Quellenstudium am Beispiel von Béla Bartóks "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta"


Seminararbeit, 2005

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung
Fragestellung und Aufbau der Arbeit

Was leisten Manuskript- und Skizzenstudien?
Zum Manuskript der Musik

Beobachtungen am ersten Satz
Die Gestalt des ersten Satzes im Manuskript
Zum Beispiel: Beobachtungen an UF

Zusammenfassung

Literatur

Einleitung

Der Partiturautograph der Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta nimmt im Korpus der autographen Quellen Bartóks eine Sonderstellung ein. Wie in der Beschreibung des Manuskripts dargelegt werden wird, wich Bartók von seiner üblichen Arbeitsweise bei der Komposition von Orchesterwerken ab und fertigte nicht erst einen Particellentwurf, der anschließend zu einer Partitur ausgearbeitet wurde. Statt dessen begann er den Entwurf sofort als Partitur. Auf eine separate Reinschrift wurde verzichtet. Deshalb liefert die autographe Partitur der Musik zugleich viele Informationen aus den Entwurfsstadien und dem Redaktionsprozeß.

Die Überarbeitungen im Manuskript der Musik lassen jeweils unterschiedliche Beobachtungen zu. Die stärksten Umarbeitungen hat der erste Satz erfahren; an ihm läßt sich eine vollständige Umstellung des Konzepts verfolgen, während die Überarbeitungen in den anderen Sätzen eher die „Verfeinerung und Korrektur von kompositorischen Details“[1] umfassen. Da es für den Umfang einer Proseminararbeit geraten war, einen Satz herauszugreifen, bot sich der erste Satz an.

Fragestellung und Aufbau der Arbeit

Der erste Teil der Arbeit soll kurz darlegen, zu welchen Zwecken Quellenstudien sich eignen. Daran anschließend wird eine allgemeine Beschreibung des Manuskripts der Musik folgen.

Die zentrale Frage des zweiten Teils lautet: Läßt sich an den Quellen aufzeigen, wie die kompositorische Struktur des ersten Satzes entstanden ist? Oder anders formuliert: Was sagen die älteren Schichten der Aufzeichnungen über die Genese des Werkes aus?

Daraus ergeben sich als Unterfragen: Welche Punkte erforderten offensichtlich ‚Denkarbeit’, die sich schriftlich in Form von Skizzen niederschlug? Welche kompositorischen Probleme stellten sich? Und welchen Weg nahm Bartók, um diese Probleme zu lösen?

Anknüpfend an Meyers Forderung, daß Quellenstudium mit Analyse Hand in Hand gehen soll, wird zuerst eine Sichtung und Beschreibung des vorhandenen Materials stattfinden. Anschließend soll es mit der fertigen Schicht verglichen werden. Unter Zuhilfenahme von Analysen soll geklärt werden, welche Stellung die kompositorischen Problemzonen einnehmen.

Aus der Analyse soll eine Beschreibung folgen, welchen Weg Bartók „im Lauf seiner kompositorischen Arbeit zurücklegte“[2], d.h. wie er zu der im fertigen Werk komponierten Struktur gekommen ist.

Was leisten Manuskript- und Skizzenstudien?

Im Seminar wurde die Frage aufgeworfen, was eine Orientierung bei der Gewichtung von Details geben kann. Ist eine Auffälligkeit möglicherweise einfach ein Druckfehler oder etwas bei diesem speziellen Autor ganz Normales? Hier kann es angebracht sein, die Quellen zu befragen, nach denen der Notentext erstellt worden ist. Chronologisch vor den gedruckten Ausgaben liegende (Manuskripte, Skizzen etc.) oder diese begleitende Quellen (wie in Bartóks Fall oft anzutreffen, z.B. Erratablätter zu den gedruckten Ausgaben der Musik) können in solchen Fällen Klarheit schaffen.

Die Beschäftigung mit den oben genannten Dokumenten ist jedoch auch von großem Nutzen, wenn es um die Erhellung des Produktionsprozesses geht. Studien an Manuskript- und Skizzenmaterial gewähren Einblick in frühere Stadien der Komposition, tragen zur Kenntnis der Entstehungsgeschichte bei und gewähren Einblick in den kreativen Prozeß des Komponisten. Auf diese Weise tragen sie zum Verständnis des musikalischen Denkens und der Persönlichkeit eines Komponisten bei.[3]

Sie erübrigen die Analyse des abgeschlossen Werkes jedoch nicht und müssen von ihr begleitet werden:

Manuskript- und Skizzenstudien[...] können zwar wichtige Hinweise auf einzelne kompositorische ‚Problemzonen’ geben, ersetzen aber niemals die Beschäftigung des abgeschlossenen, in seiner ästhetischen Geltung weit über die Bedingungen seiner Entstehung hinauswachsenden Kunstwerks.[4]

Mit anderen Worten: Studien an Manuskripten und Skizzen sind dazu geeignet, ‚neuralgische Punkte’ einer Komposition ausfindig zu machen. Sie erlauben, die Lösung kompositorischer Problemstellungen zu verfolgen. Sie können so – Hand in Hand mit analytischer Betrachtung - die Genese der komponierten Struktur erklären helfen. Dabei müssen ggf. besondere Arbeitsweisen des jeweiligen Komponisten berücksichtigt werden.

Der Nutzen von Quellenstudien ist allerdings sehr begrenzt, wenn der kreative Prozeß unverschriftlicht stattfindet, z.B. in nicht notierter Improvisation oder rein mental. Nicht bei jedem Komponisten, der mit Skizzen arbeitete, liegt Skizzenmaterial in auswertbarer, hinreichend vollständiger Form vor: Skizzen wurden unter Umständen nicht sorgfältig aufbewahrt, gingen verloren oder wurden absichtlich zerstört. Auch der junge Bartók zerstörte noch die Skizzen zu seinen Werken.[5]

Diese Problematik ist zur Zeit der Komposition der Musik nicht mehr gegeben. Bartók bewahrte nicht nur Skizzen sorgfältig auf, sondern ging auch sehr sparsam mit Notenpapier um (was die sorgfältige Behandlung begünstigt haben mag)[6].

Zum Manuskript der Musik

Bartók wich im Fall der Musik deutlich von seinen sonstigen Gewohnheiten bei Kompositionen für Orchester ab. Üblicherweise entwarf er zuerst einen Particellentwurf, den er dann zu einer Partitur ausarbeitete und von dem er ggf. eine Reinschrift anfertigte. Die Musik begann er sofort als Partiturentwurf, den er Schritt für Schritt ausarbeitete. Eine separate Reinschrift fehlt, alle Änderungen und Verbesserungen, die gesamte Endredaktion und schließlich Anweisungen für den Setzer wurden direkt in den Partiturentwurf eingetragen[7]. Daher läßt sich nahezu der gesamte Prozeß der Werkentstehung an diesem Manuskript verfolgen.

Einen ähnlichen Fall gibt es schon einige Jahre früher im Schaffen Bartóks mit dem Klavierkonzert Nr. 2, entstanden 1930/31. Auch dieses Werk wurde sofort als Partitur entworfen; Somfai erklärt dieses Vorgehen mit dem „linear contrapuntal style“[8] des Werks, der sich in Partitur klarer darstellen ließe als in Particell- oder Klavierauszugnotation: „a texture clearer in full-score-form than in short score“[9].

Bei der Musik ist die Motivation für einen sofortigen Entwurf in Partiturnotation nicht so einfach zu erklären. Das Fehlen einer eigenständigen Reinschrift führt Meyer auf Zeitdruck zurück – die Komposition wurde am 7.9.1936 beendet (Datum auf der letzten Seite des Partiturautographen[10] ), Sacher hatte den Probenbeginn auf Ende November angesetzt, somit blieben gerade gut zweieinhalb Monate zur Herstellung des Aufführungsmaterials.[11] Das heißt, daß „sich Bartók veranlaßt gesehen haben dürfte, seine Werkniederschrift möglichst schnell in eine für den Verlagskopisten brauchbare definitive Form zu bringen.“[12]

Daß Bartók von Anfang an einen Partiturentwurf schrieb, begründet Meyer mit einem Wechsel der Konzeption. Ursprünglich sei die Musik nämlich als „wenigstimmige[r] Satz für Streicher allein“[13] gedacht gewesen, deshalb war ein sofort voll instrumentierter Satz die „naheliegendste Aufzeichnungsform“.[14] Ab dem zweiten Satz habe Bartók dann „um der Einheitlichkeit des Manuskripts willen“[15] an dieser Notationsform festgehalten.

Meyer vermutet, daß Bartók, als er Sachers Brief vom 21.6.1036 erhielt, „zumindest den ursprünglichen Entwurf des ersten Satzes“[16] bereits aus eigener Initiative zu Papier gebracht habe. Anders sei kaum zu erklären, warum Bartók den Auftraggeber bereits am 27.6.1936 die definitive Besetzung vorschlagen konnte. Somfai liefert im Ganzen dieselbe Begründung und schließt aus Bartóks rascher Antwort mit dem exakten Besetzungsvorschlag sogar, daß Bartók sich damals schon über eine Umarbeitung Gedanken gemacht habe.[17]

Das Manuskript besteht in seiner heutigen Form aus 42 losen Blättern[18]. Den Hauptteil des Manuskripts bilden die 36 Blätter des Partiturautographen, von Bartók selbst mit den Seitenzahlen 1-71 versehen. Als Anhang wurden sechs Blätter (zwölf Seiten) hinzugefügt: neun verworfene Partiturseiten („72“ bis „79“ sowie „81“ bis „83“) und drei Seiten Skizzen zum dritten und vierten Satz („78“ bis „80“)[19]. Diese Seiten wurden von den Nachlaßverwaltern der New Yorker Bartók Archives mit den aufgestempelten Seitenzahlen „72“ bis „83“ versehen. Diese Seitenzahlen sind willkürlich und entsprechen nicht der Chronologie des aufgezeichneten Materials. Sie werden im folgenden, der Praxis von Meyer folgend, immer in Anführungszeichen genannt, um diesen willkürlichen Charakter zu kennzeichnen.

Auf 19 Seiten wurden Überklebungen angebracht bzw. Seiten zusammengeklebt, die erst 1998 bei der Restauration der Handschrift freigelegt wurden.[20]

Der größte Teil des Manuskripts ist mit blauer Tinte geschrieben. Einige nur entwurfshaft notierte Passagen wurden mit Bleistift geschrieben, später mit Tinte ausgeführt. Mit rotem Farbstift eingetragen wurden Anweisungen an den Lektor und den Setzer, Modifikationen der Partituranordnung, aber auch Korrekturen wie z.B. Änderungen der Vortragsbezeichnungen[21]. Eine eindeutige Zuordnung von Notationsmittel zu Arbeitsschritten ist nicht möglich; viele mit Tinte geschriebene Passagen wurden später korrigiert, auch einige Skizzen sind mit Tinte geschrieben. Bleistift wurde anscheinend vorrangig für explizit vorläufige Notation verwendet. Vom Lektor und vom Setzer wurden später noch Vermerke mit Bleistift angebracht, und schließlich wurden die Seiten vom Nachlaßverwalter mit aufgestempelten Seitenzahlen versehen.

[...]


[1] Bartók, Béla; Meyer, Felix (Hg.): Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta. Faksimile des Partiturautographs und der Skizzen. Herausgegeben und kommentiert von Felix Meyer. Mainz u.a. (Schott) 2000 (im folgenden angegeben als: Meyer (2000)), S. 26

[2] Meyer (2000), S. 25

[3] s. Meyer (2000), S. 29

[4] ebd.

[5] Somfai, László : Béla Bartók: Compositions, Concepts, and Autograph Sources. Berkeley and Los Angeles (University of California Press) 1996, S. 35

[6] Somfai (1996), S. 25

[7] Meyer (2000), S. 22

[8] Somfai (1996), S. 117

[9] Somfai (1996), S. 117

[10] Zu Datumsangaben in autographen Dokumenten bei Bartók siehe Somfai (1996), S.118ff

[11] Meyer (2000), S. 22/23

[12] Meyer (2000), S. 23

[13] Meyer (2000), S. 26

[14] ebd.

[15] Ebd.

[16] Ebd.

[17] Somfai (1996), S. 117f

[18] die ursprünglich Doppelbögen waren, aber von den New Yorker Bartók Archives, wo das Manuskript lange Zeit lagerte., als konservatorische Maßnahme getrennt wurden; siehe hierzu Somfai (1996), S. 99

[19] Kleinere Skizzen wurden auch im restlichen Manuskript auf leergebliebenen Notenlinien am unteren Rand oder zwischen den Akkoladen notiert; vgl. Somfai (1996), S. 61ff

[20] Vgl. Somfai (1996), S. 106

[21] Meyer (2000), S. 24

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Quellenstudium am Beispiel von Béla Bartóks "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta"
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
PS "Einführung ins musikwissenschaftliche Arbeiten: Béla Bartók, Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta"
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V54108
ISBN (eBook)
9783638493802
ISBN (Buch)
9783656816027
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Anhand des Partiturautographen der "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta" läßt sich der Entstehungs- und Überarbeitungsprozeß hervorragend verfolgen. Diese Arbeit vergleicht den ersten Satz in seinen verschiedenen Stadien, die sich im Autographen erkennen lassen, mit seiner endgültigen Gestalt im fertigen Werk.
Schlagworte
Quellenstudium, Beispiel, Béla, Bartóks, Musik, Saiteninstrumente, Schlagzeug, Celesta, Einführung, Arbeiten, Béla, Bartók, Musik, Saiteninstrumente, Schlagzeug, Celesta
Arbeit zitieren
Anne Camilla Kutzner (Autor:in), 2005, Quellenstudium am Beispiel von Béla Bartóks "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54108

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