Schillers "Nänie" - ein Klagegesang?

Interpretation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Entstehungsgeschichte
II.1 Entstehungszeitpunkt
II.2 Einflüsse

III. Die mythologischen Bezüge in der Nänie

IV. Formaler Aufbau

V. Interpretation

VI. Schlussfolgerung

Literatur

I. Einleitung

Friedrich Schillers Nänie wird heute allgemein als eines der schönsten deutschen Gedichte angesehen. Diese positive Rezeption ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass Schiller selbst das Gedicht um den Tod des Schönen wahrscheinlich nur als ein Nebenwerk angesehen hat und auch von seinen Zeitgenossen keine hervorzuhebende Resonanz überliefert ist.[1] Was genau die Faszination des Gedichts in unserer Zeit ausmacht kann vielleicht ansatzweise in der folgenden Interpretation geklärt werden.

Es geht aber vor allem darum, den von Schiller ausgeführten mythologischen Bezügen auf den Grund zu gehen, da diese für den heutigen Leser nicht mehr so offensichtlich zu verstehen sind, wie es für die Zeitgenossen Schillers der Fall war.

Mit Nänie bezeichnete man im republikanischen Rom das zur Flöte gesungene Klagelied bei einem Leichenzug.[2] Da es sich dem Titel nach also um einen Klagegesang, handelt wird der wesentliche Teil der folgenden Arbeit sich mit der Frage nach der Aussage des Gedichts beschäftigen. Es soll geklärt werden, inwiefern es sich bei der Nänie um eine Art Klagegesang handelt. Es bleibt vor allem zu klären, wen oder vielmehr was Friedrich Schiller in seinem Gedicht beklagt. Hierbei sind die verschiedenen Einflüsse und Anregungen wichtig. Der Hauptteil der folgenden Arbeit wird darauf verwendet, das Gedicht zu interpretieren und zu deuten.

II. Entstehungsgeschichte

II.1 Entstehungszeitpunkt

Schillers Nänie wurde im August 1800 im ersten Teil der Sammlung „Gedichte“ veröffentlicht. Ernst Osterkamp geht davon aus, dass das Gedicht für Schiller selbst nur ein Nebenwerk war, da eine Äußerung von ihm über die Nänie nicht bekannt ist. Dadurch, dass weder Schiller selbst sich dazu geäußert hat, noch sonstige Resonanzen aus der Zeit überliefert sind, bleibt der genaue Zeitraum der Entstehung in der Sekundärliteratur umstritten.

Die quellenkundlichen und inhaltlichen Argumente tendierten anfangs dazu anzunehmen, dass die Nänie im Frühjahr 1799 entstanden sei. Dieser Annahme wurde jedoch 1993 im Kommentar zur Nationalausgabe das Argument entgegengesetzt, dass das Gedicht nicht in den Musen-Almanach für das Jahr 1800 aufgenommen wurde. Man muss also davon ausgehen, dass ein späteres Entstehungsdatum wahrscheinlicher ist. Schiller kündigte seinem Verleger Crusius am 15. Oktober das Manuskript einer geplanten Ausgabe seiner Gedichte an. Dem folgte die Manuskriptsendung am 6. Dezember. Die Nänie ist eins der wenigen bis dahin unveröffentlichten Gedichte, die in der Gedichtssammlung, die schließlich im August 1800 erschien, publiziert wurde. Das Entstehungsdatum wird von Osterkamp in den Zeitraum zwischen Oktober und Dezember 1799 eingegrenzt.[3]

II.2 Einflüsse

Die Anregungen, die Schiller beim Schreiben des Gedichtes beeinflusst haben sind vielfältig und sind sowohl in seinem eigenen Werk, als auch außerhalb zu suchen. Vor allem drei Klagelieder, die ein Jahr vor der Nänie, also 1798, entstanden sind, weisen unverkennbar gemeinsame Merkmale auf.

Man nimmt an, dass Schiller kurz bevor er seine Nänie verfasste ein Gedicht von Novalis´ Jugendfreundin Louise Brachmann gelesen hat, das dann möglicherweise eine anregende Wirkung auf ihn hatte.[4]

Fest steht auf jeden Fall, dass Louise Bachmann Schiller ihre Gedichte zugeschickt hat. Philipp Simon hat sogar eines ihrer Gedichte als Vorlage für sein Gedicht Das Glück nachweisen können. Es wäre demnach nicht verwunderlich, wenn auch Bachmanns „Trauerlied“Nänie auf Novalis Schiller beeinflusst und beim Schreiben seiner Nänie inspiriert hätte. Auf jeden Fall verwendet er die Legende von Orpheus und Eurydike in einer ähnlichen Verarbeitung, wie es zuvor Louise Bachmann gemacht hat. Auffällig ist außerdem, dass er seinem Gedicht einen ähnlichen Titel gegeben hat.[5]

Bachmanns Nänie auf Novalis ist eine scherzhafte Anspielung auf den Wechsel Novalis´ vom Jurastudium zum Studium der Bergbauwissenschaften. Es handelt sich hierbei um eine Parodie auf den Trauergesang des Moschos bei Bions Tode, den Brachmann im elegischen Versmaß geschrieben hat[6]:

...Musen, beschließet den Trauergesang! Beschließt ihn, o Musen!

Ach, und waret ihr je günstig mir Armen und hold,

So erhöret mich jetzt! erhöret die flehende Bitte!

Alles gelinget, was ihr weihet mit himmlischer Kraft.

Orpheus rührte ja einst, der Thrazier, Felsen, Bäume

Und mit der Töne Gewalt zog er im Tanze sie fort;

Mehr noch, gab nicht selbst, vom holden Gesange bezwungen,

Ihm die Gattin vom Styx, Persephonia zurück?

Musen, o gießet dann auch in meine Leier den süßen

Zauber! daß lieblich ihr Klang dringe zum nächsten Reich!

Daß er die Stimme vielleicht, die wohl ihm bekannte, vernehme,

Und in der starrenden Brust Sehnsucht des Lebens sich regt.

O dann wär´ ich beglückt! Mit Thraziens Orpheus genennet

Würde mein Nam´, und spät priese die Nachwelt mich noch.[7]

Während Schillers Rezeption von Louise Brachmanns Gedicht nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, gibt es wesentlich eindeutigere Bezüge zu anderen literarischen Werken. 1799 veröffentlichte Goethe seine Elegie Euphrosyne, die er 1798 als Nachruf für die jung verstorbene Schauspielerin Christiane Becker-Neumann verfasste, in seinem Musenalmanach. Wenn man die beiden Elegien miteinander vergleicht, kann man erkennen, dass der grundlegende Gedanke, der bei der Nänie vertreten wird, schon bei der Euphrosyne zu finden ist[8]:

Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgeh´n!

Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod.

Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneias

Reiche, massenweis, Schatten vom Namen getrennt;

Wen der Dichter aber gerühmt, der wandelt, gestaltet,

Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu.

Freudig tret´ ich einher, von deinem Liede verkündet,

Und der Göttin Blick weilet gefällig auf mir.[9]

Die letzen Verse der Nänie nehmen indirekt auch wieder Bezug auf Euphrosyne. Wenn Schiller schreibt, dass es auch schön sei ein Klagelied im Mund der Geliebten zu sein, dann spielt er damit sicher auch auf das Klagelied der Thetis an, gleichzeitig kann man es allerdings auch so verstehen, dass er Goethe damit mitteilen will, dass er durch seine Elegie Christiane Becker-Neumann erhebt und sie dadurch dem „Gemeinen“ entkommt und auf eine Stufe mit den Göttern gesetzt wird. Somit hat Goethe erreicht, was er wollte, nämlich dass die junge Schauspielerin nicht in Vergessenheit gerät.

Vor allem das letzte Distichon von Schillers Nänie kann als Antwort auf Goethes Euphrosyne gedeutet werden. Man kann die letzten beiden Verse als eine Bestätigung für Goethes Meinung, also dass er Christiane Becker-Neumann in der Kunst zu verewigen vermag, verstehen. Allerdings werden wir im Interpretationsteil noch sehen, dass dies zwar vielleicht eine der Absichten Schillers war, es aber bei weitem nicht die ganze Motivation für das Gedicht sein kann.

Die größte Inspiration wird jedoch wohl von Goethes Achilles-Epos ausgegangen sein. Schillers ratgebende Beteiligung ist durch Briefe, in denen sich die beiden regelmäßig austauschten, belegt. Zur selben Zeit war Schiller mit der Fertigstellung der Wallenstein Trilogie beschäftigt, die am 17. März 1799 vollendet wurde. Auf einen Besuch Goethes am 21. März bereitete er sich vor allem mit der Auseinandersetzung mit Homers Schriften vor. In einem seiner Briefe hebt er den 18. Gesang der Ilias hervor, der von den Klagen des Achills und der aller Achaier zusammen mit Thetis und den Göttinnen des Meeres über den Tod des Patroklus erzählt. Ein Teil der Nänie scheint bei der Ansprache der Pallas Athene an Hera mit der Klage über den bevorstehenden Tod Achills, die Goethe am 26. März vorstellt, vorgegeben zu sein[10]:

Ach! daß schon so frühe das schöne Bildnis der Erde

Fehlen soll! die breit und weit am Gemeinen sich freuet.

Daß der schöne Leib, das herrliche Lebensgebäude,

Fressender Flamme soll dahingegeben zerstieben.[11]

Aber auch in Schillers eigenen Werken sind die Vorgänger der Nänie zweifelsohne verankert. So kann man die Nänie als eine Variation der Totenklage Theklas über ihren Geliebten Max, die im 12. Auftritt des 4. Aufzugs von Wallensteins Tod in 26 Versen beschrieben wird, verstehen:

Da kommt das Schicksal – Roh und kalt

Faßt es des Freundes zärtliche Gestalt

Und wirft ihn unter den Hufschlag seiner Pferde –

Das ist das Los des Schönen und der Erde![12]

Auch Schillers Überlegungen, die er in verschiedenen Aufsätzen niedergeschrieben hat, haben wohl zur Entwicklung bis hin zur Nänie beigetragen. So hatte Schiller zum Beispiel schon vier Jahre vor der Nänie in seinem Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung die Theorie des Trauergesangs gebildet, zu der die Nänie das praktische Beispiel ist:

[...]


[1] Osterkamp, E.: Das Schöne in Mnemosynens Schoß. In: Gedichte von Friedrich Schiller. Hrsg. von Norbert Oellers. Stuttgart 1984, S. 182-195. S.282f.

[2] Oellers, N.: Das Verlorene Schöne in bewahrender Klage. Zu Schillers Nänie. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. 3: Klassik und Romantik. Hrsg. von Wulf Segebrecht. Stuttgart 1984, S.182-195. S.178

[3] Osterkamp: S. 283 f.

[4] Oellers: Das Verlorene Schöne, S.183f.

[5] Simon, P. Schillers Nänie. In: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik 11 (1908), S. 351-357. S.352

[6] Oellers: Das Verlorene Schöne, S.183

[7] Simon, S.352

[8] Oellers: Das Verlorene Schöne, S. 184

[9] Goethe, J.W.: Gedichte. Auswahl und Einleitung von Stefan Zweig. Durchgesehene Ausgabe Suttgart 1998. S.132, V. 120-128

[10] Oellers: Das Verlorene Schöne, S.184 f.

[11] Osterkamp, S.288

[12] Oellers: Das Verlorene Schöne, S.185

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Schillers "Nänie" - ein Klagegesang?
Untertitel
Interpretation
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V41744
ISBN (eBook)
9783638399487
ISBN (Buch)
9783638656252
Dateigröße
579 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schillers, Nänie, Klagegesang
Arbeit zitieren
Christina di Bartolomeo (Autor:in), 2005, Schillers "Nänie" - ein Klagegesang?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/41744

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