Identitätskonstruktionen der Gegenwart - Die These vom Ende der Familie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Die Familie
2.1 Definition
2.2 kurzer geschichtlicher Überblick

3. Soziologische Thesen über den „Zerfall der Familie“
3.1 Der Staat als Ursache für den „ Zerfall der Familie “
3.2 Die Gesellschaft fordert den „ Zerfall der Familie “
3.3 Durch Modernisierungsprozesse verliert Familie an Bedeutung

4. Theoretische Erklärungsansätze des familialen Wandels im Zuge der Zweiten Modernisierung
4.1 Der Prozess der Deinstitutionalisierung
4.2 Die Theorie der sozialen Differenzierung
4.3 Die Pluralisierungsthese
4.4 Die Individualisierungstheorie

5. Veränderung und Kontinuität in der Familie
5.1 innerfamiliä re Strukturen
5.2 materielle und immaterielle Unterstützung
5.3 Die neue Rolle der Frau
5.4 Bedeutungswandel der Ehe
5.5 Geburtenrückgang
5.6 weniger Eheschließungen, höhere Scheidungsquote

6. Ausblick

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die folgende Ausarbeitung soll einen Überblick darüber schaffen, was sich an der Familiensituation bis heute verändert hat.

Wichtig ist zunächst, sich darüber ein Bild zu machen, was man heute unter dem Begriff Familie versteht. Betrachtet man nämlich die heutige Vielzahl der Formen des Zusammenlebens oder die Unübersichtlichkeit von Verwandtschafts- beziehungen in Adoptiv-, Stief- oder Inseminationsfamilien (Paare, deren Nachwuchs mit einer Samen- oder Eispende künstlich gezeugt wurde) ist gar nicht mehr so eindeutig zu erkennen, wer alles zur Familie gehört. Um die Begriffsklärung zu vervollständigen, habe ich einen groben geschichtlichen Überblick beigefügt.

Im Anschluss daran beschreibe ich drei geschichtliche Phasen, in denen Zerfall beziehungsweise Veränderung der Familie unter Soziologen besonders diskutiert wurde. Meinen Schwerpunkt lege ich dabei auf die heutige Zeit. Verschiedene Ansätze liefern unterschiedliche Erklärungen über den Wandel der Familie. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Alle sprechen von einem Bedeutungswandel. Der oft prognostizierte Zerfall der Familie wird in keiner der Untersuchungen bestätigt. Im Gegenteil: Vor allem Nave-Herz (1989) aber auch andere Soziologen betonen, dass die Familie in der heutigen Gesellschaft noch immer von großer Bedeutung ist und von den meisten Menschen früher oder später angestrebt wird - auch wenn die Anforderungen des Arbeitsmarktes, die finanzielle Belastung durch Kinder und das immer schwieriger werdende Aufeinanderabstimmen zweier Biographien, Lebensträume und -ziele eher gegen Familiengründung sprechen.

Neben wenigen traditionell gebliebenen Eigenschaften hat sich bezüglich Struktur und Bedeutung der Familie viel verändert, was hauptsächlich mit gesellschaftlichem Wandel zusammenhängt. Das „ganze Haus“ beispielsweise hätte in der heutigen Zeit wenig bestand. Die Rolle der Frau und die Arbeitsteilung im Haus haben sich gewandelt, Generationen leben nicht mehr unter einem Dach zusammen. Die heutigen Arten des Zusammenlebens haben vorher noch nie in dieser Form existiert.

2. Die Familie

2.1 Definition

Das normative Familienmodell basiert auf dem bürgerlichen Familienbegriff. Es wird nur die Lebensform als Familie betrachtet, die die Merkmale Haushalt, Elternschaft und Verwandtschaft aufweist (vgl. Schneider 1994, S. 15). Hinzu kommen dauerhaftes Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt, Nähe, Sexualität und gegenseitige Fürsorge. Ehe zählt heute nicht mehr notwendigerweise dazu.

Parson bezeichnet die Konstellation Vater, Mutter und Kind als Kernfamilie (vgl. Tyrell 1998, S.146-148), dies war jedoch lediglich in den 50er und 60er Jahren das meist verbreitetste Modell. Seit Mitte der 70er wurden dann auch unvollständige Familien zu dem Familienbegriff gezählt.

Viele Soziologen nutzten Parsons Kernfamilie als Vergleichsvariable, wenn sie Thesen über den Wandel in der Familie aufstellten. Jedoch ergaben diese Untersuchungen nur, dass sich seit der Phase des sogenannten ‚golden age of marriage’ der 50er und 60er Jahre etwas verändert hat. Dass dieses Familienmodell in früheren Zeiten wie auch heute viel weniger verbreitet war und ist, und es eher als eine Form des Zusammenlebens neben anderen galt und gilt, wird hier kaum beachtet. Generalisierungen führten dann zu verfälschten Ergebnissen.

2.2 kurzer geschichtlicher Überblick

In der Zeit vor der industriellen Revolution war die weitverbreitetste Familienform die des „ganzen Hauses“. Für die Partnerwahl waren ökonomische Faktoren ausschlaggebend, charakteristisch dafür war die Einheit von Produktion und Familienleben. Kinder galten als Gesinde und wurden als Arbeitskräfte eingesetzt. Emotionen spielten keine große Rolle.

Mit der Industrialisierung entwickelte sich eine Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte, die „bürgerliche Familie“ entstand. Die Produktion fand nun meistens außerhalb der Familie statt und Gesinde und Dienstboten wurden ausgegliedert und bekamen Angestelltenstatus. Emotionen gewannen enorm an Bedeutung, d.h. Ehen ergaben sich jetzt aus Liebe. Außerdem wurden den Familienmitgliedern ab jetzt wurden Rollen zugeschrieben. Der Vater war für die Ernährung, die Mutter für die Kinder verantwortlich und Kindheit wurde zu einer anerkannten Lebensphase. War es aufgrund der ökonomischen Lage der Familie nicht möglich, dieses Leitbild nachzuleben, wurde die „vernünftige Ehe“ eingegangen. Hier wurden die materiellen Vor- und Nachteile einer Beziehung genau abgewägt. Oftmals war Erwerbstätigkeit der Frau notwendig.

Entgegen der weit verbreiteten Meinung, diese Formen des Zusammenlebens seien ausschließlich gelebt worden und jede abweichende Konstruktion sei verpönt gewesen, spricht die Tatsache, dass schon vor und zu Beginn der Industrialisierung eine außerordentlich große Vielfalt familialer Lebensformen gegeben hat, die heutige Situation ist demnach nichts Außergewöhnliches. Wie bereits erwähnt, bildete sich dann in den 50er und 60 Jahren die „moderne Kleinfamilie“ (Parsons „Kernfamilie“), die von dem größten Teil der Bevölkerung bis Mitte der 60er unhinterfragt gelebt wurde. Sie bestand aus einer lebenslangen, monogamen Ehe, deren Sinn die Gründung einer Familie war. Der Vater wurde zur Autoritätsperson und war für Außenbeziehungen zuständig, die Mutter kümmerte sich um emotional-affektive Bedürfnisse der Familie und um Haushalt und Kinder. Alle anderen Lebensformen, wie zum Beispiel Geschiedene, Alleinlebende und nichteheliche Lebensgemeinschaft, galten als Notlösung und wurden in der Gesellschaft diskriminiert. Jeder Erwachsene war also mehr oder weniger gezwungen, zu heiraten. Diese Phase gilt als Höhepunkt der modernen Familienentwicklung.

In Verbindung mit den Frauen- und Studentenbewegungen der 60er kamen Zweifel an der Möglichkeit einer lebenslangen monogamen Ehe auf. Man fühlte sich in den Traditionen gefangen. Familiengründung war nicht mehr unbedingt notwendig, die Emanzipation der Frau stand im Vordergrund und andere Formen des Zusammenlebens wurden nicht mehr als negativ angesehen. Beispielsweise einwickelte sich von 1972 bis 1996 eine Zunahme der Einpersonenhaushalte um 84 Prozent und die Zahl der unverheirateten Paare mit Kindern hat sich verzehnfacht (vgl. Peukert 1999, S.32).

Mehr zu Wandel und Kontinuität in der Familie seit Mitte der 60er folgt in Kapitel 6.

3. Soziologische Thesen über den „Zerfall der Familie“

Nave-Herz (1998) nennt hier drei Argumentationsrichtungen, die jeweils einer bestimmten Zeit zugeordnet werden kann.

3.1 Der Staat als Ursache für den „Zerfall der Familie“

Schon Anfang des 19.Jahrhunderts kamen in Frankreich Stimmen auf, die dem Staat die Schuld für den „Zerfall der Familie“ gaben, so sprach zum Beispiel August Comte von der „crise de la famille“.

Auch in Deutschland war diese Einstellung weit vertreten. „Man war allgemein der Meinung, die Familie würde den Belastungen durch die moderne Wirtschaftsgesellschaft nicht gewachsen sein“ (Nave-Herz 1998). Auch damals wurde der Zerfall darauf bezogen, dass das normative Familienbild immer mehr an Bedeutung verlor. Was jedoch nicht beachtet wurde, war, dass dieses Modell damals gar nicht so verbreitet war, wie von vielen Soziologen behauptet wird. Demnach fand auch schon zu der Zeit eine Fehlinterpretation statt, es veränderte sich nämlich nur das Familienleitbild, wie Ende der 60er, Anfang der 70er herausgefunden wurde.

Unter heutiger Sicht war es damals falsch, von einem Ende der Familie sprechen. Es kam eher zu einer Veränderung im Familiensystem, im Verhältnis von Eltern und Kind oder Verwandtschaft und Kernfamilie.

3.2 Die Gesellschaft fordert den „Zerfall der Familie“

Wie in vielen anderen Bereichen auch, forderten die Studenten- und Frauenbewegungen der 60er Jahre eine Abschaffung der Normen und Werte der traditionellen Familie. Sie galt als altmodisch. Manche gingen sogar soweit zu sagen, die „Aufrechterhaltung familialer Strukturen [führe] zu emotionalen Defiziten der Familienmitglieder“ und zur „Entstehung psychischer Störungen“ (Nave-Herz 1998, S.290-291).

Was in dieser Phase richtig erkannt wurde: durch die heutige stärkere Fixierung auf das Gefühlsleben entstehen schneller Probleme innerhalb der Familie, was in psychischen Störungen, Unzufriedenheit und anschließend auch in Scheidung enden kann. Die Formulierung der 60er war jedoch zu radikal.

3.3 Durch Modernisierungsprozesse verliert Familie an Bedeutung

Seit Ende der 70er wird die These vertreten, dass durch eine Wohlstandssteigerung und gestiegene Bildungsbereitschaft ein Wertewandel stattgefunden hat, vor allem bei Frauen. Damit hat sich auch das Bild der Ehe verändert: Ehe ist heute nicht mehr verbindlich, sie muss nicht mehr zwingend ab einem gewissen Alter erreicht sein. Eher ist sie zu einer Option neben anderen geworden. Die Attraktivität anderer Formen des Zusammenlebens hat sich erhöht.

Auch hier wird wieder wie Anfang des 19. Jahrhunderts die These aufgestellt, die Entwicklung des Staates sei Mitverursacher dieses Wandels, zum Beispiel verlangt die heutige Wirtschaft mobile und flexible Arbeitskräfte, was in Widerspruch zur traditionellen Vorstellung von Familie steht.

Heute sprechen Soziologen nicht mehr von einem Zerfall der Familie, sondern betonen, dass es lediglich zu Veränderungen kam.

Da diese dritte Argumentationsrichtung die aktuellste ist, werde ich im folgenden noch näher auf sie eingehen.

4. Theoretische Erklärungsansätze des familialen Wandels im Zuge der Zweiten Modernisierung

In Untersuchungen und Diskussionen der vergangenen Jahre wurden verschiedene Theorien erarbeitet, die Veränderungen erklären sollen und die Entwicklung der Familie beschreiben. Hier sind einige wichtige Theorien kurz erklärt:

4.1 Der Prozess der Deinstitutionalisierung

Der Hauptvertreter dieser These, Hartmann Tyrell (1988), meint damit den Wandel und nicht etwa den Wegfall der Familie als Institution. Sinn und Zweck der Familie habe sich in eine neue Richtung entwickelt. Beispiele des Deinstitutionalisierungsprozesses sind (vgl. Tyrell 1988, S. 148-156):

1. Die Legitimierung anderer Lebensformen neben der Ehe, womit die Monopolstellung der Familie als einzig richtige, anerkannte Form des Zusammenlebens nicht mehr existiert.
2. Die Ehe steht heute nicht mehr als Notwendigkeit im Lebensplan von Jugendlichen, sie gilt nur noch selten als Sinn des Lebens. Alleinstehend zu bleiben wird heute nicht mehr als persönliches Scheitern angesehen.
3. Das Moralverständnis bezüglich Ehe- Sexual- und Familienmoral ist offener geworden, durch Verachtung und Gerede waren diese früher moralisch gesichert. Scheidung, Sex vor der Ehe und vieles mehr wir heute akzeptiert.
4. Die ursprüngliche Aufeinanderfolge der einzelnen Elemente Liebe, Ehe, Wohnung, Sex und Kind bauen nicht mehr zwingend aufeinander auf, heute sind sie in verschiedenster Weise untereinander kombinierbar.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Identitätskonstruktionen der Gegenwart - Die These vom Ende der Familie
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Fachbereich Sozialwesen)
Veranstaltung
"Entwicklungspsychologie des Jugendalters"
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V64448
ISBN (eBook)
9783638572675
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identitätskonstruktionen, Gegenwart, These, Ende, Familie, Entwicklungspsychologie, Jugendalters
Arbeit zitieren
Anne-Sofie Held (Autor:in), 2003, Identitätskonstruktionen der Gegenwart - Die These vom Ende der Familie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64448

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