E.T.A. Hoffmanss "Der goldne Topf" - Der Zaubergarten als Schnittpunkt zweier Welten


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

25 Seiten, Note: sehr gut (1)


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

Die doppelte Welt – Kontrast und Illusion als Elemente des Märchens

Der (Zauber)Garten - Wandelbarer und wunderbarer Ort als Schnittpunkt zweier Welten

Atlantis - Wunderland

Indien – Atlantis der Romantiker

Lilie, Lotus, blaue Blume

Die Welt als Buch, dessen Schrift eine Geheimschrift bleibt.

Exkurs: Hard boiled wonderland und das Ende der Welt. Haruki Murakami, ein Erbe Hoffmanns?

Resumé

Einleitung

„Angenommen Sumire war auf die andere Seite gegangen.

Damit wäre alles geklärt.

Sumire hatte den Spiegel zertrümmert und war auf die andere Seite vorgedrungen. (...) Logisch gesehen ist es ganz einfach.

Wir brauchen nur zu träumen.

Nicht mehr aus der Welt der Träume zurückkehren.

Für immer dort leben.

Dabei stellte sich nur ein Problem.

Ein großes Problem.

Wie kann man dorthin ?“[1]

Ausgehend von Hoffmanns Konzept der zwei Welten, die seine Geschichten wie auch die einzelnen Figuren auszeichnen möchte ich den (Zauber)garten des Archivarius Lindhorst als Ort der Wandlung, des Transfers zwischen diesen Welten betrachten. Um eine Welt der Verzauberung, eine Aura des Geheimnisvollen zu erschaffen, bedient sich Hoffmann mehrerer Mittel: Einerseits weckt der Garten Ahnungen an den Orient und Indien – beides noch relativ unerforschte Gebiete der Welt - und andererseits verliert sich der Leser wie auch Anselmus im Motiv der Arabeske, das in den Schriften des Archivarius auftaucht.

Der Garten wird also zu einem Raum gemacht, in dem die Naturgesetze, die Logik außer Kraft gesetzt sind und fungiert als Ort, der Sehnsüchte nach einem Paradies, einem eigenen kleinen Garten Eden im Betrachter weckt.

Anhand der Vorstellung von Atlantis hat mich die Rezeption der Kultur Indiens in der Romantik interessiert, die meiner Meinung nach Hoffmann inspiriert haben könnte, einige Aspekte davon in sein Werk einfließen zu lassen. Ähnlich wie die märchenhaften Elemente dient dies zur Illusionssteigerung in der Geschichte und im Endeffekt wird die Metamorphose im Garten dadurch möglich gemacht.

Die doppelte Welt – Kontrast und Illusion als Elemente des Märchens

“A story is not something of this world. A real story requires a kind of magical baptism to link the world on this side with the world on the other side.”[2]

Die Duplizität der Welt ist ein Motiv, das sich wie ein roter Faden durch alle Werke E. T. A. Hoffmanns zieht. Die Spaltung der Welt oder einer Figur in sich selbst, das Doppelgängermotiv oder Brillen, die den Blick auf die Welt verändern und Spiegelungen sind Erscheinungen dieser Konzeption und treten als entscheidende Motive immer wieder auf.

„Alle Taschenspiegel, Perspektive, Mikroskope, Brillen sind Mittel der Verfremdung. Personen, an die man denkt, steigen aus den geschliffenen Flächen hervor.“[3]

Die dadurch entstehenden zwei Sphären oder Welten sind Charakteristika des Märchens, denn ohne diesen Kontrast zwischen Realität oder Normalität und phantastischen Erscheinungen gibt es kein Märchen.

„Entsprechend unterstehen sowohl die Figuren als auch die Ereignisse in Hoffmanns Märchen einem Prinzip der Duplizität und der verschobenen, metamorphotischen Identität: Ein alchemistisch geschulter Magier namens Lindhorst ist gleichzeitig beamteter Archivarius und esoterischer Feuersalamander. Serpentina, die ältere der drei spirituellen Tochterschlangen des Archivarius Lindhorst, überlagert sich mit ihrem bürgerlichen alter ego, einer gewissen Viktoria Paulmann (...). Und der ungeschickte Held selbst, Anselmus, schwankt zwischen seiner poetischen Seite und seiner bürgerlich philiströsen, die mit dem Namen des Registrators Heerbrand bezeichnet ist.“6

Von dieser poetischen Seite erfährt Anselmus erstmals, als er die seltsame Erscheinung der drei goldgrünen Schlänglein unter dem Holunderbusch wahrnimmt. Dieses Erlebnis wird ihn in Folge der vermeintlich realen, bürgerlichen Welt entfremden. Die phantastische Welt erscheint wie ein Spiegelbild der realen Welt mit ihren bürgerlichen Charakteren. Das Motiv des Spiegels spielt - wie schon erwähnt - in Hoffmanns Werk eine essentielle Rolle. Der Spiegel, der nur scheinbar ein identisches Bild der Wirklichkeit wiedergibt – ein Bild, das jedoch tatsächlich auch nur ein verzerrtes, auf eine Weise verfremdetes Bild der Realität wiedergibt. Doch immer mehr fällt auf, dass diese beiden Sphären parallel existieren und kaum voneinander zu trennen sind.

„(...) die Welt des Irdischen ist eingebaut in eine weitere, die sich in Raum- und Zeitlosigkeit verliert...Der dazu berufene Mensch erlebt diese Wirklichkeit als Gegenwart, während seine Umgebung daran nicht teilhat. Es ist der Mythos, die Spiegelung des menschlichen Erlebens im Über- und Unterirdischen, der Sinn des Zufälligen.“7

Doch welche Welt die real existierende Welt ist und wo die Grenze der Illusion liegt, ist nicht so ganz ersichtlich, die Grenzen zwischen Realität und phantastischer Welt werden bei Hoffmann ständig verwischt. Was tatsächlich Illusion ist, ist nicht immer durchschaubar. Denn als sich Anselmus in einer Glasflasche gefangen wiederfindet, ist er der Einzige unter seinen „Mitgefangenen“, der diesen Zustand des Eingesperrtseins als die Realität erkennt, während die anderen der Illusion aufliegen, ihre schöne kleine Welt wäre tatsächlich real, wirklich, obwohl sie doch nur ein schöner Schein ist. Es ist ihnen aber nicht möglich, diesen Betrug zu durchschauen, da sie – als Vorgänger des Anselmus wie es scheint, gescheitert sind. Oder aber der Archivarius hält die scheinbare Realität in seiner Welt eingesperrt, sie steht dort unter Verschluss.

Im Hinduismus und Buddhismus wird der Zustand, nur trügerische Formen sehen zu können, als Maya bezeichnet.

„Die Unerleuchteten erblicken nur Maya, das ausgestaltete Reich trügerischer Formen und Begriffe; die Erleuchteten erfahren alles als die Große Leere jenseits der Differenzierung.“8

Erleuchtet in gewissem Sinn ist auch Anselmus letztendlich, nachdem er aus der Flasche befreit ist und die Gegenspieler des Salamanders besiegt sind. Durch die Liebe zu Serpentina hat er genügend Kraft, sich der bequemen Existenz zu entledigen und den bösen Mächten den Kampf anzusagen.

Maya bezeichnet jede Form von Zauberei, Phantasma und illusorischen Bildern.

„Die Maya der Götter ist ihre Macht, verschiedene Erscheinungsformen anzunehmen, indem sie nach Belieben die einzelnen Aspekte ihres subtilen Wesens ausspielen. Aber die Götter sind selbst die Hervorbringung einer größeren Maya: der spontanen Selbstumformung einer im Innern ungeschiedenen, allerzeugenden göttlichen Substanz. Und diese Maya bringt nicht die Götter allein, sondern auch das All hervor, in dem sie sind und handeln.“9

Auch der Archivarius praktiziert eine Art von Maya, indem er sich in einen Feuerlilienbusch verwandelt oder in der Gestalt des Salamanders flink den Stamm einer Palme hinaufklettert, um daraufhin in den Blättern zu verschwinden.

In dem Moment, in dem Anselmus die Schwelle zum Haus des Archivarius überschreitet, befindet er sich in einer anderen Welt, die voller Sinneseindrücke auf ihn wirkt: Farben, Geräusche und Düfte umschwärmen ihn. Die räumlichen Dimensionen sind verzerrt, sein Wahrnehmung der Welt wird dadurch verändert. Lange Korridore tragen zu einer gewissen Verwirrung des Anselmus bei. Dies wird zum Teil auch durch die unterschiedlichen Formen der Spiegelungen bewirkt, die Hoffmann verwendet. Zunächst einmal ist es der Smaragdring des Archivarius, später der Zauberspiegel der Rauerin und vor allem natürlich der goldene Topf, der ebenso als Spiegel fungiert. Alle diese Spiegel erlauben dem Betrachter den Blick in eine andere Sphäre, durch die Spiegel werden die Sphären der Geschichte wiederum verbunden, da sowohl den Figuren der Geschichte, als auch dem Leser dadurch der Zutritt gewährt wird.

Für die Dopplung der Welt und den Übertritt von einer in die andere spielt vor allem der Garten eine ganz entscheidende Rolle.

Der (Zauber)Garten - Wandelbarer und wunderbarer Ort

Schnittpunkt zweier Welten

Die Schwelle, die man überwinden muss, um eintreten zu können in diese andere Sphäre liegt im Gartenraum des Archivarius. Tritt Anselmus in dessen Haus ein, dann eröffnet sich ihm eine Welt des Wunderbaren, des Magischen und Märchenhaften:

„Sie kamen aus dem Korridor in einen Saal oder vielmehr in ein herrliches Gewächshaus, denn von beiden Seiten bis an die Decke hinauf standen allerlei seltene wunderbare Blumen, ja große Bäume mit sonderbar gestalteten Blättern und Blüten. Ein magisches blendendes Licht verbreitete sich überall, ohne dass man bemerken konnte, wo es herkam, da durchaus kein Fenster zu sehen war. Sowie der Student Anselmus in die Büsche und Bäume hineinblickte, schienen lange Gänge sich in weiter Ferne auszudehnen. – Im tiefen Dunkel dicker Zypressenstauden schimmerten Marmorbecken, aus denen sich wunderliche Figuren erhoben, Kristallstrahlen hervorspritzend, die plätschernd niederfielen in leuchtende Lilienkelche; seltsame Stimmen rauschten und säuselten durch den Wald der wunderbaren Gewächse, und herrliche Düfte strömten auf und nieder.“10

Der Garten als ein abgegrenzter Raum, eine Art Laboratorium, in dem in dem solche magischen Vorgänge, solche „Experimente“ ihren Platz und ihre Berechtigung finden. Im Garten herrscht eine Ausnahmesituation, da er ausgegrenzt ist aus der real ablaufenden Zeit und der Außenwelt. Der Garten ist ein durch den Menschen, in dem Fall den Archivarius, kultivierter Bereich, ist von ihm in eine bestimmte Form und Ordnung gebracht worden – die Natur ist gezähmt.

„Der Garten als idealisierte Natur war das Abbild der Menschen verschiedenster Kulturen, das Bild der Welt, so wie sie sein sollte. Auf begrenztem Raum konnte man die Natur verbessern, die Schöpfung noch einmal beginnen. Man konnte versuchen, ein eigenes Naturkonzept durchzusetzen.“11

[...]


[1] Murakami, Haruki: Sputnik Sweetheart, S. 186

[2] Sputnik Sweetheart, S. 17

[3] Thalmann, Marianne: Zeichensprache der Romantik, S. 74f.

6 Kremer, Detlef: E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane S. 28

7 Schaukal, Richard von: Hoffmanns Leben aus seinem Werk, zitiert in Negus, Kenneth E.T.A. Hoffmann´s other world, S. 25

8 Zimmer, Heinrich: S. 115

9 Zimmer, Heinrich: S. 31

10 Hoffmann, E.T.A.: Der goldne Topf, S. 154

11 Fischer, Marianne: Das Gartenmotiv in der englischen und deutschen Literatur in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, S. 10

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
E.T.A. Hoffmanss "Der goldne Topf" - Der Zaubergarten als Schnittpunkt zweier Welten
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Seminar: Park und Garten als Motive in der neueren deutschen Literatur
Note
sehr gut (1)
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V26411
ISBN (eBook)
9783638287555
ISBN (Buch)
9783638649087
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausgehend vom Konzept der 2 Welten in Hoffmanns Werken soll hier der Zaubergarten im Haus des geheimnisvollen Archivarius Lindhorst als Knotenpunkt zwischen Realität und Illusion analysiert werden werden. Es stehen der illusionistische Charakter des Märchens und orientalistisches Gedankengut, das in der Romantik wichtig war, als Mittel der Illusionssteigerung und der Verzauberung im Zentrum der Arbeit.
Schlagworte
Hoffmanss, Topf, Zaubergarten, Schnittpunkt, Welten, Seminar, Park, Garten, Motive, Literatur
Arbeit zitieren
Cornelia Wurzinger (Autor:in), 2004, E.T.A. Hoffmanss "Der goldne Topf" - Der Zaubergarten als Schnittpunkt zweier Welten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26411

Kommentare

  • Gast am 19.8.2006

    E.T.A. Hoffmanss "Der goldne Topf" –.

    die Serpentina ist nicht die ätere sondern die jüngste der 3 Schwestern und das macht die Geschichte noch spannender, da die älteren unverheiretet bleiben und Salamander hat Angst noch länger in der "realen" Welt bleiben zu müssen. So tritt er mit dem Autor in Verbindung um sie auch loszuwerden.

  • Gast am 18.8.2006

    E.T.A. Hoffmanss "Der goldne Topf" –.

    die Serpentina ist nicht die ätere sondern die jüngste der 3 Schwestern und das macht die Geschichte noch spannender, da die älteren unverheiretet bleiben und Salamander hat Angst noch länger in der "realen" Welt bleiben zu müssen. So tritt er mit dem Autor in Verbindung um sie auch loszuwerden.

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