Heimat als gestalteter und inszenierter Raum - Ludwig Ganghofer und die Heimatdichtung der Weimarer Republik


Seminararbeit, 2005

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

1. Literatur in der Weimarer Republik

2. Entstehung der Heimatliteratur

3. München contra Berlin

4. Ludwig Ganghofer
4.1. Vita
4.2. Aspekte der ganghoferschen Literatur
4.2.1. Natur und Stadt
4.2.2. Kindheit und Jugend
4.2.3. Charaktere
4.3. Zur Selbstinszenierung Ganghofers

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Einleitung

„Man hörte noch den Lärm des Dorfes, den Hall verschwommener Stimmen und das Geläut einer Kirchenglocke, die zur sonntäglichen Vesper rief. Dann verschwanden die letzten Häuser hinter Büschen und Bäumen. Entlang dem zerrissenen Ufer eines Wildbaches ging’s eine Weile an Bergwiesen und zerstreuten Feldgehölzen vorüber, und sacht begann das schmale Sträßlein zu steigen. Während die Kutsche in langsamer Fahrt in den von Sonnenglanz umwobenen Hochwald einlenkte, klang vom Dorfe her noch ein letzter Glockenton, als möchte das im Tal versinkende Treiben der Menschen Abschied von dem einsamen Manne nehmen, der sich aus dem Wirbel des Lebens in die abgeschiedene Stille der Berge flüchtete.“[1]

Ludwig Ganghofer beginnt so einen seiner bekanntesten Hochlandromane – Das Schweigen im Walde. Und dieser kurze Abschnitt trägt in sich bereits den Kern der ganghoferschen Märchenwelt, die fernab von Lärm und Alltag in wilder Natur voll Sonnenglanz und Idylle denjenigen erwartet, der den Aufstieg in die Bergwelt wagt. Es verlangt vom Leser nicht sonderlich viel Fantasie, die zum Text passenden Bilder vor dem geistigen Auge erscheinen zu lassen. Woher kommen diese Bilder nur? Meine Generation denkt dabei vielleicht zuerst an Fantasyfilme a là Der Herr der Ringe. Aber diese Schilderung stammt aus einer Zeit, als es offenbar noch keiner Transposition der Handlung in eine non-reale Welt bedurfte um Rationalität und Wahrheitsempfinden des Publikums oder des Lesers zu umgehen. Es handelt sich bei den Schilderungen Ganghofers um romantische (Natur-) Bilder, die sich hauptsächlich aus Klischees speisen und damit in der filmischen Umsetzung allen Vorstellungen entsprechen. Vielleicht deshalb gehört Ganghofer zu den meist verfilmten deutschen Autoren. Zu Lebzeiten bereits ein Bestseller-Autor, gab er vielen durch die Veränderungen der Moderne desorientierten Menschen Geschichten voller Ordnung, Glück und Geborgenheit. Und dabei ging es nicht nur um Ablenkung vom Alltag und Flucht in eine Märchenwelt. Nein - Ganghofer machte Mut und Hoffnung auf eine reale Verbesserung der Menschheit und des Lebens. Für diese Authentizität stand Ganghofer quasi mit seinem Namen, die Glaubhaftigkeit seiner Romane und damit auch sein Erfolg wurden nur dadurch möglich, dass der Autor seine Geschichten anscheinend selbst lebte.

Das Anliegen der folgenden Arbeit ist es, Ganghofer und seine Hochlandgeschichten als Teil der Heimatliteratur-Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorzustellen. Dabei interessiert besonders die Konstruktion eines typisierten Bildes von Heimat als realem und idealem Ort, das in seinen weitesten Entwicklungen schließlich ein Teil der nationalsozialistischen Ideologie wurde. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Selbstinszenierung Ganghofers, die die Frage nach der Gewichtung von ideologischen Vorstellungen und finanziellem Pragmatismus aufwirft und damit auch den Blick auf den Beginn einer Massenliteratur und den damit verbundenen Wandel von Autorenstand und Literaturbetrieb lenkt.

1. Literatur in der Weimarer Republik

Das, was heute noch als ‚die Literatur der Weimarer Republik’ verstanden wird, ist jene literarische Strömung, die unter dem von Gustav Hartlaub 1923 für die Malerei geprägten Begriff ‚Neue Sachlichkeit’ den Expressionismus ablöste und sich über eine illusionslos-nüchterne Darstellung der zeitgenössischen Realität definiert. Gelesen wurden „...die heute kanonisierten literarischen Werke dieser Zeit“[2], wie Kästner, Fallada oder Brecht, allerdings überwiegend vom wohlhabenden Bildungsbürgertum; der weitaus größere Teil der Gesellschaft wie Kleinbürgertum, Arbeiter oder auch Bauern, suchte nach einem langen Arbeitstag nach Ablenkung und Entspannung. Wer sich dann noch gegen das Grammophon und für ein Buch entschied, der erhoffte sich darin Geschichten aus einer besseren Welt, Beruhigung durch Altbekanntes, Ordnung und Gerechtigkeit.

Der Literaturbegriff der Weimarer Republik hatte sich mit der Verbreitung von Massenmedien wie Film und Rundfunk verändert. „Die technisierte Zivilisation bildete sich nicht mehr über das Autorenwort, sondern über die technischen Kanäle.“[3] Inzwischen konnte prinzipiell Jeder Autor werden. So wird der Geniekult des 19. Jahrhunderts abgelöst vom Wirtschaftlichkeitsgedanken. Und dieser gebietet wiederum die Orientierung an den Wünschen der Leser. Durch die so entstehende Massenliteratur spaltet sich die Literatur der Weimarer Republik in zwei Ebenen: eine moderne, avantgardistisch-intellektuelle Großstadtliteratur und eine antimoderne, rückwärtsgewandte, volkstümlich-populäre Literatur. Zweite befriedigte die Bedürfnisse der Menschen nach Geborgenheit und Sicherheit in einer Zeit der Angst und Verunsicherung. Mit der Gründung der Republik hatte die Gesellschaft, speziell das Bürgertum, sehr viel mehr Selbstbestimmung und Freiheit bekommen. „Die gesellschaftliche und ökonomische Freisetzung von obrigkeitsstaatlichen Zwängen führte im Bürgertum aber nicht (...) zu einer Erhöhung seines Selbstgefühls, sondern im Gegenteil zu einem intensiv empfundenen Gefühl der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit.“[4] Die Suche nach der eigenen Identität und einem eigenen Ort führte zu einem verstärkten Interesse an Okkultem, Religion oder auch Psychologie. Der Begriff Heimat wurde zum Synonym für Geborgenheit, Ursprünglichkeit, Rückkehr zum Altbekannten und der Natur. Heimat war also nicht mehr nur der Geburts- oder Wohnort, sondern eine Utopie, deren Verfolgung schließlich bis in den Nationalsozialismus führte.

2. Entstehung der Heimatliteratur

Die Anfänge der Heimatliteratur, oder zumindest ihrer Thematik, liegen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Als Reaktion auf die industrielle Revolution bildete sich damals besonders in Österreich und Süddeutschland eine regionalistische Literatur. Im Gegensatz zum Naturalismus, der die Auswirkungen der Technik auf den Menschen in der Großstadt kritisch thematisiert, konzentriert sich die Heimatliteratur auf die idealisierte Darstellung des ländlichen Lebens und setzt der Verstädterung und Entwurzelung die heile Welt der Provinz und den traditionsbewussten, moralisch handelnden Menschen entgegen. Als Vorbild der Heimatliteratur gilt der Bauernroman Jeremias Gotthelfs oder auch die Dorfgeschichte des Biedermeier. Um die Jahrhundertwende erfährt die Heimatliteratur eine allgemeine Aufwertung als neues Paradigma, an dem sich die Literatur der Moderne orientieren soll, um von ihrer vermeintlichen ‚Entartung’ zu genesen. Die Verbreitung der Heimatliteratur steht in engem Zusammenhang zur Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Heimatkunstbewegung. Der Begriff Heimatkunst geht auf Adolf Bartel zurück, der zusammen mit Friedrich Lienhard 1900 jene Zeitschrift Heimat. Blätter für Litteratur und Volksthum gründete (später Deutsche Heimat), die als Sprachrohr der Heimatkunstbewegung fungierte. Die Heimatkunstbewegung verstand sich als Reaktion auf den großstädtischen Literaturbetrieb und proklamierte die ‚Entdeckung der Provinz’ als Alternative zur modernen Zivilisation.[5]

Heimatdichter wie Ludwig Ganghofer oder Hans Carossa orientieren sich an alten Idealen und verweisen in ihren Romanen auf Traditionen und die alte Ordnung. Von modernen Problemen wenden sie sich bewusst ab. Es gibt jedoch auch einen weiteren Strang der Heimatdichtung, der sich mit gesellschaftlichen Problemen und den Veränderungen in der Heimat auseinandersetzt. Beispiele hierfür sind Ludwig Thoma oder auch Hermann Hesse. Eine stark nationalistisch-antisemitische Tendenz zeigt sich in den Werken von Hans Friedrich Blunck und Adolf Bartel. Diese dritte Strömung der Heimatliteratur entwickelt sich schließlich zur sog. Blut und Boden-Literatur, die ab1933 von der Reichsschrifttumskammer RSK (deren Leitung u.a. Blunck selbst innehatte) als einzig wahre Literatur gefördert wurde.

[...]


[1] Ganghofer, Ludwig. Das Schweigen im Walde. München. 1948

[2] Kaes, Anton. „Schreiben und Lesen in der Weimarer Republik“. In: Weyergraf, Bernhard (Hrsg.). Literatur der Weimarer Republik 1918-1933. München u. Wien. 1995. S. 61

[3] ebd. S. 349

[4] ebd. S. 62

[5] vgl. K.-H. Rossbacher, Heimatkunstbewegung und Heimatroman, 1975. zitiert nach http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.h/h379381.htm (27.2.2005)

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Heimat als gestalteter und inszenierter Raum - Ludwig Ganghofer und die Heimatdichtung der Weimarer Republik
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Volkskunde/ Germanistik)
Veranstaltung
Hauptseminar: Heimaterde - english soil 1918-1939
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V61480
ISBN (eBook)
9783638549325
ISBN (Buch)
9783656807216
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heimat, Raum, Ludwig, Ganghofer, Heimatdichtung, Weimarer, Republik, Hauptseminar, Heimaterde
Arbeit zitieren
Jennifer Ruwe (Autor:in), 2005, Heimat als gestalteter und inszenierter Raum - Ludwig Ganghofer und die Heimatdichtung der Weimarer Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61480

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