Grund und Boden: Goethes Lyrik als Gelegenheitsdichtung. 'Es schlug mein Herz' oder 'Willkomm(en) und Abschied'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

28 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


0 Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Titelgebung und Titeländerung des Gedichtes
2.1 „Willkomm(en) und Abschied“ –Ein historischer Begriff

3 „Sesenheimer Lieder“
3.1 „Willkomm(en) und Abschied“ als Krone der „Sesenheimer Lieder“
3.2 „Willkomm(en) und Abschied“ –Empfindungs- und Naturlyrik
3.3 „Willkomm(en) und Abschied“ als „Sturm und Drang“ -Werk

4 Interpretation von „Willkomm(en) und Abschied“
4.1 Formaler Aufbau
4.2 Interpretation der Strophen 1 - 4
4.2 „Willkomm(en) und Abschied“ –Der Erotikbezug

5 Zusammenfassung

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang

1 Einleitung

Mit dieser Seminararbeit möchte ich nicht nur eine reine Gedichtinterpretation im herkömmlichen Sinne aufweisen (Metrum, Reimschema, etc.), wie man es aus der Schule kennt bzw. in Interpretationsbüchern oder Reklamheften vorfindet, sondern auch den historischen Hintergrund, die Titelgebung bzw. Titeländerung und Titelinterpretation, den Zusammenhang des Gedichtes mit Goethes Privatleben (z.B. Friederike Brion), sowie die Involvierung dieses Gedichtes in die „Sesenheimer Lieder“ und „Sturm und Drang“ – Phase eruieren.

Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Namensgebung des Gedichtes. Es ist sehr interessant sich mit dem Titel zu beschäftigen, da das zu interpretierende Werk einem Titelwechsel unterzogen wurde. Zudem spielt die Titelinterpretation eine relevante Rolle, da der Titel des Gedichtes eine Kongruenz mit einer preußischen Prügelstrafe im 18. Jahrhundert aufzuweisen hat.

Das dritte Kapitel beinhaltet die Eingliederung des Gedichtes in die „Sesenheimer Lieder“. Zudem spielt Goethes Privatleben und dessen Hinterleuchten eine nicht unwesentliche Rolle in diesem Kapitel, da eine private Begebenheit unseres Dichters den Anstoß zu diesem Gedicht gab. Ein weiterer Unterpunkt des dritten Kapitels wird die Einordnung des vorliegenden Werkes in die „Sturm und Drang“ – Phase und Empfindungslyrik darstellen.

Kapitel 4 beschäftigt sich speziell mit der Gedichtinterpretation. Hier wird der Text und seine Aussagen gründlichst geprüft und folge dessen Fazit gezogen. Ein weiteres Unterkapitel weist den erotischen Bezug des Gedichtinhaltes bzw. Titels mit der historischen Bedeutung des Begriffs „Willkomm(en) und Abschied“ auf.

Die Zusammenfassung findet sich im fünften Kapitel wider. Hier werden die relevantesten Aspekte der vorhergehenden Kapitel nochmals rezipiert.

Kapitel 6 weist das eigene Fazit auf, welches ich nach der Gedichtinterpretation, sowie dem Beschäftigen des historischen Hintergrundes ziehen kann.

Mit einem Zitat Ernst Jandls möchte ich nun meine Einleitung beenden und zum Hauptteil dieser Seminararbeit übergehen.

„Dichtung ist Distanzierung, und sie ist es um so zwingender, je mehr ein Erlebnis ihr Thema ist; nicht ihr Material, […], das nicht Sprache allein, sondern zugleich Dichtung ist, wie dieses Gedicht, »Willkommen und Abschied«, von Goethe.“[1]

2 Titelgebung und Titeländerung des Gedichtes

Das Gedicht „Willkomm(en) und Abschied“ schrieb Goethe im Frühjahr 1771. Es gehört zu anderen sogenannten „Sesenheimer Liedern“. Die spätere Fassung (siehe hierzu Anhang: „Es schlug mein Herz“ bzw. „Willkomm(en) und Abschied“) wurde erstmals unter dem Titel „Willkomm und Abschied“ 1789 abgedruckt. Seit 1810 wurde dann allerdings der Titel erst zu „Willkommen und Abschied“ korrigiert, so wie man das Gedicht heutzutage kennt. Im Jahre 1775 ließ Goethe die erste Fassung, welche noch titellos war, erscheinen, allerdings zeigt ein Vergleich der beiden Gedichte auf, dass das schon gedruckte Werk für ihn nicht unabänderlich war. Die Fassung des Jahres 1775 hatte Johann Wolfgang von Goethe nicht weniger als zweimal überarbeitet. Er hatte die Leidenschaft reduziert und geglättet, sowie dem Stil einen rhetorischen Elan verliehen, wodurch leider nur die vierte Strophe Gewinn verzeichnen konnte. Die erste und zweite Strophe besitzen mehr Authentizität und unmittelbares Leben in Fassung 1, welche durch künstlerische Fülle und Wahrhaftigkeit hinreißen lässt.

Auf einen speziellen Vergleich der Gedichte- das ohne Titel und „Willkomm(en) und Abschied“ –möchte ich mich nicht einlassen, da der Großteil der beiden Gedichte doch kongruent ist und zudem einen Internenvergleich den Rahmen dieser Seminararbeit sprengen würde.

Das vorliegende bzw. zu interpretierende Gedicht wurde von Literaturwissenschaftlern, wie auch Analytikern desöfteren neuinterpretiert. Jedes Komma dieses Gedichtes wurde mehrfach hin- und hergewendet, sowie auch der Titel mehrere Untersuchungen über sich ergehen lassen musste. Gerade dieser lässt den Leser aufhorchen und sein Interesse für den lyrischen Text gewinnen.

2.1 „Willkomm(en) und Abschied“ –Ein historischer Begriff

Der anfangs so schön klingende Name „Willkomm(en) und Abschied“ wirkt auf den Leser eher romantisch, weckt Emotionen in ihm und lässt seiner Phantasie bezüglich einer Liebesaffäre freien Lauf. Jedoch darf man den beruflichen Hintergrund des Dichters nicht vernachlässigen, wenn man einen so doppeldeutigen Titel vorfindet. Goethe war schließlich ein Rechtsgelehrter (Jurist). Gerade an diesem Punkt beginnt die Interpretation des Titels neu, denn „Willkomm(en) und Abschied“ war im 18. Jahrhundert in Preußen eine sehr geläufige und schwere Zuchthaus- Zusatzstrafe, welche sogar von gesetzlichem Rang war. Mit ihr war die Auspeitschung beim Eintritt und bei der Entlassung aus dem Zuchthaus gemeint. Sie war eine harte und scharfe physische Strafe für „hartnäckige Bösewichte, für unverbesserlich liederliche Personen, für Huren, Hurenböcke und Spitzbuben“[2]. Ihre Popularität erlangte sie als Terminus technicus des ′Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten′ im Jahre 1794. Speziell bei den landrechtlichen Strafbestimmungen für Gesindediebstahl und Unzuchtsdelikte findet man diesen Ausdruck immer wieder. Ursprünglich hieß diese Prügelstrafe „Staupenschlag oder, nach dem Rutenbündel, mit dem sie verabreicht wird, Staupbesen“[3]. 1790 wurde der Staupenschlag zwar als traditionelle, aber doch formal anerkannte Strafe folgendermaßen definiert: „Stauppesen. Er geschieht durch den Henker, ist weniger schmerzhaft [als die Schwertstrafe!], verletzt aber die Ehre, ohngeachtet er insgemein eine schwere Leibstrafe heißt; er kam an die Stelle der Fustigation; […].“[4]. Der Begriff Staupenschlag wurde dann durch den Geist der Aufklärung (Erfindung des Zuchthauses) verdrängt und durch „Willkomm“ substituiert. „Willkomm(en)“, oder auch freundlicher früher umschrieben als Patschhand, bekamen die Missetäter bei ihrem Eintritt in das Zuchthaus zu spüren. Hiermit war das Ritual gemeint, welches eine gewisse Anzahl von Schlägen mit einer Karbatsche auf den Rücken des Neuankömmlings aufzeigte. Beim „Abschied“ wurde dasselbe Ritual nochmals vollzogen, um bei den Häftlingen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Diese unmenschliche Prügelstrafe war und ist für viele rechtskundige Zeitgenossen des 19./ 20. und 21. Jahrhunderts das Symbol für den harten und rückständigen Strafvollzug, welcher im 18. Jahrhundert in Preußen vorzufinden war. Zu dieser Zeit sahen die Menschen allerdings diese Bestrafung als durchaus gerecht und sogar als Einforderung im Zeichen der Aufklärung und Philantrophie an. Für sie war dies eine pädagogische Einrichtung, welche größtenteils auch durch die erzielten Resultate ihren Erfolg rechtfertigte. Erst am 18. Dezember 1918 wurde der „Willkomm“ offiziell vom Justizministerium abgeschafft.

Die begriffliche Kongruenz des Gedichttitels und der Prügelstrafe darf man keineswegs als zufällig hinnehmen, denn sie ist von Goethe beabsichtigt. Er stellt sogar einen konkreten Bezug her, in dem er Delikte aufnimmt, die für jedermann im ′Preußischen Landrecht′ nachzulesen sind.

Johann Wolfgang von Goethe versuchte anhand des gewählten Titels eine Verknüpfung zwischen Rechts-, Sozial- und Literaturwissenschaft herzustellen. Der Titel „Willkomm(en) und Abschied“ wird durch diese drei Verknüpfungspunkte vor allem bei den Lesern, welche die beiden Bedeutungen erkennen, zu einem „sich selbst meldenden Begriff“[5]. Durch die Länge der Argumentation wird der Leser zwar ein wenig auf die Folter gespannt, jedoch kann man dies als unvermeidliche Teilnahme an der Prügelstrafe interpretieren.

Das bisher aufgezeigte Hintergrundwissen, welches ich vermitteln und dadurch Goethes Absicht bezüglich des Gedichttitels vollziehen wollte, sieht „freilich immer noch eher aus wie eine rüde juristische Zote- hingeschrieben mit der Schadenfreude, daß nur wenige den Doppelsinn enträtseln und noch wenigere dies aussprechen können“[6]. Diese Impression wird noch durch einen speziellen Paragraphen des Landrechts im Abschnitt ′Von fleischlichen Verbrechen′ bekräftigt, wenn man diesen als einzig möglichen und konkreten Anlass zur strafrechtlich- literarischen Doppelbelegung von „Willkomm(en) und Abschied“ in den Fokus des Interesses stellt. In diesem Paragraphen überschneiden sich die Unzuchtstrafe mit der Gesindestrafe und als tertiärer Aspekt kommt noch die verbotene Überschreitung der Standesgrenzen hinzu.

[...]


[1] Jandl, Ernst. Das schicklich verlassene Mädchen. In: Reich- Ranicki, M.. (Hg.): Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen. Johann Wolfgang von Goethe. Zweiter Band. Frankfurt/ a.M. & Leipzig: Insel Verlag, 2002, S.23.

[2] Eckhardt Meyer- Krentler: Willkommen und Abschied- Herzschlag und Peitschenhiebe. Goethe- Mörike- Heine. München: Wilhelm Fink Verlag. 1987, S.15.

[3] Richard Wrede: Die Körperstrafen bei allen Völkern von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Kulturgeschichtliche Studien. Mit vielen Illustrationen. Dresden: Dohrn. 1898, S.394.

[4] Johann Lorenz Dorn: Versuch eines praktischen Kommentars über das peinliche Recht. Erster Band. Leipzig: Weidmannische Buchhandlung. 1790, S.129.

[5] Gerhard Sprenger: Naturrecht und Natur der Sache. Berlin: Duncker& Humblot. 1976, S.63.

[6] Meyer- Krentler. Willkomm und Abschied. 1987, S.75.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Grund und Boden: Goethes Lyrik als Gelegenheitsdichtung. 'Es schlug mein Herz' oder 'Willkomm(en) und Abschied'
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
28
Katalognummer
V53417
ISBN (eBook)
9783638488761
ISBN (Buch)
9783638684798
Dateigröße
624 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
24 Seiten plus Anhang
Schlagworte
Grund, Boden, Goethes, Lyrik, Gelegenheitsdichtung, Herz, Willkomm(en), Abschied
Arbeit zitieren
Tobias Schwarzwälder (Autor:in), 2005, Grund und Boden: Goethes Lyrik als Gelegenheitsdichtung. 'Es schlug mein Herz' oder 'Willkomm(en) und Abschied', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53417

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