Von der Montanunion zur Europäischen Union


Seminararbeit, 2006

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

1. Der Beginn des europäischen Einigungsprozesses
1.1 Europakonzepte in den ersten Nachkriegsjahren
1.2. Die Geburtsstunde der wirtschaftlichen Einigung: Marshallplan und OEEC
1.3 Die Geburtsstunde des politischen Einigungsprozesses: Haager Kongress und Europarat

2. Die Gründungsjahre der Europäischen Union (1951 – 1960)
2.1 Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)
2.2 Der Versuch einer Verteidigungsgemeinschaft (EVG)
2.3 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Europäische Atomgemeinschaft
2.4 Die Europäische Freihandels-Assoziation

3. Krise des europäischen Einigungsprozesses (1961-1969)

4. Die Europäische Gemeinschaft zwischen Erweiterung und Stillstand (1960 -1984)
4.1 Die EWG – EFTA Beziehungen
4.1.1. 1960-1973: Zwei wirtschaftliche Machtblö>4.1.2. 1973-1984: Wende in der Beziehung: EG-EFTA
4.2. Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)
4.3. Versuch einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)
4.4. Die Norderweiterung der EG
4.5. Die Süderweiterung

5. Verstärkte Integrationsbemühungen (ab 1985)
5.1. Die Einheitliche Europäische Akte (EEA)

6. Literaturverzeichnis

I Einleitung

Die Ideen eines geeinten Europas, jenseits von Expansionsbestrebungen eines einzelnen Volkes oder Staates, reichen weit in die Vergangenheit zurück[1][2]. Viele historische Persönlichkeiten hatten Konzepte eines „gemeinsamen Europa“ entwickelt, die normativen Charakter aufwiesen. Die unterschiedlichen Europakonzepte zielten zumeist auf Friedenssicherung ab und ließen sich grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten von staatlichen Organisationsformen zurückführen:

a) Ein Staatenbund in Form einer klassischen Allianz, dessen Kennzeichen es ist, dass die Souveränität der verbleibenden Einzelstaaten weitestgehend unangetastet bleibt. Dieser Ansatz hat das europäische Gleichgewicht als Grundlage bzw. zum Ziel und sucht das Erstarken eines einzelnen Staates durch Bildung einer Gegenmacht zu verhindern.

Beispielsweise entwickelte Herzog Sully (1560-1641), ein Minister Heinrichs des IV., in seinem „grand dessein“ das Konzept einer europäischen Machtbalance: Angesichts der drohenden Einkreisung Frankreichs durch das Haus Habsburg propagierte Sully ein Bündnis der christlichen Staatenwelt, welches als Wächter des Friedens agieren sollte.

b) Die zweite Form ist die Föderation mit dem Kennzeichen der "Interdependenz durch Integration“[3]. Dieser Ausdruck bringt zwei Merkmale auf den Punkt: Indem die Staaten souveräne Rechte an eine dritte Ebene abgeben, entwickelt sich eine wechselseitige Abhängigkeit und zum anderen soll hier, im Unterschied zum ersten Konzept, die dominierende Rolle einer Nation durch Einbindung eingeschränkt werden. Als Vertreter dieser Idee kann der französische Frühutopist Graf von Saint-Simon angeführt werden, der sich in der Broschüre "Die Reorganisation der europäischen Gesellschaft" (1814) für eine "allgemeine Macht" zur Förderung der "europäischen Gemeinsamkeit“[4] einsetzte.

Die Auflistung von Politikern und Denkern, die ein gemeinsames Europa, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven heraus, postulierten, ließe sich leicht um weitere Persönlichkeiten wie Dante, Rosseau, Kant oder Hugo ergänzen. Sämtlichen dieser Europautopisten war gemein, dass sie von einem friedlichen Zusammenschluss der europäischen Staaten ausgingen, aber auch, dass unscharf blieb, wie eine solche Einheit denn konkret auszusehen hätte. Zu sehr war die politische Kultur bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von starrem Nationalstaatsdenken geprägt, wonach jeder Staat für sein Territorium die uneingeschränkte und ungeteilte Macht, die Politik im Inneren und nach Außen zu bestimmen, beanspruchte. Eine freiwilliger Souveränitätsverzicht zugunsten einer dritten, supranationalen Organisation, der ja für die Umsetzung eines integrativen Europa unabdingbare Voraussetzung gewesen wäre, war mit diesen Interessen nicht vereinbar. Aber auch ein gemeinsames Europa in Form eines Bundes souveräner Einzelstaaten konnte aufgrund der vielfältigen, sich gegenseitig widersprechenden Interessen der einzelnen Nationen nicht umgesetzt werden.

Nach Beendigung des ersten Weltkrieges erfuhren Projekte eines geeinten Europas einen starken Bedeutungszuwachs und, mit der Gründung des (im wesentlichen europäisch orientierten) Völkerbundes im Jahre 1920, eine erstmalige Realisierung des Integrationsansatzes. Ebenfalls in der Zwischenkriegszeit entstand die auf Initiative des österreichischen Grafen Richard Coudenhove-Kalergi gegründete Paneuropa-Bewegung. Die Existenzsicherung Europas, so das Credo der Bewegung, könne nur durch einen auf der Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich beruhenden Staatenbund gewährleistet werden.

In seiner Schrift "Paneuropa" betonte Coudenhove-Kalergi, wie andere vor ihm, daß die Umsetzung eines geeinten Europas auf Freiwilligkeit beruhen müsste: "Die einzige Kraft, die Paneuropa verwirklichen kann, ist: der Wille der Europäer.“[5]

Er erkannte aber auch, dass sich zwar viele Menschen ein einheitliches Europa wünschten, nur wenige jedoch auch dazu entschlossen waren, es zu schaffen. Zu diesen wenigen gehörten auch politische Parteien wie die SPD, die in ihrem Heidelberger Programm 1925 ein vereinigtes Europa ähnlich nachdrücklich forderte wie vier Jahre später der französische Außenminister Briand in seinen Pläne einer "union féderale européene". Die nach wie vor vorhandene, nationalistische Haltung der Völker und ihrer Führungsschichten, nun verstärkt um die Demütigung, welche die Friedensverträge den Besiegten des Ersten Weltkrieges zugefügt hatten, entfernte Europa aber wieder von dem Ziel einer Einheit. Auch der Völkerbund scheiterte an dem Unvermögen, der aggressiven Expansionspolitik Deutschlands, Italiens und Japans entgegenzutreten und so die sich anbahnende Katastrophe des Zweiten Weltkrieges zu verhindern.

Wenn man sich nun der Betrachtung der Nachkriegszeit und somit den Anfängen des europäischen Einigungsprozesses nähert, so ist festzuhalten, dass die Europaidee keineswegs erst als Reaktion auf die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges ersonnen wurde. Vielmehr ist die Schaffung eines vereinigten Europas als jahrhundertealtes Konzept anzusehen, dessen Ausstrahlungskraft auch durch den zweiten Weltkrieg nicht gebrochen werden sollte. In den Köpfen weitsichtiger Politiker, in europäischen Organisationen und nicht zuletzt im Widerstand wurden integrative Europaprojekte für die Nachkriegszeit entwickelt, um so dauerhafte Friedenssicherung zu gewährleisten. So entwickelten bis zum Jahre 1945 etwa 350 Autoren ihre Gedanken über die Einigung Europas, ohne deren theoretische Konzepte sicherlich der Integrationsprozess in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg nicht – oder zumindest nicht in dieser Zeit und in diesem Umfang – möglich gewesen wäre. Auf ihnen fußt zuletzt die Europaidee, wobei naturgemäß darunter nur der friedliche und freiwillige Zusammenschluss von Staaten zu verstehen ist. Die „Einigung“ Europas á la Napoleon oder Hitler ist keine Integration im rechtlichen Sinn, da sie in beiden Fällen rechtswidrig erfolgte. Es wundert daher nicht, dass der Wunsch und die Sehnsucht nach Frieden eine Vielzahl von Schriftstellern, Philosophen, Juristen aber auch Staatsmänner bewog, im Interesse der Eliminierung des Krieges aus der Beziehung zwischen den Europäischen Staaten Pläne für eine Integration dieser Staaten zu entwickeln.

1. Der Beginn des europäischen Einigungsprozesses

1.1 Europakonzepte in den ersten Nachkriegsjahren

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nähert man sich langsam der Geburtsstunde der Europäischen Gemeinschaften. Die simplifizierende Behauptung, dass mit Kriegsende „klargeworden [sei], dass der Nationalstaat mit unteilbarer und unantastbarer Souveränität nicht weiterbestehen durfte“[6], ist jedoch nicht zutreffend. Vielmehr existierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Vielzahl von Konzepten, wie mit der Organisation von Europa verfahren werden sollte.

Das Jahr 1945 stellt in der Geschichte Europas eine tiefe Zäsur dar. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde auch auf dem Gebiet der Europapolitik eine neue Epoche eingeläutet. Die langen Kriegsjahre hatten alle europäischen Staaten, auch die verbliebenen Großmächte Frankreich und Großbritannien, erheblich geschwächt, mit der Folge, dass Europa als Hauptträger der Politik abgelöst wurde.

Seit den Konferenzen von Jalta (4. bis 11.2.1945) und Potsdam (7.7. bis 2.8.1945) war klar, dass nicht nur Deutschland, sondern der ganze Kontinent Europa eine Teilung in eine westliche („kapitalistische“) und eine östliche („sozialistische“ bzw. „kommunistische“) Hälfte auf sich nehmen werde müssen, deren jeweilige Entwicklung in politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht getrennt vor sich gehen würde. Spätestens mit der Errichtung des „Eisernen Vorhangs“ 1947/48 beschritt somit die Geschichte der europäischen Integration vorübergehend – bis zu ihrem Ende 1989 – zwei Wege: einen westlichen, auf dem die Neutralen eine eigenständige Rolle spielten, und einen sozialistischen, auf dem nur ausnahmsweise einzelnen Staaten, wie Jugoslawien, eine Sonderstellung zukam. "An die Stelle der überkommenen, wenn auch faktisch bereits seit dem Ersten Weltkrieg überholten 'Balance-of-Power' - Problematik trat die Auseinandersetzung der beiden Hauptsieger des Zweiten Weltkrieges, der 'Supermächte' USA und Sowjetunion."[7]

Vor diesem Hintergrund der Polarisierung der Mächteverhältnisse verfolgten die USA den Plan, die große Allianz der Kriegszeit im Rahmen einer weltweiten Sicherheitsorganisation, in der außer den USA, noch China, die Sowjetunion und Großbritannien die Führung übernehmen sollten, fortzuschreiben. Das von der USA beabsichtigte Ziel war eine abermalige Aufteilung der Welt in Machtblöcke zu verhindern, deren Vorläufer sich bisher als so unheilvoll für die Welt gezeigt hatten. Sonderbündnisse wurden von dieser amerikanischen Politik nicht zugelassen. Es ist also festzustellen, dass unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg für Pläne eines vereinten Europa zunächst keine Realisierungschance bestand. Diese Aussage lässt sich auf zwei verschiedene Arten von Europaprojekten beziehen:

a) Obwohl sich Großbritannien schwer tat mit Europa und der damalige britische Premier Winston Churchill selbst machte da keine Ausnahme, hatte er eine große Vision von einem geeinten Europa . Churchill rang sich dazu durch, zu einem Vorkämpfer für eine bestimmte Form von europäischer Einigung zu werden. Die Zürcher Rede war ein Meilenstein auf diesem Weg. Die Briten hatten gute Gründe, den Völkern und Regierungen auf dem Kontinent mit Distanz gegenüberzustehen. Großbritannien hatte die Hauptlast des Kriegs gegen Deutschland getragen. 410 000 Menschen waren in Großbritannien durch den Krieg ums Leben gekommen, und am Ende des Konflikts lag die wirtschaftliche Basis des Landes in Trümmern. Hätten die USA sich nicht zu einer umfassenden Hilfsaktion im Umfang von 3,75 Milliarden Dollar entschlossen (noch vor dem Marshall-Plan), wäre Großbritannien nicht über die Runden gekommen.

Winston Churchill galt in Großbritannien zwar als Retter aus der Not, aber er galt auch als "Kriegs-Premier". Im Juli 1945 verlor er die Wahlen, und nun, im Jahr 1946, stand er in Opposition zur Regierung des Sozialisten Clement Attlee. Erst Jahre später gelang ihm das Comeback. Doch die Oppositionsrolle war für ihn und für den europäischen Gedanken fruchtbar. Jetzt konnte er sich ohne Rücksichtnahme auf die innenpolitischen Kräfte-Konstellationen äußern, konnte Gedanken entwickeln, die sich als visionär für die Zukunft Europas erweisen sollten.

In seiner berühmt gewordenen Rede[8] am 19. September 1946 an der Universität in Zürich skizzierte Churchill zwar "eine Art von Vereinigten Staaten von Europa", aber damit meinte er nicht einen von einer Hauptstadt aus regierten Staat, sondern eine Föderation. Großbritannien sollte ihr nicht beitreten, sondern als deren "Freund und Förderer" auftreten. Visionär war, dass er die Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland als Kern der kontinental-europäischen Entwicklung erkannte. Konservativ war der Gedanke, dass Deutschland innerhalb dieser Partnerschaft nicht als große Einheit auftreten sollte, sondern als ein Bund von Regionen, die etwa den früheren deutschen Fürstentümern entsprechen sollten. Die Angst vor Deutschland war an sich verständlich, aber Churchills Negativ-Vision in bezug auf Deutschland sollte sich in den späteren Jahren, glücklicherweise, als Irrtum herausstellen. Will man die Rede Churchills in Zürich von 1946 richtig verstehen, muss man sich die Grundstimmung der Westeuropäer jenes Jahres vorstellen. Der Zweite Weltkrieg war ein Jahr zuvor zu Ende gegangen. Aber Zukunfts-Vertrauen oder Euphorie gab es nicht, im Gegenteil. Millionen Menschen fürchteten einen weiteren Krieg, diesmal ausgehend von der sowjetischen Bedrohung, von der sich ausbreitenden Macht der Russen in Mittel-Osteuropa. Die Angst, dass der nächste Konflikt ein Atomkrieg sein könnte, war weit verbreitet

In der Zürcher Rede verlangte Winston Churchill des weiteren die baldige Schaffung der "Vereinigten Staaten von Europa", als Teil einer regionalen Organisation der Vereinten Nationen. Faktisch plädierte Churchill bei seiner Rede sohin für den Zusammenschluss der westeuropäischen Länder (inklusive dem Westteil Deutschlands), der mit der Gründung eines "Europa-Rats“ und auf der Grundlage der deutsch-französischen Freundschaft beruhen sollte. Die Besonderheit von Churchills Vorschlag bestand in dessen Pragmatismus: Es lag bereits die Erkenntnis zugrunde, dass nicht nur von einem potentiellen Erstarken Deutschlands, sondern vielmehr von dem anhaltenden sowjetischen Expansionsdrang, dem „Eisernen Vorhang“, Gefahr drohe. Durch einen europäischen Staatenbund wollte er dazu ein Gegengewicht schaffen. Die Zürcher Rede ist ein Dokument der visionär geprägten Einsicht. Winston Churchill legte, als Politiker, bis zur Rede vom 19. September in Zürich eine beachtliche Wegstrecke zurück. Viel Misstrauen konnte er abschütteln (u.a. gegenüber Charles de Gaulle), rang sich zu einem versöhnlichen Grundton gegenüber dem Kriegsgegner durch, nahm südeuropäische Völker und deren Wertvorstellungen zunehmend ernst und überging großzügig seine früheren Vorbehalte gegenüber dem Prinzip der Neutralität. Churchills Konzept musste hinter dem amerikanischen Wunschbild der "One World" jedoch genauso zurückstehen wie ein zweites Europaprojekt.

b) Schon während der Kriegsjahre war die Idee eines geeinten Europas im Widerstand weiterentwickelt worden und die wesentlichen Grundzüge zahlreicher späterer Europaprojekte vorgezeichnet: Die Schaffung einer gesamteuropäischen Regierung, einer gemeinsamen Streitmacht und eines obersten Gerichtshofes[9].

Hervorzuheben ist, dass die durchaus verschiedenen Europaprojekte der Widerstandskämpfer und - ganz allgemein - die der Föderalisten sich in wesentlichen Grundsätzen von dem „realistischen“ Ansatz Churchills unterschieden. Für die Föderalisten kam stets nur ein Gesamteuropa in Frage, eine mögliche Teilung in West- und Osteuropa war für sie lange Zeit nicht akzeptabel. Des weiteren sollte dieses Gesamteuropa in Form einer supranationalen Staatenunion mit weitreichenden Handlungskompetenzen organisiert werden. Nur ein politisch geeintes Europa hätte die Möglichkeit, sich als „dritte Kraft“ neben den USA und der Sowjetunion zu etablieren.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges stellte also nicht per se den Beginn eines in welcher Form auch immer gearteten gemeinsamen Europa dar, im Gegenteil: Weder die USA noch die Sowjetunion waren an einem „Europa-Block“ interessiert. Als entscheidendes Ereignis muss daher die Wende in der amerikanischen Außenpolitik Anfang 1947 gelten. Der vordringenden Sowjetunion war es bis dahin quasi unter dem Schutz der vorherrschenden Kooperationspolitik gelungen, die meisten osteuropäischen Staaten unter ihre Einflusssphäre zu bringen, die traditionelle, nationalstaatliche Politik hatte sich als ungenügende Schranke dagegen erwiesen[10]. Neben Griechenland und Italien drohte nach einem verheerenden Hungerwinter auch das besiegte Deutschland dem kommunistischen Expansionsdrang anheimzufallen.

Die Amerikaner reagierten auf diese kritische Situation, indem sie fortan anstelle der Kooperationspolitik mit der Sowjetunion eine „Containment Policy“ eine Politik der Eindämmung gegen die Sowjetunion verfolgten. Mit diesem Politikwechsel öffnete sich die letzte Schranke, die dem Beginn einer Europäischen Einigung noch entgegengestanden hatte.

1.2. Die Geburtsstunde der wirtschaftlichen Einigung: Marshallplan und OEEC

Doch nicht nur in Europa – wie bei der Zürcher Rede Churchills –, sondern auch in den USA ging von akademischem Boden eine solche Initiative aus, die dann entscheidend für die ersten Integrationsschritte im Europa der Nachkriegszeit wurde: In der am 5.6.1947 an der Harvard Universität (Cambridge, MA) gehaltenen Rede bot der US-Außenminister George C. Marshall namens seiner Regierung den europäischen Staaten ein langfristiges Hilfsprogramm (den später nach ihm so benannten Marshall-Plan) an, das lediglich an eine Bedingung geknüpft war: Die europäischen Staaten müssten sich organisieren, um die Verteilung und zweckmäßige Verwendung der zur Verfügung gestellten Mittel im Sinne des Wiederaufbaus ihrer Volkswirtschaften zu gewährleisten. So erklärte der Außenminister, die USA würden alles tun „whatever it is able to do to assist in the return of normal economic health in the world“[11]. Mit diesem wirtschaftlichen Aufbauplan sollten die europäischen Länder und insbesondere Deutschland gestärkt werden und so zu einem Gegengewicht gegen die sowjetische Blockbildung werden.

Der Marshallplan war prinzipiell für Gesamteuropa konzipiert, spätestens die Ablehnung des Planes durch die Sowjetunion und ihre Satelliten führte aber de facto zu einer Begrenzung der Wirtschaftshilfe auf die westeuropäischen Länder.

Auf welch fruchtbaren Boden der Marshall-Plan in Europa fiel, zeigt der Umstand, dass in Erfüllung der vorgenannten Bedingungen bereits im Juli 1947 sechzehn Europäische Staaten, darunter auch Österreich, in Paris zu einer Konferenz zusammentraten, die am 16.4.1948 zur Gründung der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) mit dem Sitz in dieser Stadt führte. In weiterer Folge wurde die OEEC mit der Verteilung der amerikanischen Finanzmittel beauftragt. Das Angebot der USA zur Teilnahme am European Recovery Programme („ERP-Hilfe“) richtete sich auch an die osteuropäischen Staaten, die jedoch mit Ausnahme der Tschechoslowakei ihre Teilnahme ablehnten. Aber auch dieser Staat zog sich nach der kommunistischen Machtergreifung 1948 vom Programm zurück, womit weder Russland noch eine seiner Satteliten die amerikanische Hilfe nutzten.

[...]


[1] PFETSCH, Frank R., Die Europäische Union. Eine Einführung, München 1997, S. 16ff.

[2] SEELER, Hans –Joachim, Die europäische Einigung und das Gleichgewicht der Mächte. Der historische Weg der europäischen Staaten zur Einheit, Baden – Baden 1995.

[3] PFETSCH, 1997, S. 15.

[4] Ebd., S. 17.

[5] TESKE, Horst, Europa zwischen gestern und morgen, Köln 1988, S. 33ff.

[6] PRESSE UND INFORMATIONSDIENST DER BUNDESREGIERUNG, Europa 2000. Die europäische Union der fünfzehn Staaten, Berlin 2000, Seite13.

[7] HILLGRUBER, Andreas, Europa in der Weltpoltik der Nachkriegszeit 1945 – 1963, München 1993, Seite 11.

[8] MATHISJEN Peter S.R.F., A Guide to European Union Law, 6 Aufl, London 1995, Seite 94.

[9] GASTEYGER, Curt, Europa von der Spaltung zur Einigung, Bonn 1997, S. 37ff.

[10] HILLGRUBER, 1993,S. 23ff.

[11] MATHIJSEN, 1995

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Von der Montanunion zur Europäischen Union
Hochschule
Universität Wien  (Rechtswissenschaftliche Fakultät )
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
34
Katalognummer
V54815
ISBN (eBook)
9783638499286
ISBN (Buch)
9783638843713
Dateigröße
604 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Montanunion, Europäischen, Union
Arbeit zitieren
Mag.iur. Roland Pedak (Autor:in), 2006, Von der Montanunion zur Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54815

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