Bedeutung der Minneexkurse in Wolfram von Eschenbachs "Parzival"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

25 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Inhaltliche Untersuchung der Blutstropfenszene (281,23- 283,23) und der drei Minneexkurse (290,26- 293,16/ 532,1- 534,8/ 585,5- 587,14)
2.1 InterpretationsansätzeS
2.1.1 Themen und Probleme der Textauszüge
2.1.2 Themen und Probleme des Textauszüge im Kontext des Romans
2.1.3 Vergleich der Textauszüge mit Chretien
2.2 Interpretation der Textauszüge

3. Schluss

4. Literaturverzeichnis

5. Anhang
5.1 Übersetzung (282,4- 283,23)
5.2 Literatur zur Übersetzung

1. Einleitung

Wolfram von Eschenbach (ca. 1170-1220), offenbar ein Berufsdichter, stammt nach eigener Aussage aus Bayern. Über seine soziale Herkunft existieren nur Vermutungen, da alles, was wir über ihn und seine Lebensverhältnisse wissen, aus literarischen Quellen, vor allem aus Selbstaussagen stammt, sodass schwer zu entscheiden ist, ob das, was der Erzähler von sich mitteilt, als autobiographisch verstanden werden darf. Nichtsdestotrotz gelten seine Werke als Höhepunkt der mittelalterlichen deutschsprachigen Dichtkunst.

Sein „Parzival“, der sich auf die Vorlage „Conte du Graal“ von Chrétien de Troyes stützt, ist vermutlich um 1200-1210 entstanden. Er gehört zu den meistgelesenen Werken des Mittelalters und ist in mehr als 80 Handschriften überliefert.

Geschickt versteht es Wolfram hier, die Thematik des Rittertums mit der Gralsgeschichte, verwandtschaftlichen Beziehungen, gesellschaftlichen Normen, religiösen Motiven und der Liebesthematik, die in Form der Minne und des Minnedienstes eine zentrale Rolle im Parzival einnimmt, zu verknüpfen.

Als besonders außergewöhnlich gilt, dass Wolfram in seinem Werk immer wieder persönlich als Erzähler in Erscheinung tritt, um zwischen dem Stoff und seinem Publikum vermitteln zu können. Mit Hilfe dieses sehr subjektiven Erzählstils gelingt es ihm, den Erzähler und sein Publikum in die Dichtung mit einzubeziehen und zu Mitspielern der Handlung zu machen. Aufgrund seiner viel gelobten Erzählerhaltung, die teils humorvoll-ironisch, teils kritisch ist, hebt er sich von seinen Zeitgenossen ab, weshalb seine Dichtung bis heute als Stilphänomen gewertet wird.

Wie Wolfram dieses erzählerische Können einsetzt und welche Wirkung es auf den Leser hat, das soll im Folgenden anhand der Analyse mehrerer Textpassagen verdeutlicht werden. Dabei soll die Minne, die im „Parzival“ in ihren verschiedensten Formen in Erscheinung tritt und von Wolfram - vor allem in den drei Minneexkursen - persönlich kommentiert wird, zentrales Thema dieser Untersuchung sein.

2. Inhaltliche Untersuchung der Blutstropfenszene und der drei Minneexkurse

2.1 Interpretationsansätze

2.1.1 Themen und Probleme der Textauszüge

Als Besonderheit der drei Minneexkurse und auch der Blutstropfenszene gilt, dass der ambivalente Charakter der Minne, bei dem Freud und Leid sehr nahe beieinander liegen, beleuchtet und von Wolfram - in seiner Rolle als Erzähler - immer wieder persönlich kommentiert wird.

So verfällt Parzival beim Anblick dreier Blutstropfen im Schnee in eine Minnetrance, die er selbst als Zustand höchsten Glückes erlebt. Ursache dafür ist das liebende Gedenken an seine Frau Condwiramur, deren Abbild er im Schnee zu erkennen glaubt. Diese Liebestreue, die Parzival allem Anschein nach als Kraftquell dient, gibt Wolfram jedoch Anlass, Kritik an vrou minne (291,5) zu üben. In einem ausführlichen Minneexkurs macht er ihr den Vorwurf, ihre Macht zu missbrauchen, Menschen in ihr Verderben rennen zu lassen und zur Begierde zu verführen. Dieser erzählerische Exkurs lässt die Fragen aufkommen, wie Parzivals Liebestrance letztlich zu bewerten ist: als Zeichen für seine unwandelbare eheliche triuwe (293,8) und damit als Motivation für seine weitere Suche nach dem Gral oder aber als Zeichen großer Liebesqualen und Abkehr von Gott. Verurteilt Wolfram jegliche Art der Minne oder macht er hier Einschränkungen?

Antworten auf diese Fragen deuten sich im zweiten Minneexkurs an. Zwar wird hier nicht die Liebe Parzivals zu Condwiramur, sondern die Gawans zu Orgeluse thematisiert, doch knüpft der erzählerische Exkurs Wolframs an den im sechsten Buch an. Im Mittelpunkt steht nun die Frage, ob die Liebe- nach der Vorstellung Veldekes- durch äußere Einflüsse oder von innen entsteht und hier muss Wolfram seine Meinung zumindest teilweise revidieren. So übt er zwar Kritik an Veldekes Behauptung, es seien die Minnegötter, die die Menschen in Liebe entflammen ließen, räumt aber ein, dass- solle er an wahre Minne glauben- diese auf triuwe (293,8) gründen müsse. Zwar ist er weiterhin der Meinung, dass Liebe unweigerlich Schmerz mit sich bringe, jedoch beständig sei, sofern sie auf Treue basiere.

An dieser Stelle wird deutlich, dass Wolfram verschiedene Arten der Liebe und auch der Minne gegeneinander abgrenzt. Welche dies jedoch sind, wird an dieser Stelle nicht explizit genannt, sondern soll erst im Kontext des Romans ersichtlich werden.

Und auch im dritten Minneexkurs knüpft Wolfram an seine Kritik an. Indem er der Liebe aufzählt, wie viel Leid sie bereits über Gawans Vorfahren gebracht hat, versucht er sie davon zu überzeugen, Gawan zu verschonen. Doch auch in diesem letzten Exkurs wird nicht deutlich, weshalb Wolfram die Liebe so vehement angreift. Offensichtlich ist nur, dass Wolfram den ritterlichen Minnedienst nicht gänzlich verurteilt, ihm jedoch daran gelegen ist, auf seine Gefahren aufmerksam zu machen. Seiner Meinung nach besitzt die höfische Liebe ein ambivalentes Wesen. „Einerseits bildet sie […] das Fundament der ganzen gesellschaftlichen Ordnung, andererseits können die Schmerzerfahrungen der Liebe die Menschen im Tiefsten erschüttern und entstellen.“[1]

2.1.2 Themen und Probleme der Textauszüge im Kontext des Romans

Versucht man nun das Problem der Minne auf den Kontext des Romans zu übertragen, so muss zunächst geklärt werden, weshalb Wolfram die höfische Liebe, die in seinem „Parzival“ unbestritten ein übergreifendes Thema ist, als ambivalent darstellt und in mehreren Minneexkursen an diese appelliert.

Begründen ließe sich diese Einstellung zum einen damit, dass der Tod des Geliebten im „Parzival“ vor allem die Frauen oftmals in tiefe Trauer und Verzweiflung stürzt. So folgt Sigune Schionatulander, dem sie in treuer, aber unerfüllter Liebe ergeben ist, aus Trauer in den Tod. Auch Belakane, die erste Frau Gachmurets, verkraftet es nicht, von diesem verlassen zu werden und stirbt an gebrochenem Herzen. Ebenso ergeht es Herzeloyde, Parzivals Mutter, die, aus Trauer um den im Kampf gefallenen Mann und aus Angst um ihren einzigen Sohn, der frühe Tod ereilt. Allein bei Orgeluse, der späteren Frau Gawans, kehrt sich die Trauer um die Ermordung des Geliebten in Hass und unbändiges Verlangen nach Rache. Ähnlich ergeht es so manch edlem Ritter, dessen Reaktion auf unerfüllte Liebe oftmals Hass und Krieg ist. So führt der von Herzeloyde zurückgewiesene Clamide aus verletztem Stolz Krieg gegen diese und auch König Meljanz bekriegt aus enttäuschter Liebe seinen eigenen Ziehvater Lippaut. Clinschor, der wegen seiner Liebe zu einer verheirateten Frau entmannt worden ist, geht sogar so weit, dass er einen Zauberfluch über Schastel marveile verhängt, sodass Liebe und Tod, Liebe und Hass, Liebe und Krieg und Liebe und Gewalt zu zentralen Themen in Wolframs „Parzival“ werden.

Und eben diese zerstörerische Kraft der Liebe ist es, die Wolfram in seinen Minneexkursen anprangert - allerdings nicht ohne Einschränkungen. So räumt er ein, allein reht minne sei wariu triuwe (532,10) , und unterscheidet diese in ihren drei Erscheinungsformen: einmal die höfische Dienstminne, die bei Gawan und Orgeluse zu finden ist, zum anderen die jungfräuliche Liebe zwischen Sigune und Schionatulander und letztlich die eheliche Liebe, die Parzivals Liebe zu Condwiramur auszeichnet.

Auch versucht Wolfram die reht minne (532,10) von der falschen Minne abzugrenzen, die sowohl bei Clamide als auch bei Gramoflanz und Anfortas zu finden ist. Insbesondere Anfortas muss aufgrund seines Minnebestrebens zu einer Frau, die ihm von Gott nicht bestimmt worden ist, schweres Leid ertragen, worauf Wolfram in der Blutstropfenepisode mit dem sommerlichen Schnee verweist. Dieser bereitet Anfortas aufgrund seiner Kälte große Wundschmerzen und erinnert an das Leid, das falsche Minne über ihn gebracht hat. Im Gegensatz dazu steht die reht minne (532,10) Parzivals zu seiner Frau Condwiramur, die durch seine Liebestrance gekennzeichnet ist.

Obwohl Wolfram die Minne in seinen Exkursen scharf kritisiert, wird bereits an dieser Stelle deutlich, dass es letztlich Parzivals Aufgabe ist, die göttliche Ordnung, die durch Anfortas´ Verstoß gegen das Liebesverbot gestört worden ist, wiederherzustellen. Und dies gelingt ihm, wie sich noch zeigen soll, allein aufgrund der Beständigkeit seiner ehelichen triuwe (293,8) zu Condwiramur.

2.1.3 Vergleich der Textauszüge mit Chrétien de Troyes

Beim Vergleich der Parzival- Textauszüge Wolframs mit der Vorlage von Chrétien de Troyes wird deutlich, dass die Änderungen, die Wolfram vorgenommen hat, stellenweise sehr gravierend sind. Dies mag wohl zum einen an Wolframs Bestreben liegen, etwas Neues Eigenes zu schaffen, zum anderen an dem Bedürfnis, das für ihn zentrale Thema der ambivalenten Minne noch deutlicher herauszuarbeiten.

Denn während bei Chrétien keinerlei direkte Vorwürfe an vrou minne zu finden sind, nutzt Wolfram geschickt geeignete Passagen, um daran seine Minneexkurse anzuschließen und damit auf die Gefahren der Liebe aufmerksam zu machen.

So lehnt er sich bei der Beschreibung der Blutstropfenepisode zwar noch größtenteils an die Darstellung Chrétiens an, löst sich in den folgenden erzählerischen Exkursen, in denen er die Minne anklagt, jedoch gänzlich von der Vorlage.

Doch bereits kleine Änderungen Wolframs bei der Blutstropfenszene und der damit verbundenen Liebestrance Parzivals lassen seine Kritik an vrou minne erahnen.

Während Chrétien an der positiven Bedeutung von Parzivals Liebestrance, die bei ihm als höfisch und zärtlich beschrieben wird, keinerlei Zweifel lässt und die erst dadurch beendet wird, dass die Sonne den Schnee wegtaut, klagt Wolfram die Minne an eben dieser Stelle an und wirft ihr vor, seinen Helden in große Gefahr zu stürzen. Auch dass er Parzivals Liebestrance durch Gawan abrupt beenden lässt, indem dieser die Blutstropfen mit seinem Mantel bedeckt, zeigt, dass er der romantischen Interpretation Chrétiens hier gänzlich widerspricht.

Für ihn stellen sowohl Gawans höfische Minne als auch Parzivals eheliche Liebe eine Gefahr dar, auf die er den Leser, mithilfe seiner Erzähler-Exkurse, aufmerksam machen will. Aus eben diesem Grund nimmt er auch Gawans Zusammentreffen mit der spottlustigen Orgeluse- im Gegensatz zu Chrétien- zum Anlass, Kritik an vrou minne zu üben, worauf im Verlauf der Arbeit jedoch noch genauer eingegangen werden soll.

[...]


[1] Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. 6., neu bearb. Aufl. Stuttgart 1991. S.107

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Bedeutung der Minneexkurse in Wolfram von Eschenbachs "Parzival"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,5
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V65400
ISBN (eBook)
9783638579773
ISBN (Buch)
9783638688758
Dateigröße
578 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bedeutung, Minneexkurse, Wolfram, Eschenbachs, Parzival
Arbeit zitieren
Anne Hessel (Autor:in), 2006, Bedeutung der Minneexkurse in Wolfram von Eschenbachs "Parzival", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65400

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