Der persönliche Anwendungsbereich der Arbeitnehmerhaftung


Seminararbeit, 2006

30 Seiten, Note: 12


Leseprobe


Gliederung

A. Einleitung

B. Grundsätze der Haftungsprivilegierung („normale Arbeitnehmer“)
I. Vorgeschichte der Haftung des Arbeitnehmers
II. Entwicklung der Grundsätze über eine Haftungsprivilegierung der Arbeitnehmer
1. Rechtsgrundlage
2. Voraussetzungen und Rechtsfolgen
III. Begründung der neuen Ansätze
1. Haftungsrisiko des Arbeitnehmers
2. Betriebsrisiko auf Seiten des Arbeitgebers
3. Grundsatz der Vertrauenserwartung
4. Regelungslücke für Arbeitsverträge
Verfassungsrecht

C. Haftungsprivilegierung für die Arbeitnehmerähnlichen
I. Begriff der Arbeitnehmerähnlichen
II. Anwendung der Grundsätze über die Haftungsprivilegierung
1. Keine Anwendung der Haftungsprivilegierung
2. Anwendung der Haftungsprivilegierung
3. Die Stellungnahme

D. Haftungsprivilegierung für die leitenden Angestellten
I. Begriffsbestimmung
II. Anwendung der Grundsätze über die Haftungsprivilegierung
1. Anwendung der Grundsätze
2. Die Gegenmeinung
3. Stellungnahme

E. Haftungsprivilegierung für die GmbH-Geschäftsführer
I. Einordnung des Geschäftsführers in den Betrieb
II. Rechtsgrundlage für die Haftung
III. Anwendung der Haftungsprivilegierung auf § 43 I GmbHG
1. Die strenge Ansicht
2. Anwendung bei atypischen Tätigkeiten
3. Eine Haftungserleichterung auch für die GmbH-Geschäftsführer
4. Die Stellungnahme
IV. Abschwächung der Haftung durch vertragliche Vereinbarung

F. Zusammenfassung

Literaturliste

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

Trotz umfangreicher Rechtsprechung und Literatur zum Bereich der Arbeitnehmer- und Geschäftsführerhaftung haben beide Bereiche im Laufe der Jahre nichts an ihrer Brisanz verloren. Die Thematik ist schon deswegen interessant, weil die Haftung der Arbeitnehmer sich durch die Grundsätze über den innerbetrieblichen Schadensausgleich erheblich von den allgemeinen Regeln des BGB entfernt und mehr zu einer Billigkeitshaftung mit Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers neigt. Noch interessanter ist die Frage, ob und inwieweit sich diese Prinzipien auch auf die anderen Gruppen erstrecken können. Damit sind die Arbeitnehmerähnlichen gemeint, die den „normalen“ Arbeitnehmern sehr nahe stehen, aber auch die leitenden Angestellten und die GmbH-Geschäftsführer. Vorab ist aber auf jeden Fall zu erläutern, warum und auf Grund welcher Argumente es überhaupt zu einer Haftungsprivilegierung gekommen ist. Erst dann kann man klären, inwieweit diese Argumente auch auf die anderen Gruppen zutreffen oder inwiefern man zumindest eine analoge Anwendung annehmen kann.

B. Grundsätze der Haftungsprivilegierung („normale Arbeitnehmer“)

Heutzutage ist es allgemein bekannt und anerkannt, dass ein Arbeitnehmer nicht in dem ganzen Umfang haften muss, falls er einen Schaden verursacht. Erst vor ein paar Jahrzehnten sah das ganz anders aus. Und es ist wichtig, zu wissen, wie und auf welchen Grundlagen die Prinzipien der Haftungsprivilegierung entwickelt wurden.

I. Vorgeschichte der Haftung des Arbeitnehmers

Schon bei der Verabschiedung des BGB im Jahre 1896 hat man erkannt, dass die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen des Dienstvertrages einschließlich des in § 249 BGB verankerten Prinzips der Totalreparation (Ersatz des vollen Schadens unabhängig vom Verschuldensgrad) für das Arbeitsverhältnis ungeeignet sind. Es wurde schon damals gefordert, eine spezialgesetzliche Regelung des Arbeitsvertrages einschließlich der schadensersatzrechtlichen Fragen zu schaffen, was bis heute noch nicht geschah.[1] Und so wurden für die Haftung des Arbeitnehmers zunächst die allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen angewandt. Erst nach dem 2. Weltkrieg haben die Landesarbeitsgerichte vereinzelt versucht, für den Arbeitnehmer eine Erleichterung der Haftung anzuwenden.[2] Das Bundesarbeitsgericht antwortete darauf erst im Jahre 1957, wobei entschieden wurde, dass ein Arbeitnehmer, der fahrlässig den Arbeitsunfall eines anderen Arbeitnehmers desselben Betriebes oder Unternehmens verursacht hat, dem Geschädigten dann nicht haftet, wenn und soweit ihm eine Belastung in diesem Umfang nicht zugemutet werden kann, weil seine Schuld im Hinblick auf die besondere Gefahr der ihm übertragenen Arbeit nach den Umständen des Falles nicht schwer ist.[3] Zwei Jahre später wurden die Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit formuliert, was die Haftungsein-schränkung der Arbeitnehmer für besonders risikoreiche Arbeiten erreichte.[4] Gefahrgeneigt ist eine betriebliche Tätigkeit, bei der wegen ihrer Eigenart eine besonders große Wahrscheinlichkeit besteht, dass auch dem sorgfältigsten Arbeitnehmer gelegentlich einmal ein Versehen unterläuft. Das ist nicht abstrakt gemeint, sondern für die konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses zu beurteilen.[5] Begründet wurde das Ganze allein mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer.[6] Darunter verstand man eine Pflicht des Arbeitnehmers, im Rahmen des Arbeitsverhältnisses sich für den Arbeitnehmer einzusetzen, ihm Schutz und Fürsorge zuteil werden zu lassen und alles zu unterlassen, was die Interessen des Arbeitnehmers zu schädigen geeignet ist.[7] Abgesehen davon wurde auch die 3-Stufen-Theorie angewandt, wonach der Arbeitnehmer bei leichter Fahrlässigkeit gar nicht, bei normaler Fahrlässigkeit zusammen mit dem Arbeitgeber und bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz allein haften muss. Allerdings galt dieses Modell auch nur für gefahrgeneigte Arbeit. In anderen Fällen musste der Arbeitnehmer für alle durch ihn (auch fahrlässig) verursachten Schäden in vollem Umfang haften.[8] Diese Rechtsprechung wurde nun mehrere Jahre fortgeführt.

II. Entwicklung der Grundsätze über eine Haftungsprivilegierung der Arbeitnehmer

Die Rechtsprechung stieß (nicht zuletzt wegen Konturlosigkeit des Begriffs „gefahrgeneigte Arbeit“, der im Gesetz keine Grundlage findet) zunehmend auf Kritik. In den achtziger Jahren hatte das BAG mehrfach eine Revision versucht, jedoch nicht vollenden können, was durch wechselnde Senatszuständigkeiten einerseits und die außergerichtliche Einigung der Prozessparteien andererseits bedingt war.[9]

Eine richtige Wende kam in der Rechtsprechung erst mit dem Beschluss des Großsenates des Bundesarbeitsgerichtes vom 27.9.1994. Mit Zustimmung des BGH hat das BAG das Erfordernis der gefahrgeneigten Arbeit nunmehr endgültig fallengelassen. Die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung gelten nun für alle Arbeiten, die durch den Betrieb veranlasst sind und auf Grund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, auch wenn diese Arbeiten nicht gefahrgeneigt sind.[10]

1. Rechtsgrundlage

Für die Privilegierung des Arbeitnehmers bei gefahrgeneigter Arbeit verweist das BAG seit langem auf Billigkeitserwägungen sowie eine entsprechende Anwendung des § 254 BGB.[11] Dabei ist es unerheblich, ob man von einer Pflichtverletzung gemäß § 280 BGB oder von einer unerlaubten Handlung gemäß § 823 BGB ausgeht. Die Ersatzpflicht des Schädigers ist nach § 254 I BGB aber nur beschränkt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat.[12] Ein „normales“ Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB liegt dabei selten vor. Allerdings muss sich der Arbeitgeber im Rahmen der Abwägung auch seine Verantwortung für die Organisation des Betriebes und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zurechnen lassen.[13]

2. Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Voraussetzung für eine Haftungserleichterung ist zunächst, dass eine betrieblich veranlasste Tätigkeit zu dem geschädigten Ereignis führte. Dabei hat das Merkmal der betrieblichen Veranlassung dasjenige der gefahrgeneigten Arbeit inzwischen ersetzt.[14] Ausnahme soll nur dann gelten, wenn der Arbeitnehmer ausreichend pflichtversichert ist.[15] Betrieblich veranlasst sind solche Tätigkeiten, die dem Arbeitnehmer für den Betrieb übertragen worden sind oder die der Arbeitgeber im Interesse des Betriebs ausführt.[16] Außerdem werden bei der Abwä-gung weitere Gesichtspunkte berücksichtigt, und zwar die Höhe des Schadens, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb, die Höhe des Arbeitsentgeltes usw.[17]

Es wird also immer eine Einzelfallentscheidung vorgenommen, im Rahmen derer zu entscheiden ist, in welcher konkreten Höhe der Arbeitnehmer für den eingetretenen Schaden haftet. Dabei wird die sogenannte 3-Stufen-Theorie angewendet.[18] Es sind also 3 Stufen nach dem jeweiligen Grad des Verschuldens zu unterscheiden: Bei vorsätzlich verursachten Schäden ist eine alleinige Haftung des Arbeitnehmers begründet; bei mittlerer Fahrlässigkeit soll es zu einer Schadensquotelung kommen und bei leichter Fahrlässigkeit tritt eine Haftungsbefreiung des Arbeitnehmers ein.[19]

III. Begründung der neuen Ansätze

Die neuen Ansätze der generellen Haftungserleichterung für Arbeitnehmer wurden in der Rechtsprechung, aber auch in der Literatur mit vielen verschiedenen Argumenten begründet.

1. Haftungsrisiko des Arbeitnehmers

Eine der Begründungen ist das vom BAG angesprochene Haftungsrisiko des Arbeitnehmers, was schon seit langem als ein Grund für Haftungserleichterungen vorgebracht worden ist. Bei Anwendung der schuldrechtlichen Vorschriften auf das Arbeitsverhältnis müsste der Arbeitnehmer den gesamten Schaden (soweit es sich nicht um gefahrgeneigte Arbeit handelt) gemäß § 276 BGB tragen, egal ob er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.[20] Solche Haftung des Arbeitnehmers ist den modernen Verhältnissen nicht mehr gerecht.[21] Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitnehmer derjenige ist, der dem Arbeitsprozess am nächsten steht und so ständig wachsenden Haftungsrisiken ausgesetzt ist.[22] Denn es ist viel wahrscheinlicher, dass es zu einem Unfall bei der Vollbringung der Leistung kommt. Es ist auch an die Mechanisierung und Technisierung des Arbeitsprozesses zu denken. Heutzutage werden in vielen Betrieben mechanische Geräte und Maschinen benutzt, die teilweise sehr teuer sind, aber durch einen kleinen Fehler des Arbeitnehmers bei der Bedienung einen großen Schaden erleiden können. Auch für solche Schäden müsste der Arbeitnehmer mit seinem Vermögen aufkommen. Allerdings ist es so, dass ein Arbeitnehmer meistens auf seinen Lohn angewiesen ist, um eigene Existenz zu sichern. Die Höhe des Schadens könnte ihn an seine finanziellen Grenzen oder darüber hinaus bringen.[23] Er müsste dann mehrere Jahre (wenn nicht sogar sein ganzes Leben lang) umsonst arbeiten bzw. sein Verdienst dem Arbeitgeber als Ersatz für den von ihm verursachten Schadens geben. Das kann nicht dem allgemeinen Interesse und vor allem nicht dem Arbeitsschutzgedanken entsprechen.[24]

2. Betriebsrisiko auf Seiten des Arbeitgebers

Eine der wichtigsten Begründungen für die Haftungsprivilegierung ist das Betriebsrisiko des Arbeitgebers. Es knüpft an die besondere Prägung des Arbeitsverhältnisses, was mittlerweile unbestritten einer allgemeinen Rechtsüberzeugung entspricht.[25] Eine Erleichterung der Haftung für den Arbeitnehmer ist also deshalb geboten, weil auch der Arbeitgeber den Schaden in einer gewissen Weise immer verursacht.[26] Das geschieht dadurch, dass er das gesamte Betriebsrisiko trägt und eine Befugnis zur Organisation des Betriebs sowie zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen hat. Der Arbeitgeber organisiert den Betrieb und steuert den Arbeitsprozess. Er kann den arbeitstechnischen Zweck des Betriebes eigenverantwortlich bestimmen, die Betriebsorganisation nach ihren Wünschen, Plänen und Bedürfnissen gestalten und auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers einwirken.[27] Der Arbeitgeber ist derjenige, der die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung, Ort der Erfüllung sowie Umfang und Lage der Arbeitszeit durch die Ausübung seines Weisungsrechts bestimmt. Durch die körperliche (oder geistige) Kraft des Arbeitnehmers erzielt der Arbeitgeber seine Umsätze und Gewinne.[28] Der Arbeitnehmer wird dagegen in diesen Prozess nur eingegliedert, um allein oder mit anderen Arbeitnehmern zusammen den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs zu erfüllen, wobei die Tätigkeit weisungsgebunden zu verwirklichen ist.[29] Er kann den vorgegebenen Arbeitsbedingungen in der Regel weder tatsächlich, noch rechtlich ausweichen. Sein Haftungsrisiko wird durch die vom Arbeitgeber gesetzte Organisation des Betriebes bedingt. Die Verantwortung für die Organisation des Betriebes und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen besteht gleichermaßen für gefahrgeneigte sowie auch für nicht gefahrgeneigte Tätigkeiten.[30] Sie ist dem Arbeitgeber deshalb bei allen Arbeiten, die durch den Betrieb veranlasst sind, zuzurechnen.[31]

[...]


[1] Rolfs, § 619 a BGB Rn. 5; Joussen in NZA 2001, 748

[2] Linck in Schaub § 52 Rn. 42

[3] BAG in NJW 1958, 235

[4] BAG in NJW 1959, 1796; Ohr in NJW 1960, 2177; BAG AP Nr. 27 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers

[5] Michalski Rn. 729

[6] Sandmann, S. 4

[7] Achterberg in AcP 164 (1964), 32

[8] Linck in Schaub § 52 Rn. 43 ff.; auch BAG in NJW 1959, 1796

[9] Preis S. 536

[10] BAG in NJW 1995, 210 ff.; BAG AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers

[11] Ahrens in DB 1996, 934

[12] BAG in NJW 1995, 210 (212)

[13] Rolfs § 619a Rn. 11

[14] Müller/Rieland Rn. 395

[15] Michalski Rn. 730

[16] Dütz Rn. 199

[17] Löwisch Rn. 1183

[18] siehe schon oben

[19] Müller/Rieland Rn. 396

[20] BAG in NJW 1995, 211; Müller/Rieland Rn. 394

[21] Hanau/Adomeit S. 210

[22] Michalski Rn. 728

[23] Joussen in AuR 2005, 433 f.

[24] so auch Müller/Rieland Rn. 394

[25] Joussen in AuR 2005, 433

[26] Löwisch Rn. 1182

[27] Rolfs § 619a BGB Rn. 12

[28] Preis S. 537

[29] BAG AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers

[30] BAG in NJW 1995, 211

[31] Ahrens in DB 1996, 935

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Der persönliche Anwendungsbereich der Arbeitnehmerhaftung
Hochschule
Universität Rostock
Veranstaltung
Seminar im Arbeitsrecht
Note
12
Autor
Jahr
2006
Seiten
30
Katalognummer
V57193
ISBN (eBook)
9783638517119
ISBN (Buch)
9783638665216
Dateigröße
571 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anwendungsbereich, Arbeitnehmerhaftung, Seminar, Arbeitsrecht
Arbeit zitieren
Natallia Dabergott, geb. Bilyk (Autor:in), 2006, Der persönliche Anwendungsbereich der Arbeitnehmerhaftung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57193

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der persönliche Anwendungsbereich der Arbeitnehmerhaftung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden