Odradek: eine Leerstelle. Genaues Lesen von Franz Kafkas` „Die Sorge des Hausvaters“ und sich daraus ergebende Möglichkeiten für den Unterricht


Seminararbeit, 2007

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Textanalyse
2.1. Die Erzählung als Ganzes
2.2. Die Erzählung im Einzelnen
2.3. Komponenten einer Sorge

3. Möglichkeiten für den Unterricht
3.1. Odradek als Leerstelle
3.2. Der Hausvater auf der Couch

1. Einleitung

Diese Arbeit möchte den kurzen Text „Die Sorge des Hausvaters“[1] von Franz Kafka unter zwei unterschiedlichen Aspekten behandeln. Einerseits soll eine Textanalyse unter der Ausschöpfung üblicher literatur- und sprachwissenschaftlicher Möglichkeiten erfolgen, anderseits sollen in einem zweiten Schritt Möglichkeiten der Didaktisierung aufgezeigt werden. In gewissem Sinne handelt es sich bei den daraus entstehenden zwei Teilen dieser Arbeit jedoch um ein Ganzes, indem die aufgezeigten Möglichkeiten, den Text im Deutschunterricht zu behandeln, aus der Textanalyse hervorgehen sollen.

Bei der Analyse soll auf interpretatorische Möglichkeiten, welche auf die Entscheidung für eine bestimmte Lesart zurückzuführen wären[2], verzichtet werden. Dies bedeutet, dass der Versuch unternommen werden soll, ein eingehendes Verständnis des Textes zu erlangen, welches sich ausschließlich auf den Text selbst stützt, ohne eine bestimmte Lesart zu favorisieren – freilich schließt dies den Rückgriff auf literatur- und sprachwissenschaftliche Kategorien, sowie intertextuelle Betrachtungen nicht kategorisch aus, es soll jedoch der Versuchung wiederstanden werden, die Ambiguität des Textes durch eine bestimmte Lesart auflösen zu wollen. Vielmehr ist es das Ziel dieser Arbeit, den Text in all seinen Aspekten zu analysieren, ohne daraus den Anspruch einer Deutungshoheit abzuleiten. Es soll dargestellt werden, inwiefern sich „Die Sorge des Hausvaters“ in unterschiedliche Abschnitte gliedern lässt und im Text inhaltlich dementsprechend auf unterschiedlichen Ebenen Möglichkeiten des Erkenntnisgewinnes durchgespielt werden – hiermit soll gezeigt werden, inwiefern eine Entwicklungslinie des Textes auszumachen ist, welche die explizite Fragestellung und Problematisierung, die der Erzähler am Ende des Textes aufwirft, gestaltet.

Ausgehend von dieser genauen Analyse sollen exemplarisch zwei Möglichkeiten der Didaktisierung aufgezeigt werden, welche sich aus dem gewonnenen Textverständnis ableiten. Diese sollen den Versuch darstellen, Ansätze für die Unterrichtsgestaltung aufzuwerfen, welche sich direkt aus der genauen Lektüre der Erzählung ergeben.

2. Textanalyse

2.1. Die Erzählung als Ganzes

Eine erste Lektüre des Textes hinterlässt wohl als vorwiegenden Eindruck vor allem eine gewisse Ratlosigkeit - etwa in Bezug auf die Frage, mit welcher Art von Text man es hier wohl zu tun habe. Deutlich wird dies beispielsweise, zieht man die Einordnung des Textes in die hier verwendete Sammlung[3], welche sämtliche Erzählungen Kafkas in sich vereint, in Betracht. Wird Erzählung gattungsspezifisch verstanden, und hilft man sich somit mit einer formalen Definition und Abgrenzung über eine erste Verunsicherung hinweg, so erscheint die Erzählung als solche „von der Geschichte qualitativ unterschieden durch bewußt eingesetzte Gestaltungsmittel“[4] einerseits, und von der Novelle abgegrenzt anderseits, indem ihr „die Konzentrierung des Erzählten auf ein Geschehnis“[5] fehle. Es ergibt sich so zwangsläufig die Frage, was in „Die Sorge des Hausvaters“ überhaupt geschieht und welches Geschehen somit erzählt wird, bevor eingehend erläutert werden kann, wie erzählt wird.

Das Geschehen hält sich in Grenzen, und zwar sowohl seinem inhaltlichen Umfang nach, als auch in Bezug auf dessen Positionierung im Text. Tatsächliches, singuläres Geschehen, welchem der Charakter eines Ereignisses zukommt, kommt nicht vor, und auch Geschehen nach einem etwas weiter gefassten Begriff, welcher wiederkehrende, allgemeine Vorgänge mit einschließt, tritt nur in wenigen Zeilen auf (vgl. Z.26-Z.37). In dem betreffenden Abschnitt wird der wechselnde Aufenthaltsort Odradeks, welcher neben dem Erzähler die einzige Figur des Textes ist, geschildert und ein kurzes exemplarisches Gespräch zwischen Erzähler und „Odradek“ wiedergegeben – mehr eigentliches Geschehen kommt im Text nicht vor.

Eine eigentliche Erzählung ist der Text also nicht. Konkretes Geschehen, äußeres Erleben, schließt die Beschreibung von „Odradek“ nur im erwähnten Abschnitt ein, ansonsten beschränkt sich der Text auf Zustandsbeschreibungen, indem es um die Beschaffenheit von „Odradek“ geht, und auf inneres Erleben in Form von Gedankengängen des Erzählers. Somit wäre die Frage nach dem eigentlichen Erzählen gleichsam beantwortet und als beschränkt erkenntnisversprechend entlarvt, wodurch nun also in den Mittelpunkt unserer Fragestellung rückt, wie erzählt wird.

Neben dem erwähnten Abschnitt lassen sich drei weitere Abschnitte (zwei davor und einer danach) unterscheiden, welche den Text strukturell bestimmen, indem sie jeweils semantische und syntaktische Einheiten bilden, welche die Figurenkonstellation, die Sprachebene und letztlich den Gegenstand des Textes gestalten. Dies soll nun im Einzelnen erläutert werden, indem analysiert wird, auf welch unterschiedliche Weise der Text in seinem Verlauf die geschilderte Zustandsbeschreibung vollzieht, um dann aus dieser Entwicklungslinie einen Zugang zum Verfahren des Textes in Zusammenhang mit seiner inhaltliche Konkretisierung als Ganzes betrachten zu können.

2.2. Die Erzählung im Einzelnen

Zu Beginn des Textes fallen vor allem zwei semantische Felder durch ihre Dominanz auf - philologische Ausdrücke wie „Wort“, „stammen“, „das Slawische“, „Bildung“, „das Deutsche“, „Sinn“ usw. einerseits und anderseits Ausdrücke, die in Zusammenhang stehen mit einer argumentatorischen Vergewisserung von Wahrheit oder Erkenntnis, wie etwa „Grund“, „nachweisen“, „meinen“, „Unsicherheit“, „Deutungen“ usw.. Hieraus entsteht eine Sprachebene, wie sie sonst etwa in Lexika zu finden ist, indem eine Aneignung des Betrachtungsobjektes anhand der Rekonstruktion seiner Genesis erfolgen soll; das Objekt ist in diesem Fall „das Wort Odradek“(Z.3). Dieser Erkenntnisversuch wird syntaktisch entsprechend des semantischen Feldes argumentatorischer Wahrheitsfindung gestaltet, indem streng strukturiert der erste Satz eine Position ausdrückt („Die einen sagen (…)“(Z.3)), der zweite Satz eine andere Position ausdrückt („Andere wieder meinen (…)“(Z.4)) und im dritten Satz schließlich die Konklusion erfolgt („(…) läßt wohl mit Recht darauf schließen“(Z.6)). Es handelt sich somit um die Gestalt eines logischen Schlusses, auch wenn dieser allein schon, da es sich um eine synthetische Konklusion handelt, als solcher nach streng logischen Kriterien abgelehnt werden muss.[6] Darüber hinaus, und dies ist die eigentliche Verkehrung der vorgeblichen Sprachebene argumentatorischen Erkenntnisgewinnes, stellt der Schluss geradezu fest, dass der Erkenntnisgewinn verschlossen bleibt, indem aus den zwei sich widersprechenden Meinungen zur Genesis des „Wortes Odradek“ lediglich deren Ungültigkeit gefolgert wird, und somit der Erzähler keinen „Sinn des Wortes“ (Z.7) aufzufinden vermag. Der Erzähler seinerseits bleibt dabei gänzlich hinter dem wissenschaftlichen Duktus des Abschnittes verborgen und tritt nicht als Figur auf. Er wirft von außen den Blick auf einen Diskurs zur Bedeutung eines Wortes, der sich somit auf der zeitlosen Ebene des Systems Sprache bewegt. Dabei stellt er den Versuch an, auf strukturell klar gestaltete Weise auf einen Sinn zu schließen – dies misslingt.

[...]


[1] Diese Arbeit nimmt Bezug auf die Ausgabe in Kafka (1970). Verweise auf den Text beziehen sich auf die darauf zurückgehende, dieser Arbeit angehängte, mit Zeilenzahlen versehene, Version. Sämtliche in dieser Arbeit vorkommenden Zeilenangaben sind dementsprechend zu lesen.

[2] Zur beispielhaften Illustration können als derartige Lesarten etwa psychoanalytische, psychologische, gesellschaftskritische, familienbiographische, religionskritische Lesarten usw. angeführt werden.

[3] Vgl. Kafka (1970)

[4] Vgl. Braak (2001), S. 227

[5] Vgl. ebd.

[6] Eine synthetische Konklusion wird als Satz verstanden, in welchem ein Wahrheitsgehalt, der über den beider Einzelsätze zusammen hinausgeht, ausgedrückt wird. Zu analytischen Aussagen als einzig logisch gültige im Vergleich zu synthetischen Aussagen vgl. Salmon(1983), S. 270f

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Odradek: eine Leerstelle. Genaues Lesen von Franz Kafkas` „Die Sorge des Hausvaters“ und sich daraus ergebende Möglichkeiten für den Unterricht
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Deutsches Seminar)
Veranstaltung
Fachdidaktik Deutsch: Genaues Lesen
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V71949
ISBN (eBook)
9783638689816
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Genaue Lektüre und Analyse von Kafkas berühmter Erzählung und die daraus entstehenden Möglichkeiten für den Deutschunterricht in der Oberstufe.
Schlagworte
Odradek, Leerstelle, Genaues, Lesen, Franz, Kafkas`, Sorge, Hausvaters“, Möglichkeiten, Unterricht, Fachdidaktik, Deutsch, Genaues, Lesen
Arbeit zitieren
Andreas Schuster (Autor:in), 2007, Odradek: eine Leerstelle. Genaues Lesen von Franz Kafkas` „Die Sorge des Hausvaters“ und sich daraus ergebende Möglichkeiten für den Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71949

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