Geld und Literatur in Beziehungen in Gottfried Kellers 'Die mißbrauchten Liebesbriefe'


Hausarbeit, 2004

20 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Geld und Literatur in Zweckbeziehungen

2.1. Viktor Störteler und Gritli Störteler

2.2. Viktor Störteler und Kätter Albach

3. Geld und Literatur in Liebesbeziehungen

3.1. Gritli und Wilhelm

4. Geld und Literatur in Gemeinschaften

4.1 Viktor Störteler und die Seldwyler

5. Geld und Literatur in Freundschaften

5.1. Gritli und Ännchen

6. Resümee

7. Literaturverzeichnis

7.1. Primärliteratur

7.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung – Die Leute von Seldwyla

In meiner Hausarbeit beschäftige ich mich mit den zwischenmenschlichen Beziehungen in Kellers Novelle, wie die Protagonisten zu Geld und zur Literatur stehen, sich dies auf die Beziehungen zu ihren Mitmenschen auswirkt und mit Kellers daraus erkennbaren Einstellungen gegenüber den Literaturströmungen seiner Zeit.

Die Novellen aus „Die Leute von Seldwyla“ handeln von Sonderlingen und Menschen mit charakterlichen Schwächen, die durch ihr Verhalten auffällig geworden sind. Die ,,Charakter-Erzählungen“ , wie Keller sie nennt, sind in einem humorvollen und ironischen Ton geschrieben. Wie es in den Nachbemerkungen von Kellers „Kleider machen Leute“ heißt, liegt die innere Einheit darin, dass alle Novellen um seltsame Begebenheiten und merkwürdige Käuze kreisen, wie sie in der sehr lustig, aber wenig ernsthaft lebenden Gesellschaft Seldwylas nicht fehlen können.1 Sie sind soweit dem ,,Bürgerlichen Realismus" zuzuordnen, als in ihnen, im Gegensatz etwa zu Shakespeares Dramen, nicht das Schicksal gesellschaftlich hochrangiger Personen im Mittelpunkt steht, sondern von Menschen aus dem bürgerlichen Milieu erzählt wird. Kellers Figuren entstammen dem ländlichen Bürgertum, es sind einfache, durchschnittliche Menschen aus dem Volk, Menschen, die keine Machtposition innehaben. Behandelt werden in erster Linie allgemein menschliche Probleme. In Kellers „Die Leute von Seldwyla“ gibt es eine vermittelnde Instanz, denn die Welt wird in dieser Novellen nicht aus der Perspektive der Figuren beschrieben, sondern von einem allwissenden Erzähler, der das Geschilderte bewertet und kommentiert.

„Die enstehendenen Novellen fasst Keller wie in seinen späteren Sammlungen auch durch einen lockeren Rahmen zusammen. Er bekennt sich damit zu einer Form, die auf Goethes „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ zurückgeht und die ihm durch die Epoche der Romantik, besonders durch seine gleichzeitigen Tieck-Studien, vermittelt wurden.“2 Die Novellen, die im fiktiven Schweizer Ort Seldwyla angesiedelten sind, reichen vom „Grotesken zum Tragischen, vom Komisch-Heiteren zum Satirischen. Ihre Einheit gewinnen sie durch den „Keller-Ton“ (Theodor Fontane) mit seiner vom Gegenständlichen ausgehenden Ausdrucksvielfalt, seinen unmerklichen Übergängen von arabeskenreicher Verspieltheit zu hintergründiger oder aggressiver Satire, seiner Ironie und seinem Humor.“3

Die Figuren Kellers leben in einer frühkapitalistischen Welt, in der Beziehungen zum wesentlichen Teil von Geld bestimmt werden, wie auch Störtelers Ehe. Der Ärger und Spott über das Pseudogehabe von sogenannten Schriftstellern, wie auch das Treiben des berliner Schriftsteller Ehepaares Stahr-Lewald dienten Keller als Vorlage im weitesten Sinne und reizten Keller zu einer Literatursatire. Im Jahre 1857 notierte sich Keller erstmals die beiden vorläufigen Arbeitstitel „Der Briefsteller“ und „Die missbrauchten Liebesbriefe“. Seine Inspiration und Motivation waren das Berliner Literatentum, das er zwischen 1850 und 1855 kennengelernt hatte. Die Erzählung entfaltet das im „Schmied seines Glückes“ angeschlagene zeitgenössische Motiv der zunehmenden Vermarktung des Menschen. In seiner Novelle „Die missbrauchten Liebesbriefe“ geißelt er die zeitgenössische Literaturströmung der Hohlheit und des Trug unechter Literaten, die nur durch wichtigtuerische Gesten, lautes Gerede von ihren wichtigen Beziehungen, auffällig-eleganter Kleidung und durch ihr langes, wehendes Haar wirken wollen, denen jedoch jegliche innere Substanz fehlt und die sie durch ihr angeberisches Gehabe kompensieren wollen. „Die missbrauchte Liebesbriefe“ sind somit durchaus realistisch fundiert. In Viktor Störteler vereinigen sich die Eigenschaften dieser Dilettanten, die im Grunde nichts zu sagen haben aber trotzdem denken, sie würden in anderen Sphären schweben, weit über ihren Mitmenschen.

„Er ließ die Haare lang wachsen, strich sie hinter die Ohren, setzte eine Brille von lauterm Fensterglas auf und trug ein kleines Spitzbärtchen, um sein Äußeres dem bedeutenden Inhalte entsprechen zu lassen, den er durch seine neuen Bekanntschaften mit einem Schlage gewonnen.“4

Doch Keller wollte nicht nur eine reine Literatursatire schreiben, denn seine Novelle ist zwar eine Parodie auf das zeitgenössische Literaturtreiben, aber in einem zweiten– man könnte es einen didaktischen Teil nennen – schildert er die Entwicklung zweier Menschen zu tüchtigen und selbstbewussten Personen, die durch den Bruch vom städtischen Treiben zu sich selber und schließlich auch zueinander finden, während Viktor und seine Kätter Ambach, „ein ins Groteske gesteigerte Abbild der `Berliner Literaturweiber`5, sich durch ihre Selbstdarstellung zum Gespött der Seldwyler machen und schließlich lautlos von der Bildfläche verschwinden.

2. Geld und Literatur in Zweckbeziehungen

2.1. Viktor Störteler und Gritli Störteler

Die Beziehung zwischen dem erfolgreichen Kaufmann Viktor Störteler, kurz Viggi genannt und seiner liebenswerten Frau Gritli beruht von Anfang an nicht auf Liebe, sondern vor allem auf der Tatsache, dass Gritli ein kleines Vermögen mit in die Ehe eingebracht hat, das für den Kaufmann von großem Nutzen ist, ebenso, dass sie ein „hübsches, gesundes und gutmütiges Weibchen“ und eine „angenehme Person“ ist, welches er „besaß“.6 Sie unterstellt sich also ganz ihrem Ehemann, ist aufmerksam und demütig und so glaubt er auch sie zu erziehen, zu formen und eines Besseren belehren zu können. Sein Erfolg im Speditions- und Warengeschäft steigt ihm so zu Kopf, dass er sich zum Schriftsteller berufen fühlt. Diese Schreibversuche ruinieren ihm aber schließlich Geschäft und Ehe. Nüchtern solide Kaufmannsgesinnung wandelt sich zur fixen Idee künstlerischer Berufung, mit der er auch seine Frau beglücken will. Für ihn ist das literarische Treiben eine narzisstische Selbstdarstellung, der Antrieb ist das Geld und das Ansehen. Schon Viggis Jugend entfaltet sich in einem „tintenklecksenden Literatentum“7

„Er hatte seine Lehrzeit und einige Jahre darüber nämlich in einer größeren Stadt bestanden und war dort Mitglied eines Vereines junger Comptoiristen gewesen, welcher sich wissenschaftliche und ästhetische Ausbildung zur Aufgabe gestellt hatte. Da die jungen Leute ganz sich selbst überlassen waren, so übernahmen sie sich und machten allerhand Dummheiten. Sie lasen die schwersten Bücher und führten eine verworrene Unterhaltung darüber; sie spielten auf ihrem Theater den Faust und den Wallenstein, den Hamlet, den Lear und den Nathan; sie machten schwierige Konzerte und lasen sich schreckbare Aufsätze vor, kurz, es gab nichts, an das sie sich nicht wagten.“8

Viggi verfällt vollends den Folgen dieser fehlgelaufenen Erziehung, fühlt sich über die anderen Seldwylern erhaben und häuft allerlei Literatur um sich herum.

„Hiervon brachte Viggi Störteler die Liebe für Bildung und Belesenheit nach Seldwyla zurück; vermöge dieser Neigung aber fühlte er sich zu gut, die Sitten und Gebräuche seiner Mitbürger zu teilen; vielmehr schaffte er sich Bücher an, abonnierte in allen Leihbibliotheken und Lesezirkeln der Hauptstadt, hielt sich die »Gartenlaube« und unterschrieb auf alles, was in Lieferungen erschien, da hier ein fortlaufendes, schön verteiltes Studium geboten wurde.“9

Die 1859 erfolgte Veröffentlichung über die Gründung einer neuen „Sturm- und Drangepoche“ in der Zeitschrift „Teut“ waren Vorlagecharakter für Kellers Novelle. Als Viggi mit seiner bürgerlichen Existenz nicht mehr zufrieden ist10 und höher hinaus will, beginnt er Essays und schöngeistige Geschichte zu schreiben und ist bald im Kreise von Dilettanten anzutreffen, die sich Kunibert von Meere oder auch Oskar Nordstern nennen. Viggi, als Kurt vom Walde ist mit eifrigem Elan dabei, als in einem Wirtshaus eine neue Sturm- und Drangperiode begründet werden soll. Was Keller von so einem Treiben hält, wird hier satirisch dargestellt. Im Gegensatz zu den anderen Seldwyler Novellen ist es diese, die Kellers Weltansicht am deutlichsten ausspricht, seine Stellung zu den Literaturströmungen der Zeit, zu Schulromantik, Jungem Deutschland und Naturalismus darlegt 11. In ihr bekennt sich Keller auch zu der wahren Kunst eines poetischen Realismus.

Die innere Unwahrheit widert Keller an. „...und so kommt es, dass er sich von Witz, Unwitz und Willkürtum der letzten Romantik lossagt und wieder zu einer ehrlichen und naiven Auffassung bekennt. Gemessen an dem, was Cervantes, Rabelais, Sterne und Jean Paul, Goethe und Tieck geschaffen haben, sind die Schöpfungen der neuen Herren Schall und Rauch: Es steckt nicht die Wahrheit des Erlebten, auch kein Kunstverstand darin; alles ist leerer Anspruch. Keller parodiert den, in massenliterarischen Produkten verbreiteten romantischen Stil.“ 12

Da Viktor Störteler in seinen Seldwyler Mitbürgern keine Anhänger findet, beschließt er eines Tages, Gritli zu seiner Muse zu machen.

„Seiner Sendung gemäß, die er übernommen, begann er sich mehr unter seinen Mitbürgern umzutun und suchte Anhänger. Wo er wußte, daß einer ein Histörchen in den Kalender geschickt oder einige spöttische Knittelverse verfaßt hatte, die einzige Literatur, so in Seldwyla betrieben wurde, da strebte er ein Mitglied für die Sturm- und Drangperiode zu erwerben. Allein sobald die wackeren Leute seine Absichten merkten und seine wunderlichen Aufforderungen verstanden, machten sie ihn zum Gegenstande ihres Gelächters und neuer Knittelverse, welche zu seinem Verdruß in den Wirtschaften verlesen wurden. Als er vollends an einem Bürgermahle den Stadtschreiber verblümt fragte, was er von »Kurt vom Walde« für eine Meinung hege, und jener erwiderte: »Kurt vom Walde? Was ist das für ein Kalb?«, da hatte er für einmal genug und spann sich wieder in seine Häuslichkeit ein.

Dort betrachtete er sein Weib, und da er sah, wie anmutig Gritli in ihrem Häubchen am Spinnrädchen saß, mit rosigem Munde, mit stillbewegtem Busen und mit zierlichem Fuße, da ging ihm ein Licht auf; er beschloß sie zu erhöhen und zu seiner Muse zu machen.“13

Er zwingt eine künstliche Trennungssituation herbei, um einen Briefwechsel mit Gritli zu beginnen. Er will sie so zu Höherem führen und zudem den Briefwechsel als „Kurtalwino, Briefe zweier Zeitgenossen“14 zu veröffentlichen. Seine Geschäftsreisen sollen ihm zum Anlaß literarischer Inspirationen und schließlich Produktionen werden. Gritli aber verbindet in sich Güte und Wahrheit, Natürlichkeit und Herzensreinheit, Schlichtheit und Einfalt. „Keller hat über sie das Licht ewiger Romantik gebreitet“, wie es Dr. Edgar Neis es auf Seite 69 seiner Germanischen Studien beschreibt. Er erläutert in ihnen „Romantik und Realismus in Gottfried Kellers Prosawerken“. In Kellers Schilderungen, wie Gritli ihrem geliebten Mann für seine Reise ein Vesperpaket zusammenpackt,

[...]


1 Kleider machen Leute, S.64

2 Ebd. S. 64

3 Reclams elektronisches Lexikon unter „Gottfried Keller

4 Die missbrauchten Liebesbriefe S.12

5 Ebd., S.90

6 Ebd., S.3

7 Germanische Studien, S.69

8 Die missbrauchten Liebesbriefe, S.3

9 Ebd., S: 3

10 Gottfried Keller 1819-1890, S. 271

11 Germanische Studien, S. 67

12 Ebd, S.68

13 Die missbrauchten Liebesbriefe, S.12

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Geld und Literatur in Beziehungen in Gottfried Kellers 'Die mißbrauchten Liebesbriefe'
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
2+
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V50874
ISBN (eBook)
9783638469944
ISBN (Buch)
9783638598248
Dateigröße
513 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geld, Literatur, Beziehungen, Gottfried, Kellers, Liebesbriefe
Arbeit zitieren
Charlotte Diez (Autor:in), 2004, Geld und Literatur in Beziehungen in Gottfried Kellers 'Die mißbrauchten Liebesbriefe', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50874

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