"Besitzer eines fliegenden Teppichs, 65, sucht sinnliche Co-Pilotin für gemeinsamen Flugbetrieb"

Eine Untersuchung zur sprachlichen Geschlechterinszenierung in Kontaktanzeigen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Korpusbeschreibung und Fragestellung

3. Quantitative Analyse
3.1. Wortzahl
3.2. Verwendung von Abkürzungen

4. Qualitative Analyse
4.1. Semantische Bereiche der Selbst- und
Partnerdarstellung
4.2. Selbst- und Partnerbezeichnung
4.3. Stellvertretende Substantive der Selbst- und
Partnerbezeichnung

5. Ergebnisauswertung und Vergleich mit der Untersuchung Gottburgsens
5.1. Quantitative Analyse
5.2. Qualitative Analyse

6. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Es war eine brillante Geschäftsidee, die der Brite Henry Robinson Mitte des 17. Jahrhunderts hatte – und der Beginn einer umsatzstarken Industrie mit stetigem Wachstum. Was Robinson 1650 noch klangvoll „Office of Addresses and Encounters“[1] nannte, heißt heute “Elite-Partner-Agentur”, „traumpartner.tv“ oder schlicht “neu.de”: das Geschäft mit einsamen Herzen, die sich den Partner fürs Leben wünschen.

Der Single wird als Markt entdeckt, was nicht verwunderlich ist angesichts der ständig steigenden Zahl der Alleinlebenden in Deutschland. Ihre genaue Zahl ist in keiner Statistik erfasst, Schätzungen aber reichen von vier Millionen bis hin zu elf Millionen Singles[2]. Die Industrie hat reagiert: Single-Küchen, Single-Tiefkühlgerichte, Single-Pauschalreisen und Single-Waschmaschinen erwarten den einsamen Kunden.

Doch versprechen zahllose Angebote den unfreiwillig Alleingebliebenen Abhilfe. Single-Partys mit Flirtfaktor, Single-Kochevents zum Kennenlernen zwischen Töpfen und Pfannen, Flirtcoaching für den Schüchternen und Hunderte von Online-Partnerbörsen: Liebe per Mausklick. Rund 6,2 Millionen Menschen suchen ihren Traumpartner im Internet und haben der Industrie damit allein 2005 einen Umsatz von etwa 76,3 Millionen Euro beschert, schätzt die Initiative Singlebörsen-vergleich.de[3].

Einer der traditionelleren Wege nach einem Partner zu suchen ist die Kontaktanzeige. Von BILD bis Frankfurter Allgemeine, von ZEIT bis Brigitte – in nahezu jeder Zeitung und Zeitschrift sind die kurzen Texte zu finden; Akademiker, alleinerziehende Bürokauffrau oder arbeitsloser Tischler – sie alle inserieren. Die wachsende Partnerlosigkeit und Partnersuche der Deutschen ist längst zum gesellschaftlich relevanten Thema avanciert. Umso erstaunlicher ist es, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Textsorte Kontaktanzeige bislang kaum stattgefunden hat. Ist die Einstellung der Wissenschaft gegenüber der Textsorte noch immer „überwiegend negativ“, oder ist es so, dass „man dieser Gattung eine legitime Funktion […] überhaupt abspricht“, wie Stolt 1976 vermutete[4] ? Die wenigen umfassenden Analysen von Kontaktanzeigen beschränken sich meist auf soziologische Aspekte, so etwa die Arbeiten von Glinsmann (1985) und Roman (1983)[5], und skizzieren die demographischen Folgen der zunehmenden Partnerlosigkeit der Deutschen. Detaillierte (sozio-)linguistische Untersuchungen der Textsorte finden sich bei Stolt (1976), Riemann (1999) und Gottburgsen (1995)[6].

Gottburgsens Analyse, die die sprachliche Inszenierung von Geschlecht in Kontaktanzeigen zum Gegenstand hat, ist zugleich Auslöser und Bezugspunkt der vorliegenden Arbeit. Sie soll Gottburgsens Fragestellung nachvollziehen und erweitern, die Ergebnisse beider empirischer Untersuchungen vergleichen und klären, wie Männer und Frauen ihr Geschlecht in den Inseraten präsentieren. Außerdem soll die Frage diskutiert werden, welche Bedeutung das Untersuchungskriterium „Gender“ bei der Analyse von Kontaktanzeigen innehat.

2. Korpusbeschreibung und Fragestellung

Das Korpus, das in dieser Arbeit untersucht wird, beinhaltet 180 Kontaktanzeigen, die zwischen Oktober und Dezember 2005 in verschiedenen Printmedien erschienen sind. Es wurden jeweils eine gleichgroße Anzahl von Annoncen weiblicher und männlicher Inserenten analysiert, also 90 Anzeigen von Frauen und 90 Anzeigen von Männern. Neben dem Gender-Aspekt diente die Zuordnung zum Erscheinungsmedium als Klassifikationsmerkmal. Jeweils 30 Anzeigen männlicher und weiblicher Inserenten wurden der Wochenzeitung DIE ZEIT entnommen, eine gleichgroße Anzahl entstammt dem monatlich erscheinenden Veranstaltungs- und Lifestyle-Magazin Prinz, die übrigen Annoncen der regionalen Tageszeitung Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ). An dieser Stelle sollen kurz die Profile und Zielgruppen der einzelnen Medien bestimmt werden.

Die Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT richtet sich an Mitglieder der gebildeten oberen Mittelschicht und Oberschicht, die Leser der ZEIT verfügen i.d.R. über einen akademischen oder vergleichbaren Hintergrund. Im Kontrast zu einem vergleichbaren Blatt wie etwa der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist das Profil der ZEIT eher liberal und weniger konservativ. Inhaltlich wendet sich die ZEIT an ein Publikum mit Interesse an Politik, Wissenschaft, Gesellschaft und Kultur[7].

Das Magazin Prinz erscheint mit lokalem Bezug in mehreren Großstädten Deutschlands, der beiliegende Anzeigenteil ist bundesweit identisch. Prinz richtet sich an ein junges Szenepublikum zwischen etwa 20 und 40 Jahren, das es über Party-Veranstaltungen, Einkaufs- und Gastronomietipps sowie Mode- und Lifestyle-Trends informiert[8].

Die HAZ ist eine große regionale Tageszeitung, die sich an die Bewohner der Region Hannover richtet. Die Zielgruppe der HAZ sind Menschen jeglichen Alters und mit den unterschiedlichsten sozialen und Bildungshintergründen. Die HAZ hat das regionale und überregionale Tagesgeschehen aus den Bereichen Politik, Gesellschaft, Kultur, Boulevard, Wirtschaft und Sport zum Gegenstand. Der Anzeigenteil erscheint gemeinsam mit dem der Neuen Presse, des eher boulevard-orientierten Schwestermediums aus dem Madsack-Verlag[9].

Das Anzeigenkorpus wird in Anlehnung an Gottburgsen auf folgende Fragestellung hin untersucht: Durch welche qualitativen und quantitativen Merkmale inszenieren Männer und Frauen ihr Geschlecht sprachlich in ihren Inseraten? Die vorliegende Arbeit erweitert Gottburgsens Analyse um einen Betrachtungsaspekt, der sich bereits aus der Zusammensetzung des Korpus ergibt: Es stellt sich die Frage, inwieweit die Wahl des Mediums die sprachliche Gestaltung der Texte beeinflusst. Sieht ein Bekanntschaftsinserat in der ZEIT anders aus als eines in der HAZ? Und wenn ja, worin unterscheiden sie sich? Der Grund für diese Erweiterung der Untersuchung wird im Zusammenhang mit der quantitativen Untersuchung des Korpusmaterials näher erläutert.

3. Quantitative Untersuchung

In der quantitativen Analyse des Kontaktanzeigenkorpus werden zwei Aspekte betrachtet: Einerseits werden die durchschnittlichen Wortzahlen pro Annonce, andererseits die die Anzahl der Abkürzungen, die in den Inseraten verwandt werden, ermittelt.

3.1. Wortzahl

Bei der Analyse der Wortzahl zeigte sich, dass insgesamt gesehen die Inserate von Männern und Frauen etwa die gleich Länge haben, nämlich knapp 35 Wörter pro Anzeige (vgl. Graphik 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Graphik 1 Durchschnittliche Wortzahl pro Anzeige, Männer und Frauen gesamt

Der eigentliche Aussagewert einer Wortzahlbestimmung wird jedoch deutlich, wenn die Ergebnisse der Kategorien „männlich“ und „weiblich“ zusätzlich in die unterschiedlichen Zeitungen/Zeitschriften ausdifferenziert werden. Klar zeigt sich, dass das Geschlecht bei der Wortzahl einer Kontaktanzeige nur eine untergeordnete Rolle spielt. Entscheidend ist hingegen die Wahl des Veröffentlichungsmediums: Inserenten der ZEIT, männlich wie weiblich, verfassen mit etwa 43 Wörtern die deutlich umfangreichsten Texte (vgl. Graphik 2). Die Inserate im Prinz sind mit durchschnittlich 33,2 Wörtern wesentlich kürzer, die der weiblichen Verfasser sind dabei um etwa 5 Wörter länger als die männlicher Verfasser.

Durchschnittlich gesehen erscheinen in der HAZ die kürzesten Anzeigen, wobei die Wortanzahl in Anzeigen von Männern sich nur unwesentlich von denen im Prinz unterscheidet. Frauen, die in der HAZ inserieren, schreiben mit einer durchschnittlichen Wortzahl von 25,5 die kürzesten Texte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Graphik 2 Durchschnittliche Wortzahl pro Anzeige

Schon bei dem ersten Betrachtungspunkt der vorliegenden Analyse zeigt sich, dass der Gender-Aspekt als einziges Untersuchungskriterium unzureichend ist. Im Fall der Anzeigenlänge ist augenscheinlich die Auswahl des Mediums, in dem die Texte erscheinen, von größerer Bedeutung als das Geschlecht der Verfasser und dessen Inszenierung.

3.2. Verwendung von Abkürzungen

Ein prominentes Charakteristikum der Textsorte ‚Kontaktanzeige’ ist ihre Kürze, wie oben gesehen. Bekanntschaftsannoncen aufzugeben ist i.d.R. mit nicht geringen Kosten verbunden, so verlangt etwa die ZEIT für eine einspaltige Anzeige mit einer Fettdruckzeile und Chiffregebühr 142,14 Euro[10]. Um möglichst viel Information mit möglichst wenig Text zu übermitteln, ist ein weiteres Charakteristikum der Textsorte der Gebrauch von Abkürzungen[11]. Fast alle der 180 Anzeigen des Korpus machen von diesem Mittel Gebrauch.

Augenfällig ist, dass Männer häufiger Abkürzungen benutzen als Frauen (vgl. Graphik 3). 8,61 Prozent ihrer Texte bestehen durchschnittlich aus Abkürzungen, das entspricht etwa drei Abkürzungen (exakt: 2,98) in einer Anzeige von durchschnittlich 34,6 Wörtern Länge. Inseratstexte, die von Frauen verfasst wurden, bestehen hingegen nur zu 7,45 Prozent aus Abkürzungen. Das entspricht im Mittel 2,59 Abkürzungen bei einer durchschnittlichen Anzeigenlänge von 34,77 Wörtern.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Graphik 3 Anteil von Abkürzungen in Anzeigen in Prozent

Interessant sind in diesem Zusammenhang wiederum die nach Erscheinungsmedium differenzierten Ergebnisse[12] (vgl. Graphik 4). Es ist festzustellen, dass Inserenten der ZEIT die wenigsten Abkürzungen benutzen, Inserenten der HAZ deutlich am meisten. Während die Korrelation von Geschlecht und Medium bei Männern zwar signifikant, aber nicht als extrem zu erkennen ist, zeigt sich bei den weiblichen Anzeigenverfassern ein anderes Bild: Zwar zeigt sich auch hier die bereits festgestellte Tendenz, dass die Texte in der ZEIT die wenigsten Abkürzungen beinhalten und die in der HAZ die meisten. Aber die Intervalle zwischen den einzelnen Kategorien sind sehr groß. Nur 1,9 Prozent der Texte weiblicher ZEIT-Inserenten bestehen aus Abkürzungen, Inserentinnen der ZEIT hingegen verfassen Texte mit einem Anteil von 17,65. Das entspricht im Mittel 4,5 Abkürzungen auf Annoncen mit durchschnittlich 25,5 Worten Länge.

[...]


[1] Vgl. Brandt, Andrea et al. (2006). Maschinisten der Liebe. In: DER SPIEGEL 12/2006, 78-93. S. 82.

[2] Zahlen des Statistischen Bundesamtes zitiert nach: Brandt et al. 2006: 82.

[3] Zahlen von www.singlebörsen-vergleich.de zitiert nach: Brandt et al. 2006: 92.

[4] Stolt, Birgit und Jan Trost (1976): „Hier bin ich – wo bist Du?“ Heiratsanzeigen und ihr Echo, analy-

siert aus sprachlicher und stilistischer Sicht. Kronberg/Ts.: Scriptor. S. 1.

[5] Glinsmann, Claudia (1985). Amazone steht auf Macho. Kleinanzeigen in der alternativen Presse. München.; Roman Christian (Hg.) (1983). Chauvi sucht Emanze. Kontaktsuche der Szene. Frankfurt a.M.

[6] Stolt/Trost 1976; Gottburgsen, Anja (1995). Zur sprachlichen Inszenierung von Geschlecht – doing gender in Kontaktanzeigen. Zeitschrift für germanistische Linguistik 23, 257-283; Riemann, Viola (1999). Kontaktanzeigen im Wandel der Zeit. Eine Inhaltsanalyse. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

[7] Vgl. http://www.zeit.de (18.12.2005)

[8] Vgl. http://www.prinz.de (18.12.2005)

[9] Vgl. http://www.haz.de (18.12.2005)

[10] Vgl. Anzeigenauftragsformular der ZEIT: http:// www.zeit.de/kennenlernen (15.01.2006)

[11] Als Abkürzungen werden alle Worte, die mit einem Punkt abgekürzt werden (z.B. „stud.“ für „studiert“) oder durch Großbuchstaben symbolisiert werden (z.B. „NR“ für „Nichtraucher“) gezählt. Nicht gewertet werden als konventionell geltende Einheiten wie „Prof.“, „Dr.“ und „cm“. Diese Einteilung wurde vorgenommen, um die Resultate in Kap. 5 objektiv mit der Analyse Gottburgsens vergleichen zu können. (Vgl. Gottburgsen: 270)

[12] Zu diesen Resultaten muss bemerkt werden, dass die Zahlen relativ zur jeweiligen Anzeigenlänge errechnet wurden, um eine objektive Auswertung zu gewährleisten. Gottburgsen nimmt in ihrer Analyse als Vergleichsgröße schlicht ‚Anzeige’ an, ungeachtet der Wortlänge. Dieses Verfahren mindert die Aussagekraft ihrer Ergebnisse, darum wird hier von Gottburgsen als Ausgangspunkt abgewichen. Für das Gesamtresultat männlich/weiblich gilt das nicht, da die Werte aufgrund der nahezu identischen Durchschnittsanzahl von etwa 34,6 Wörtern pro Anzeige auch auf Basis der Größe ‚Anzeige’ aussagekräftig und so direkt mit Gottburgsen vergleichen werden können.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
"Besitzer eines fliegenden Teppichs, 65, sucht sinnliche Co-Pilotin für gemeinsamen Flugbetrieb"
Untertitel
Eine Untersuchung zur sprachlichen Geschlechterinszenierung in Kontaktanzeigen
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Veranstaltung
Stil
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V56428
ISBN (eBook)
9783638510998
ISBN (Buch)
9783656447962
Dateigröße
1194 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Besitzer, Teppichs, Co-Pilotin, Flugbetrieb, Eine, Untersuchung, Geschlechterinszenierung, Kontakanzeigen, Stil
Arbeit zitieren
Jasmin Ostermeyer (Autor:in), 2006, "Besitzer eines fliegenden Teppichs, 65, sucht sinnliche Co-Pilotin für gemeinsamen Flugbetrieb", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56428

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