielt [der Spielfilm] eher eine untergeordnete Rolle.“ (Interview).

[15] Wenn meines Erachtens der Fernsehpädagogik durch wachsende Kommerzialisierung (z.B. der Quizsender 9live; viele andere private Sender haben dieses Format mittlerweile auch in ihr Programm integriert – in dem die Quote im Vergleich zu zahlenden Anrufern nur noch bedingt zählt), Hybridisierung von Realität und Fiktion usw. eigentlich eine sehr große Rolle zuteil werden sollte. Bei Spielfilmen ist dem Zuschauer weitestgehend der fiktionale Charakter bekannt, was aber - gerade für Heranwachsende - Formate wie Doku-soaps (z.B. „Die Abschlussklasse“), Gerichtsshows etc. für normierende und desorientierende - da verzerrte und dramatisierte Inhalte - Wirkungen auf die Gesellschaft haben können, ist nicht zu unterschätzen (vgl. dazu auch tv diskurs 4/2005, Titelthema Identität).

[16] WENDERS beschreibt, es sei heute kaum noch möglich, einen Fernsehredakteur von der Kinoqualität eines Drehbuchs zu überzeugen. Das Kino sei das "Stiefkind des Fernsehens in Deutschland" (vgl. ebd.).

[17] Sinngemäß aus dem Teletext von VOX zum SPIEGEL TV Special „Die Schulprofis – Krisenmanagement im Klassenzimmer“ am 11.11.2006.

[18] was in Zeiten der Globalisierung, der potenziell ultimativen Konkurrenz mit jedem Land immer und überall und somit der Fokussierung auf die Ökonomie und gleichzeitigen Lockerung sozialer Standards, an Bedeutung gewinnt (z.B. auch Elite-Unis und Bachelor/Master-Studiengänge sind ein Indiz hierfür).

[19] Für ausführliche Darstellungen spielfilmdidaktischen Handelns empfehle ich WÖRTHER (2006) und LISUM online (2006).

[20] vgl. dazu auch NEUMANN 2006: 1.

[21] Ein Chemiker wird auf seinen terrorverdächtigen Kollegen angesetzt.

[22] Eine Familie droht an den Ressentiments gegen den marokkanischen Vater wegen Rasterfahndung zu zerbrechen.

[23] Eine Liebesgeschichte in deren Verlauf der Protagonist zum Terroristen wird.

[24] Ein Berliner Student beginnt, seinen aus dem Jemen stammenden Mitbewohner mit Terrorismus in Verbindung zu bringen.

[25] Genauso kann ein Film natürlich durch seine suggestive Kraft missbräuchlich eingesetzt werden, Stichwort Propaganda. Aber hier soll ja auch durch das Lernen über Film und seine Mechanismen sowie die Urteil- und Kritikfähigkeit in der Schule eine wichtige Grundlage geschaffen werden wie bereits erwähnt wurde.

[26] Die Entwicklung der Medienpädagogik wird sehr ausführlich anhand von Originaltexten der jeweiligen Jahre in dem Band „Von der ‚Filmerziehung’ zur ‚Medienkompetenz’“, herausgegeben vom Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF), dargestellt (1999).

[27] Für einen intensiveren Einstieg in die Themen Mediennutzung und Medienwirkung im Zusammenhang mit der Medienpädagogik empfehle ich folgende Literatur: Bonfadelli 2001; Kunczik/Zipfel 2001; Hoppe-Graff/Oerter 2000; Medienpädagogik 2003 (CD-ROM).

[28] vgl. dazu SCHORB (2005: 240). Er beschreibt, dass Medienerziehung je nach Autor und Kontext unterschiedlich verwendet werden kann.

[29] „Kommunikation und Kompetenz – Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien“, obwohl der Terminus Medienkompetenz darin als Begriff explizit gar nicht vorkomme.

[30] vgl. z.B. auch SCHORB (2004: 257).

[31] Vergleiche hierzu z.B. auch HÜTHER / PODEHL die zwischen Anwendungswissen und Orientierungswissen unterscheiden (2004: 127).

[32] englisch Knowledge-gap, im heutigen digitalen Zeitalter und Zusammenhang spricht man auch vom Digital Divide]

[33] für weitere Ausdifferenzierung vergleiche MIKOS (2005: 32f). Er erweitert diesen Komplex noch um weitere Aspekte des Wissens.

[34] Auch in diesem Abschnitt ist exemplarisch wieder die nicht existente Trennung und Erklärung der Begriffe Filmbildung und Filmkompetenz zu beobachten (vgl. Kapitel 4.2).

[35] Diese Einschätzung zielt keinesfalls darauf ab, die gewählte Formulierung WIEDEMANNS in Frage oder gar bloß stellen zu wollen. Vielmehr könnte dieses Problem der Deutung in Bezug auf die Begriffsausführungen exemplarischen Charakter besitzen.

Ende der Leseprobe aus 141 Seiten

Details

Titel
Quo vadis Filmkompetenz? Eine explorative Studie über Strukturen, Hindernisse und Perspektiven schulischer Filmpädagogik
Hochschule
Universität Münster  (Kommunikationswissenschaft)
Note
gut
Autor
Jahr
2007
Seiten
141
Katalognummer
V75216
ISBN (eBook)
9783638696012
Dateigröße
1085 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Filmkompetenz, Eine, Studie, Strukturen, Hindernisse, Perspektiven, Filmpädagogik
Arbeit zitieren
M.A. Thorsten Ziebell (Autor:in), 2007, Quo vadis Filmkompetenz? Eine explorative Studie über Strukturen, Hindernisse und Perspektiven schulischer Filmpädagogik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75216

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