Abschied von der Wehrpflicht?


Seminararbeit, 2006

38 Seiten, Note: 16 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Skizzierung der derzeitigen Rechtslage

III. Wehrpflicht in anderen Staaten
1.) Überblick
2.) Probleme für die Armee
3.) Probleme für den sozialen Bereich

IV. Die sicherheitspolitische Lage und die Konsequenzen für die Wehrpflicht
1.) Die sicherheitspolitische Lage
2.) Sicherheitspolitische Argumentationslinien
3.) Entscheidung

V. Wehrgerechtigkeit
1.) Einleitung
2.) Statistisches zur Wehrpflicht
a.) Anzahl der Erfassten
b.) Anzahl der Gemusterten
c.) Kapazitätsauslastung der Kreiswehrersatzämter
d.) Kriegsdienstverweigerung
e.) Verfügbare für den Wehrdienst
f.) Wer leistet tatsächlich Wehrdienst?
g.) Zusammenfassung
3.) Rechtsprechung zur Wehrgerechtigkeit
a.) Verwaltungsgericht Köln am 21.04.2004
b.) Bundesverwaltungsgericht am 19.01.2005
aa.) Keine willkürliche Diskriminierung
bb.) Wehrgerechtigkeit gegeben
c.) Reaktion des VG Köln am 15.04.2005
4.) Gibt es Wehrgerechtigkeit? - Stellungnahme

VI. Finanzielle Erwägungen- schlanker Staat ohne Wehrpflicht?
1.) Einleitung
2.) Wehrpflicht vergleichbar einer Naturalsteuer
a.) Warum die Wehrpflicht vergleichbar einer Naturalsteuer ist
b.) Höhe der „Naturalsteuer“ Wehrpflicht
c.) Probleme.
3.) Kosten der Wehrpflicht
a.) Die Verbilligung des Faktors Arbeit
b.) Wohlfahrtsverluste durch Zufallsauswahl
c.) Profis effizienter als Wehrpflichtige
d.) Dynamische Kosten
e.) Rechnungen zu den Opportunitätskosten
4.) Opportunitätskosten Freiwilligenarmee
a.) Marktgerechte Entlohnung der Soldaten
b.) Personalkostenerhöhung unter zwei Gesichtspunkten
c.) Zwischenergebnis: Budgetwirksame Mehrkosten
d.) Gesamtkosten unter Berücksichtigung der Opportunitätskosten der Freiwilligenarmee
5.) Gesamtrechnung und Entscheidung

VII. Politische Argumentationslinien
1.) Argumentationsmuster
a.) Wehrpflicht „legitimes Kind der Demokratie“/ Wehrpflicht als „Erziehung“ der Jugend?
b.) „Staat im Staate“?
c.) Zurückhaltung hinsichtlich Auslandseinsätzen durch Wehrpflichtarmee?
d.) Freiwilligenarmee Sammelbecken für Extremisten?
2.) Positionen der Parteien
a.) CDU/CSU
b.) SPD
c.) FDP
d.) Linkspartei.PDS
e.) Bündnis 90/Die Grünen
3.) Entscheidung

VIII. Gesamtabwägung

Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Einleitung

Allgemeine Wehrpflicht- Ja oder Nein? Diese mithin leicht aufgeworfene Frage ist nicht neu, wird aber weiterhin intensiv diskutiert. Vor kurzem erst hat der aus dem Amt geschiedene Bundesinnenminister Struck vehement für die Wehrpflicht geworben[1]. Auch in der großen Koalition soll sie fortbestehen. Dabei sind die Stimmen, die ihre Abschaffung und Umwandlung in eine Freiwilligenarmee fordern, seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes stärker geworden. Dies hat insbesondere mit den veränderten Anforderungen an die Bundeswehr zu tun. Als die allgemeine Wehrpflicht am 1.02.1956 eingeführt wurde, sollte sie in erster Linie der Inlandsverteidigung dienen. Sie war mehr oder minder eine Reaktion auf die dauernde Bedrohung durch den „Kalten Krieg“. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit des Endes des Ost-West-Gegensatzes ist dieser Grund entfallen. Heute ist die Bundeswehr in erster Linie eine weltweite agierende Armee, was auch durch den Transformationsprozess der Streitkräfte deutlich wird.

Neben diesen sicherheitspolitischen Erwägungen wird auch insbesondere das zunehmende Fehlen der Wehrgerechtigkeit ins Feld geführt. So leisteten aus dem Geburtsjahrgang 1983 nur 15,38% aller Erfassten den Dienst an der Waffe. Aus dem gleichen Jahrgang leisteten 61,28% aller Erfassten gar keinen Dienst. Demnach müssen aktuell rund 2/3 der Männer eines Jahrganges weder Wehr- noch Zivildienst leisten. Auch leisten insgesamt mehr junge Männer Zivildienst als den Dienst an der Waffe[2]. Es fragt sich, ob unter diesen Umständen noch von Wehrgerechtigkeit die Rede sein kann.

Auch finanzielle Erwägungen spielen zunehmend eine Rolle. Die Bundesrepublik Deutschland hat gegenwärtig 1.469.909.264.012 € Schulden[3]. Dem Staat droht unter dieser gewaltigen Schuldenlast zunehmend die politische Handlungsunfähigkeit. Dass dann auch die Wehrpflicht zur Disposition gestellt wird mit der Hoffnung, durch ihre Abschaffung beträchtliche Einsparungen vornehmen zu können, erscheint nachvollziehbar. Die Frage ist letztendlich, ob eine Freiwilligenarmee nicht mehr Kosten würde und demnach eine Abschaffung der Wehrpflicht für den Staat nicht eher kontraproduktiv wäre.

Die Befürworter der Wehrpflicht jedoch fürchten bei einer Freiwilligenarmee nicht nur, dass diese sich verselbstständigen könnte wie die Reichswehr in der Weimarer Republik. Sie sehen die Wehrpflicht auch als Opferbereitschaft an die Gemeinschaft, was es auch in der Demokratie geben müsse. Nicht zu verkennen ist ebenfalls die wachsende Bedeutung des Zivildienstes für die sozialen Sicherungssysteme. Faktisch ist es so, dass viele soziale Einrichtungen ohne Zivildienstleistende in Bedrängnis kämen. Auch von dieser Seite wird für die Wehrpflicht geworben.

Am Ende bleibt die Frage: Wehrpflichtarmee oder Freiwilligenarmee? Kann ein schlankerer, besser funktionierender Staat durch das Abschaffen der Wehrpflicht erreicht werden? Diesen Fragen unter anderem will diese Arbeit nachgehen. Sie erhebt dabei keinesfalls den Anspruch den mannigfaltige Diskussionsprozess, an dem unterschiedlichste gesellschaftliche Kräfte beteiligt sind, in Gänze wiederzugeben. Vielmehr soll es darum gehen, die wesentlichen, vor allem sachlichen, Erwägungen darzustellen und am Ende eine vorläufige Antwort auf die aufgeworfenen Fragen zu geben.

II. Skizzierung der Rechtslage

Die Wehrpflicht in Deutschland wird grundgesetzlich begründet durch Art.12 a I GG. Hiernach können Männer ab dem vollendeten 18.Lebensjahr zum Wehr- oder Ersatzdienst verpflichtet werden. Im Wehrpflichtgesetz (WPlfG) finden sich dazu die Umsetzungsreglungen. Wer den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigern will, kann dies nach Art. 12 a II GG. Für diesen Personenkreis ist dann das Zivildienstgesetz einschlägig (ZDG).

Nicht alle Männer ab dem 18.Lebensjahr müssen Wehrdienst leisten. Bestimme Personengruppen sind nach § 10 WPlfG ausgeschlossen, so bspw. Männer die wegen eines Verbrechens zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden sowie Personen, die durch Richterspruch das Recht verloren haben öffentliche Ämter zu bekleiden. Nach § 11 WPlfG müssen Geistliche und Schwerbehinderte keinerlei Dienst leisten, auch wer zwei Geschwister hat, die bereits Wehrdienst geleistet haben, ist von der Wehrpflicht befreit. Gleiches gilt für Verheiratete und Männer mit Kindern. Wer sich auf ein geistliches Amt vorbereitet, das dritte Semester eines Studiums erreicht hat, eine Berufsausbildung absolviert usw., kann nach § 12 WPlfG einen Antrag auf Zurückstellung stellen.

Außerdem besteht die Möglichkeit, sich sechs Jahre zum Dienst im Katastrophenschutz, beim Technischen Hilfswerk, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder beim Deutschen Roten Kreuz zu verpflichten, auch dann findet eine Befreiung von Wehrdienst statt.

Die derzeitige Einberufungsgrenze beträgt 23 Jahre, vorher betrug sie 25 Jahre. Die Dienstdauer beträgt neun Monate. Bei der Musterung werden die jungen Männer in verschiedene Tauglichkeitsstufen eingruppiert. T1 bedeutet verwendungsfähig ohne Einschränkung, T2 verwendungsfähig mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten, T4 vorübergehend nicht wehrdienstfähig und T5 nicht wehrdienstfähig. Der alte Tauglichkeitsgrad T3, nach welchem man verwendungsfähig außer für bestimmte Tätigkeiten auch im Grundwehrdienst war, wurde ersatzlos gestrichen. Zukünftig werden Personen, die sonst in diese Stufe gefallen sind, mit T5 gemustert. Die Feststellung der Tauglichkeit erfolgt durch die Kreiswehrersatzämter. Es handelt sich bei der Tauglichkeitsfeststellung um einen Verwaltungsakt, gegen den Widerspruch und Anfechtungsklage möglich ist.

Die Wehrpflicht endet mit dem 45., bei Offizieren und Unteroffizieren mit dem 60. Lebensjahr. Im Spannungs- und Verteidigungsfall endet die Wehrpflicht mit Ablauf des Jahres, in dem der Wehrpflichtige das 60. Lebensjahr vollendet.

III. Wehrpflicht in anderen Staaten

1.) Überblick

Bei der Diskussion über die allgemeine Wehrpflicht lohnt es sich, die Wehrstrukturen anderer NATO und EU-Staaten zu betrachten. Immerhin ist eines der Argumente der Wehrpflichtbefürworter, dass die allgemeine Wehrpflicht die Demokratie stabilisiere und eine Freiwilligenarmee, wie die Reichswehr in der Weimarer Republik es war, eine Brutstätte antidemokratischen Handelns und Denkens sei.

USA: Hier existiert die Wehrpflicht noch nominell. Jedoch ist sie seit dem Vietnamkrieg nicht mehr zur Anwendung gekommen.

Frankreich: Hier wurde die Wehrpflicht zum 31.12.2002 abgeschafft und damit die Freiwilligenarmee eingeführt.

Spanien: In diesem Land wurde die Wehrpflicht ebenfalls 2002 abgeschafft.

Großbritannien: Die Wehrpflicht wurde 1963 aufgehoben.

Italien: 2005 wurde auch hier die Wehrpflicht aufgehoben.

Wie man feststellt, haben alle größeren deutschen Partner die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft oder ausgesetzt. Innerhalb der NATO verfügen neben der BRD nur noch die Türkei, Polen, Norwegen, Griechenland und Dänemark über eine Wehrpflichtarmee. Demnach geht der Trend dahin, Wehrpflichtarmeen durch Freiwilligenarmeen zu ersetzen. Die Einführung von Freiwilligenarmeen in den oben genannten Ländern hat in diesen nicht zu einer Gefährdung demokratischer Strukturen geführt[4].

2.) Probleme für die Armee

Jedoch müssen auch die Probleme, die mit der Einführung der Freiwilligenarmeen verbunden sind, betrachtet werden. So zeigen die Erfahrungen dort, dass es oftmals erhebliche Schwierigkeiten mit der Nachwuchsgewinnung gibt. In den USA müssen mittlerweile groß angelegte Werbekampagnen mit Hollywoodstars gestartet werden, verbunden mit Solderhöhungen, um den Rekrutenbedarf zu denken. In Großbritannien werden jungen Strafgefangenen die Haftstrafen erlassen, wenn sie sich freiwillig zur Armee melden[5]. Auch Spanien hatte nach der Abschaffung der Wehrpflicht massive Probleme und muss nun Menschen aus anderen Ländern anwerben, deshalb dienen dort mittlerweile viele Lateinamerikaner.

3.) Probleme für den sozialen Bereich

Auch wenn die Argumentation, dass die Wehrpflicht gebraucht werde, um die sozialen Sicherungssysteme über den Zivildienst aufrecht zu erhalten, nicht verfassungsgemäß ist, weil es sich beim Zivildienst um einen Ersatzdienst handelt, welcher Ausnahme und nicht Regel sein soll, sind dennoch aus realpolitischer Sicht auch die Probleme für den sozialen Bereich zumindest an dieser Stelle kurz anzusprechen. Viele Staaten, in denen die Wehrpflicht abgeschafft wurde, verfügten ebenfalls über ähnliche Einrichtungen wie den Zivildienst. Während einige Staaten wie bspw. Tschechien und Portugal darauf setzen, die fehlenden Zivildienstleistenden und die damit liegen bleibenden sozialen Tätigkeiten über das Herr der Arbeitslosen zu lösen, führte die Abschaffung der Wehrpflicht in Italien zu massiven Problemen im sozialen Bereich. Hier wurde ein Freiwilligen-Dienstprogramm entwickelt, um die Ausfälle zu kompensieren. Doch gibt es hier bei der Gewinnung junger Menschen Probleme[6].

IV. Die sicherheitspolitische Lage und die Konsequenzen für die Wehrpflicht

1.) Die sicherheitspolitische Lage

Seit 1990 hat sich die sicherheitspolitische Lage gravierend verändert. Standen sich bis 1990 zwei verfeindete Blöcke gegenüber und verlief die Grenze dieser Blöcke mitten durch Deutschland, so ist BRD heute mit allen angrenzenden Staaten befreundet oder verbündet. Auch deshalb wird gefolgert, dass eine Gefährdung deutschen Staatsgebietes durch konventionelle Streitkräfte derzeit und auf absehbare Zeit nicht zu erkennen ist. Jedoch haben sich im Gegenzug neue Gefahren entwickelt. Dies ist namentlich der internationale Terrorismus, wie sich am 11.09.2001 gezeigt hat sowie neue Konfliktherde wie im nahen Osten, auf dem Balkan, in Afghanistan und Irak. Dies zeigt, dass trotz Wegfall des Ost-West-Konfliktes die Welt nicht friedlicher geworden ist[7].

2.) Sicherheitspolitische Argumentationslinien

Vor dem Hintergrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage verabschiedete das Bundesverteidigungsministerium 2003 neue verteidigungspolitische Richtlinien. Diese machen deutlich, dass auch außerhalb des Bündnisgebietes Einsätze der Bundeswehr notwendig seien[8]. Dennoch werde die Wehrpflicht gebraucht. Sie diene dem Schutz der Deutschen Bevölkerung und sei auch wichtig bei Unterstützung von Naturkatastrophen und Unglücksfällen[9]. Auch wird von Befürwortern der allgemeinen Wehrpflicht argumentiert, dass Deutschland aufgrund seiner geographischen Lage und seines politischen Gewichts in Europa eine besondere Verantwortung für den Frieden und die Stabilität des Kontinentes übernehmen und dafür auch eine große Anzahl von Soldaten zur Verfügung stellen müsse, welche auf freiwilliger Basis nicht gewonnen werden können[10]. Ferner verändere sich die sicherheitspolitische Lage schnell, als Beispiel dient hier der kurzfristige Fall der Berliner Mauer oder der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11.09.2001[11]. Daraus wird eine Prognoseunsicherheit gefolgt und geschlussfolgert, dass man für jeden Eventualfall vorbereitet sein müsse[12]. Dieses Argument wird allerdings damit abgelehnt, dass es mittelfristig keine existentielle Bedrohung Deutschlands gäbe, selbst der Terrorismus könne besser mit Geheimdiensten und Polizei eingedämmt werden[13]. Außerdem teilen die meisten NATO-Verbündeten diese Lageanalyse nicht, diese sehe man am besten daran, dass die meisten von ihnen die Wehrpflicht ausgesetzt haben[14]. Deshalb sei auch im Falle einer Umstellung auf eine Freiwilligenarmee nicht mit außenpolitischen Einwänden zu rechnen[15]. Auch die Ausrichtung auf Auslandseinsätze und der viel zitierte Satz des Bundesverteidigungsminister a.D. Struck wird für eine Freiwilligenarmee in Anspruch genommen: „Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt.“ [16] Denn wenn dem so sei, dann brauche Deutschland eine professionelle Armee und Wehrpflichtige seien für den Auslandseinsatz ungeeignet[17]. Dem wird entgegengehalten, dass ca. 35.000 Wehrdienstleistende wichtige Unterstützung für eben diese Auslandseinsätze erbrächten, ohne welche die Einsätze unmöglich wären[18]. Auch die freiwillig Länderdienenden dienen als Argument für die Wehrpflicht: Diese 20.000 Mann würden wichtige Aufgaben im Inland und im Auslandseinsatz übernehmen, ihr Wegfall würde die Nachwuchslage erheblich einbrechen lassen[19], teilweise wird sogar vertreten, dass die Bundeswehr bei einem Wegfall der Wehrpflicht ihre Aufgaben nicht mehr bewältigen kann[20]. Dem wird entgegengehalten, dass für die Ausbildung von Wehrpflichtigen auf einen beträchtlichen Anteil von Berufs- und Zeitsoldaten aus den Einsatzkräften zurückgegriffen werden, was die Einsatzfähigkeit dieser Kräfte dann beeinträchtige. Im Krisenfall könnte dies die Fähigkeit der Streitkräfte, schnell zu reagieren, sogar schwächen[21].

3.) Entscheidung

Es lässt sich feststellen, dass die sicherheitspolitische Lage von allen Seiten nahezu gleich bewertet wird, jedoch daraus unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen werden. Die entscheidende Argumentation der Wehrpflichtbefürworter aber, dass man für jeden Eventualfall vorbereit sein müsse, wirkt holprig. Denn dies würde de facto bedeuten, dass man darauf vorbereit sein müsse, dass ein Nachbar Deutschlands, mit dem man heute noch eng verbündet ist, der BRD plötzlich den Krieg erklärt. Denn dann wäre die Wehrpflichtarmee als Landesverteidigungsarmee wichtig. Aber gerade dies erscheint so fern jeder Realität, dass ein entsprechendes Szenario nicht nachvollzogen werden kann. Natürlich gibt es zahlreiche außenpolitische Gefahren, aber tatsächlich zeigt sich bei allen Konflikten des letzten Jahrzehntes, dass eine Wehrpflichtarmee nicht notwendig gewesen wäre, um diese zu bewältigen. Dies sehen augenscheinlich auch viele Verbündete Deutschlands ebenso, da sie mittlerweile über Freiwilligenarmeen verfügen. Dabei stehen viele von ihnen vor ähnlichen sicherheitspolitischen Problemen. Deshalb spricht die sicherheitspolitische Lage eher dafür, auf eine professionelle Freiwilligenarmee als auf eine Wehrpflichtarmee zu setzen.

V. Wehrgerechtigkeit

1.) Einleitung

„Die allgemeine Wehrpflicht ist Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgedankens. Ihre Durchführung steht unter der Herrschaft des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz. Dem Verfassungsgebot der staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit in Gestalt der Wehrgerechtigkeit wird nicht schon dadurch genügt, dass die Wehrpflichtigen entweder zum Wehrdienst oder zum Ersatzdienst herangezogen werden.“ [22] Mit diesem Leitsatz macht das BVerfGE unmissverständlich deutlich, dass die Wehrgerechtigkeit auf Art.3 I GG zu stützen sei und damit einer der obersten Grundsätze der deutschen Wehrpflicht ist. Und zum zweiten macht es klar, dass Wehrgerechtigkeit nicht einfach dadurch hergestellt werden kann, dass in beliebiger Zahl Ersatzdienstplätze geschaffen werden, um Männer überhaupt in einen Dienst zu bringen. In jüngerer Zeit wurde die Debatte um die Wehrgerechtigkeit durch das VG Köln entfacht: Dieses entschied erstmals in Geschichte der Bundesrepublik, dass in einem konkreten Einzelfall der Wehrpflichtige nicht zum Wehrdienst herangezogen werden darf, da die Wehrgerechtigkeit nicht mehr gewährleistet sei. Das BVerwGE hob das Urteil allerdings auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück an das VG Köln. Dieses setzte daraufhin die Verhandlung aus und legte den Sachverhalt dem BVerfGE vor. Demnach besteht die Möglichkeit, dass das BVerfGE feststellt, dass keine Wehrgerechtigkeit mehr gegeben sei, was wohl das Aus für die Wehrpflicht bedeuten würde. Im Weiteren soll sich daher darum bemüht werden, die verschiedenen Aspekte der Wehrgerechtigkeit zu beleuchten und zu skizzieren, ob es überhaupt noch so etwas wie Wehrgerechtigkeit gibt.

2.) Statistisches zur Wehrpflicht

Zu statistischen Daten der Wehrpflicht gibt es umfangreiches Zahlenmaterial, das schon für sich den Umfang der Gesamtarbeit einnehmen könnte. Daher wurde hier folgendes Verfahren gewählt: Als Bezugspunkt dient der Geburtsjahrgang 1983, dieser wird verglichen mit dem Geburtsjahrgang 1979[23].

a.) Anzahl der Erfassten: „Erfasste“ meint all diejenigen jungen Männer, welche von den zuständigen Einwohnermeldeämtern angeschrieben worden sind und deren Daten an die Kreiswehrersatzämtern weitergeleitet wurde. 1979 wurden 416.034, 1983 434.181 Männer erfasst[24].

b.) Anzahl der Gemusterten: Aus dem Geburtsjahrgang 1979 wurden 400.588 gemustert. Dies entspricht 96,3% der Erfassten. Aus dem Jahrgang 1983 wurden nur 84,6%, d.h. 367.119 junge Männer, überhaupt gemustert. Festzustellen ist damit an dieser Stelle: Immer mehr junge Männer werden trotz Erfassung nicht gemustert. Dabei legt § 16 III WPflG fest, dass Musterungen bis zum Ablauf des Jahres durchzuführen sind, in dem die Männer 21 Jahre alt werden. Dass alle Männer gemustert werden müssen, gebietet auch Art. 3 I GG, immerhin bedeutet es eine Ungleichbehandlung, wenn ein Teil der jungen Männer ungemustert bleibt und der andere gemustert wird, denn eine (verfassungsgemäße) Rechtfertigung dafür ist nicht ersichtlich. Bei allen Jahrgängen zwischen 1979-1983 wurde dies nicht eingehalten. Insgesamt sind aus diesen Jahrgängen 159.012 junge Männer nie gemustert wurden.

c.) Kapazitätsauslastung der Kreiswehrersatzämter: Betrachtet man die Anzahl der jährlichen Musterungen ab dem Jahr 2001, so kann man von einem Wert von ca. 370.000 Musterungen im Jahr sprechen[25]. Jedoch sind alle Jahrgänge ausnahmslos größer. Damit sind die Kapazitäten der Kreiswehrersatzämter anscheinend nicht dazu geeignet, alle jungen Männer überhaupt zu mustern. Demnach wird das Problem der Diskrepanz zwischen Erfassten und Gemusterten in den folgenden Jahren wohl zunehmen.

[...]


[1] Vgl. tagesschau.de [Hrsg.]: Struck: Wehrpflicht auch unter großer Koalition, 11.10.2005, Online im Internet: URL: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4843212_REF1,00.html [Stand: 13.01.2006].

[2] BdV 2005.

[3] Vgl.: Bund der Steuerzahler: „Staatsverschuldung in Deutschland“. Online im Internet: URL: http://www.bund-der-steuerzahler.de/webcom/show_softlink.php/_c-33/i.html [Stand: 13.01.2006].

[4] Opitz 1994, S.29.

[5] Sommer.

[6] von Heymann.

[7] Richter, S.87.

[8] BdV 2003a, S.19.

[9] BdV 2003a, S.19.

[10] Bagger, S.8.

[11] Bischof, S. 84.

[12] Dunz; Bischof S.84; Gertz S.80.

[13] Dinter, S.117.

[14] Klein, S.70.

[15] Sommer 2003, S.61.

[16] Vgl. heise.de [Hrsg.]: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt", 13.12.2002, Online im Internet: URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/13/13778/1.html [Stand: 13.01.2006].

[17] Dinter, S.117.

[18] BdV 2003b, S.2 f.

[19] Gertz, S.81.

[20] Gertz, S.80.

[21] Klein, S.72.

[22] BVerfGE 48, 127.

[23] Alle nachfolgenden Zahlenangaben und Tabellenbezüge aus BdV 2005.

[24] Die Zahl der Erfassten errechnet sich aus den Angaben zu den Gemusterten (Tabelle zu Antwort 2b auf S.4) und den nicht Gemusterten (Tabelle zu Antwort 2d, S.5).

[25] Tobiassen, 2.Wehrdienstfähige.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Abschied von der Wehrpflicht?
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Veranstaltung
Seminar "Schlanker Staat in Zeiten knapper Kassen"
Note
16 Punkte
Autor
Jahr
2006
Seiten
38
Katalognummer
V54544
ISBN (eBook)
9783638497206
ISBN (Buch)
9783638663311
Dateigröße
587 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wehrpflicht, Bundeswehr, Armee, Grundgesetz, Verfassung
Arbeit zitieren
Niema Movassat (Autor:in), 2006, Abschied von der Wehrpflicht?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54544

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