Das Verhältnis der Irrtumsanfechtung zur Mängelrüge nach Schweizer Recht


Hausarbeit, 2002

28 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1) Einleitung

2) Irrtumsanfechtung
2.1) Willensmängel
2.2) Irrtum
2.2.1) Wesentlicher und unwesentlicher Irrtum
2.2.2) Erklärungsirrtum
2.2.2.1) Geschäftsirrtum
2.2.2.2) Sach- und Personenirrtum
2.2.2.3) Quantitätsirrtum
2.2.3) Gemeinsamer Irrtum
2.2.4) Übermittlungsirrtum
2.2.5) Motiv– und Grundlagenirrtum
2.2.5.1) Motivirrtum
2.2.5.2) Grundlagenirrtum
2.2.5.3) Abgrenzung vom Grundlagen- und Motivirrtum
2.3) Rechnungsfehler und Kalkulationsirrtum
2.4) Täuschung
2.5) Furchterregung
2.6) Vertragsanfechtung
2.6.1) Anfechtungserklärung und Anfechtungsfrist
2.6.2) Genehmigung
2.6.3) Schadensersatz bei Fahrlässigkeit
2.6.4) Rechtsfolgen nach erfolgter Anfechtung

3) Die Mängelrüge im Kauf-, Werkvertrags- und Mietrecht
3.1) Gewährleistung
3.1.1) Rechtsgewährleistung
3.1.2) Sachgewährleistung
3.2) Falsch- und Schlechtlieferung
3.3) Untersuchung und Rüge
3.4) Anzeige und Erklärung der Mängel
3.5) Rügefrist bei offenen und versteckten Mängeln
3.6) Verjährung der Gewährleistungsansprüche
3.7) Vertraglicher Gewährleistungsausschluss
3.8) Rechtsfolgen der Mängelrüge
3.8.1) Wandelung
3.8.2) Minderung
3.8.3) Ersatzlieferung und Nachbesserung
3.8.4) Schadensersatz
3.9) Würdigung

4) Anfechtung und Gewährleistung: alternativ oder kumulativ
4.1) Diskussion
4.1.1) Lex specialis derogat legi generali
4.1.2) Überflüssigkeit des Gewährleistungsrechtes
4.1.3) Schutzwürdigkeit des Käufers
4.2) Täuschung
4.3) Sonderstellung des Werkvertrages
4.4) Schlussfolgerung

5) Literaturverzeichnis

1) Einleitung

Am 4. Oktober 1974 erwarb A. von dem Kunstkenner X. das Bild „Modèle de Sculpture“, unterzeichnet mit dem Namen „Picasso“, für 25.000 CFR. Der Verkäufer X. erklärte noch am selben Tag, dass er eine Garantie für die Echtheit des Gemäl­des übernehme.

Als sich jedoch 11 Jahre später am 6. November 1985 die Unechtheit der Zeich­nung herausstellte, weigerte sich die Witwe des inzwischen verstorbenen Verkäu­fers, das Bild gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzunehmen (BGE 114 II 131 S).

Nach dem Schweizer Recht hat der Käufer grundsätzlich die Möglichkeit, den Kaufvertrag entweder wegen eines Willensmangels im Sinne von Art. 23 ff. OR anzufechten, oder aber gemäss Art. 197 ff. OR auf Gewährleistung wegen Schlechterfüllung zu klagen.

In der vorliegenden Arbeit wird sowohl die Irrtumsanfechtung als auch die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen aufgezeigt, und anschliessend die Frage erörtert, ob die viel diskutierte alternative Anwendung dieser beiden Rechtsbehelfe auch rechtens ist und den Interessen der Vertragsparteien gerecht wird.

2) Irrtumsanfechtung

2.1) Willensmängel

Nach Gesetz kommt ein Vertrag gemäss Art. 1 Abs. 1 OR durch die übereinstimmende, gegenseitige Willensäusserunge der Parteien zustande. Diese können nach Art. 1 Abs.2OR ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen.

Der Grund für diese gesetzliche Regelung liegt in der Tatsache, dass für die Vertragsparteien der innere Wille des Vertragspartners nicht wahrnehmbar ist, und folglich an diesen auch keine unmittelbaren Rechtsfolgen geknüpft werden können.

Trotzdem bedarf jedoch auch der innere Wille, dem Schutz der Rechtsordnung, und nicht nur die möglicherweise unvollkommene, missverständliche, fehlerhafte oder unrichtig abgegebene Äusserung (Brückner, 2002, S. 48).

Aus diesem Anlass sieht das Gesetz sowohl den Schutz gegenüber der mangelhaften Willenserklärung, wie auch gegenüber der mangelhaften Willensbildung vor.

Das Schweizerische OR gewährt nach Art. 23-31 OR die nachträgliche Anfechtung des Vertrages bei folgenden drei Typen von Willensmängeln: wesentlicher Irrtum Art. 23-27 OR, Täuschung Art. 28 OR und Furchterregung Art. 29-30 OR. Grundsätzlich gelten alle drei Willensmängel für jegliche Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen des OR, beschränken sich somit also nicht auf das Vertragsrecht (Binder, Geiser & Roberto, S.74).

In Bezug auf das Thema dieser Hausarbeit setze ich den Fokus in erster Linie auf den wesentlichen Irrtum und behandle die beiden anderen Arten von Willensmängeln nur am Rande.

2.2) Irrtum

„Irrtum ist die falsche Vorstellung über einen Sachverhalt“ (Schwenzer,1998,S.211). Ein solcher liegt vor, „wenn eine Vertragspartei in der Offerte oder Akzept etwas erklärt hat, was nicht ihrem wirklichen Willen entspricht, ohne dass sie sich dessen bewusst war“ (Binderetal., S. 74).

Sobald Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Vorstellung bestehen, liegt kein Fall von Irrtum vor (vgl.BGE 56 II 104).

2.2.1) Wesentlicher und unwesentlicher Irrtum

Je nach Unterscheidungskriterium können grundsätzlich verschiedene Arten von Irrtümern aufgezeigt werden (Gauch & Schluep, 1987, S. 135).

Hinsichtlich der Rechtsfolge ist entscheidend, ob es sich um einen wesentlichen oder unwesentlichen Irrtum handelt. Das Bundesgericht definiert im BGE 123 III 200 einen Irrtum als wesentlich, wenn es sich um einen bestimmten Sachverhalt handelt, der vom Irrenden nach Treu und Glauben als notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet werden darf. „Anders gesagt: Es muss angenommen werden können, die irrende Partei hätte den Vertrag nicht geschlossen, wenn sie um den wahren Sachverhalt gewusst hätte“ (Kunz, 1996, S. 37).

Allerdings ist diese Definition der Wesentlichkeit nicht vollständig. Neben der vom Bundesgericht erläuterten subjektiven Wesentlichkeit bedarf es auch der objektiven; d. h. es ist abzuklären, ob der Irrtum auch nach der allgemeinen Verkehrsanschauung als wesentlich eingestuft werden kann.

Sofern sowohl eine subjektive als auch objektive Wesentlichkeit vorliegen, ist der Vertrag gemäss Art. 23 OR nach erfolgreicher Anfechtung für den Irrenden unverbindlich. Das bedeutet, der Vertrag ist ungültig, und die Haupt- und Nebenleistungspflichten entfallen für beide Parteien. Wurde bereits einseitig oder beidseitig erfüllt, sind die Leistungen aus ungerechtfertigter Bereicherung nach Art.62Abs.1OR zurückzuerstatten.

Liegt hingegen ein unwesentlicher Irrtum vor, ist der Vertag rechtlich verbindlich. Somit trägt der Erklärende das Risiko des unwesentlichen Irrtums.

Grundsätzlich kann zwischen zwei Arten von Irrtum unterschieden werden. Dem Erklärungsirrtum Art. 24. Abs. 1 Ziff. 1-3 OR und dem Motiv - Art 24 Abs 2 OR bzw. Grundlagenirrtum Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR.

2.2.2) Erklärungsirrtum

Ein Erklärungsirrtum liegt vor, sofern der tatsächliche Geschäftswille von der geäusserten Willenserklärung abweicht. Der Erklärende hat zwar den Willen richtig gebildet, aber „etwas kundgetan, das nicht seinem wirklichen Willen entspricht“ (Gauch & Schluep, 1987, S. 144).

Zum Einen kann der Irrtum im Erklärungsakt auftreten, d. h. die abgegebene Erklärung stimmt nicht mit der gewollten Erklärung überein; bspw. wird ein Verkaufsobjekt mit dem falschen Preis ausgeschrieben (vgl. BGE 105 II 23 ff), zum Anderen kann es sich um einen Irrtum in der Bedeutung oder im Inhalt der geäusserten Erklärung handeln; bspw. werden Fremdwörter, Abkürzungen, etc. verwechselt oder missverstanden (vgl. BGE 64 II 9 ff.) (Schwenzer, 1998, S.213).

Das Schweizerische OR unterscheidet drei Formen von Erklärungsirrtums nach Art.24.Abs.1 Ziff. 1-3 OR, wobei die Wesentlichkeit vermutet wird.

2.2.2.1) Geschäftsirrtum

Irrtum bezüglich des Geschäftes, error in negotio Art. 24. Abs. 1 Ziff. 1 OR.

In diesem Fall „drückt sich der Erklärende in Bezug auf die Natur des von ihm geschlossenen Geschäftes falsch aus“ (Kunz, 1996, S. 39). Z. B. schliesst A mit B versehentlich einen Mietvertrag, obwohl dieser das Mietobjekt erwerben wollte; oder „jemand will sein Grundstück verpfänden, erklärt aber eine Solidarbürgerschaft (BGE 49 II 167)“ (Drexelius, 1964, S. 33).

2.2.2.2) Sach- und Personenirrtum

Irrtum bezüglich des Vertragsgegenstandes oder des Vertragspartners, error in corpore Art.24. Abs. 1 Ziff OR.

Der Irrende schliesst einen Vertag über eine andere als die gewollte Sache ab. Z. B. bestellt ein Landwirt, indem er das Bestellformular falsch ausfüllt, irrtümlicherweise Kalisalpeter - das Medikament, anstatt Kalisalpeter - das Düngemittel (vgl. BGE 45 II 433); oder der Vertragspartner irrt sich über die Person des Vertragspartners, bei der es auf deren Persönlichkeit ankommt. DJ Bobo bspw. kann nicht anstelle von Michael Jackson herangezogen werden.

2.2.2.3) Quantitätsirrtum

Irrtum bezüglich des Umfangs der Leistung und Gegenleistung, error in quantitate Art. 24. Abs. 1 Ziff. 3 OR.

Ein solcher Fall liegt vor, wenn sich der Irrende erheblich im Wert und Umfang der Leistung oder Gegenleistung täuscht (Kunz, 1996, S. 39).

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Betonung von erheblich grösserem Umfang wie bspw. das Ausschreiben eines Schmuckstückes für 1,380 Fr. anstatt 13,800 Fr (vgl.BGE 105 II 23 ff.).

Eine verhältnismässig geringe Preisdifferenz zwischen dem tatsächlichen und dem ausgewiesenen Preis hingegen ist ein unwesentlicher Erklärungsirrtum (vgl.BGE82II576).

2.2.3) Gemeinsamer Irrtum

Ebenfalls vom Erklärungsirrtum abzugrenzen ist der gemeinsame Irrtum. Ein gemeinsamer Irrtum liegt vor, wenn beide Vertragsparteien eine falsche Erklärung abgeben. In diesem Fall ist der übereinstimmende wirkliche Wille der Parteien nach Art. 18 OR entscheidend und nicht das äusserlich, im Sinne von tatsächlich, Erklärte (Binder et al., S. 76). Verstehen z. B. beide Parteien, in diesem Fall Kunde und Angestellter, unter „logieren“ das Resevieren eines Tisches in einem Hotelrestaurant kommt kein Vertag über eine Zimmerbuchung zustande.

2.2.4) Übermittlungsirrtum

Beim Übermittlungsirrtum wird gemäss Art. 27 OR die Erklärung durch einen Boten, Postbeamten, Dolmetscher, technische Mittel, wie bspw. ein unleserliches Telefax, oder auf andere Weise falsch übermittelt. Z. B. „Bote bringt Brief an B statt an C“ (Gauch & Schluep, 1987, S. 145).

2.2.5) Motiv– und Grundlagenirrtum

2.2.5.1) Motivirrtum

Der Motivirrtum oder „error in substantia“ nach Art. 24 Abs. 2 OR unterscheidet sich insofern vom Erklärungsirrtum, dass der Fehler bereits bei der Willensbildung, sprich beim Motiv entsteht, und nicht erst bei der Willensäusserung. Das Gesetz definiert den Motivirrtum nach Art. 24 Abs. 2 OR als Irrtum, der sich nur auf den Beweggrund bezieht und, im Gegensatz zum Grundlagenirrtum Art.24Abs.1Ziff.4OR, unwesentlich ist. Demzufolge ist eine Willenserklärung, die auf Motivirrtum beruht, nicht anfechtbar. Ein Beispiel ist der Erwerb eines Brautkleides, obwohl die Hochzeit nicht mehr stattfindet.

2.2.5.2) Grundlagenirrtum

Ein Grundlagenirrtum gemäss Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR liegt dann vor, wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betrifft, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wird. Mit anderen Worten, eine Partei bildet ihren Geschäftswillen aufgrund von Unkenntnis oder falschen Vorstellungen bestimmter Umstände, sodass der angestrebte, tatsächliche Vertragszweck nicht oder ungenügend erreicht wird. Bspw. der Kauf eines Grundstücks mit der irrtümlichen Annahme, es ist Bauland (BGE 91 II 275f) (Gauch & Schluep, 1987, S.139).

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Details

Titel
Das Verhältnis der Irrtumsanfechtung zur Mängelrüge nach Schweizer Recht
Hochschule
Universität St. Gallen  (Rechtswissenschaftliches Institut)
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
28
Katalognummer
V13182
ISBN (eBook)
9783638188975
ISBN (Buch)
9783638681674
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Irrtumsanfechtung, Mängelrüge, Verhältnis, Recht, Irrtum, Erklärungsirrtum, Geschäftsirrtum, Grundlagenirrtum, Motivirrtum, Täuschung, Anfechtung, Rechtsfolgen, Gewährleistung, Rüge, Mängel
Arbeit zitieren
Andreas Ernst (Autor:in), 2002, Das Verhältnis der Irrtumsanfechtung zur Mängelrüge nach Schweizer Recht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13182

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