Bernard le Bovier de Fontenelle: Entretiens sur la pluralité des mondes


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

29 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Rationalismus und Sensualismus
2.1 Sensualistische Aspekte
2.2 Descartes Einfluss auf die Entretiens

3 Die Zielgruppe: gens du monde und savants
3.1 Die Frau als Gesprächspartnerin

4 Die Art der Wissensvermittlung
4.1 Rhetorischen Fragen und Informationsfragen
4.2 Verhältnis zwischen Fachmann und Laie
4.3 Fachwörter
4.4 Vergleiche

5 Abschlussbetrachtungen

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Entretiens sur la pluralité des mondes v on Bernard le Bovier de Fontenelle. Darin schildert ein anonymer Fachmann, den man als Fontenelle identifizieren kann, seinem philosophischen Freund durch einen Brief, wie er die Marquise von G… in die Astronomie eingeführt hat und stellt ihre Spekulationen über mögliche Mond- und Planetenbewohner dar.

Fontenelle ist in die Zeit des auf dem Verstand beruhenden Rationalismus und des auf sinnliche Wahrnehmung konzentrierten Sensualismus einzuordnen. Kerstin Störl bezeichnet die Epoche der Textentstehung als Differenzierung innerhalb des Rationalismus und weist diesem rationalistischen Text eine teilweise sensualistische Prägung zu (vgl. Störl, 2004: 4). Die jeweils philosophischen Einflüsse auf den Text sollen hier aufgezeigt werden. Wichtig ist, dass Fontenelle mit den Entretiens zwei zu der Zeit unvereinbare Zielgruppen ansprechen wollte, die gens du monde und die savants. Deshalb werde ich der Frage nachgehen, wie sich diese Intention auf die gesamte Textgestaltung auswirkt.

In der Zeit von 1700 bis 1800 stieg die Bedeutung von Literatur und Philosophie in Europa[1]. Diese Zeit wird auch als der Wandel in der Geschichte des menschlichen Denkens bezeichnet. Das Wissen und die Sprache gehörten im klassischen Zeitalter zusammen (vgl. Mortureux, 1989: 106). Rationalistisch gesehen repräsentiert die Sprache das Denken, wie das Denken sich selbst repräsentiert. Die Auffassungen werden anhand René Descartes Regeln in 2.2 deutlich. Die Sensualisten nahmen an, dass jeder Denkprozess auf die menschliche Sinneswahrnehmung zurückgehe. Das Verhältnis von Sprache und Denken soll hier untersucht werden. Fontenelles Auffassung diesbezüglich dürfte in seiner Wissensvermittlung (s. 4) am deutlichsten werden, auf die ich ebenfalls eingehen werde.

Ein weiterer wichtiger Aspekt stellt die Wahl einer Frau als Gesprächspartnerin dar, weil Frauen sich allgemein nicht so leicht für wissenschaftliche Gegebenheiten interessieren. Sie ist im Rahmen eines wissenschaftlichen Gesprächs über die Astronomie sozial bedeutend und aus der heutigen Sicht literatursoziologisch für das 18. Jahrhundert typisch (vgl. Kalverkämper, 1989: 33). Dabei interessiert mich, wie die Frau als Laie dargestellt wird, wie sie denkt und sich im Verlauf der Gespräche entwickelt. Im Kapitel zur Wissensvermittlung, das hauptsächlich auf Fontenelles Vorgehen abzielt, werde ich auch auf das Verhältnis zwischen Laie und Fachmann eingehen.

2 Rationalismus und Sensualismus

Die philosophische Richtung des Rationalismus[2] geht zurück auf das Schaffen René Descartes. Descartes war im 17. Jahrhundert der erste moderne Rationalist und gehörte zu der weiter entwickelten Philosophie. Er gab sich mit den Erkenntnissen des Mittelalters nicht zufrieden und suchte nach neuen Wegen zur Erkenntnisfindung. Während er das Spekulieren ablehnte, wurde das Zweifeln zu seinem wichtigsten Instrument, indem er begann nach unanzweifelbaren Wahrheiten zu forschen. Zu diesem Zweck nahm er an, dass wenn sein Leben der Traum eines Dämon sei, die Frage aufkäme, wessen er sich dann noch sicher sein könne. Er kam zu der Ansicht, dass nur sicher wäre, dass er dachte, da das Zweifeln eine Art des Denkens ist. Daraus folgerte er, dass er existieren musste, da irgendjemand den Prozess des Denkens ausführen musste. Das führte ihn zu dem Schluss: „Ich denke, also bin ich...“. Dieser Satz ermöglichte ihm ein neues philosophisches Modell aufzustellen. Er veranschaulichte seine Auffassungen von Wissenschaft und Philosophie anhand der Geometrie. Der Rationalismus fordert als Mittel zur Erkenntnis streng begrifflich-logisches Denken und erkennt nur an, was beweisbar bzw. begreifbar ist. Laut ihm lassen sich die universellen Grundsätze einzig mit Hilfe des Verstandes erschließen und anschließend alle übrigen Fragen der Philosophie und Naturwissenschaften durch Deduktion, also Ableitung des Unbekannten über das Bekannte, beantworten. Descartes behauptete, dass Erkenntnisse nicht mit Hilfe der Sinneswahrnehmung, wie es die Sensualisten propagierten, zu erschließen wären. Der Rationalismus prägte wie der Sensualismus die Epoche der Aufklärung.

John Locke entwickelte eine Philosophie[3], die in ihren Grundlagen einen Gegenpol zum französischen Rationalismus darstellte. Beim so genannten Empirismus beruht alle Erkenntnis auf der Erfahrung. Ein wesentlicher Bestandteil des Empirismus ist der Sensualismus. Nach dieser Richtung nimmt man an, dass alle Erkenntnis auf die sinnliche Wahrnehmung zurückgeht. Demnach sind Erkenntnisse durch Erfahrungen und Beobachtungen zu gewinnen. Sensualistische Vertreter sind der Annahme, dass zwischen Denken und Wahrnehmen kein wesentlicher Unterschied besteht. Alle Resultate des Denkens lassen sich in Sinneswahrnehmungen auflösen, wonach Erkenntnis nur ein Produkt der Sinnesfunktionen ist.

Viele Philosophen haben versucht aus Empirismus und Rationalismus eine Synthese zu ziehen, in der beide Vorgehensweisen Beachtung finden.

2.1 Sensualistische Aspekte

Man könnte Fontenelle als Philosophen betrachten, dessen Ziel die Synthese von Rationalismus und Sensualismus war, da er mit den Entretiens, wie bereits erwähnt, einen rationalistischen Text mit teils sensualistischer Prägung geschaffen hat. Diese Tendenz entfaltet sich in der eigentlichen Aufklärung voll. Mit der Frage, was an seinem Text alles rationalistisch ist, befasst sich der nächste Abschnitt. Dass hier sensualistische Aspekte berücksichtigt sind, wird schon im Vorwort deutlich: «[C]'est seulement ne point lire, sans se représenter nettement ce qu'on lit.» (11). Die Wahrnehmung und die Vorstellung finden sich in der Erkenntnistheorie. So legt der anonyme Fachmann im Text großen Wert darauf, dass die Marquise sich alles Vermittelte auch vergegenwärtigen kann. Für Fontenelle ist nach Denis Lopez (1989) nicht eine bestimmte Fähigkeit für das Verständnis wichtig, sondern Motivation und die Vorstellung von etwas und über das Vorstellen gelangt man zum Verständnis (vgl. 125), wie in den folgenden Zitaten deutlich wird:

1) Etes-vous contente, Madame? ajoutai-je [Fachmann]. Vous ai-je ouvert un assez grand champ à exercer votre imagination? Voyez-vous déjà quelques Habitans de Planètes ? Hélas! non, répondit-elle: tout ce que vous me dites-là est merveilleusement vain et vague; je ne vois qu'un grand je ne sais quoi où je ne vois rien. Il me faudroit quelque chose de plus déterminé, de plus marqué. Eh bien donc, repris je, je vais me résoudre à ne vous rien cacher de ce que je sais de plus particulier. C'est une chose que je tiens de très-bon lieu, et vous en conviendrez, quand je vous aurai cité mes garants. Ecoutez, s'il vous plaît, avec un peu de patience; cela sera assez long. (...) (72)
2) [la Marquise:][4] Mon imagination travaille sur le plan que vous m'avez donné, et je vais même jusqu'à leur composer des figures. Je ne vous les pourrois pas décrire; mais je vois pourtant quelque chose. Pour ces figures-là, répliquai-je, je vous conseille d'en laisser le soin aux songes que vous aurez cette nuit. (75)

Mit der Wichtigkeit der Wahrnehmung hält er sich an die sensualistische Einstellung, dass Denken und Wahrnehmen nicht zu trennen ist. Die Wahrnehmung über die Sinne versucht er zu fördern, indem er in seinen Ausführungen stets das Umfeld mit einbezieht und für die richtige Stimmung sorgt. So ist er darauf bedacht, stets die richtige Atmosphäre für das Gespräch zu schaffen: «La Marquise voulut m'engager pendant le jour à poursuivre nos Entretiens; mais je lui représentai que nous ne devions confier de telles rêveries qu'à la Lune et aux Etoiles, puisqu'aussi bien elles en étoient l'objet.» (57). Durch den Bezug auf das Umfeld gestaltet Fontenelle das Lehrgespräch anschaulicher und abwechslungsreicher. Zugleich findet dadurch im Gespräch nach Kalverkämper (1989) eine Rückbindung an die Rahmenhandlung statt, so dass diese eingebunden wird und immer wieder durchscheint. In den folgenden Zitaten soll der Bezug auf das Umfeld deutlich werden:

3) [F:] Avez-vous remarqué, lui répondis-je, qu'une boule qui rouleroit sur cette allée auroit deux mouvemens? Elle iroit vers le bout de l'allée, et en même temps elle tourneroit plusieurs fois sur elle-même, en sorte que la partie de cette boule qui est en haut, descendroit en bas, et que celle d'en bas monteroit en haut. La Terre fait la même chose. (30)

4) [F:] Ce cercle s'appelle le Zodiaque. Voulez-vous que je vous fasse ici une figure sur le sable?

(30)

5) [F:] Le chariot, par exemple, que vous voyez, qui est formé de ces sept Etoiles, a toujours été

fait comme il est[.] (22)

Ein weiterer Aspekt, der nicht rationalistisch ist, sind die Äußerungen von Gefühlen und Ansichten. Fontenelle und die Marquise sind im ganzen Gespräch affektiv, was sich immer wieder in das intellektuelle Gespräch mischt:

6) [M:] Vous me donnez une idée de Saturne qui me glace, dit la Marquise, au lieu que tantôt vous m'échauffiez en me parlant de Mercure. (94)

7) [M:] Je suis encore trop heureuse que vous ayez rendu à la Lune ses Habitans; je suis même fort contente que vous lui donniez un Air qui l'enveloppe en son particulier; il me sembleroit désormais que, sans cela, une Planète seroit trop nue. (60)

8) [M:] Je ne me contente, reprit-elle, ni de vos rochers, ni de vos Oiseaux. Cela ne laisseroit pas d'être joli: mais puisque la Nature a donné tant de Lunes à Saturne et à Jupiter, c'est une marque qu'il faut des Lunes. J'eusse été bien aise que tous les Mondes éloignés du Soleil en eussent eu, si Mars ne nous fût point venu faire une exception désagréable. Ah! vraiment, répliquai-je, si vous vous mêliez de Philosophie plus que vous ne faites, il faudroit bien que vous vous accoutumassiez à voir des exceptions dans les meilleurs Systèmes. (93)

9) [M:] On n'auroit donc jamais dû recevoir le Système de Copernic, puisqu'il est si humiliant.

(28)

In Fontenelles Text ist also eindeutig eine Hinwendung zum Gefühlsausdruck und zum Vorstellungsvermögen ersichtlich, was die sensualistische Prägung erzeugt.

2.2 Descartes Einfluss auf die Entretiens

Fontenelle hält sich in den Entretiens an die Lehren Descartes. Die Methode des philosophischen Denkens[5] präsentiert Descartes in Discours de la méthode. In den Abhandlungen stellt er vier Regeln auf, nach denen man vorgehen müsse, um zum wahren Wissen zu gelangen. Diese vier Regeln waren lange wegweisend und spiegeln typische Gedanken der Epoche wider[6]. Die erste Lehre besagt, dass man niemals eine Sache als wahr anerkennen soll, von der man nicht offensichtlich erkennt, dass sie wahr ist: d.h. Übereilung und Vorurteile sind sorgfältig zu vermeiden und man soll über nichts urteilen, was sich seinem Denken nicht so klar und deutlich darstellt, dass es nicht in Zweifel gezogen werden kann. Diese Lehre verdeutlicht die Einstellung zu Denken und Sprache. Weil Descartes davon ausgeht, dass das Zweifeln eine Art des Denkens ist, wird dieser Aspekt in seine vier Regeln übernommen. Gerade mit dem philosophischen Zweifeln hat die Marquise Schwierigkeiten und Fontenelle versucht ihr im Gespräch den Standpunkt Descartes klarzumachen:

1) [M:] Vous ne vous jouerez point ainsi de moi. Vous m'avez fait croire les Habitans de la Lune; j'ai surmonté la peine que j'y avois, je les croirai. Vous allez bien vîte, repris-je, il faut ne donner que la moitié de son esprit aux choses de cette espèce que l'on croit, et en réserver une autre moitié libre, où le contraire puisse être admis, s'il en est besoin. (...) De la distance où nous sommes, il est permis de ne pas deviner tout-à-fait juste. (57-59)

Fontenelle macht in seinem Text deutlich, dass der Fachmann in der Lage ist zu zweifeln, während sich die Marquise an sicheren Gegebenheiten orientieren möchte. Er versucht hier scheinbar nicht nur die Marquise, sondern auch die gens du monde zum Zweifeln anzuregen.

In der zweiten Lehre gibt Descartes an, dass man jedes zu untersuchende Problem in so viele Teile unterteilen soll, wie es angeht, und wie es nötig ist, um es leichter zu lösen. Dieser Vorsatz wird im Text zunächst an seiner Kapitelgliederung deutlich. Denis Lopez (1989) wies bereits darauf hin, dass es raffiniert ist, das Gespräch in Abende zu unterteilen, weil die Astronomie ein komplexes Thema ist und insofern die Menge des vermittelten Wissens an die Länge eines Abends gebunden ist und nicht zu viel auf einmal vermittelt wird (vgl. 122-123). Die einzelnen Themenaspekte sind relativ klar voneinander getrennt und die Untertitel bieten, indem sie den Inhalt des Kapitels kurz wiedergeben, eine weitere Orientierungshilfe. Er erklärt die Dinge nicht komplex, sondern einzeln und nacheinander. Dabei geht er von den nahen Himmelskörpern zu den entfernten vor. Dies entspricht der dritten Lehre Descartes, die besagt, dass man mit den einfachsten Dingen beginnen sollte, um so nach und nach, gleichsam über Stufen, bis zur Erkenntnis des Komplexen aufzusteigen. Die näheren Himmelskörper sind insofern als leichter einzustufen, weil sie teilweise, wie der Mond, sichtbar und dem Bekannten ähnlicher sind. So behandelt er zum Schluss Jupiter und Saturn, die sich in mehreren Bereichen von der bekannten Erde unterscheiden, schwerer vorzustellen und insofern schwerer zu begreifen sind. Die Gesprächsform fördert diese Intention, da man in einem normalen Gespräch auch vom Einfachen zum Komplexen kommt. Dass er diese Regel berücksichtigt, findet sich auch in seinen Vergleichen und rhetorischen Fragen, in denen er auch vom Einfachen bzw. Bekannten auf das Unbekannte schließt (s. 4.1).

[...]


[1] Vgl. http://www.studentshelp.de/p/referate/02/1719.htm (20.6.2004).

[2] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rationalismus (20.6.2004) und http://www.philolex.de/ratio.htm (20.6.2004) , http://www.gymnasium-meschede.de/projekte/projekt12-02/deutsch/erleuchtung _durch_philosophie.htm (20.6.2004) und http://www.philolex.de/ratio.htm (20.6.2004).

3 Vgl. http://www.gymnasium-meschede.de/projekte/projekt12-02/deutsch/erleuchtung_durch_ philosophie.htm (20.6.2004) und http://www.hausarbeiten.de/rd/faecher/vorschau/17838. html (20.6.2004).

[4] Im Folgenden werde ich bei Zitaten die Marquise durch M und den Fachmann durch F kennzeich- nen, wenn es nötig ist.

[5] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Descartes (21.6.2003), http://www.ephilo.de/philosophie/ descartes. htm (21.6.2004).

[6] Vgl. http://www.descartes-gymnasium.de/desleist.html (21.6.2004).

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Bernard le Bovier de Fontenelle: Entretiens sur la pluralité des mondes
Hochschule
Technische Universität Berlin
Veranstaltung
HS: Sprachauffassungen im 17. und 18. Jahrhundert
Note
2
Autor
Jahr
2004
Seiten
29
Katalognummer
V42663
ISBN (eBook)
9783638406543
ISBN (Buch)
9783638656788
Dateigröße
826 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Gut strukturierte Arbeit mit klarem Ziel, gut ausgewählte Zitate
Schlagworte
Bernard, Bovier, Fontenelle, Entretiens, Sprachauffassungen, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Angelina Kalden (Autor:in), 2004, Bernard le Bovier de Fontenelle: Entretiens sur la pluralité des mondes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42663

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