Zerfall von Figur und Struktur in Ehrensteins Tubutsch


Zwischenprüfungsarbeit, 2003

28 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Tubutsch im heimatlichen Exil
2.1 Vorüberlegungen zu Figur Karl Tubutsch
2.2 Eine Existenz in gesellschaftlicher Isolation
2.3 Der doppelte Widerstreit in der Psyche des Protagonisten
2.4 Fluchträume

3. Der strukturelle Spiegel
3.1 Die Figur im Spiegel der Struktur
3.2 Die fragmentarische Struktur als Ausdruck einer gesellschaftlichen Kritik
3.3 Der Zusammenhang von gebrochener Struktur und dissoziierter Wahrnehmung

4. Abschließende Bemerkungen

5. Literaturangaben

1. Einleitung

Es ist auf jeden Fall ein Wesensmerkmal des deutschen Dichters um die Jahrhundertwende, dass ihm seine Abgelöstheit von der Gesellschaft als Einsamkeit bewusst wird und dass sein Denken um dieses Problem kreist.“[1]

Im Jahre 1911 erschien mit Tubutsch[2] , veröffentlicht im Verlag Jahoda und Siegel, das Erstlingswerk des Autors Albert Ehrenstein. Von Beginn an ist der Autor mit dem fiktionalen Ich-Erzähler seines Textes, Karl Tubutsch, gleichgesetzt worden. Die Lebenswirklichkeit des Albert Ehrenstein scheint sich in dem Protagonisten zu spiegeln. Kurt Pinthus schrieb 1917, dass Tubutsch veranschauliche wie sich Ehrensteins „zarte Seele, Qualen und Wirren des Kosmos im engsten Raum durchlebend, verbitterte“[3].

Die autobiographischen Interpretationen folgen der Überzeugung, dass sich durch Karl Tubutsch ein Autor der Jahrhundertwende ausdrückt, der die ideologiekritische Auseinandersetzung mit der Moderne und die damit zusammenhängende Strukturkrise des modernen Ich als persönliches Erlebnis erfährt und in seinem Werk zum Ausdruck bringt. Diese Herangehensweise trägt Albert Ehrenstein, der früh in Verbindung mit Else Lasker -Schüler, Martin Buber, Stefan Zweig, Alfred Adler und Franz Kafka stand, mit, wenn er in seinem Lebensbericht abschließend sagt:

„[…] meine wirkliche, innere- seelische Biographie steht, soweit mich nicht zeitweise der Mangel an Widerhall vollkommen verstummen oder wenigstens nach China auswandern machte, in meinen Gedichten der Prosa und des Verses, in meinen Erzählungen und Aufsätzen, geschrieben zwischen 1900 und 1931: Tubutsch, Briefe an Gott, Menschen und Affen, Ritter des Todes, Mein Lied.“[4]

So deutlich eine Verbindung zwischen dem zerrissenen, sich scheinbar auflösenden Realitätsbezug des Autors und der Dissoziation des Karl Tubutsch auszumachen ist, so verschwommen erscheint in einer solchen Ausdeutung die spezielle poetische Auseinandersetzung mit der auf den Autor einwirkenden Wirklichkeit. Erst eine literarische Betrachtung ermöglicht es, die Figur Karl Tubutsch als fiktionalen Ausdruck radikaler Form zu verstehen und dem Text das literarische Element des Erdachten zuzugestehen. Der zugrunde liegende Problemkomplex kann in seiner tiefgründigen Gesamtheit nur vollständig erhellt werden, wenn sich das literarische Subjekt vom realen löst und in seiner einzigartigen, literarischen Gestalt zur Kenntnis genommen wird.

So soll im Folgenden versucht werden, Karl Tubutsch als dissoziiertes Ich zu analysieren. Die Figur wird dabei in den kultur-geschichtlichen Hintergrund eingegliedert, um sie als Sinnbild eines desillusionierten, von der rational-zivilisatorischen Wirklichkeit der Jahrhundertwende zerrissenen Menschen darzustellen.

Das Werk, das Albert Ehrenstein schlagartig zu einem Wortführer des Expressionismus gemacht hat, wird aus literarischer Perspektive zu betrachten sein. Der kunstvollen Entwicklung der weltfremden und haltlosen Persönlichkeit des Karl Tubutsch wird dabei besondere Aufmerksamkeit gewidmet und erhält den Vorzug gegenüber einer Herangehensweise, die den Text als selbstanalytischen Ausdruck des Autors liest und versteht.

Besondere Aufmerksamkeit soll darüber hinaus der äußeren Form des Textes zukommen. Es wird zu zeigen sein, wie die kreisförmig geschlossene Struktur und ihr fragmentarischer Aufbau zum spiegelbildlichen Ausdruck des zerfallenen Innenlebens des Protagonisten wird. Darüber hinaus soll versucht werden, die zerfallene Reihung der Einzelerlebnisse als speziellen Ausdruck eines Autors zu verstehen, der sich gegen die etablierten Ordnungen seiner Zeit auflehnt und diese Kritik durch die Komposition seines Textes zum Ausdruck bringt.

2. Tubutsch im heimatlichen Exil

2.1 Vorüberlegungen zur Figur Karl Tubutsch

Um mich, in mir, herrscht die Leere, die Öde, ich bin ausgehöhlt und weiß nicht wovon. […] danach zu forschen, ja auch nur forschen zu wollen, ist vergeblich, töricht wie alles Fahnden nach einer Ursache auf dieser Welt.“ (13)

Albert Ehrensteins Tubutsch irrt entwurzelt durch eine zersplitterte Welt. Um die Figur und die ihr zugrunde liegenden Bedingungen richtig zu verstehen, ist es zunächst notwendig, das gesellschaftliche Spannungsverhältnis, in dem sich der Protagonist befindet, zu verdeutlichen.

Im Kontext der Jahrhundertwende und ihren weitreichenden Veränderungen für das gesellschaftliche Zusammenleben fällt es dem Individuum zunehmend schwerer, sich in eine orientierende Handlungsdialektik einzufügen. Die Lebenswirklichkeit des Subjekts befindet sich in einem komplexen Spannungsfeld, in dem der Einzelne sich mit dem Problem der Entfremdung durch die modernen Produktionsprozesse, dem Strukturwandel der Öffentlichkeit durch die neuen Massenmedien, mit der Verabsolutierung des Machtprinzips, mit der zunehmenden Negation der abendländischen Metaphysik und den damit verbundenen erkenntnistheoretischen Problemen und wahrnehmungspsychologischen Umschichtungen konfrontiert sieht. Diese umfassenden und radikalen Veränderungen traditioneller Denkformen hinterlassen tiefe Einschnitte der Verunsicherung in dem Bewusstsein derer, die die ordnenden Kategorien ihrer Selbst- und Weltsicht an den sinnstiftenden und ganzheitlichen Wahrheiten einer ontologischen Realität und den Utopien einer Metaphysik orientieren.

Diese gesellschaftliche Situation bildet die Kulisse, in der Tubutsch seine Niederlage gegenüber dem Leben konstatiert. Eine für den Protagonisten unbegründete und unumkehrbare Niederlage, die seine Innen- und Außenwelt gleichermaßen betrifft. Im Wien der Jahrhundertwende sieht er sich konfrontiert mit der „Unmöglichkeit einer Menschheit, die sich ganz und gar abhängig gemacht hat[] von ihrer eigenen Schöpfung, […], von einer erstarrten Gemeinschaftsordnung, bourgeoisen und konventionellen Bräuchen“[5].

Es ist jedoch offensichtlich falsch, Tubutsch als Zeitzeuge zu betrachten, der in dem entstandenen Spannungsfeld aktiv Stellung bezieht oder sich durch die schleichende Unterwerfung gesellschaftlicher Interessen und Direktiven im Sinne des Nutzens bedroht fühlt. Karl Tubutsch ist vielmehr ein Außenstehender, den die mächtigen Bewegungen des gesellschaftlichen Umbruchs unbemerkt absorbiert haben, um ihn in aussichtsloser Position aller Orientierungen zu berauben und schließlich hilflos sich selbst zu überlassen. Die vollständige Auflösung seiner ordnenden Bezüge und Kategorien erfährt er nicht als Teilnehmer am gesellschaftlichen Diskurs, sondern in einer absoluten und unumkehrbaren Beobachterposition. Er ist isoliert und durch sein entleertes Innenleben an diese Isolation gebunden.

„[…] ich sehe nichts, wodurch in meiner trostlosen Lage eine wenn auch noch so geringe Änderung eintreten könnte. Weil eben die Leere in mir eine vollständige, sozusagen planmäßige ist […].“ (14)

Tubutsch ist an die Umstände und Bedingungen seines Lebens endgültig ausgeliefert.

Er erfährt sich als ein Entrückter ohne Zugang zu der Lebenswirklichkeit seiner Umwelt. Diese Annahme findet seine allegorische Entsprechung in der Darstellung seiner Vorstadtwohnung, Basis und Ausgangspunkt seines Lebens. Das „Kabinett mit separiertem Ausgang“ (64) wird zum imaginären Gefängnis, zum symbolischen Ort seiner Einsamkeit und gesellschaftlichen Isolation, deren separierter Ausgang einzig den Tod als Befreiung in Frage kommen lässt. Der kleine Raum und seine eindeutigen Grenzen verweisen auf die grundlegenden Einschränkungen, die Tubutsch bei allen Aktivitäten seines Lebens unabdingbar begleiten. Er bleibt während gesellschaftlicher Kontakte gefangen in den subjektiven Konstrukten[6] und Ordnungsvorstellungen seiner entleerten Eigenwelt. Die Konstruktionen dieser Weltsicht sind rückgekoppelt an die persönliche Erlebniswelt und den Entwicklungsstand der eigenen Persönlichkeit. Doch gerade diese formgebende Instanz des eigenen Seins ist zu einer formlosen Masse des bloßen Daseins verlaufen. Er ist der entrückte Beobachter ohne Einflussmöglichkeiten. Seine isolierte Existenz befindet sich nicht im Prozess der Auflösung, sondern ist bereits aufgelöst. Tubutsch wird als Persönlichkeit beschrieben die „in der Luft steht“ (34) und „deren Schwerpunkt außer ihrem Selbst liegt, irgendwo im Universum“ (26). Er ist an diesen Zustand gebunden und befindet sich in einem Vakuum ohne die Option auf eine innere Entwicklung. Ihm bleibt die Möglichkeit einer Veränderung versagt, da sein ganzes Sein als inhaltslose Hülle zu verstehen ist, als endgültig zerrissen und ohne Mittelpunkt. Die existentielle Immobilität und offenkundige Handlungsunfähigkeit zeichnen einen Menschen, „der nicht in der Lage ist die Mauern zu überwinden, die zwischen ihm und der äußeren Welt aufgerichtet sind“[7]. Diese substanzlose Existenz ist zu jeder affektiven oder intellektuellen Anteilnahme unfähig und ausschließlich in einem selbstbezüglichen Beobachtungsprozess gefangen, der auf keiner gesellschaftlichen Legitimation beruht, sondern sich selbst zur letzten maßgeblichen Instanz gemacht hat.

Auch wenn die zu erkennenden sozialen Bedingungen der radikalen Ich-Dissoziation[8] den Lebensbedingungen des Albert Ehrenstein entsprechen, ist es aufgrund der absoluten und unumstößlichen psychologischen Zersplitterung des Protagonisten nicht zu rechtfertigen, Ehrenstein mit Tubutsch gleichzusetzen. Um die Unmöglichkeit der Umkehr und das entstandene geistige Gefängnis in seinem vollen Ausmaß zu begreifen, ist es notwendig, Tubutsch die Fähigkeit zur Rückkehr in eine gesellschaftliche Einbindung abzusprechen und die absolute Auflösung der Persönlichkeit als ein fiktionales Motiv des Textes zu verstehen. Es ist ihm jede Fluchtmöglichkeit genommen. Der Protagonist ist auf seinen unveränderlichen, entleerten Daseinszustand zu reduzieren. Die literarische Figur hat somit nicht wie ihr Schöpfer die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und diese problemorientiert in Beziehung zu setzen, sondern ist basierend auf dem vollständigen Zerfall aller ordnenden Kategorien an ihren Zustand gebunden.

Die besondere Leistung der Ich-Erzählung besteht demnach darin, von der Beschreibung eines Selbstfindungsprozesses im Sinne einer Entwicklung abzusehen und stattdessen einen Zustand des Selbstverlustes in seiner grotesken Überspitzung zu schildern. Die Ich-Form ist jedoch nicht bemüht, unglaubhafte Handlungsverläufe durch das Ich einem realen Erlebnis zuzuordnen, wie dies der Fall in zahlreichen Erzählungen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts ist, sondern zeichnet die dargestellte Wirklichkeit bewusst als Projektion und Anschauungsweise des Protagonisten. Das Text-Rätsel erhellt langsam den Grund für die Fremde, die Tubutsch in seiner vertrauten Umgebung empfindet und warum er als völlig ortlose Existenz der Vereinsamung ausgeliefert ist.

2.2 Eine Existenz in gesellschaftlicher Isolation

Welche Ereignisse im Text sind es nun, die Tubutsch so endgültig der Unmöglichkeit einer Konsistenzbildung im Bewusstsein unterwerfen? „[…], ich verstehe überhaupt nicht wie ich in diesen Zustand versunken bin.“ (13), sagt er zu Beginn des Textes und attestiert sich somit persönliche Unschuld an dem tiefgründigen Dilemma. Es ist ihm jedoch von Beginn an bewusst, dass seine innere Leere in ihrem Ausmaß sein ganzes Wesen umfasst und sich der Veränderung durch persönliche Reflexionen entzieht. Es besteht keine Hoffnung auf eine „noch so geringe Änderung“ (13) seiner Situation. Er hat jede stabilisierende Instanz verloren und befindet sich in einem sozialen Zustand, der keine Integration ermöglicht. Tubutsch erkennt „nur die Wirkung und Folge“ (13) und die zeigt sich besonders deutlich in den fehlenden menschlichen Bezügen. Der Protagonist leidet, bedingt durch seine divergente psychologische Ausgangssituation, an Kommunikationsschwierigkeiten und ist nicht in der Lage, in konventionell normierte Kontakte mit seinen Mitmenschen einzutreten.

Allein irre ich in der großen Stadt umher. Niemand schenkt mir Beachtung.“ (23)

Die innere Entleerung und die geistige Entwurzelung findet ihre Bestätigung und Fortführung in der realen Lebenswelt. Seine wenigen Bezugspersonen werden zu Opfern der unumgänglichen sprachlichen Mauern, die ihre Begründungen in den fundamentalen Unterschieden der zugrunde liegenden Imaginationen[9] finden.

Der entfernte Verwandte Norbert Schigut beispielsweise ist von den metaphorischen Antworten seines Gesprächspartners so verschreckt, dass er ihn als unangenehmen Zeitgenossen meidet. Tubutsch ist dennoch bemüht, sich selbst und anderen gegenüber den Anschein der gesellschaftlichen Anteilnahme zu erwecken. Provozierend wagt er sich aus seiner Isolation heraus. Er fordert „diabolospielende[] Kinder[]“ (30) auf ihn nach der Uhrzeit zu fragen, bewirbt sich wahllos bei ausgeschriebenen Annoncen „um unter Menschen zu kommen“ (38) und benimmt sich planmäßig auffällig, um mit seinen Mitmenschen Kontakt aufzunehmen. Doch auch durch die heftigsten Versuche und auffälligsten Bemühungen gelingt es ihm nicht, sich anderen Menschen „sichtbar“ zu machen. So scheitern auch die Versuche, Aufmerksamkeit zu erregen, indem er mit „roten Glacéhandschuhen“ (35) sein Essen einnimmt oder mit dem verpackten „Stiefelzieher“ (47) durch die Straßen geht.

Die „schalen Vergnügungen“ (38) machen ihm seine Nichtigkeit nur noch schmerzlicher bewusst. Niemand ermöglicht ihm ein erlösendes Gespräch. Selbst der Einspännergaul verweigert ihm den verbalen Austausch und treibt seine Isolation auf die Spitze. Es heißt:

Ich wette: er wollte nur nicht mit mir im Gespräch gesehen werden. Mit anderen, glaub´ ich, hätte er nach einiger Anstrengung reden können.“ (56)

[...]


[1] Vgl. Hans Wilhelm Rosenhaupt: Der deutsche Dichter und seine Abgelöstheit von der Gesellschaft. Diss. Bern 1939. S.11.

[2] Albert Ehrenstein: Tubutsch. Mit 12 Zeichnungen von O. Kokoschka. Lichtenstein 1973. S. 11-64.

Die Zitate der vorliegenden Arbeit folgen dieser Ausgabe; die Seitenzahlen sind ihnen in Klammern unmittelbar nachgestellt.

[3] Vgl. Kurt Pinthus: Bemerkungen über Albert Ehrenstein. In: Die Aktion. Wochenzeitung für Politik, Literatur, Kunst 7 (1917). Sp. 412-413.

[4] Albert Ehrenstein: Lebensbericht. In: M. Y. Ben-gravriêl (Hrsg.): Albert Ehrenstein. Ausgewählte Aufsätze. Heidelberg 1961. S. 162.

[5] Vgl. Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus. Hrsg. von Kurt Pinthus. Hamburg 2000. S. 26. [Im Folgenden zitiert als: Menschheitsdämmerung. Hamburg 2000.]

[6] Zu dem Begriff der Konstruktion vgl. Gerhard Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Franfurt a. M. 1997.

Gerhard Roth geht davon aus, dass die Wirklichkeit in der sich das Subjekt befindet ein subjektives Konstrukt des Gehirns ist, welches sich aus den Erfahrungswerten der Selbst- und Welterfahrung auf der Basis der kognitiven Fähigkeiten entwickelt.

[7] Vgl. Margherita Versari: Albert Ehrenstein. Prä- Existentialist ohne Existenz. In: Jutta Kolkenbrock- Netz, Gerhard Plumpe, Hans Joachim Schrimpf (Hrsg.): Wege der Literaturwissenschaft. Bonn 1985. S.271. [Im Folgenden zitiert als: Versari. Bonn 1985.]

Armin Wallas versteht die Weltsicht des Tubutsch´ anders, er sieht in dem desillusionierten Protagonisten einen „Großstadt- Flaneur“. Es heißt: „Jedes mögliche Ziel erkennt er, schon bevor er es überhaupt zu suchen beginnt, als fragwürdig.“

(Armin Wallas: Albert Ehrenstein. Mythenzerstörer und Mythenschöpfer. 1995. S. 193.)

Die Relativierung aller Zielvorstellungen basiert jedoch nicht auf einem Erkenntnisprozess des Protagonisten, sondern ist eine Begleiterscheinung des umfassenden Zerfalls innerer und äußerer Strukturen, welcher der Figur als Grundvorrausetzung mit auf den Weg gegeben ist und nicht das Resultat intensiver Reflexionen darstellt. Befände sich der Protagonist in einem Entwicklungsprozess, wäre ihm ein Ausweg aus seiner Situation nicht grundlegend verstellt und er könnte seine Grenzen überwinden.

[8] Zu dem Begriff der Dissoziation vgl. Silvio Vietta und Hans Georg Kemper: Expressionismus. München 1975. [Im Folgenden zitiert als: Vietta: München 1975.]

[9] Zu dem Begriff der Imagination vgl. Kersten Reich: Systemisch-konstruktivistische Pädagogik. Einführung in Grundlagen einer interaktionistisch-konstruktivistischen Didaktik. Neuwied 1997. [Im Folgenden zitiert als: Reich. Neuwied 1997.]

Kersten Reich bezeichnet die Zusammenhänge von Realem, Symbolischen und Imaginären und ihre wechselseitigen Verhältnisse als die drei entscheidenden Dimensionen der Welt- und Selbstsicht. Das Reale ist der Grund, auf den das Symbolische und das Imaginäre sich beziehen; das Symbolische ermöglicht das Denken und die Verständigung mit anderen über das Reale; das Imaginäre beschreibt Aspekte der Beziehung, die der symbolischen Kommunikation verborgen bleiben und zu den kein direkter Bezug aufgebaut werden kann. Es beschreibt die Vorstellungen des Subjekts über sich, andere und die Zusammenhänge der Dinge. Somit stellt das Imaginäre eine Sprachmauer dar, die sich nicht symbolisch ausdrücken lässt und so in ihrer subjektiven Ausdeutung die sprachliche Vermittlung grundlegend beeinflusst.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Zerfall von Figur und Struktur in Ehrensteins Tubutsch
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Dt. Philologie)
Veranstaltung
Albert Ehrenstein
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
28
Katalognummer
V26337
ISBN (eBook)
9783638286992
ISBN (Buch)
9783638649049
Dateigröße
576 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit untersucht den Zusammenhang von Ichauflösung und Erzählformation in Albert Ehrensteins Prosa-Erstling Tubutsch. Mit Rekurs auf Nietzsche wird an Tubutsch ein dissoziiertes Ich in einer Aussenseiterposition zur Gesellschaft diagnostiziert, das sich eskapistisch in kleinsten Spähren imaginäre Welten aufbaut und sich dabei mehr implizit als explizit gegen gesellschaftliche Normen und erwartungen stellt. Die Ergebnisse der Arbeit wurden als "durchaus fruchtbar" bewertet!
Schlagworte
Zerfall, Figur, Struktur, Ehrensteins, Tubutsch, Albert, Ehrenstein
Arbeit zitieren
Reinhard Keßler (Autor:in), 2003, Zerfall von Figur und Struktur in Ehrensteins Tubutsch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26337

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