Paul Celans "Einem, der vor der Tür stand" im Kontext der Golem Motivik


Seminararbeit, 2003

14 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Kurzbiographie Paul Celans

Einführung und Hintergründe zu dem Gedicht

Das Gedicht „Einem, der vor der Tür stand“

Interpretation

Die Gestalt des Namenlosen als Golem

Schlussfolgerung

Literaturangaben

Kurzbiographie Paul Celans

Paul Celan wurde am 23.November 1920 als Paul Antschel-Teitler im rumänischen Czernowitz geboren. Sein Vater Leo Antschel-Teitler, ein gelernter Bautechniker, der jedoch seinen Unterhalt als Makler im Brennholzhandel verdiente, und seine Mutter Friederike, geborene Schrager, heirateten Anfang 1920. Den Doppelnamen führte Paul fort, da für seine Eltern die religiöse, und nicht sie standesamtliche Trauung wichtig war. Erst als Gymnasiast änderte sich Pauls Familienname zum einfachen Antschel. Als einziges Kind der jüdischen Familie wurde Paul streng orthodox erzogen, besuchte den exklusivsten und teuersten Kindergarten, der die deutsche Sprache pflegte. Drei Jahre lang musste er gegen seinen Willen die hebräische Volksschule „Ssafa-Iwrija“ besuchen und erhielt nach seinem Eintritt in ein renommiertes staatliches Gymnasium einen Hauslehrer für Hebräisch und Rumänisch. Nach dem Abitur 1938 entschließt sich Paul Celan für das Studium der Medizin. Das erste vorbereitende Studienjahr verbringt er in Frankreich an der „École préparatoire des médicine“ in Tours. „Im Sommer 1939 macht er bei den Eltern ausgiebig Ferien; danach verhindert der Kriegsausbruch die Rückkehr nach Frankreich.“[1] Seine Sprachbegabung im Rumänischen und Französischen, die von der Gymnasiallehrern bemerkt und gefördert wurde, begünstigte auch sein Studium der Romanistik, der russischen Sprache und der Anglistik. „Mit der Besetzung der Stadt [Czernowitz] durch deutsche und rumänische Truppen im Juli 1941 beginnt für Paul Celan ein Leidensweg, der ihn grundlegend verändern sollte.“[2] Im Herbst des Jahres 1942 starb Leo Antschel an einer Typhuserkrankung, wenige Monate später wurde Pauls Mutter in einem deutschen Konzentrationslager erschossen. Paul befand sich unterdessen in rumänischen Lagern in Zwangsarbeit, wurde anschließend zu einem Arbeitseinsatz nach Czernowitz geschickt, im Herbst 1944 schreibt sich Paul Celan an der wiedereröffneten Universität in seiner Heimatstadt zum Studium der Anglistik ein. „Im April 1945 geht er nach Bukarest, und von dort gelangt er über Wien (Dezember 1947) und Innsbruck gegen Ende 1949 nach Paris.“[3] Im Jahre 1952 heiratet Paul Celan die Graphikerin Giséle de Lestrange und liest auf der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf aus seinem Werk. Zu seinen Lebzeiten werden ihm einige wichtige Literaturpreise verliehen. Paul Celan erhält die Ehrengabe des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie, den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen, in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und in Düsseldorf den Großen Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Paul Celan litt unter einem Verfolgungswahn. Durch die Plagiatanschuldigung der Witwe Goll, durch den herrschenden Antisemitismus und durch die Zeit im KZ befand sich Celan in ständiger Angst. Sein seelischer Zustand verschlechterte sich zusehends, „und in den letzten Apriltagen des Jahres 1970 suchte und fand Paul Celan dann in der Seine den Tod.“[4] Paul Antschel übersetzte desöfteren unter einem Pseudonym, dazu wählte er die Namen „Paul Aurel“ und „A. Pavel“, entschloss sich dann, das Anagramm aus seinem Nachnamen, in der Schreibweise „Ancel“ anzunehmen.

Einführung und Hintergründe zu dem Gedicht

Der einstige Titel des Gedichtes „Einem, der vor der Tür stand“, nämlich „Que sont mes amis devenus?“[5] scheint einen Hinweis auf einen Freund, womöglich auf einen falschen, vielleicht auch auf eine reale Person zu geben. Es könnte auch der Schluss gezogen werden, dass es sich bei dieser getilgten Überschrift um einen Versuch handelt, die Interpreten davon abzuhalten, den vor der Tür stehenden als Golem zu identifizieren. Ob nun bloße Irreführung oder eine Gleichsetzung mit einer existierenden Person das Motiv war, geht aus dem Inhalt nicht hervor, der einstige Titel erscheint nicht im Druck der „Niemandsrose“ und Celans Gedichte werden folglich nach ihrer ersten Zeile benannt, da jegliche bezeichnenden Überschriften fehlen. Es liegt auch nahe, bei den falschen Freunden eine Parallele zur „Goll-Affäre“ zu ziehen, welche etwa ein Jahrzehnt vor der Publikation der „Niemandsrose“ durch eine Plagiat-Anschuldigung begann. In Paris lernte Paul Celan den Leukämiepatienten und Lyriker Yvan Goll kennen und übersetzte auf dessen Wunsch einige seiner Gedichtszyklen aus dem Französischen ins Deutsche. Drei Jahre nach dem Ableben von Yvan Goll wurde Celan durch die erste private Beschuldigung von Claire Goll bezichtigt, die letzten entstandenen Verse ihres Ehemannes für den Band „Mohn und Gedächtnis“ verwendet zu haben. Paul Celan war zutiefst erschüttert, versuchte stets die Anschuldigungen von sich zu weisen, vermutete eine antisemitische Kampagne hinter den Plagiatsvorwürfen und wurde zusehends misstrauischer. Bis zu seinem Tod versuchte Celan seine poetische Integrität zu verteidigen und chiffrierte in seinen Gedichten die Erschütterung über diesen Rufmordversuch. Die Übersetzung der einstigen Überschrift, folglich: „Was sind meine Freunde geworden?“ ließe nun den Schluss zu, in die Richtung zu interpretieren, dass ein einstiger Freund, namentlich die Witwe Goll, zu einem Feind geworden war. Zugleich könnte man den Golem als dienenden Freund betrachten, der jedoch von Tag zu Tag an Größe und Macht gewinnt, um schließlich zu einer Bedrohung zu werden, also ein anderer geworden sei.

Somit stellt sich die Frage, ob der Namenlose in diesem Gedicht Merkmale des Golem aufweist und folglich als eben diese Fabelgestalt angesehen werden kann.

EINEM, DER VOR DER TÜR STAND, eines
Abends:
ihm
tat ich mein Wort auf -: zum
Kielkropf sah ich ihn trotten, zum
halb-
schürigen, dem
im kotigen Stiefel des Kriegsknechts
geborenen Bruder, dem
mit dem blutigen
Gottes-
gemächt, dem
schilpenden Menschlein.

Rabbi, knirschte ich, Rabbi
Löw:

Diesem
beschneide das Wort,
diesem
schreib das lebendige
Nichts ins Gemüt,
diesem
spreize die zwei
Krüppelfinger zum heil-
bringenden Spruch.
Diesem.

. . . . . . . . . . . . . .

Wirf auch die Abendtür zu, Rabbi.

. . . . . . . . . . . . . .

Reiß die Morgentür auf, Ra- -

Gedichtinterpretation

Das Gedicht „Einem, der vor der Tür stand“ stammt aus dem 1963 veröffentlichten Gedichtband „Die Niemandsrose“, welcher von vielen Rezensenten als eine Rückkehr zum Judentum verstanden wird. Der vierte, von Paul Antschel autorisierte Gedichtband enthält Celans zweite und letzte Widmung „Dem Andenken Osip Mandelstamms“. Der russisch-jüdische Dichter wurde im Stalinistischen Russland Ende der 30er Jahre ermordet und ist dementsprechend ein Repräsentant aller jüdischen Opfer. Das erste Gedicht des Bandes bestätigt dessen jüdische Thematik und veranschaulicht ganz deutlich, dass für Celan die Geschehnisse in den Konzentrationslagern immer noch lebhaft gegenwärtig sind.[6]

Es darf angenommen werden, dass Paul Celan über die kabbalistische Mystik informiert war, nicht zuletzt durch seine langjährige Ausbildung in der hebräischen Sprache, oder durch das traditionell gelehrte Judentum im Kreise der Familie. Insbesondere ist bekannt, dass Celan die Lektüre von Gershom Sholems Schriften pflegte.

Das Gedicht ist in drei Teile gegliedert, betrachtet man die äussere Struktur des Textes, in dem die insgesamt 28 Verse durch zwei Absätze voneinander getrennt erscheinen. Zwischen diesen steht die Anrede an den Prager Rabbi Löw, dessen Nachname eine ganze Zeile für sich beansprucht. Bemerkenswert ist hierbei, dass eben dieser Eigenname den „Achsenpunkt des Gedichtes“[7] ausmacht. „Vierzehn Zeilen gehen ihm voraus, vierzehn Zeilen, einschliesslich der elliptischen Stummzeilen am Ende, folgen ihm.“[8] Gerade diese einmalige Identifizierung einer Person in diesem Gedicht, welche auch noch eine mittige, gesonderte Position im Text einnimmt und für den Hintergrund des Golem-Mythos unabdingbar ist, ist für die Interpretation von immanenter Bedeutung.

[...]


[1] Pausch, Holger. Paul Celan. Berlin, 1981. Seite 23.

[2] Pausch, Holger. Paul Celan. Berlin, 1981. Seite 24.

[3] Pausch, Holger. Paul Celan. Berlin, 1981. Seite 25.

[4] Pausch, Holger. Paul Celan. Berlin, 1981. Seite 31.

[5] Lehmann, Jürgen (Hrsg.). Kommentar zu Paul Celans „Die Niemandsrose“. Heidelberg, 1997. Seite 173.

[6] Glenn, Jerry. Paul Celan. New York, 1973. Übersetzt, Seite 109.

[7] Mayer, Sigrid. Golem: Die literarische Rezeption eines Stoffes. Bern, 1975. Seite 86.

[8] Mayer, Sigrid. Golem: Die literarische Rezeption eines Stoffes. Bern, 1975. Seite 86.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Paul Celans "Einem, der vor der Tür stand" im Kontext der Golem Motivik
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,8
Autor
Jahr
2003
Seiten
14
Katalognummer
V63030
ISBN (eBook)
9783638561570
ISBN (Buch)
9783656804734
Dateigröße
466 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Gedicht von Paul Celan ist hier aufgeführt, sowie eine Interpretation und einige Informationen über die jüdische Sagengestalt Golem.
Schlagworte
Paul, Celans, Einem, Kontext, Golem, Motivik
Arbeit zitieren
Jessica Draper (Autor:in), 2003, Paul Celans "Einem, der vor der Tür stand" im Kontext der Golem Motivik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63030

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