Die identitätsstiftende Funktion von öffentlichem Freiraum - Untersucht am Beispiel der Neubausiedlung Berlin-Hohenschönhausen


Bachelorarbeit, 2007

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Identität und Raum - theoretische Annäherung
2.1 Identit ä t und Identifikation
2.1.1 Identität
2.1.2 Identifikation
2.1.2.1 Identification of
2.1.2.2 Being identified
2.1.2.3 Identification with
2.1.3 Ich-Identität
2.1.4 Wir-Identität
2.2 Die Bedeutung des Raumes im Wirkungsgef ü ge der Identifikationsprozesse
2.2.1 Das Wirkungsgefüge von Identifikationsprozessen
2.2.2 Funktionen des Raumes im Prozess der Identitätsbildung
2.2.3 Raum als Bühne der sozialen Interaktion
2.2.4 Raum als Teil der Identität und Objekt der Identifikation

3 Forschungsfrage

4 Methoden

5 Identität und Raum - praktische Diskussion
5.1 R ä umliche Lage der Neubausiedlung Hohensch ö nhausen
5.2 Die Ausgangslage 1991 22
5.2.1 Gesellschaftlichen Strukturen
5.2.2 Struktur und Bebauung der Siedlung
5.2.3 Siedlungsfreiräume
5.3 Entwicklungsszenarien
5.4 Entwicklungsprofil und Entwicklungsleits ä tze
5.4.1 Entwicklungsprofil
5.4.2 Entwicklungsleitsätze
5.5 Identit ä tsrelevante Planungsvorschl ä ge
5.5.1 Räumliche Definition der Neubausiedlung nach Außen
5.5.2 Räumliche und funktionale Struktur im Siedlungsinneren
5.5.2.1 Stadtteile
5.5.2.2 Wohnquartiere
5.5.3 Gestalterische Umsetzung der Siedlungsstruktur
5.5.3.1 Baumkonzept
5.5.3.2 Gestaltungskonzept

6 Abschließende Betrachtung

7 Literaturverzeichnis

8 Abbildungsverzeichnis

Abstract

In dieser Arbeit wird die Bedeutung des (öffentlichen) Raumes für die Identitätsbildung von Wohnsiedlungen und deren BewohnerInnen erörtert. Darüber hinaus wir der Frage nachgegangen, wie die Landschaftsarchitektur zur Identitätsbildung der Siedlung und der SiedlungsbewohnerInnen beitragen kann.

Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit einer theoretischen Annäherung an das Thema Raum und Identit ä t. Aufbauend auf einer Literaturrecherche werden die wesentlichen Pro- zesse der menschlichen Identifikation behandelt, um anschließend die Bedeutung des Raumes, im Wirkungsgefüge der menschlichen Identifikationsprozesse darzustellen.

Im zweiten Teil der Arbeit werden die theoretischen Erkenntnisse, mit einem praktischen Bei- spiel verglichen und diskutiert. Als Beispiel wurde die Neubausiedlung Berlin-Hohensch ö n- hausen, in der über 70.000 Menschen leben, ausgewählt. Die Planergemeinschaft Hannes DUBACH und Urs KOHLBRENNER erarbeitete für diese Siedlung einen St ä dtebaulichen Rahmenplan. Dieser Rahmenplan beinhaltet Planungsvorschläge die der Siedlung Identität verleihen sollen und es den BewohnerInnen ermöglichen soll, sich mit ihrer Siedlung zu iden- tifizieren. Pläne und Texte zu den identitätsrelevanten Vorschlägen werden analysiert, mit den theoretischen Erkenntnissen aus der Literaturrecherche verglichen und diskutiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Vorschläge der Planergemeinschaft zur Strukturierung, Gliederung und Gestaltung der Neubausiedlung, die Orientierungsmöglichkeiten in der Siedlung wesentlich verbessern und somit die Identifikation der einzelnen Stadtteile und der Siedlung selbst ermöglicht wird. Durch das gezielte etablieren von hierarchisch gegliederten, öffentlichen Räumen, wird den BewohnerInnen Raum zur sozialen Interaktion zur Verfügung gestellt. Dies ermöglicht es den BewohnerInnen ihre eigene Identität vor anderen Individuen darzustellen. Durch die Nutzung des öffentlichen Raumes erhält der Raum selbst Identität und kann somit zum Objekt der Identifikation werden.

Der Landschaftsarchitektur kommt in den Vorschlägen der Planergemeinschaft eine tragende Rolle zu, da die architektonische und städtebauliche Struktur der Siedlung keine Orientierungs- und Identifikationsmöglichkeiten bietet. Die gegebenen architektonischen und städtebaulichen Strukturen können nicht verändert werden. Somit müssen Identifikationsmöglichkeiten mit den Mitteln der Landschaftsarchitektur geschaffen werden.

Abstract

In this paper the significance of (public) space for the shaping of identity of housing estates and their residents is discussed. Additionally, it is investigated how landscape architecture can contribute to the identity-shaping of housing estates and their residents.

The first part of this paper is a theoretical approach to the topic of “Space and Identity”. Based on literature research, the significant processes of human identification are outlined; subsequently, the importance of space in an interactive structure with human identification processes is illustrated. The theoretical findings are then compared to a concrete example in the second part of the paper. The example used for the comparison is the “Neubausiedlung Berlin-Hohenschönhausen” with more than 70.000 residents. The planners Hannes DUBACH and Urs KOHLBRENNER have developed a “Städtebaulichen Rahmenplan” for this housing estate, which comprises recommendations that are intended to give the housing estate its own identity; these recommendations are also intended to enable the residents to identify themselves with their estate.

Plans and texts regarding the recommendations that are relevant for the shaping of identity are analysed and compared to the theoretical findings, and discussed.

The results show that the recommendations concerning the structuring, subdivision and design of the new housing estate, made by the planners, have improved the possibilities for orientation within the estate considerably; and thus the identification of the individual districts an the housing estate itself is made possible.

Due to the systematic establishment of hierarchically structured public spaces, the residents are granted space for social interaction. This enables the residents to present their own identity in front of other individuals.

By using public space, space itself acquires identity and can consequently become an object of identification. Landscape architecture plays a vital role in the planners’ recommendations, as the architec- tural and urban development structure of the housing estate does not hold opportunities for orientation and identification. The given (architectural and urban development) structures can not be changed. Thus, possibilities for identification have to be created by means of lands- cape architecture.

1 Einleitung

„ Die krampfhafte Suche nach einer „ Standortidentit ä t “ , die immer die gleichen Kulturpro- gramme, ö kologischen Agenden und sozialen Konsense aufbietet, verr ä t eine Identit ä tskrise moderner Siedlungsstrukturen. Sie sind in einem weitgehenden Ma ß e neutral und auswech- selbar. Die Standortbindung ist gering. Die Ausbildung einer stabilen „ Corporate Identity “ bei bestimmten Unternehmen - f ü r eine begrenzte Zeit - ist f ü r St ä dte noch schwieriger. Sie sind weitgehend eine neutrale Unterlage f ü r Aktivit ä ten, die ebenso gut woanders stattfinden k ö nnten “ (HELD 1999, 76).

Dieses Zitat von Gerhard Held behandelt den zentralen Themenbereich dieser Arbeit - „Iden- tität“ und „Raum1 “. Er spricht von einer „Identitätskrise der modernen Siedlungsstrukturen“ und bezeichnet diese als „neutral und auswechselbar“. Weiters führt er „eine geringe Stand- ortbindung“ an und bringt diese mit der schwierigen Aufgabe der Ausbildung einer „stabilen Corporate Identity“ in Verbindung. Held beschreibt hier einen Zusammenhang zwischen einer „räumlichen Identität von Siedlungsstrukturen“ und der Standortbindung der Siedlungs- bewohnerInnen. Die positive Verbindung zwischen Wohnquartier und BewohnerInnen hängt, laut Helds obigem Zitat, offenbar mit der Identität des Wohnquartiers beziehungsweise mit der Möglichkeit der Identifikation zusammen.

Ein grundlegendes Problem bei der Auseinandersetzung mit dem Themenbereich „Identität und Raum“ ist die Menge von unterschiedlichen Verwendungen und Bezügen der Begriffe Identität und Identifikation. Einerseits wird Identität auf Räume2 bezogen - man liest von der Identit ä t von R ä umen, von r ä umlicher Identit ä t, von raumbezogener Identit ä t, von der Mög- lichkeit sich mit R ä umen zu identifizieren, von der identit ä tsstiftenden Funktion von R ä umen und so weiter. Andererseits wird Identität auf Individuen, also Menschen bezogen - man liest von Ich-Identit ä t, von personaler Identit ä t, von Selbst-Identit ä t, von Gruppenidentit ä t, von sozialer Identit ä t und so weiter.

Von besonderem Interesse für diese Arbeit ist die Frage nach der „identitätsstiftenden“ Funk- tion von Freiräumen, also der Möglichkeit sich mit den Freiräumen eines städtischen Wohn- quartiers und somit mit dem Wohnquartier selbst zu identifizieren. Um sich ernsthaft mit dem Thema der identitätsstiftenden Funktion von Raum befassen zu können ist es notwendig Klarheit in die Begriffsvielfalt zu bringen und die Prozesse der Bildung von Identität zu ver- stehen. Hierbei soll besonderes Augenmerk auf die Rolle des Raumes bei der Identitätsbil- dung genommen werden.

2 Identität und Raum - theoretische Annäherung

2.1 Identität und Identifikation

Um einen Einstieg in die Thematik zu finden soll zuerst die Bedeutung des Begriffs der Identität geklärt werden. Da der Identitätsbegriff von vielen Wissenschaften verwendet wird sind eine Menge an Definitionen vorhanden. Eine allgemeine und eine Definition aus dem Bereich der Psychologie, sollen hier exemplarisch vorgestellt werden.

2.1.1 Identität

Grundsätzlich beschreibt der Begriff der Identität immer die Einzigartigkeit von Objekten oder Subjekten und ermöglicht somit deren eindeutige Identifikation und somit auch Unterscheidbarkeit. „Formal und abstrakt kann Identität zunächst als Bezeichnung für eine Sich-selbst- Gleichheit eines Sachverhaltes, einer völligen Übereinstimmung mit sich selbst verstanden werden. In Erweiterung kann darunter auch Wesensgleichheit und Relation zwischen Dingen und Begriffen verstanden werden“ (VOIGT 1999, 122). Der von Manfred VOIGT angesprochene Sachverhalt der „Sich-selbst-Gleichheit“, bedeutet nichts anderes als Einzigartigkeit - die Übereinstimmung eines Objekts oder Subjekts nur mit Sich selbst.

Im sozialpsychologischen Kontext wird unter Identität das dauernde, innere Sich-Selbst- Gleichsein und die Kontinuität des Selbsterlebens eine Individuums verstanden. Im wesentli- chen wird diese Kontinuität durch die dauerhafte Übernahme bestimmter sozialer Rollen und Gruppenmitgliedschaften, sowie durch die gesellschaftliche Anerkennung als jemand, der die betreffende Rolle inne hat beziehungsweise zu der betreffenden Gruppe gehört, hergestellt (vgl. HÖRNIG 1995).

Die wesentliche „Funktion“ von Identität ist das Erlangen von Einzigartigkeit (Individualität) und damit Unterscheidbarkeit. Dies gilt für Individuen aber auch für Städte und Regionen oder in der Wirtschaft, für Brands3.

Besonders in der modernen, globalisierten Massengesellschaft ist Identität ein zugleich begehrtes und knappes Gut geworden. Es macht nahezu keinen Unterschied, ob man sich in einer Einkaufsstraße in Wien, Köln oder Moskau befindet, multinationale Handelsketten ver- körpern in allen Städten die gleiche Corporate Identity und verkaufen die gleichen Produkte. Durch die Ausbreitung der westlichen Moderne, die Beschleunigung der Kommunikation und die Verkürzung von Reisezeiten rücken die „westlichen“ Städte immer näher zusammen - ihre Kulturen werden immer uniformer. Angeborene bodenständige Identitäten lösen sich auf oder werden mit anderen vermischt, es wird immer schwieriger Identität zu erlangen. Men- schen müssen mit der Erfahrung leben, dass nicht ihr gesamtes Dasein im Zeichen der

Unverwechselbarkeit und Besonderheit geschieht, sondern viele neutrale, anonyme aus- tauschbare Momente enthält (vgl. HELD 1999, 76). Identität ist in der modernen, westlichen Gesellschaft ein Gut das man nicht automatisch besitzt. Sie muss erst ausgebildet werden, man muss um sie kämpfen um sie zu erlangen und zu erhalten. Man kann sie aber auch wieder verlieren (vgl. HELD 1999, 76; IPSEN 1999, 151).

Identität ist also nichts statisches, sondern eine Momentaufnahme von etwas das sich stän- dig im Zustand der Bewegung und Veränderung befindet. Diesen Zustand beschreibt GRAU- MANN mit dem Prozess der Identifikation. „Identifikation beschreibt einen Prozess, Identität hingegen steht für einen Zustand, der jedoch auch wiederum veränderbar ist“ (GRAUMANN, 1983, 309-321).

2.1.2 Identifikation

Carl Friedrich GRAUMANN (vgl. 1983, 309-321) gliedert den Prozess der Identifikation in drei Teilprozesse auf. Er unterscheidet zwischen „Identifikation of“ (identifizieren von etwas), „Being Identified“ (von jemandem identifiziert werden) und „Identification with“ (sich mit etwas identifizieren). Bei dieser Unterscheidung handelt es sich um einen Perspektivwechsel zwi- schen dem Individuum das andere Objekte identifiziert und dem Individuum das identifiziert wird. „Identification with“ beschreibt den Prozess der Identifikation eines Individuums mit etwas. Im Folgenden werden die drei Prozesse genauer betrachtet und hinsichtlich ihres Raumbezuges analysiert.

2.1.2.1 Identification of

Der Prozess „identification of“ bezieht sich auf physische Gegenstände und Raumobjekte. Solche können Gebäude, Freiflächen wie Parkanlagen oder Straßen, Stadtteile aber auch Personen sein. In diesem Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt, werden Raumobjekte durch ein wahrnehmendes Individuum erfasst und als bestimmte Objekte identifiziert, benannt und meist werden ihnen auch bestimmte Eigenschaften zugeschrieben (vgl. WEICHHART et al. 2006, 32-33).

Die räumliche Komponente von „Identification of“ liegt vor allem in der „Verortung von benannten Objekten“, also dem „in Bezug setzen“ zu anderen Objekten. Dieser Prozess ist die Grundlage der räumlichen Orientierung eines Individuums. Klaus Theo BRENNER kriti- siert in diesem Zusammenhang die Siedlungsstruktur der Großsiedlungen Hohenschönhau- sen, Marzahn und Hellersdorf in Berlin. Er beschreibt einen eklatanten Mangel an städtebaulicher Signifikanz und gestaltetem öffentlichen Raum, aufgrund dessen man das Gefühl hat, sich trotz der gebauten Masse im Raum zu verlieren (vgl. BRENNER 1995, 11). Dieses Gefühl des „im Raum verloren sein“ beruht auf dem Problem des „nicht benennen können“ beziehungsweise „nicht zueinander in Bezug setzen können“ von räumlichen Objek- Roland Barthofer | Bakkalaureatsarbeit - Landschaftsarchitektur '9 ten. Man kann sich schlicht nicht orientieren, der Prozess „identification of“ funktioniert in sei- ner räumlichen Dimension nicht.

Peter WEICHHART definiert die raumbezogene Komponente dieses Teilprozesses der Iden- tifikation als „ die kognitiv-emotionale Repr ä sentation von r ä umlichen Objekten (Orten), im Bewusstsein eines Individuums bzw. im kollektiven Urteil einer Gruppe “ (WEICHHART et al. 2006, 33).

2.1.2.2 Being identified

Der Prozess „Being identified“ bezieht sich im Gegensatz zu „Identification of“ ausschließlich auf Individuen. Durch soziale Interaktion ist jeder Mensch selbst Objekt von Identifikation und wird als Person einer bestimmten Art identifiziert: Als Mann oder Frau, Jugendlicher oder Erwachsener, groß oder klein, die Liste der Merkmalskategorien ist endlos erweiterbar. Wird man von anderen als eine bestimmte Art Mensch identifiziert, sind mit der Identifikation als solcher auch ganz spezielle Rollenerwartungen verbunden. Beispielsweise wird einer Frau, die einen Kinderwagen schiebt, höchstwahrscheinlich die Rolle der Mutter zugewiesen. Merkmalskategorien können auch einen Raumbezug aufweisen. Wer als Bewohner eines bestimmten Stadtteils identifiziert ist, wird in einen ganz bestimmten soziokulturellen Kontext eingeordnet. Es wird erwartet, dass er diesem Bild entspricht (vgl. WEICHHART et al. 2006, 33).

Detlev IPSEN bezeichnet den Begriff „Being identified“ als „Außenperspektive“, also wie man von anderen Menschen wahrgenommen wird. „Die Außenperspektive benennt bestimmte Eigenschaften einer Person, die Person wird durch Eigenschaften identifiziert, so wie ein Fin- gerabdruck dem Kriminalbeamten die Anwesenheit einer Person an einem Ort indiziert“ (IPSEN 1999, 151).

Der Raumbezug von „Being Identified“ besteht in der Zuordnung von Eigenschaften und damit Erwartungen an ein Individuum, die sich (angeblich) aus der Position im Raum ableiten lassen (vgl. WEICHHART et al. 2006, 33). Wird ein Mensch als Bewohner eines bestimmten Quartiers identifiziert, werden ihm ganz bestimmte Eigenschaften und damit auch Rollenerwartungen zugeschrieben. „Durch den Prozess „Beeing Identified“ wird behauptet oder vermutet, dass die betreffende Person bestimmte Charakter- oder Persönlichkeitsmerkmale besitzt. Oder anders formuliert: Es werden Behauptungen über Elemente ihrer Ich-Identität aufgestellt“ (WEICHHART et al. 2006, 33).

2.1.2.3 Identification with

„Identification with“ stellt einen sehr wesentlichen Teilprozess der Identifikation dar - die Iden- tifikation mit etwas. Menschen identifizieren sich mit anderen Menschen, Gruppen von Men- schen, aber auch mit physischen Dingen wie Gebäuden, Räumen oder Autos und natürlich auch mit immateriellen Dingen wie Werten oder Religionen. Identifizieren bedeutet hier aneignen. „Es wird gleichsam eine Beziehung zwischen dem betreffenden Objekt und der Ich-Identität des Subjekts hergestellt. Es handelt sich um eine Art der Aneignung oder gar Einverleibung, durch die das Objekt quasi zu einem Teil des Subjekts wird“ (WEICHHART et al. 2006, 34).

Die räumliche Bedeutung des Prozesses „Identification with“ liegt in der Möglichkeit sich mit räumlichen Objekten oder Orten zu identifizieren, also eine persönliche Bindung zu diesen herzustellen.

2.1.3 Ich-Identität

In der Literatur werden die Begriffe „Personale Identität“, „Ich-Identität “ oder „Selbst-Identi- tät“ weitgehend gleichbedeutend verwendet. Man versteht unter diesen Begriffen die Identität die einer Person zu eigen ist und zwar aus Sicht der Person selbst (vgl. LOHAUSS, 1995, 27).

Identität ist vor allem in der modernen, westlichen Industriegesellschaft ein Gut das man nicht von Geburt an besitzt, sondern erst erlangen muss (siehe Punkt Identität). Die Voraussetzung zur Begründung einer persönlichen Identität ist also die Frage nach dem eigenen „Ich“. Um eine „eigene“ Identität zu erlangen muss sich ein Individuum selbst identifizieren. Es muss sich seiner selbst bewusst wird; wer, wie, was bin ich?

Um Gewissheit über sich selbst - „wer bin ich, wie bin ich, was bin ich“ - zu erlangen muss sich ein Individuum selbst beurteilen. Diese Beurteilung wird anhand von verschiedensten Merkmalen vorgenommen: Alter, Geschlecht, Beruf, Aussehen, Weltanschauung, soziale Rolle, soziale Bezugsgruppe, ethische Zugehörigkeit und so weiter. Zur Beschreibung der eigenen Identität werden aber auch Merkmale herangezogen, die einen eindeutig räumlichen Bezug aufweisen: Wohnort, Geburtsort, Orte an denen man sich in der Freizeit beschäftigt, Orte an denen man soziale Kontakte pflegt und so weiter (vgl. WEICHHART et al. 2006, 34). Diese Selbstbeurteilung und damit das soziale Einordnen und Zuordnen der eigenen Person bedarf einer Kommunikationsleistung, also sozialer Interaktion. „Identität ist ein Sich-selber- versichern, und dies kann man alleine eben nicht. Was man ist, weiß jede/r aus sich und dem/der anderen heraus“ (IPSEN 1999, 151). Peter WEICHHART beschreibt die personale Identität als „eine reflexive Bewusstseinsleistung menschlicher Individuen, bei der Erfahrun- gen über die eigene Existenz verarbeitet werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Wahrneh- mung der zeitlichen Konstanz und der Entwicklung des Selbst“ (WEICHHART et al. 2006, 34).

An dieser Stelle soll betont werden, dass soziale Interaktion und Kommunikation immer4 eines Ortes bedürfen an dem sie stattfinden kann. Die Rolle die der „Raum“ im Prozess der Identitätsbildung spielt wird in Kapitel 2.2.2 genauer behandelt.

Die Identität einer Person ist, wie im Punkt „Identität“ festgestellt, nicht statisch, sondern einer ständigen Veränderung unterworfen. Personen eignen sich ihre Identität in bestimmten Portionen an und stoßen andere Elemente wieder ab. Gleichzeitig sind einzelne Personen auch Teilhaber größerer Identitäten. Sie zählen sich zu einem Kulturkreis, einer Stadt, und so weiter. Hierbei handelt es sich jedoch nicht nur um einen Größenunterschied. Im Fall der Ich-Identität ist die Person selbst das Subjekt der Identitätsbildung, während sie im zweiten Fall nur Teilhaber einer bereits bestehenden, vorgängigen, sie übergreifenden Identität ist. (vgl. HELD 1999, 77).

2.1.4 Wir-Identität

Unter dem Begriff der „Wir-Identität“ oder auch „Gruppenidentität“ wird die Identität einer Gruppe von Menschen verstanden. Kollektive Identitäten, die immer auch Teile von „IchIdentitäten“ sind, entstehen wenn sich viele Menschen miteinander identifizieren. Ein Individuum kann sich bewusst mit einer Gruppe identifizieren oder sich von ihr abgrenzen, aber auch abgegrenzt werden. „Wir-Identitäten“ begründen sich immer über Gemeinsamkeiten wie zum Beispiel Wohnort, Sprache, Nationalität, aber auch über die soziale Stellung5, Weltanschauung und so weiter. Peter WEICHHART merkt in diesem Zusammenhang an, dass gerade bei der Gruppenidentität raumbezogene Definitions- und Abgrenzungskriterien vorkommen und das Wir-Bewusstsein von Gruppenmitgliedern häufig durch spezifische Territorialansprüche mitbestimmt wird“ (vgl. WEICHHART et al. 2006, 35).

[...]


1 Unter dem Begriff „Freiraum“ werden hier sowohl öffentliche als auch private Freiräume verstanden.

2 Der Begriff des Raumes wird hier als ein physischer und realer verwendet.

3 Handelsmarken

4 Virtuelle Räume wie das Internet oder Telefon müssen hier unberücksichtigt bleiben, da diese den Rahmen der Arbeit sprengen würden. Die Auswirkungen der modernen Kommunikation auf die Bedeutung von Freiräumen als Ort der Kommunikation und Interaktion, und somit der Identitätsbildung darf jedoch nicht unterschätzt werden. Beispielsweise war Ende des 19 Jhdt., in Wien, der tägliche „Corso“ in der Ringstrassen-Allee ein wesentliches Mittel der Kommunikation. Diese Funktion des öffentlichen Freiraumes ging durch moderne Kommunikationsmittel weitgehend verloren. Man trifft sich täglich nicht mehr bewusst sondern zufällig.

5 Die Möglichkeit der Wahl des Wohnortes hängt oft von der sozialen und somit auch wirtschaftlichen Stellung ab.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Die identitätsstiftende Funktion von öffentlichem Freiraum - Untersucht am Beispiel der Neubausiedlung Berlin-Hohenschönhausen
Hochschule
Universität für Bodenkultur Wien  (Institut für Landschaftsarchitektur)
Veranstaltung
Bakkalaureatsseminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
41
Katalognummer
V71099
ISBN (eBook)
9783638617604
Dateigröße
12813 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Arbeit wird die Bedeutung des (öffentlichen) Raumes für die Identitätsbildung von Wohnsiedlungen und deren BewohnerInnen erörtert. Darüber hinaus wir der Frage nachgegangen, wie die Landschaftsarchitektur zur Identitätsbildung der Siedlung und der SiedlungsbewohnerInnen beitragen kann.
Schlagworte
Funktion, Freiraum, Untersucht, Beispiel, Neubausiedlung, Berlin-Hohenschönhausen, Bakkalaureatsseminar
Arbeit zitieren
Roland Barthofer (Autor:in), 2007, Die identitätsstiftende Funktion von öffentlichem Freiraum - Untersucht am Beispiel der Neubausiedlung Berlin-Hohenschönhausen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71099

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