Kritik und Fürsprache: Die DDR im Spiegel der Erzählung "Die Geschwister" von Brigitte Reimann


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Person und Werk Brigitte Reimanns
1.1 Leben als Materialquelle zum Schreiben
1.2 Christa Wolfs Konzept der Subjektiven Authentizität bei Brigitte Reimann

2. Die Künstlerin Elisabeth
2.1 Die Figur Elisabeth und ihre Parallelen zu Brigitte Reimann
2.2 Elisabeth auf dem Bitterfelder Weg
2.2.1 Das kulturpolitische Programm „Bitterfelder Weg“
2.2.2 Elisabeths Leben als Künstlerin unter Werktätigen
2.2.3 Brigitte Reimann auf dem Bitterfelder Weg
2.3 Elisabeths Kunstverständnis im Zusammenhang mit Subjektiver Authentizität
2.4 Begegnungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit

3. Bruder und Schwester
3.1 Die Geschwister in der Erzählung
3.2 Die Geschwister von Brigitte Reimann und ihr Einfluss auf die Erzählung
3.3 Kritik am System der DDR: Gründe für Ulis Fluchtwunsch
3.3.1 Bürokratie und Planwirtschaft
3.3.2. Ulis Verhältnis zur Partei
3.3.3 Politische Müdigkeit und mangelnder Idealismus

4. Schlussfolgerungen

5. Literaturverzeichnis

Einleitung

„[...] wenn die Stasi es darauf anlegt, kann die mir Staatsverleumdung anhängen. Mir - zum Teufel: mir, die ich den Sozialismus, unsere Idee, liebe, so ehrlich wie nicht viele andere [...].“[1]

Brigitte Reimanns Erzählung Die Geschwister erschien 1964, drei Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer, zu einer Zeit, als „der ständige, die wirtschaftliche Entwicklung in der DDR lähmende und sich allmählich zur Katastrophe ausweitende Aderlass durch die Massenflucht der Bevölkerung gestoppt worden [war]“[2] und sich im ganzen Land tausendfach die Tragödie von schmerzhaften Familienteilungen abgespielt hatte und noch abspielen sollte.[3] Neben Christa Wolfs Roman Der geteilte Himmel stellte Die Geschwister damals eine der bedeutendsten literarischen Umsetzungen dieses Problems dar und traf damit den Nerv der Zeit.[4]

Brigitte Reimann schöpfte den Stoff für ihre literarische Arbeit überwiegend aus ihrem eigenen Leben und ihren Erfahrungen. So setzen sich auch die beiden in Die Geschwist er miteinander verwobenen Geschichten – die der Schwester Elisabeth und die der Künstlerin Elisabeth[5] – mit Problemen auseinander, die unmittelbar den Lebenserfahrungen der Autorin entstammen. Es soll der Versuch unternommen werden, den verschiedenen Motiven und Figuren der Erzählung reale Ereignisse und Personen aus Brigitte Reimanns Leben zuzuordnen. Als Quellen hierfür werden hauptsächlich Tagebuchaufzeichungen der Autorin sowie eine Biographie von Dorothea von Törne herangezogen.[6]

Um diesen biographischen Ansatz zu begründen, werde ich in Kapitel 1 kurz auf das Leben der Autorin und den Charakter ihres literarischen Schaffens eingehen. Den theoretischen Hintergrund hierzu werden Werke von Christa Wolf und Anna Maria Weise bilden. In den beiden folgenden großen Kapiteln – Die Hauptfigur Elisabeth und Bruder und Schwester – wird versucht, Übereinstimmungen und Abweichungen zwischen der Erzählung und den Erfahrungen der Autorin herauszuarbeiten. Im Wesentlichen soll das in getrennten Abschnitten (Erzählung/ Leben der Autorin) geschehen, aufgrund der komplexen Verflechtungen der beiden Bereiche wird es jedoch zwangsläufig zu Überschneidungen und Vermischungen kommen.

Im zweiten Kapitel soll auf die Figur Elisabeth eingegangen werden. Zunächst wird das Augenmerk auf ihre Persönlichkeit und auf evtl. Ähnlichkeiten mit Brigitte Reimann gerichtet. Im Hinblick auf die Tatsache, dass Elisabeth als Malerin in einem Kombinat lebt und arbeitet, werde ich dann auf die wichtigsten Punkte des kulturpolitischen Programms Bitterfelder Weg eingehen. Von besonderem Interesse wird dabei sein, wie Brigitte Reimann sich am Beispiel von Elisabeth mit der Kulturpolitik der DDR und den daraus resultierenden Problemen der Künstler auseinandersetzt. Weiterhin soll die literarische Verarbeitung von Brigitte Reimanns Erfahrungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit untersucht werden, und wie sie in der Erzählung die Funktionsweise dieses Überwachungsapparates erkennbar macht.

Kapitel 3 widmet sich schließlich dem Kern der Erzählung, der Auseinandersetzung zwischen Elisabeth ihrem Bruder Uli. Als er sich entschließt, die DDR zu verlassen, ist Elisabeth traurig und bestürzt, und zwischen den beiden beginnt ein „Ringen um Verständnis und Zuneigung.“[7] Zunächst wird das Verhältnis der Geschwister in der Erzählung näher beleuchtet. Es folgt ein Vergleich mit dem Verhältnis, das Brigitte Reimann zu ihren Geschwistern hatte. Anschließend soll betrachtet werden, auf welche Art und Weise Brigitte Reimann die Umstände und Ereignisse darstellt, die zu dieser Flucht führen, und welche Argumente sie der Heldin Elisabeth in den Mund legt, um ihren Bruder zum Umdenken zu veranlassen.

1. Person und Werk Brigitte Reimanns

1.1 Leben als Materialquelle zum Schreiben

Brigitte Reimann wurde 1933 als Tochter eines Bankkaufmanns in Burg bei Magdeburg als ältestes von vier Geschwistern geboren. Schon in ihrer Schulzeit unternahm sie erste Schreibversuche, sie versuchte sich u.a. an Stücken für das Laientheater ihrer Schule, von denen einige sogar zur Aufführung kamen. Nach dem Abitur arbeitete sie zunächst als Lehrerin, seit ihrer ersten Buchveröffentlichung 1955, Der Tod der schönen Helena, dann als freie Autorin. Nach einigen weiteren Erzählungen und Hörspielen hatte Brigitte Reimann 1961 ihren ersten großen Erfolg mit der Erzählung Ankunft im Alltag, für die sie 1962 den Literaturpreis der FDGB bekam. Im selben Jahr erschien Die Geschwister, für die man ihr 1965 den Heinrich-Mann-Preis der Deutschen Akademie der Künste verlieh. Schon 1963 begann sie die Arbeit an ihrem Hauptwerk, dem Roman Franziska Linkerhand, der aufgrund ihrer Krebserkrankung und schließlich ihres Todes im Jahre 1974 unvollendet blieb.[8]

Das Leben der Schriftstellerin war trotz ihres frühen Todes von bemerkenswerter Intensität, sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Knapp zwei Jahre vor ihrem Tod schreibt sie über sich selbst an eine Freundin:

Es war einmal eine höchst lebendige Frau, die zweimal ein Studium begann, zweimal den Hochschulen entlief, aus Rebellion gegen die Herren Lehrer, provisorisch Lehrerin wurde, während sie ihr erstes Buch schrieb [...], eine Menge Männergeschichten hatte, eine Menge Dummheiten beging [...], viermal heiratete, kein Kind wollte [...]; es war einmal eine Schriftstellerin, die zu früh und zu viel Erfolg hatte, [...] die mal ganz oben und ganz unten war, mit berühmten Malern und Literaten verkehrte und als Hilfsschlosser in der Brigade im Braunkohlekombinat arbeitete [...].[9]

Ihre reichhaltigen und vielfältigen Erfahrungen und Erlebnisse boten Brigitte Reimann immer wieder Stoff für ihre literarische Arbeit. So dienen beispielsweise Erfahrungen, die sie im Braunkohlekombinat gemacht hat, als Vorlage für die Erzählung Ankunft im Alltag, in der z.B. die Figur des Meister Hamann so unmittelbar das Abbild des Brigademeisters Erwin Hanke ist, dass Brigitte Reimann nach dessen Tod in ihr Tagebuch schreibt: „Ich war den ganzen Abend niedergeschlagen, weil es meinen Hamann nicht mehr gibt.“[10] Auch im Roman Franziska Linkerhand gibt es einige Figuren, die Personen aus dem Umfeld der Autorin zum Verwechseln ähnlich sind.

[...]


[1] Brigitte Reimann: Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955-1963. Berlin: Aufbau-Verlag (1997), S.?

[2] Helmut M. Müller (Hg.): Schlaglichter der deutschen Geschichte. Leipzig/Mannheim: Brockhaus-Verlag (2002), S.369

[3] Im Jahre 1961 erreichte die Zahl der Flüchtlinge mit 207.026 ihren Höhepunkt, doch auch in den Jahren nach dem Mauerbau blieb sie jährlich im fünfstelligen Bereich. Vgl. Matthias Judt (Hg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Bonn: Christoph Links Verlag (1998), S. 545

[4] vgl. Dorothea von Törne: Brigitte Reimann: Einfach wirklich leben. Berlin: Aufbau-Verlag (2001), S.145

[5] vgl. Margrid Bircken, Heide Hampel (Hg.): Brigitte Reimann. Eine Biografie in Bildern. Berlin: Aufbau-Verlag (2004), S. 128

[6] Brigitte Reimann: Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955-1963. Berlin: Aufbau-Verlag (1997), Brigitte Reimann: Alles schmeckt nach Abschied. Tagebücher 1964-1970. Berlin. Aufbau-Verlag (1998), Dorothea von Törne: Brigitte Reimann: Einfach wirklich leben. Berlin: Aufbau-Verlag (2001)

[7] Von Törne: Brigitte Reimann. S.146

[8] vgl. von Törne: Brigitte Reimann. S. 298f

[9] Brigitte Reimann: Aber wir schaffen es, verlass dich drauf! Briefe an eine Freundin im Westen. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag (1999), S. 172f

[10] Brigitte Reimann: Alles schmeckt nach Abschied. Tagebücher1964-1970. Berlin: Aufbau-Verlag (1998), S. 161

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Kritik und Fürsprache: Die DDR im Spiegel der Erzählung "Die Geschwister" von Brigitte Reimann
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
27
Katalognummer
V58937
ISBN (eBook)
9783638529976
ISBN (Buch)
9783656794493
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kritik, Fürsprache, Spiegel, Erzählung, Geschwister, Brigitte, Reimann
Arbeit zitieren
Stefanie Röder (Autor:in), 2005, Kritik und Fürsprache: Die DDR im Spiegel der Erzählung "Die Geschwister" von Brigitte Reimann , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58937

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