Das Dasein als Möglichsein - Heideggers "Sein und Zeit"


Zwischenprüfungsarbeit, 2005

32 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt:

1. Vorbemerkung

2. Das Dasein
2.1 Die Strukturmomente des Daseins
2.1.1 Die Geworfenheit
2.1.2 Die Befindlichkeit
2.1.3 Das Verstehen
2.1.4 Die Rede
2.1.5 Die Verfallenheit
2.1.6 Die Existenzialität
2.1.7 Der Entwurf
2.1.8 Die Sicht
2.2 Die Ganzheit der Struktur des Daseins
2.2.1 Das Gewissen
2.2.2 Die Sorge
2.2.3 Die Angst

3. Das Möglichsein
3.1 Realisierbare Möglichkeiten
3.2 Ewige Möglichkeiten
3.3 Das Ideal

4. Schlussbemerkung

1. Vorbemerkung

In seinem einflussreichsten Werk, „Sein und Zeit“ von 1927, stellt Heidegger die Frage nach dem Sinn von Sein. Er sieht die Frage nach dem Sein zwar von Platon und Aristoteles behandelt, ab dann jedoch, vor allem in der modernen Philosophie sträflich vernachlässigt. Nach Heideggers Meinung habe die Philosophie der Antike noch einen reinen Zugang zum Sein gesucht, wohingegen die darauf folgende Tradition der Metaphysik sich nur noch mit Seiendem befasst habe. Ein Umstand, den er später „Seinsvergessenheit“ nennen wird.

Diese Seinsvergessenheit führe, so Heidegger, zu einer Reihe von Vorurteilen über die Notwendigkeit einer Frage nach dem Sein. Das Stellen einer solchen Frage sei seit den griechischen Ansätzen, trivialisiert, für überflüssig und sogar für obsolet erklärt worden. Das Sein sei als allgemeinster und leerster Begriff nicht definierbar und bedürfe auch keiner Definition, da dieser Begriff eine Selbstverständlichkeit geworden sei. Der Begriff des Seins werde ständig allgemein gebraucht und verstanden. Wer danach frage, tue nicht nur etwas Überflüssiges, sondern begehe sogar eine methodische Verfehlung.

Diese Auffassungen sind für Heidegger Vorurteile bzw. Zeugnisse von Unverständnis, da unser Sein uns zwar ontisch am nächsten, ontologisch aber am fernsten sei[1]. Und somit eben nicht leer und verständlich, sondern dunkel und interessant. Er stellt die Frage nach dem Sein und versucht mit „Sein und Zeit“ eine Fundamentalontologie. Obgleich die Ontologie, anders als die Naturwissenschaften, nach allen Formen des Seins, nach dem Sein schlechthin fragt, muss auch eine ontologische Untersuchung von einem bestimmten Sein ausgehen, um überhaupt sinnvoll die Seinsfrage angehen zu können. Es muss ein konkreter Ansatzpunkt gefunden werden. Das geeignetste Sein, das man als solches wählen kann, sei das Sein des Menschen, das „Dasein“.

Das Dasein sieht Heidegger als das “ontologisch primär zu Befragende“[2] und spricht ihm mehrfachen Vorrang zu; ontischen und ontologischen Vorrang, und „Vorrang als ontisch-ontologische Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien“[3].

Heidegger fasst das Dasein als dasjenige Seiende, dem es in seinem Sein um es selbst geht. Außerdem gebietet schon die Schwierigkeit einer fundamentalontologischen Analyse, bei einem zugänglichen, uns nahen, nachvollziehbaren und verfügbaren Punkt anzusetzen. Und was wäre uns näher als wir selbst?

Im Zentrum der Seinsfrage steht also zunächst, die Daseinsanalyse. Wie in jeder Analyse bzw. Untersuchung versucht auch Heidegger eine Kategorisierung der Strukturmomente des Daseins. Er benötigt allerdings eine ontologische Kategorisierung. Wobei der Begriff der Kategorie nur im ontischen Bereich angewendet werden kann, im ontologischen Bereich nennt Heidegger die Seinsweisen des Daseins „Existenzialien“.

Dazu gehören Elemente wie „Befindlichkeit“, „Verstehen“, „Rede“, „Verfallenheit“, „Geworfenheit“ und „Existenzialität“. Um die Ganzheit der Struktur des Daseins bemüht, kommt Heidegger zu Phänomenen wie die „Sorge“, „Eigentlichkeit“ und das „Sein zum Tod“.

In dieser Reihe wird Heideggers Emphase auf den Themenkreis von Endlichkeit, Tod, Nichtigkeit und Authentizität deutlich. Schwerpunkte, nach denen man Heidegger zur Existenzphilosophie zurechnen kann. In dieser Funktion wirkte er auch stark auf den Hauptvertreter des französischen Existenzialismus, Jean-Paul Sartre.

Thema meiner Arbeit soll sein, Heideggers Ideen zur Daseinsanalyse und deren ontologische Fundierung herauszustellen. Den Schwerpunkt werde ich dabei auf die Idee des Möglichseins des Daseins legen. Dazu werde ich zunächst die existenzialen Strukturmomente des Daseins darlegen, wovon eines, das Möglichsein, anschließend auf seine Bedeutung und Konsequenzen hin untersucht werden soll. Kann das Dasein als Möglichsein gedacht werden? Welche Art von Möglichkeiten hat es? Was bedeutet das Möglichsein für die Freiheit, Verantwortung und den Lebensvollzug des Menschen?

Hauptsächlich werde ich mich auf den ersten Abschnitt und Teile des zweiten Abschnittes von "Sein und Zeit" beziehen. Es soll um die Daseinsanalyse gehen, wie Heidegger sie im ersten Abschnitt entfaltet, also unter weitestgehender Aussparung des Heideggerschen Zeitbegriffs. Für Heidegger ist das Sein von Dasein Sorge. Der Sinn der Sorge ist die Zeitlichkeit. Das vorläufige Ziel von "Sein und Zeit", so schreibt er einleitend, ist „die Interpretation der Zeit als des möglichen Horizontes eines jeden Seinsverständnisses.“[4]

Ich bemühe mich um eine klare, verständliche Sprache. Im Umgang mit der speziellen Ausdrucksweise Heideggers ist allerdings ein zuweilen fremdartiger Sprachgebrauch nicht auszuschließen. Wie sich zeigen wird ist die Struktur des Dasein keineswegs eine einfache, sondern in vielerlei Hinsicht eine komplexe. Diese Komplexität löst selbst Heidegger nicht auf, sondern weist sie als Charakteristikum des Daseins aus. Sie kann stellenweise die Klarheit der Ausführungen beeinträchtigen.

Heidegger selbst schreibt über das Gesamtprojekt von "Sein und Zeit": „Am Ende wird sich zeigen, daß die Idee von Sein überhaupt ebensowenig 'einfach' ist wie das Sein des Daseins.“[5]

2. Das Dasein

Um über das Dasein als Möglichsein sprechen zu können muss zunächst einmal geklärt werden, was Heidegger unter Dasein versteht, ob und wie es zusammengesetzt ist. Weiterhin ist genauer zu bestimmen, warum das Dasein einen Vorrang als Ansatzpunkt einer fundamentalontologischen Analyse inne hat. Der folgende Abschnitt hat die Funktion, die Strukturmomente des Daseins zu erläutern (2.1) um die Bedeutung des Möglichseins als ausgezeichnete Seinsmöglichkeit des Daseins verstehen zu können. Des weiteren soll die Ganzheit der Struktur des Daseins (2.2) dargestellt werden um dann auf dieser Basis das Möglichsein des Daseins (3.) genauer in den Blick zu nehmen.

Zunächst einmal ein kurzer Hinweis auf wesentliche Begriffe, mit denen im Folgenden operiert werden wird. Die so genannte „ontologische Differenz“ besagt die Unterscheidung von Sein und Seiendem. Wobei die ontische Rede vom Seienden spricht, vom existenziellen Bereich, von den konkreten, innerweltlichen Dingen, die in Kategorien gegliedert werden können. Während die ontologische Rede vom Sein spricht, vom existenzialen Bereich, von nicht Dinglichem, das in Existenzialien gegliedert werden kann. Wenn im Folgenden Begriffe als Existenzialien des Daseins bestimmt werden, dann heißt dies, dass das Dasein immer in der Weise dieser Existenzialien ist, es also kein Dasein gibt, das nicht in dieser Weise ist, ohne dass es aufhört ein daseinsmäßig Seiendes zu sein. Später wird beispielsweise die Befindlichkeit (2.1.2) als ein Existenzial des Daseins genannt werden, d.h. Dasein muss immer in einer Weise der Befindlichkeit sein, um als Dasein zu gelten.

Um in der Seinsfrage zu dem Sinn von Sein vordringen zu können muss zunächst beim Seienden angesetzt werden, da die existenziale Analytik existenziell, also ontisch verwurzelt ist[6]. Das Dasein ist dasjenige Seiende, das primär befragt werden soll. Heidegger fasst es als das Seiende, dem es in seinem Sein um es selbst geht. „ Seinsverständnis ist selbst eine Seinsbestimmtheit des Daseins. Die ontische Auszeichnung des Daseins liegt darin, dass es ontologisch ist.[7] Dem Dasein kommt somit weit mehr als das bloße Vorhandensein in der Welt zu. Es ist das einzige Seiende, das sich um sein Sein kümmert (bzw. sorgt) und kümmern kann. Daseinsmäßig Seiendes verfügt also über ein Verständnis über das eigene Sein und hat ein Verhältnis zum eigenen Sein; dieses Verhältnis nennt Heidegger die Existenz. Das Verständnis-haben des Daseins ist keine Eigenschaft, die ihm äußerlich zukommt, sondern eine ihm mögliche Weise zu sein[8]. Dasein ist also so in der Welt, dass es sich selbst verständlich ist und es sich selbst erschließen kann. Es ist, unter anderem in der Weise der Erschlossenheit seiner selbst. Mit dem Da-sein ist also nicht eine räumliche Anwesenheit, eine Vorhandenheit gemeint, sondern eine aufmerksame, verstehende (2.1.3) Seinsweise. Umgangssprachliche Sprechweisen dieses Verständnisses von da-sein finden sich in Ausdrücken, wie: „Ich bin voll da. Ich schlafe nicht.“ oder „Entschuldigung, ich bin heute nicht ganz da, was hast Du gesagt?“.

„Dasein ist ihm selbst ontisch „am nächsten“, ontologisch am fernsten, aber vorontologisch doch nicht fremd.“[9] Mit dieser Kernaussage begründet Heidegger den ontisch-ontologischen Vorrang des Daseins. Dadurch, dass das Dasein seinem Sein vorontologisch nicht fremd ist, wir also ein vages Vorverständis von Sein je schon haben, umgeht Heidegger den Zirkelvorwurf in seiner Analyse des Seins des Daseins. Dieser Vorwurf ist schon aus Platons Dialog zwischen Menon[10] und Sokrates bekannt, in dem es sich um die Frage dreht, wie man nach etwas suchen könne, das man nicht kennt, da man nicht wisse wonach man suchen müsse. Sokrates Antwortet mit dem erinnerten, vagen Wissen aus vorigen Leben, Heidegger mit einem vagen, ungenauen, trivialen Vorverständnis des Seins.

Die drei wesentlichen Existenzialien, die das Dasein konstituieren sind die Befindlichkeit (2.1.2), das Verstehen (2.1.3) und die Rede (2.1.4). Die jeweiligen Existenzialien kann das Dasein jedoch in verschiedenen Modi sein. So ist Furcht beispielsweise ein Modus der Befindlichkeit, Gerede ein Modus der Rede, Neugier ein Modus des Verstehens usw.

Des weiteren versteht sich das Dasein zunächst und zumeist aus der Welt heraus, in die es geworfen (2.1.1) wurde, aus der Alltäglichkeit. Als solches alltägliches Sein und als Mitsein mit Anderen ist das Dasein an die Welt verfallen. Diese Verfallenheit (2.1.5) und die Modi der Seinsweisen des Daseins führen dazu, dass das Dasein als einziges Seiendes die eigenartige Möglichkeit hat nicht es selbst zu sein[11].

2.1 Die Strukturmomente des Daseins

2.1.1 Die Geworfenheit

Das Dasein erkennt in „gestimmtem Verstehen“ (2.1.2, 2.1.3) „dass es ist und zu sein hat.“[12] Es hat nicht die Wahl zwischen faktisch sein oder nicht faktisch sein. Diese unmittelbar in die Welt geworfene Existenz wird dem Dasein zur Last, da es durch diese seine Faktizität mit den Grenzen seiner Freiheit und seiner eigenen Möglichkeiten konfrontiert wird. Diesen ohnmächtigen, ungewählten, ungefragten, plötzlichen Charakter des faktischen Existierens des Daseins fasst Heidegger unter dem anschaulichen Begriff der Geworfenheit. Das Dasein ist in seine Existenz geworfen. Als Geworfenes ist das Dasein sich selbst überlassen. Wer es geworfen hat und warum ist und bleibt dem Dasein verschlossen. Das Dasein „fällt“ aus einem Undefinierten in die Welt und wird deren Weltlichkeit überantwortet. Dieser Fall ist aber nicht mit einem Ankommen in der Welt beendet, denn auch in der Welt kann es noch weiter fallen, oder, so würde Heidegger formulieren, weiter verfallen (2.1.5). Es kann aus der Seinsweise des eigentlichen eigenen Seins in die Alltäglichkeit des Man (2.1.5) abstürzen, sich aber wieder durch das Entwerfen (2.1.7) auf die eigenen Möglichkeiten (2.1.6) wieder in die Eigentlichkeit erheben.

Diese Art von ontologischem Sündenfall kennt jedoch keine Erlösung aus der Welt. Die Geworfenheit ist endgültig und nicht umkehrbar und sogar notwendig. Die Faktizität ist ein konstitutives Element des Daseins. Das Dasein ist ein Seiendes, das als „In-der-Welt-sein“ ist. Dennoch ist die Geworfenheit kein abgeschlossener Prozess, das Dasein ist solange es ist im Wurf befindlich. In der „ Faktizität der Überantwortung“[13] ist das Dasein auf sich selbst und auf die Welt bezogen. Es bildet mit dem nichtdaseinsmäßig Seienden einen Verweisungs­zusammen­hang, an deren Ende es sich selbst als letzten Zweck setzt. Das nichtdaseinsmäßig Seiende, genauer „das im Besorgen begegnende Seiende“[14] nennt Heidegger Zeug. Das Dasein verweist sich selbst als Zweck auf die Zeugganzheit und ist sowohl in der Verweisungskette, nämlich als deren Ende, als auch deren Ermöglichungsgrund. Denn Zeug kann nur Zeug sein, wenn es jemandem als solches dient. Die Zuhandenheit[15] des Zeugs setzt eben eine Hand voraus, der es zur Verfügung steht. Der Umgang des Daseins mit dem zuhandenen Zeug geschieht in der Form des Besorgens[16]. Denn: „Weil zu Dasein wesenhaft das In-der-Welt-sein gehört, ist sein Sein zur Welt wesenhaft Besorgen.“[17]

Der Umgang mit der Welt ist jedoch zunächst und zumeist in der Form der Abkehr von und Flucht vor der Welt. Das durch die Geworfenheit auf sich selbst zurückgeworfene Dasein flieht auf Grund der durch die Gestimmtheit (2.1.2) erschlossenen Last der Welt. „Die Überlassenheit des Daseins an es selbst zeigt sich ursprünglich konkret in der Angst.“ Und: „Existieren ist immer faktisches.“[18]

Es ist dem Dasein also wesenhaft, dass es in die Welt geworfen, dass es In-der-Welt-sein ist. Die Abkehr von der Welt wegen der Überforderung durch das Seinkönnen (2.1.3), der Überantwortung an die Faktizität und der Überlassenheit an das eigene selbst ist nicht als Flucht vor dem In-der-Welt-sein zu denken, wie man es etwa als Jenseitssehnsucht im Christentum findet. Sondern im Gegenteil, die Unheimlichkeit der eigenen Existenz führt zu einer Flucht in die Weltlichkeit der Welt; genauer in die alltägliche Öffentlichkeit des Man. Das Dasein ist an das Man verfallen. Eine moralisierende Unterscheidung zwischen eigentlichem und verfallenem Dasein in Kategorien wie schlecht und gut ist unangebracht. Das Dasein ist vielmehr auf die Phänomene der Verfallenheit angewiesen, weil es sich ohne sie gar nicht in seiner Eigentlichkeit erkennen könnte. Die Rolle der Verfallenheit und des Man werden genauer in „2.1.5 Die Verfallenheit“ erläutert.

2.1.2 Die Befindlichkeit

Das Dasein befindet sich in der Welt. Diesem Sich-befinden können zwei Aspekte zugesprochen werden; ein räumlicher und ein emotiver.[19] An den räumlichen Aspekt denkt man zunächst, wenn man Sich-befinden ließt. Man findet ihn in Sprechweisen wie: „Er befindet sich in Paris.“ Anfangs wurde jedoch schon angedeutet, dass das Dasein kein rein Vorhandenes ist. Das räumliche sich-befinden kann man nämlich auch von einer Flasche Wein im Keller behaupten. Also muss die Befindlichkeit, wenn sie als Existenzial des Dasein gelten soll noch eine weitere Bedeutung haben; die emotive. Der Satz: „Wie befindet er sich?“ macht diesen Aspekt deutlich. Er meint ein gestimmt-sein des Daseins. Stimmungen, als ontische Entsprechungen der Befindlichkeit, sind nun etwas, was zwischen daseinsmäßig und nicht-daseinsmäßig Seiendem unterscheidet. Das Dasein befindet sich (ist da) in der Welt, insofern es immer irgendwie gestimmt ist.

Die Befindlichkeit als Existenzial anzuführen bedeutet nun, dass wir (das Dasein) nie stimmungslos oder ungestimmt sein können. Denn auch die scheinbare Stimmungslosigkeit ist eine Art von Gestimmtsein, man denke etwa an die Apathie oder die Lethargie. Das Dasein ist seinem Gestimmtsein ausgeliefert und empfindet dies als Last. Auch die Hochstimmung ändert nichts an dem Lastcharakter des Gestimmtseins, da sie durch die kurze Erleichterung der Last, diese nur als Vorhanden und bestimmend bestätigt.

In der jeweiligen Stimmung liegt aber auch ein Erschließungscharakter. Wie anfangs erwähnt ist das Dasein in der Weise der Erschlossenheit. Ein Weg die Welt und sich selbst aus der Welt zu erschließen führt über das Gestimmtsein. Man könnte sich die Stimmung wie eine so oder so gefärbte Brille denken. Die Welt des Glücklichen oder Verliebten sieht anders aus als die Welt des Unglücklichen oder Hassenden. Sie sehen die Welt als eine andere, etwa als eine triste und eine heiter bunte. Und damit ist die Welt auch für den so oder so gestimmten, so oder so. Hier deutet sich bereits eine Eigenart des Daseins an; die konstitutive Macht (3.1). In meiner gestimmt-selektiven Wahrnehmung ist die Seinsweise der Welt für mich fundiert.

Wir haben die Möglichkeit die Welt als definitiv faktische auszuweichen. Wir können uns durch unsere Gestimmtheit der Welt zu- und abwenden. Indem wir uns von der Welt abwenden können, werden wir uns darüber bewusst, dass wir sind und sein müssen. Wir erschließen uns unsere Geworfenheit.

Des weiteren ist die Befindlichkeit die Voraussetzung dafür, dass wir uns die Welt in einem Zusammenhang vorstellen können. „ Die Stimmung hat je schon das In-der-Welt-sein als Ganzes erschlossen und macht ein Sichrichten auf... allererst möglich.“[20]

Weiterhin ermöglicht die Befindlichkeit, indem sie die Welt als Ganzes, also in Zusammenhängen herausstellt, dass das Dasein überhaupt von der Welt betroffen werden kann. Somit ist die Befindlichkeit Ursache für jeglichen Zugang zur Welt und somit zur Weltoffenheit. Heidegger erklärt dies am Beispiel des Fürchtens: „Nur was in der Befindlichkeit des Fürchtens, bzw. der Furchtlosigkeit ist, kann umweltliches Zuhandenes als Bedrohliches entdecken.“[21] Also kann auch nur was z.B. in der Befindlichkeit des Liebens bzw. Hassens ist, als Erstrebenswertes entdeckt werden. Und weiter: „Die Gestimmtheit der Befindlichkeit konstituiert existenzial die Weltoffenheit des Daseins.“[22]

Dass die Welt uns immer in einer bestimmten bzw. gestimmten Weise erschlossen ist und uns somit auch unsere Geworfenheit vor Augen geführt wird verdeutlicht Heidegger an einem Modus der Befindlichkeit, der Furcht. Er wählt dieses Beispiel, um es später dem Phänomen der Angst kontrastierend gegenüber stellen zu können, die, wie sich zeigen wird, eine ausgezeichnete Erschlossenheit des Daseins ist (2.2.3).

[...]


[1] Vgl. "Sein und Zeit", § 5, S. 15

[2] "Sein und Zeit", § 4, S. 13

[3] "Sein und Zeit", § 4, S. 13

[4] "Sein und Zeit", S. 1

[5] "Sein und Zeit",

[6] Vgl. "Sein und Zeit", § 4, S. 13

[7] "Sein und Zeit", § 4, S. 12

[8] Vgl. "Sein und Zeit", § 9, S. 42

[9] "Sein und Zeit", § 5, S. 16

[10] Vgl. Platon: „Menon“

[11] Luckner, S.55

[12] "Sein und Zeit", § 29, S. 135

[13] "Sein und Zeit", § 29, S. 135

[14] "Sein und Zeit", § 15, S. 68

[15] Der Begriff, der der Zuhandenheit entgegen steht, ist die Vorhandenheit. Es meint das bloß vorhanden Seiende, das sich nicht auf ein um-zu verweist, also keinen Gebrauchswert oder Zweck inne hat. Ein Beispiel für bloß Vorhandenes wäre etwa ein Fussel. Wobei der Übergang von Vorhandenheit zur Zuhandenheit fließend und situationsgebunden ist. Beispielsweise könnte der bloß vorhandene Fussel in einer kriminologischen Untersuchung zum entscheidenden Indiz oder Beweis werden und somit in die Zuhandenheit wechseln.

[16] Genaueres zu „Zeug“, „Besorgen“ und „Verweisung“ vgl. § 15, § 12, § 16 und bes. § 17

[17] "Sein und Zeit", § 12, S. 57

[18] "Sein und Zeit", § 41, S. 192

[19] Luckner, S. 62

[20] "Sein und Zeit", § 29, S. 137

[21] "Sein und Zeit", § 29, S. 137

[22] "Sein und Zeit", § 29, S. 137

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Das Dasein als Möglichsein - Heideggers "Sein und Zeit"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar: Heidegger "Sein und Zeit"
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
32
Katalognummer
V40041
ISBN (eBook)
9783638386593
ISBN (Buch)
9783638651608
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der erste Teil (Punkte 1 und 2)der Arbeit bietet eine detaillierte Analyse der Begriffe Heideggers in "Sein und Zeit". Der zweite Teil (Punkt 3)versucht eine eigene Theorie am Begriff des Ideals und blickt kritisch auf Heideggers Konzept des Todes. Wobei hier die Grenzen zwischen Ontologie und praktischer Philosophie nicht konsequent berücksichtigt wurden.
Schlagworte
Dasein, Möglichsein, Heideggers, Sein, Zeit, Proseminar, Heidegger, Sein, Zeit
Arbeit zitieren
Bruno Gransche (Autor:in), 2005, Das Dasein als Möglichsein - Heideggers "Sein und Zeit", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40041

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