Martin Walsers "Templones Ende": Die Entwicklung des Protagonisten in Relation zu seinem gesellschaftlichen Umfeld


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Ausgangssituation des Protagonisten

3. Die Veränderung der Nachbarschaft des Protagonisten und seine daraus resultierende Entwicklung
3.1 Templone und seine “Verbündeten“
3.2 Das Aufnehmen eines Untermieters

4. Die Veränderung der Tochter Klara

5. Die endgültige Vereinsamung des Protagonisten und ihre Folgen

6. Schematische Darstellung der Entwicklung des Protagonisten

7. Fazit

1. Einleitung

Im Rahmen des Hauptseminars “Die Gruppe 47 und ihre Bedeutung für die deutsche Nachkriegsliteratur“ las ich die Erzählung “Templones Ende“ von Martin Walser. Für den im Jahre 1955 in seinem Debütband “Ein Flugzeug über dem Haus“ erschienen Text erhielt Walser im selben Jahr den Preis der Gruppe 47.

In der Zeit, in der er die Erzählung schrieb, arbeitete der Autor als Reporter, Regisseur und Hörspielautor beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart.[1] Walser schrieb die Erzählung kurz nach seiner Promotion über Kafka. “An erzählender Prosa hat Martin Walser überraschender Weise nur ganz frühe Sachen - vor allem aus seinem 1955 publizierten Debütband Ein Flugzeug über dem Haus – aufgenommen, die seinerzeit gern als kafkaesk gelobt oder abgetan wurden.“[2]

Trotz der Entstehung in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist auffallend, “... wie rigoros aus diesen Fünfzigerjahretexten die Gegenwart und unmittelbare deutsche Vergangenheit ausgespart sind. Keine Sekunde lang wecken [die Erzählungen im] ... Flugzeug über dem Haus Assoziationen zu den Bomben-geschwadern, die eben noch europäische Städte in Schutt und Asche legten, und wenn etwa in Templones Ende von dem Besitz die Rede ist, den ‘Herr Templone vor dem Krieg in Berlin erworben hatte’, so lässt die völlige Unschuld des Erzählers nicht die Frage zu, ob es sich dabei um arisierten Besitz gehandelt haben könnte“[3]. Die Erzählung “Templones Ende“ kann als Teil von Walsers Bemühungen, die Gruppe 47, die zu dieser Zeit das Thema des Krieges und seiner Begleiterscheinungen bevorzugt, für die Gegenwart zu interessieren, verstanden werden. Er sagte: “Die Unmenschlichkeit unserer Tage hat subtilere Züge, der Terror der Mächtigen herrscht durch die Schimäre des Wohlstandes und versklavt unbarmherzig das Individuum“[4].

Die Erzählung „Templones Ende“ handelt von einem älteren Herrn (Templone), der mit seiner Tochter Klara eine Villa im ehemals sehr teuren Villenviertel von Bernau bei Berlin bewohnt. Nach dem Krieg verlieren die Villen in Bernau rapide an Wert, wodurch viele Nachbarn Templones ihren Besitz verkaufen. Der Protagonist verliert so immer mehr davon, worüber er seinen Selbstwert und seine Sicherheit definiert hat. Mit zunehmender Vereinsamung wird in ihm der Verdacht, neu hinzuziehende Nachbarn wären Teil einer feindlichen Verschwörung, immer stärker. Diese Vermutung veranlasst den Protagonisten im Verlauf der Erzählung dazu, zu immer skurriler werdenden Mitteln zu greifen, um gegen diese “Verschwörung“ vorzugehen.

Ich las die Erzählung mit einem Schmunzeln, da die zwar eher sachliche Darstellung des Protagonisten so anschaulich geschieht, dass beim Lesen ein genaues Bild dieses älteren Herren, der sich eine Art Traumwelt aufbaut und merkwürdige Handlungen vollzieht, entsteht. Ich überlegte mir, was ich von einem Nachbarn halten würde, der sich in dieser Form verhält. Wahrscheinlich würde ich ihn einfach als älteren Herren bezeichnen, der “einen Sprung in der Schüssel“ hat. Auf diese einfache Weise jedoch kann der Protagonist, Herr Templone, sicherlich nicht beurteilt werden. So entschloss ich mich, eine Hausarbeit zu verfassen, die sich mit der Entwicklung des Protagonisten befasst.

Was aber veranlasst den Protagonisten zu seinem Handeln? Treibt ihn sein Charakter dazu sich so skurril zu verhalten? Welche Geschehnisse in seinem gesellschaftlichen Umfeld tragen zu seiner Entwicklung bei? Wie groß ist ihr Einfluss? Welche Motive stehen hinter seiner Entwicklung?

Zu vermuten ist, dass die Entwicklung des Protagonisten auf einem Zusammenspiel innerer und äußerer Faktoren beruht. Um dies allerdings genau zu

klären, versuche ich in der vorliegenden Arbeit systematisch vorzugehen:

In Kapitel zwei werde ich zunächst die Ausgangssituation des Protagonisten sowie seine grundlegenden Merkmale und Einstellungen aus der Erzählung herausarbeiten, um diese später mit seiner Entwicklung in Beziehung setzen zu können.

Kapitel drei bis fünf werden eine Analyse des Erzähltextes hinsichtlich der Entwicklung des Protagonisten bilden. Wichtige Einschnitte in seinem Leben und Entwicklungsfolgen werde ich hier darstellen. Dabei werde ich die Entwicklung des Herrn Templone zu seinem gesellschaftlichen Umfeld und seinem Charakter in Beziehung setzen, um Entwicklungsleitmotive zu finden. Da es mir nicht möglich war, Sekundärliteratur zu vorliegendem Text zu finden, werden die textgestützten Interpretationen allein meine Ansicht der Dinge darstellen. Ich stütze mich mit dieser Vorgehensweise auf eine Aussage Martin Walsers, der in einer Rede zur Einführung in eine Poetikdozentur an der Universität Heidelberg äußerte, “... dass es nach [seiner] ... Erfahrung im Umgang mit Literatur keine privilegierte Bedeutungsschöpfung gebe, daß vielmehr jede Leserin und jeder Leser ein Naturrecht auf eine eigenen Empfindung und Leseerfahrung habe.“[5]

Kapitel sechs wird den Versuch einer schematischen Entwicklungsdarstellung Templones beinhalten, um einen zusammenfassenden Überblick über die in Kapitel zwei bis fünf erarbeiteten Aussagen zu geben.

Im abschließenden Fazit werde ich die eingangs aufgeworfenen Fragen (soweit es nach der Analyse möglich ist) zusammenfassend beantworten.

2. Die Ausgangssituation des Protagonisten

Um die Entwicklung des Protagonisten verdeutlichen zu können, sei zunächst seine Ausgangssituation dargestellt, wie sie vor der eigentlichen Handlung der Erzählung “Templones Ende“ vorzufinden war. Im Folgenden werde ich das gesellschaftliche Umfeld der Hauptfigur Templone darstellen und aufzeigen, in welcher Beziehung er zu diesem in der Ausgangssituation (vor und während des zweiten Weltkrieges) steht. Auch werde ich seine Grundeinstellungen und typischen Verhaltensweisen darstellen, um seine Entwicklung später mit diesen in Verbindung bringen zu können.

Herr Templone ist ein älterer, zart gebauter und schlappbäuchiger Mann, dessen Gesicht durch Faltenbildung zu stetigem Grinsen verzerrt ist.[6] Er war nur kurze Zeit lang verheiratet und hat vor dem zweiten Weltkrieg mit Grundstücksspekulationen ein Vermögen gemacht.[7] Seit einigen Jahren lebt er mit seiner 38-jährigen Tochter Klara in einer großen Villa im Villenviertel von Bernau bei Berlin, die er vor dem Krieg erworben hat.[8]

Dieser Besitz bedeutet dem Protagonisten viel: Über die Tatsache auf teurem Grund und Boden zu leben und die damit verbundenen Annehmlichkeiten genießen zu können, definiert er (sowie seine Nachbarn) seinen Selbstwert und seine Sicherheit.[9]

“Als Herr Templone vor dem Krieg seinen Besitz in Bernau erworben hatte, konnte er das Gefühl haben, einen sehr glücklichen Kauf getan zu haben“ (S.119), denn der Protagonist führt zu diesem Zeitpunkt ein zufriedenes Leben. Dieses definiert er nicht nur über die o.g. Tatsache des wertvollen Besitzes, sondern auch über die Beziehungen zu seinen Nachbarn und seiner Tochter Klara, die ich im Folgenden darstellen werde.

Die im Villenviertel lebende Nachbarschaft trifft sich in der Ausgangssituation regelmäßig, um Feste zu feiern oder um sich zu besuchen, wodurch der Protagonist über das Leben seiner unmittelbaren nachbarschaftlichen Umgebung informiert ist. Das Informiert-Sein über seine Umwelt scheint für ihn zu diesem Zeitpunkt das Hauptmotiv der Nachbarschaftspflege zu sein. Dies wird daran deutlich, dass der Erzähler von regelmäßigen Zusammentreffen berichtet, die durchgeführt werden, “... ohne die Gesellschaftlichkeit zu übertreiben“.[10] An diesem Zitat wird deutlich, dass dem Protagonisten nicht an einer engen, freundschaftlichen Bindung zu seinen Nachbarn gelegen ist. Diese Tatsache ist auch aus folgender Textstelle zu deuten: “Mit den Nachbarn hatten er und seine Tochter in bestem Einvernehmen gelebt“.[11]

Auch die Beziehung zu seiner Tochter Klara ist recht reserviert. Die beiden führen seit Jahren ein zurückgezogenes Leben, wobei ihr Tagesablauf von festen, unumstößlichen Gewohnheiten bestimmt ist. Sie sehen sich nur zum Frühstück und beim Mittagessen. Den Rest des Tages gehen sie getrennte Wege. Während Klara sich Beschäftigungen sucht, um sich die Zeit zu vertreiben (“... sie wußte allen ihren Besorgungen einen Anschein von Notwendigkeit zu geben.“[12]), verbringt Herr Templone viel Zeit in seiner Bibliothek, die “...ausschließlich aus gebundenen Zeitungen der letzten fünfzig Jahre“[13] besteht und die er vom ersten Jahrgang an noch einmal durchzuarbeiten begonnen hat, wobei er besonderes Augenmerk auf die Wirtschaftsberichte legt .[14]

Zwar scheint Klara die Hauptbezugsperson des Protagonisten zu sein, dennoch ist das Vater-Tochter-Verhältnis nicht von Vertrautheit und Herzlichkeit bestimmt. Dies ist durch das Verhalten der Hauptperson bedingt: Neben der Tatsache, dass Templone generell ein eher zurückgezogener Mensch ist, zeigt er wenig Interesse und Wärme seiner Tochter gegenüber (“Nur an Festtagen ging Klara abends noch einmal zu ihrem Vater hinunter, setzte sich neben ihn, bereit, die eine oder andere frostige Zärtlichkeit von ihm entgegenzunehmen.“[15]), wodurch die beiden nebeneinander her leben. Dies hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass Klara ihrem Vater aus dem Weg geht (“Sie hatte also zwei Stunden Zeit, im Garten herumzugehen, ohne Gefahr zu laufen, auf ihren Vater zu treffen“[16] ;“Nur von ihrem Vater wollte sie nicht gesehen werden“[17] ; “Hörte sie dann ihren Vater über die Hinterterrasse das Haus betreten, flüchtete sie rasch in ihre eigene Wohnung ...“[18]).

Insgesamt scheint Herrn Templone nicht viel an engen Bindungen zu seinen Mitmenschen zu liegen, was an seinem Verhältnis zu seiner Tochter und zur Nachbarschaft deutlich wird.

Herr Templone ist ein Mann, der gern kontrolliert. Dies wird an folgendem Zitat deutlich: “ Wenn Herr Templone seine Zeitungen gelesen hatte, ... ging [er] in den Ostflügel seiner Villa, beging Zimmer um Zimmer, prüfte die Fenster, die Beleuchtung, die Schrankschlösser und den Inhalt vieler Schubladen“[19].

Die Villa bildet seinen Lebensmittelpunkt. Er verlässt sie täglich nur kurz, um den Garten in der Abenddämmerung zu besuchen.

Sein Hauptinteresse scheint in der Wirtschaft zu liegen: Er studiert die Wirtschaftsberichte der letzten 50 Jahre sehr gründlich, was von Zielstrebigkeit zeugt. Auf diesem Gebiet ist der Protagonist sehr kompetent, was sich darin zeigt, dass er sein Vermögen durch Grundstücksspekulationen erworben hat, die Wissen über die Entwicklung der Wirtschaftssituation verlangen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Ausgangssituation des Protagonisten von festen, scheinbar unumstößlichen Gewohnheiten und Verhaltensweisen geprägt ist, die seine Zufriedenheit maßgeblich bestimmen.

Er ist ein sehr exakter, zurückgezogener und kühler Mensch, der als „Eigenbrötler“ und Einzelgänger bezeichnet werden kann. Dennoch wird ein Großteil seiner Zufriedenheit in der Ausgangssituation durch sein gesellschaftliches Umfeld bestimmt: Klara, seine Tochter, unterstützt seine Lebensweise, obwohl sie eigentlich unzufrieden mit ihrer Situation ist. Weder zu ihr noch zu seiner Nachbarschaft pflegt Templone eine enge Bindung. Zwar berichtet der Erzähler von regelmäßigen Zusammentreffen der Nachbarn, jedoch verbindet sie, so scheint es, nur die Tatsache, dass sie ihren Selbstwert und ihre Sicherheit über ihre wertvollen Villen definieren. Diese oberflächlichen zwischenmenschlichen Beziehungen genügen Herrn Templone allerdings für seine Zufriedenheit.

[...]


[1] vgl. www.nfhdata.de/cgi lo cal/frame/indexpage.pl?http://www.nfhdata.de/premium/thema/01_walser-affaere.shtml, 27.5.2005, 13.45 Uhr.

[2] literaturbeilage.zeit.de/show_article?ausgabe_id=2&artikel_id=200213___Fortsetzung_auf_Seite_22, 27.5.2005, 13.50 Uhr.

[3] ebd.

[4] www. Mediaculture-online.de/fileadmin/bibliothek/oldenburg_walser/oldenburg_walser.html, 26.5.2005, 19.55 Uhr

[5] Walser, Martin. Des Lesers Selbstverständnis. Ein Bericht und eine Behauptung.(S.246-267) In: Doane, Heike & Bauer Pickar, Gertrud (Hrsg.). Leseerfahrungen mit Martin Walser. Neue Beiträge zu seinen Texten. München: Fink, 1995, S.246.

[6] vgl. Walser, Martin. Templones Ende, S. 119- 133. In: Neunzig, von H.A. . Lesebuch der Gruppe 47. München:dtv, 1983., S.128.

[7] vgl. ebd.

[8] vgl. ebd.

[9] vgl. ebd.

[10] Walser, M., S. 120

[11] ebd., S.119

[12] ebd., S.124

[13] ebd., S. 123

[14] vgl. ebd., S. 123

[15] Walser, M., S.125.

[16] ebd., S.123

[17] ebd., S.124

[18] ebd., S.125

[19] Walser, M., S. 124

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Martin Walsers "Templones Ende": Die Entwicklung des Protagonisten in Relation zu seinem gesellschaftlichen Umfeld
Hochschule
Universität Lüneburg  (Institut für Germanistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
26
Katalognummer
V52502
ISBN (eBook)
9783638482035
ISBN (Buch)
9783638662208
Dateigröße
573 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Martin, Walsers, Templones, Ende, Entwicklung, Protagonisten, Relation, Umfeld
Arbeit zitieren
Isabell Kallis (Autor:in), 2005, Martin Walsers "Templones Ende": Die Entwicklung des Protagonisten in Relation zu seinem gesellschaftlichen Umfeld, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52502

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