Identitätskrisen bei türkischen Migrantenjugendlichen


Hausarbeit, 2004

26 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Bedeutung von Migration

3. Häufigkeit von Migration in Deutschland

4. Die Bedeutung von Identität
4.1. Staatsangehörigkeit und Identität
4.2. Gesellschaft und Identität
4.3. Erziehung und Identität
4.4. Religion und Identität
4.5. Sexuelle Identität
4.6. Beruf und Identität
4.7. Das „Problem der Kriminalität“
4.8. Freizeitverhalten und Identität
4.9. Sonstige Gesichtspunkte hinsichtlich problematischer Identitätsentwicklung

5. Integration als Aufgabe der Gesellschaft

6. Schlussbetrachtungen

1. Einleitung

Das Ansehen der türkischen Bevölkerung in unserer Gesellschaft ist nicht unbedingt sehr gut. Gerade auf dem Land, wo auch ich wohne, ist das Bild der Ausländer oft von Vorurteilen geprägt. In Vereinen, wie beispielsweise dem Handball-, Tischtennis-, oder Feuerwehrverein, sind so gut wie keine anzutreffen, obwohl der Anteil kurdischer Mitbürger, gerade in Celle, meiner Heimatstadt, ein sehr hoher ist. Oft bleiben die Jugendlichen dieser ethnischen Gruppe unter sich oder organisieren sich in eigenen Vereinen. Auch in sonstigen Situationen trifft man fast nie kulturell gemischte Gruppen an.

Warum fällt die Identifikation mit der anderen Kultur so schwer? Wie nehmen die Migrantenjugendlichen diese Situation wahr? Welche Identitätsmöglichkeiten bieten sich den türkischen Jugendlichen im fremden Land und in wie fern passen sie sich der neuen Heimat an? Diese und andere Fragen will ich anhand dieser Arbeit versuchen zu beantworten.

Ich selber bin seit ca. fünf Jahren mit einem Mädchen befreundet, dessen Mutter vor mehr als dreißig Jahren als Gastarbeiterin aus der Türkei nach Deutschland kam und kenne daher einige Menschen der türkischen Kultur persönlich. Zu welchen Krisen es bezüglich der Identität, in diesem Fall der bikulturellen Identität, kommen kann, habe ich dadurch bereits erfahren können.

Selber konnte ich im Zuge der deutschen Wiedervereinigung und einem damit verbundenen Wohnortwechsel auch Erfahrungen machen, was es heißt, sich als Kind plötzlich in einer „anderen Kultur“ wiederzufinden. (dazu: Olaf Georg Klein) Auch wenn man hier etwas differenzieren muss.

Ich werde in meiner Arbeit mit einigen grundlegenden Definitionen beginnen und dann auf konkrete Bereiche eingehen, die für Identitätskrisen, vor allem bei Jugendlichen türkischer Herkunft, verantwortlich gemacht werden können. Nicht immer werde ich die türkische Kultur genau abgrenzen können, was aber auch nicht nötig ist. Andere Kulturen haben, so denke ich, mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Hauptsächlich werde ich mich auf die Gruppe der Arbeitsmigranten, vor allem türkischer Herkunft, beziehen, die schon länger in Deutschland anzutreffen sind und auch die größte Gruppe der Ausländer darstellt.

Hier ist die kulturelle Differenz zwischen den beiden Kulturen, im Gegensatz zu Arbeitsmigranten italienischer Herkunft beispielsweise, doch noch größer. Zum Ende werde ich versuchen einige Vorschläge anzubieten, wie Gesellschaft, und vor allem Sozialarbeit positiv auf die vorhandenen Problemstellungen einwirken kann.

2. Die Bedeutung von Migration

Das Wort Migration findet sowohl im zoologischen wie auch im soziologischen Bereich seine Bedeutung und wird, bezogen auf das Thema, mit „Wanderung, Bewegung von Individuen oder Gruppen im geographischen oder sozialen Raum, die mit einem Wechsel des Wohnsitzes verbunden ist“, beschrieben. (Duden 5: Fremdwörterbuch, 2001)

Man unterscheidet verschiedene Migrantengruppen, wie z.B. die der Saisonarbeitnehmer, der Asylbewerber, der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, Spätaussiedler oder Sonderformen, wie die Green Card Inhaber.

3. Häufigkeit von Migration in Deutschland

Während sich 1961 erst 690 000 Ausländer in Deutschland aufhielten, ist die Zahl bis 1999 auf 7,3 Millionen gestiegen (ca. 2,1 Millionen Türken um 1997). Zu erklären ist dieser Anstieg mit der Mitte der 50 `er Jahre beginnenden Arbeitsmigration. Der Mangel an Arbeitskräften für bestimmte Arbeitsbereiche veranlasste die Bundesanstalt für Arbeit, Anwerbungsabkommen mit verschiedenen Ländern wie z.B. Griechenland, Italien und insbesondere der Türkei zu schließen. Die Zahl der Arbeitsmigranten, die Ende der 50` er Jahre bei 72 000 lag, erlebte in der Folgezeit einen raschen Anstieg und erreichte 1973 mit 2,6 Millionen. (4 Millionen Ausländer insgesamt) ihren Höhepunkt. (vgl. Thomas Meyer, 2002, S.70,71)

Die meisten Migranten planten damals einen Aufenthalt von kurzer Dauer. Ihr Ziel war, nach dieser Zeit eine eigenständige Existenz in ihrer Heimat aufzubauen. Kinder und Ehepartner blieben deshalb oft im Heimatland zurück. Durch wirtschaftliche Interessen seitens der Betriebe wurden die Aufenthaltszeiten der Migranten immer länger; Anlernkosten für neue Migranten konnten so verhindert werden.

Da die Ausländer nun keine Rückkehrerlaubnis mehr erhielten, führte dies zu Familiennachzug, was auch die steigende Zahl von Ausländer nach 1973 erklärt. Aus „Gastarbeitern“ wurden nun Einwanderer. (www.migration-online.de)

Somit haben ganze Familien, mit Kinder in jedem Alter, ihre Heimat verlassen und mussten sich nun innerhalb kürzester Zeit in einer neuen, für sie völlig fremden Kultur zurechtfinden. Bisher Gekanntes und Vertrautes musste aufgegeben werden. Das dies, gerade für Kinder – und Jugendliche, nicht ohne Probleme verläuft, ist verständlich. Die noch nicht besonders gefestigte Identität wird in Frage gestellt.

4. Die Bedeutung von Identität

Als Identität bezeichnet man die als „Selbst“ erlebte innere Einheit der Person. (Duden 5: Fremdwörterbuch, 2001)

Man unterscheidet zwischen persönlicher und sozialer Identität. „Persönliche Identität meint, dass jemand sich wie im Spiegel selbst erkennen und sich in seinen Handlungen wiederfinden kann.“

„Soziale Identität meint, dass die Umwelt das Verhalten eines Menschen in seinen verschiedenen Lebensbereichen (Familie, Beruf, Freizeit) miteinander vereinbaren kann. Dadurch merkt der Betroffene, dass er sozial identisch ist.“ (www.socioweb.de)

Für Jugendliche aus einer anderen Kultur ist es nun wie gesagt schwierig die eigene Identität zu finden. Sie sind gezwungen sich auf neue, ihnen unbekannte Handlungen einzulassen und ihnen fällt es somit schwer sich abzugrenzen und ihre persönliche Identität aufzubauen. Sie müssen sich anpassen, um den gesellschaftlichen Normen gerecht zu werden.

Da vor allem der Unterschied zwischen der türkischen und deutschen Kultur oft ein sehr großer ist, gibt es viele Bereiche, wo es zu Identitätsstörungen kommen kann. Sowohl Fragen im Bereich der Erziehung, Religion, Sexualität und Berufswahl müssen beantwortet werden, wie auch formelle Fragen nach der Staatsangehörigkeit.

4.1. Staatsangehörigkeit und Identität

Seit dem 1. Januar 2000 gibt es im Staatsangehörigkeitrecht entscheidende Veränderungen. Im Gegensatz zu früher, erwerben Kinder automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn sie in Deutschland geboren wurden sind. Ein längerer Aufenthalt der Eltern im Land und eine Aufenthaltserlaubnis von noch mindestens drei Jahren ist allerdings Vorraussetzung.

Für Kinder, die nicht in Deutschland geboren wurden, hat sich das Gesetz ebenfalls geändert. Sie können nun bereits nach einem Aufenthalt von acht, nicht wie bisher nach fünfzehn Jahren eingebürgert werden. Einige Zusatzbedingungen, wie ausreichend Kenntnisse der deutschen Sprache, sind daran geknüpft.

Nun ist es aber so, dass die doppelte Staatsangehörigkeit weitgehend vermieden werden soll. Jugendliche müssen sich bereits im Alter von 18 Jahren für eine der beiden entscheiden bzw. bei Einbürgerung nach frühestens acht Jahren die alte Staatsangehörigkeit ablegen. (www.integrationsbeauftragte.de/themen/staats.stm)

Zunächst lässt eine solch formelle Entscheidung keine großen Probleme erkennen. Wenn man aber bedenkt, welche Auswirkungen dahinter stecken, ist das Problem nachvollziehbar.

Entscheidet sich der Jugendliche für die Staatsangehörigkeit seines Heimatlandes, wobei die Einstellung der Eltern nicht ganz unerheblich ist, bleiben ihm doch einige Dinge verwehrt. Ihm ist es z.B. nicht möglich mitzuentscheiden, wer bei einer Wahl gewinnen soll und somit das Land in dem er lebt, regieren soll. Auch das Reisen in Europäische Nachbarländer, z.B. in Form einer Klassenfahrt, ist nicht ohne Weiteres möglich. Ebenso muss die Frage nach dem Wehrdienst, in Deutschland noch ein Pflichtdienst, gestellt werden. Zwar kann der Jugendliche die Aussetzung des Wehrdienstes im Heimatland beantragen, so muss er aber in dem Land dienen, in dem er lebt, gegebenenfalls im Ersatzdienst. Für ein Land zu dienen, zu dem man nicht gehört, kann unter Umständen schwer fallen. Hat er bei der Einreise nach Deutschland bereits das 18. Lebensjahr vollzogen, wird er auf jeden Fall zum Dienst in der Türkei herangezogen, was das Verlassen der neuen „Heimat“ bedeutet. (vgl. Memet Kilic, 2002, S. 44)

Entscheidet sich der Jugendliche für die deutsche Staatsangehörigkeit, so verzichtet er ebenso auf Dinge mit denen er sich vielleicht identifiziert. Die Reise in die „Heimat“, um Verwandte zu besuchen, kann so zur Reise ins Ausland werden. Vielleicht gibt es auch Verwandte, die diese Entscheidung verurteilen.

Wie man an diesen wenigen Beispielen sehen kann, ist es schon bei dieser „einfachen“ Frage nicht leicht für den Betreffenden eine eindeutige Antwort zu finden, zu der er mit 100% er Sicherheit stehen kann. Muss er sich entscheiden, ist die Entscheidung auch immer eine „gegen die andere“.

4.2. Gesellschaft und Identität

Mit der Beantwortung der Staatsangehörigkeitsfrage hat sich der Jugendliche zwar rechtlich für die eine oder andere Kultur entschieden. Ob und wo er sich letztendlich aber heimisch fühlt, ist damit nicht beantwortet.

In der Gesellschaft in der er lebt, wird er nicht als Deutscher, auch wenn er hier schon viele Jahre lebt, angesehen. Allein das Aussehen unterscheidet ihn und grenzt ihn somit vom „Normal“ ab.

Dennoch hat er sich im laufe der Jahre zwangsläufig deutsche Verhaltensweisen angeeignet, die sich von seinem „Heimatland“ unterscheiden. Allein der Unterschied im Bereich Schule und Freizeitgestaltung bringt dies mit sich. Deutlich werden ihm diese Unterschiede dann z.B. bei Urlaubsreisen zur Familie in die Türkei. Dort kann es ihm passieren, dass er als „Almanci“ (Deutscher) bezeichnet wird. Sicherlich ist das kein böser Ausdruck; es macht dem Jugendlichen aber deutlich, dass er anders ist und eben nicht „dazugehört“. Somit gehört er nirgendwo so richtig dazu, was nun zur Belastung für den Jugendlichen werden kann und eventuell Identitätskrisen hervorruft. Man bezeichnet diesen Zustand auch als Mehrfachzugehörigkeit. (vgl. Paul Mecheril, 2000, S. 27-48)

„Nationale Mehrfachzugehörigkeit geht mit individuell auszutragenden Belastungen einher, weil soziale Strukturen, in denen Mehrfachzugehörige sich wirksam und authentisch zur Geltung bringen können, eher außergewöhnlich sind. Dieses strukturelle Defizit ist ein Mangel sozialer Anerkennung.“ (Paul Mecheril, 2000, S.45)

Da es wenige soziale Strukturen gibt, in den „Mehrfachzugehörigkeit“ gelebt werden kann, ist es nicht außergewöhnlich, dass Türkische Jugendliche oft unter sich bleiben.

4.3. Erziehung und Identität

Durch die gegensätzlichen Vorstellungen von Erziehung seitens der Migranteneltern und deutschen Lehrern werden türkische Jugendliche oft zusätzlich verunsichert.

Spielt Autorität in der Erziehung von Jugendlichen türkischer Herkunft noch eine größere Rolle, so ist es doch in unserer „fortgeschrittenen“ Gesellschaft eher üblich auf Kooperation zu setzen. Die Jugendlichen spüren, „dass Erziehung, wie ihre Eltern sie genossen haben und wie sie sie den Kindern weitergeben, für sie nicht mehr so lebbar ist. Das ist eine Inkonsistenz, die Autorität untergräbt, die betroffenen Kinder und Jugendlichen so verunsichert, dass sie kein Kontrollbewusstsein entwickeln können, dass sie nicht wissen: Auf diese Handlung folgt jenes, auf diese Aktion jene Reaktion.“

[...]

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Identitätskrisen bei türkischen Migrantenjugendlichen
Hochschule
Fachhochschule Braunschweig / Wolfenbüttel; Standort Braunschweig
Veranstaltung
Vorlesung 'seelische Krisen im Jugendalter'
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V63196
ISBN (eBook)
9783638563024
ISBN (Buch)
9783638669160
Dateigröße
584 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identitätskrisen, Migrantenjugendlichen, Vorlesung, Krisen, Jugendalter“, Migration, Migranten, Jugendliche, Adolesenz
Arbeit zitieren
Christian Hofmeister (Autor:in), 2004, Identitätskrisen bei türkischen Migrantenjugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63196

Kommentare

  • Gast am 17.1.2008

    Sehr gute Arbeit....

    kann die Arbeit weiterempfehlen. Aktuelle Literatur und verständlich geschrieben...

Blick ins Buch
Titel: Identitätskrisen bei türkischen Migrantenjugendlichen



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