Ornaments reanimated. Das Zeitgenössische Ornament: Kitsch oder Poesie?


Studienarbeit, 2005

44 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung:

Zielsetzung der Studienarbeit

1 Der Beginn der Moderne: Adolf Loos
Historische Entwicklung
Der Loos’sche Ansatz
Die Grenzen der Moderne
Die Postmoderne
Eine Protestbewegung

2 Sieben zeitgenössische Beispiele
Einleitung
Intellektueller Ansatz - Herzog & de Meuron
Technik & Poesie - Jean Nouvel
Medienfassade - Renzo Piano

3 Auflockerung & Neugier - muf. architecture/art
Farbe - Sauerbruch Hutton Architekten
Historisierendes Ornament - Hild und K
Pop-Art & frühe Postmoderne - James Rizzi
Akademische und populäre Architektur
Akademischer und populistischer Ansatz
Codierung
Loos` Rhetorik
Stichwort Mode
Das Phänomen „Kitsch“
Die Wichtigkeit des Ornaments

Quellenverzeichnis

Bilderverzeichnis

Zielsetzung der Studienarbeit

Wieviel Raum lässt die moderne Architektur dem ornamentalen Ausdruck? Was unterscheidet ein gelungenes von einem mißglückten Ornament? Diese Fragen beschäftigen mich schon seit Beginn meines Studiums der Architektur an der RWTH Aachen. Die Lehre ist - zumindest im Grundstu- diums - stark an der Moderne orientiert. Für das Ornament bleibt dabei wenig Platz. Mein Ziel ist es daher, auf einer theoretischen Grundlage Kriterien zu entwickeln, wie und wann ein Ornament angewendet und bewertet werden kann.

Definition:

Das Wort Ornament leitet sich von dem lateinischen Begriff onare, zu deutsch schm ü cken ab. In Anlehnung daran versteht die vorliegende Arbeit das Ornament als applizierten Schmuck an Fassaden. Er ist bewusst dem Gestaltungswillen des Architekten entsprungen und lässt sich nicht aus Notwendigkeiten erklären. Fassadengliederungen, die ausschließlich aus dem Raster von Fassadenplatten entstehen, werden nicht als Orna- ment gesehen.

Ausgangspunkt der Studienarbeit sind die Veröffentlichungen von Adolf Loos, besonders sein Vortrag „Ornament und Verbrechen“ von 1908. In einem kurzen historischen Überblick wird die kulturelle Situation in Deutschland aufgezeigt, die im Ergebnis zu einer Abkehr vom Ornament führte. Mit der Postmoderne entwickelte sich wieder ein Interesse für das Ornament, der wir wichtige thematische Erkenntnisse verdanken. An sieben zeitgenössischen Beispielen soll die Vielschichtigkeit des heutigen Ornamentes dargestellt werden. Diese Beispiele dienen anschließend als Grundlage für einen Kathegorisierungsversuch, bei dem die Kommunikati- onsfähigkeit und die Codierung wichtige Faktoren spielen.

Diese Studienarbeit erhebt nicht den Anspruch, ein Musterbuch zu sein, das formale Vorschläge unterbreitet, wie ein gutes Ornament auszusehen hat. Ein solcher Ansatz führt am Ziel vorbei, da für ein gutes Ornament formale Qualitäten allein nicht ausreichen.

Die Arbeit geht schwerpunktmäßig den inhaltlichen Fragen nach, wie es zu der modernen Ornamentlosigkeit gekommen ist, welche ornamentalen Strömungen die zeitgenössische Architektur zu bieten hat und worin die Schwierigkeiten bei der Wahl des Ornamentes bestehen.

1 Der Beginn der Moderne: Adolf Loos

„ Sie w ü rden mich sehr verpflichten, wenn Sie in Ihrem gesch ä tzten Blatte konstatieren w ü rden, dass ich mit dem Wiener Architekten, der den Aus- spruch getan hat: „ Ornament ist ein Verbrechen “ , nicht identisch bin. Der Verdacht, dies behauptet zu haben, ist gerechtfertigt, da ich vor siebzehn Jahren einen Vortrag gehalten habe, der „ Ornament und Verbrechen “ beti- telt war und in dem ich den psychischen Zusammenhang zwischen Orna- ment und Kriminalit ä t (T ä towierung) aufgezeigt habe. “

Mit diesem Leserbrief an die Wiener Neue Freie Presse vom 26. Mai 1925 versuchte Adolf Loos das Missverständnis zu klären, den sein Vortrag „Ornament und Verbrechen“ seit 1908 hervorgerufen hat.

Adolf Loos, der mit „Ornament und Verbrechen“ die Streitschrift für die Moderne formuliert hatte, ist auf Grund des plakativ gewählten Titels und seiner sehr polemischen Rhetorik immer wieder falsch verstanden und zitiert worden. Dies gilt bis heute.

Historische Entwicklung

Um seinen sehr emotionalen Leserbrief besser verstehen zu können, ist es notwendig sich die damalige kulturelle Situation vor Augen zu führen:

Im 18. Jahrhundert leitete der Klassizismus eine Bewegung in der Archi- tektur ein, die sich dem Wiedererlangen von verlorenem Wissen widmete. Die Proportionsgesetze und das Formenverständnis der antiken Griechen wurde wieder entdeckt und galten als Vorbild. Klassizistischen Architekten wie Schinkel oder von Klenze ging es vorrangig nicht darum, Neues zu schaffen, sondern Altes zu zitieren. Diese Rückbesinnung war fest verwur- zelt mit der Aufklärung, die sich auf die Aufzeichnungen der griechischen Philosophen stützte. Der klassizistische Baustil passte gut zu der geistigen Haltung seiner Zeit, das verloren geglaubte Wissen der Griechen zu zitie- ren. Jedoch weitete sich der formale Ansatz - bestehendes Repertoire zu kopieren - im Historismus aus.

Klassizismus Leo von Klenze: Propyläen, München

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Zuge der wissenschaftlichen Aufarbeitung der eigene Geschichte, begann man damit, das neu erlangte theoretische Wissen auf aktuelle Bauten anzuwenden. Unter Architekten war das Kopieren von vergan- genen Stilen so verinnerlicht, dass nun die Formensprache der Gotik, der Renaissance, der Romanik und des Barocks zu neuem Leben erweckt wurde. Dieses Zeitalter des „Neo-“ erreichte mit dem Eklektizismus seinen krönenden Abschluss. Bildete bis dato die Stilreinheit einen festen, unver- rückbaren Orientierungsrahmen, so entwickelte sich nun eine Vorliebe, alles mit allem zu kombinieren (siehe Garniers Opernhaus Paris). Dieser freie historische Rückgriff bezog sich nur auf das äußere und das innere Erscheinungsbild der Gebäude (z.B. die Fassade und die Innendekoration).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eklektizismus Charles Garnier: Opernhaus Paris

Jugendstil Victor Horta: Haus Tassel

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sowohl die Grundrissplanung als auch die Verwendung von modernen Materialien (z.B. Gussstahl) entsprach dem Stand der fortgeschrittenen Technik.

In einem Zeitraum von ca. 50 Jahren wurden einzelne Elemente aus un- terschiedlichen europäischen Stilepochen in ungewohnter Weise zusam- mengesetzt ohne Neues zu erfinden. Aus der eigenen Kultur gingen keine neuen Impulse aus. Es waren exotische Einflüsse (Exotismus), die zu dieser Zeit Eintritt in die europäische Baukunst fanden. Durch den Ägyptenfeld- zug Napoleons ausgelöst, gelangten bisher unbekannte kulturelle Schätze nach Europa. Der neo-ägyptische Stil fand bewusst Anwendung an Geld- instituten und Grabmälern.

Ab 1851 präsentierten die Weltausstellungen fremde Kulturgüter dem neugierigen und staunenden europäischen Publikum. Besonders die schlichte Formensprache Japans inspirierte in den folgenden Jahrzehnten Jugendstilarchitekten wie z.B. Charles Rennie Mackintosh für ihre eigenen Arbeiten.

Das eigene Repertoire mit fremden Wissen zu ergänzen ist - historisch ge- sehen - nichts Außergewöhnliches. Handel und Kriege begünstigten von jeher eine Ornamentwanderung. Gerade die antiken Römer entwickelten eine sehr liberale Haltung, die kulturellen Schätze ihrer unterworfenen Völker in ihre eigene Kultur zu integrieren. Erstmals in der Geschichte fand das breite Publikum Zugang zu geographisch getrennten Zivilisationen.

Fremde Formensprachen wurden unkritisch kopiert. Dadurch war das Ornament jener Zeit gekennzeichnet von chaotischer Uneinheitlichkeit. Auch war es der Gefahr ausgesetzt, uneuropäisch zu werden. Dies führte zu vielerlei Kritik und Spott. Für Viele waren die Grenzen des guten Ge- schmacks überschritten, was eine Suche nach Lösungsalternativen be- wirkte.

In Europa manifestierte sich als Reaktion auf die beschriebene Situation eine Avantgarde junger Architekten, Künstler und Kunsthandwerker, die einen neuen ornamentalen Weg einschlagen wollten. Sie entwickelten innerhalb weniger Jahre die Formensprache des Jugendstils. Der Jugend- stil leitete sich von der angelsächsischen Arts-and-Craft-Bewegung ab, die sich entschieden von der industriellen Massenfertigung abwendete. Sie hatte sich zum Ziel gesetzt, die arbeitsteiligen Strukturen des frühen Industrialismus zu überwinden. Wie in früheren Kulturen sollte die Natur wieder Pate stehen für ein hochwertiges Handwerksgut in neuen organi- schen Formen.

Jugendstilarchitekten wie Victor Horta entwickelten - diesem Weg fol- gend - eigene Abstraktionen aus der Natur. Anders als im Historismus

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Jugendstil - floral verspielt Charles Rohlfs: Chair 1898

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Jugendstil - geometrisch geformt Charles Mackintosh: Argyle chair, 1897

sollte das Ornament nicht mehr beliebig aufgesetzt werden, sondern aus dem Gegenstand selbst erwachsen (siehe Haus Tassel). Das Haus wurde als Gesamtkunstwerk angesehen. Es war aus einer Hand durchgestaltet. Ne- ben den Grundrissen und der Fassade war der Architekt auch für sämtliche Innendekoration und die Innenausstattung verantwortlich.

Die ersten Versuche waren im starken Maße in der floralen Ornamentik verhaftet, was dem Jugendstil viel Ablehnung einbrachte. Anders als bei vorangegangenen Stilen, die ihre endgültige formale Ausprägung erst über viele Generationen hinweg entwickeln konnten, waren die Ju- gendstilarchitekten nur in einer kurzen Zeitspanne aktiv. Zudem war der Jugendstil der einzige erkennbare Stil, der sich nach dieser Ära des Verfalls abzeichnete. Mit viel Engagement und Energie zeigte er eine ornamentale Alternative auf. Sie stieß jedoch nur auf begrenzte Anerkennung. Neben der formalen Kritik gesellte sich die Inhaltliche hinzu:

„Das ornament, das heute geschaffen wird, hat keinen zusammenhang mit uns, hat überhaupt keine menschlichen zusammenhänge, keinen zusammenhang mit der weltordnung. Es ist nicht entwicklungsfähig.“

A. Loos: „Ornament und Verbrechen“ 1908

Das theoretische Fundament, auf das sich von der Jugendstil stützte, war ein Rückbezug zur Vergangenheit, da er sich von der industriellen Masse- produktion abwendete und sich der mittelalterlichen, handwerklichen Herstellungsweise hinwendete. Es bestand kein Zusammenhang mit der Zeit bzw. der Gesellschaft, die sich durch die Industrialisierung einem gro- ßen Wandel unterzog. Die Uneinheitlichkeit - floral verspielt auf der einen und geometrisch geformt auf der anderen Seite - und der rasche Formen- wandel brachte dem Jugendstilarchitekten den Ruf ein, rein willkürlich und rein künstlerisch zu arbeiten. Der Jugendstil stellte die Phantasie des ausführenden Künstlers in den Vordergrund. Es existierte keine einheitli- che rationale Lehre mit formalen Richtlinien, an der die Werke gemessen werden konnten. Der damit einhergehende rasche und freie Formenwan- del resultierte darin, dass der Jugendstil als zukunftslose Modeform abge- tan wurde. Das endgültige Ende erfuhr die Bewegung mit dem Beginn des ersten Weltkrieges. Mensch und Wirtschaft richteten sich auf das Kriegs- geschehen ein. Dem teuren und zeitaufwendigen Stil entzogen sich somit die Ressourcen.

Der Loos’sche Ansatz

Adolf Loos war einer der größten Kritiker des Jugendstils. Inspiriert von seiner Amerikareise, schlug Loos im Gegenzug einen pragmatischen, fast genialen Weg vor: er machte aus der Not - dass die Gesellschaft über kein zeitgemäßes Ornament verfügte - eine Tugend und rief das moderne Zeitalter aus, das keinerlei Ornament mehr bedurfte. Er relativierte seine in „Ornament und Verbrechen“ recht plakativ formulierten Thesen später, als ihm bewusst wurde, in welchem Extrem und welcher Radikalität die Puristen den ornamentlosen Weg interpretierten.

„Vor sechsundzwanzig jahren habe ich behauptet, dass mit der ent- wicklung der menschheit das ornament am gebrauchsgegenstande verschwinde (...). Ich habe aber damit niemals gemeint, was die puris- ten ad absurdum getrieben haben, dass das ornament systematisch und konsequent abzuschaffen sei. Nur da, wo es einmal zeitnotwendig verschwunden ist, kann man es nicht wider anbringen. Wie der mensch niemals zur tätowierung seines gesichtes zurückkehren wird.“

A. Loos: „Ornament und Erziehung“ 1924

Worauf es ihm bei seiner Ornamentkritik ankam, waren soziale und - dar- auf aufbauend - wirtschaftliche Gründe, keineswegs Ästhetische. Es ging ihm nie um die konsequente Abkehr vom Ornament, sondern um den Missbrauch dessen. Sein Angriff zielte in erster Linie auf die entstandene Bedeutungsleere des Ornamentes zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die ehemalige symbolische Lesbarkeit, wie sie noch im Klassizismus vor-

herrschte, war verloren gegangen. Es gab keinen Bezug mehr zwischen dem Notwendigen und der Wiederanbringung von zeitlich Vergangenem nach rein ästhetischen Maßstäben. Es waren Vernunftgründe, die ihn zu seiner Kritik an der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit bewogen. Weshalb soll- te Geld und Arbeitszeit in eine applizierte Ornamentik investieren werden, wenn kein Bezug zum eigentlichen Bauwerk erkennbar wird?

Es ging ihm nicht um das Entfernen alles Ornamentalen, sondern um die Überwindung des Willkürlichen, des rein Künstlerischen ohne intellektuel- len, inhaltlichen Bezug. Ein Ornament kann nicht von einem Einzelnen frei erfunden werden, sondern es muss in der jeweiligen Kultur und Gesell- schaft verankert sein. Das Ornament muss die Sprache und das Lebensgefühl seiner Zeit sprechen und transportieren.

„Form oder ornament sind das resultat unbewusster gesamtarbeit der menschen eines ganzen kulturkreises. Alles andere ist kunst. Kunst ist der eigenwille des genius. Gott gab ihm den auftrag dazu.“

A. Loos: „Ornament und Erziehung“ 1924

Dieses Zitat macht deutlich, dass Loos sich stark von der Kunst abgrenzte. Kunst hat aus seiner Sicht nichts an Gebrauchsgegenständen zu suchen. Diese Kritik galt gezielt der Jugendstilbewegung. Seiner Meinung nach suchte sie auf losgelöste Art und Weise, eine neue Ornamentsprache zu entwickeln. Wenn diese aber nicht fest in der Gesellschaft verankert ist, kann sie keine Identifikation erreichen und ist nicht entwicklungsfähig. Er schließt daraus, dass ein neuer Stil nur aus neuen Erfindungen entstehen könnte.

„Man darf nur dann etwas Neues machen, wenn man etwas besser machen kann. Nur die Erfindungen reißen Löcher in die Tradition“.

A. Loos: „Von der Sparsamkeit“ 1924

Die neuen Anforderungen, die die fortgeschrittene Technik bzw. die Erfindungen stellen, zwingen den Architekten, eine neue Formensprache abzuleiten, um ihnen gerecht zu werden. Um qualitativ hochwertige und für die Massen erschwingliche Produkte herzustellen, müssen die damaligen eingeschränkten Möglichkeiten der maschinellen Herstellung gestalterisch berücksichtigt werden .

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Adolf Loos: Sockelgeschoss des Haus am Michaelerplatz, Wien

Nikolaus Pevsner beschrieb Adolf Loos 1966 in seinem Vorwort zu „Adolf Loos - Pioneer of modern Architecture“ als enigma (dt: Rätsel), da er so- wohl den Historismus, den Jugendstils als auch den Werkbund und später das Bauhaus kritisiert hatte. Adolf Loos betrieb die Opposition aber nicht als Selbstzweck gegen jedwede neue und alte Entwicklung. Scheinbare Widersprüchlichkeiten zwischen seinen forschen frühen Äußerungen (z.B. in „Ornament und Verbrechen“, 1908) und seinen relativierenden Worten einige Jahre später (z.B. „Ornament und Erziehung“, 1924) erschweren es, seine Position zu verstehen. Die Rückschlüsse, die aus seinen späten Formulierungen zu ziehen sind, offenbaren, dass Adolf Loos kein Revoluti- onär war, der aus Überzeugung für eine Maschinenästhetik eintrat (diese Position sollte Le Corbusier einige Jahre später einnehmen). Er selbst - ein großer Traditionalist, dessen Vorbild Karl Friedrich Schinkel war - hatte eine Vorliebe für das klassizistische Formenrepertoire, das er gemäß seiner inhaltlichen Bedeutung anwandte. Beispielhaft seien das klassizistisch in griechischem Cippolino-Marmor ausgeführte Sockelgeschoss des Hauses am Michaelerplatz in Wien oder der Wettbewerbsbeitrag zur Chicago Tribune angeführt. Seine Zeit vermochte kein eigenes Ornament hervorzubringen, das seinen Forderungen nach inhaltlich verwurzeltem Zeit- und Gesellschaftsbezug erfüllen konnte.

Die Grenzen der Moderne

Mit seinem Ansatz, die wildwuchernde Anwendung des Ornamentes zu überdenken, bereitete Loos den Weg zu der Architektursprache des „weniger ist mehr“ (Mies van der Rohe) vor. Die Moderne sorgte in ihren Anfangsjahren für eine beispielhafte Aufbruchstimmung. Sie verwendete neue Baumaterialien wie Glas, Stahl und Beton und widmete sich progres- siv dem ambitionierten Siedlungsbau, der sich zum Ziel gesetzt hatte, den Bewohnern zu mehr Licht, Luft und Freiheit zu verhelfen.

Der rein formale Wille zur weitgehenden Reduktion warf aber auch neue Probleme auf. Das Bild „Weißes Quadrat auf weißem Grund“ von Kasimir Malewisch galt einerseits durch seine größtmögliche Reduktion als Ikone der Moderne und zeigte gleichzeitig ihre Gefahren auf. Ursprünglich hatte sich die moderne Formensprache der Funktionalität verschrieben. Sie verselbstständigte sich aber zu einem rein formalen Statussymbol für eine Geschmackselite. Die Konzentration zur Zweckform - zum Bauen im Geiste der Technik - resultierte in einem Städtebild der Nüchternheit, Starrheit und Tristesse. Die Konzentration auf Klarheit und Strenge führte zu einer Gestaltung, der es am schwer greifbarem „Mehr“ an Stimmung, an Poesie fehlte.

Die Tüfteleien an den einfachen weißen Kuben erzeugten formal orna- mentlose Bauten. Aus ethisch-ökonomischer Sicht stellen die Akribie und der Aufwand, mit dem diese Einfachheit erreicht wurde, ebenfalls orna- mentale Bauten dar. Loos brachte diese Haltung und seine umfassendste Definition des Ornamentbegriffs in der von ihm autorisierten Kulka-Bio- graphie 1930 zum Ausdruck:

„Wenn ein Gebrauchsgegenstand in erster Linie nach ästhetischen Ge- sichtspunkten geschaffen wird, ist er ein Ornament, mag er auch noch so glatt sein.“

Was anfangs noch durch Radikalität, Einzigartigkeit und Fortschrittsglaube für Aufsehen und Interesse sorgte und mit der Hinwendung zur Technik gesellschaftliche Akzeptanz fand, entwickelte sich im Laufe der Zeit in eine Sackgasse. Dieses Scheitern ist nicht den Pionieren der Moderne vorzuwerfen. Zwar haben sie diese Entwicklung begünstigt (übertriebener Formalismus, Brutalismus - franz. brut: roh), vor allem trugen aber ökonomische Interessen, die im Namen der Moderne diverse Massenwohnungsbauten errichteten zu ihrem schlechten Ruf bei.

In Europa lag die Hauptursache für die Fehlentwicklung der modernen Architektursprache zweifellos an der wirtschaftlich schwierigen Situation nach dem zweiten Weltkrieg. Die Städte lagen in Schutt und Asche. Es musste schnell und günstig neuer Wohnraum geschaffen werden, um die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Die Hinwendung zum unge-

Sprengung Pruitt-Igoe „Der Tod der Moderne“ schmückten Zweckbau entsprach den damaligen wirtschaftlichen Zwän- gen. Davon ausgehend entstanden bis in die 60er und 70er Jahre große Wohnkomplexe, die auf größtmöglichen ökonomischen Erfolg ausgerich- tet waren. Jencks führte neben den wirtschaftlichen Gründen auch den Maßstabsverlust für das Scheitern der Moderne an. Spekulationsbauten wie z.B. Hotels, Wohnblöcke und Parkhäuser wirkten auf Grund ihrer riesi- gen Dimensionen anonym und abschreckend, wodurch die Identifizierung mit dem Bauobjekt verloren ging.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Maßstabsverlust: z.B. Parkhaus

Auch das Idealbild des „modernen Menschen“, das von idealistischen Planern gezeichnet worden war, passte nicht. Man schrieb dem Menschen einen kühlen Sachverstand (homo oeconomicus) zu, auf den er weder vorbereitet war, noch sich darauf einzustellen vermochte. Jencks stellte heraus, dass die Reduzierung des Menschen auf seine Ratio die emoti- onale und irrationale Ebene des Menschen übersah. Er machte den Tod der Moderne an einem Ereignis fest, dass sich bis auf die Minute genau bestimmen ließ:

„Die moderne Architektur starb in St. Louis/Missouri am 15. Juli 1972 um 15:32 Uhr, als die berüchtigte Siedlung Pruitt-Igoe oder vielmehr einige ihrer Hochhäuser den endgültigen Gnadenstoß durch Dynamit erhielten.“

Der erste Widerstand gegen das moderne Menschenbild manifestierte sich in den Vereinigten Staaten, wo die Architektur - von Kriegsschäden verschont - ungebrochen an die Vorkriegszeit anschließen konnte.

Die Postmoderne

Am Ende der 60er Jahre formierte sich der Widerstand unter Robert Ven- turi. Mit seinen Büchern „Complexity and Contradiction in Architecture“, 1966 (dt. „Vielfalt und Widerspruch“, 1978) und „Learning from Las Vegas“, 1972 (dt. „Lernen von Las Vegas“, 1979) leitete er die Gegenbewegung zur Moderne ein. Nach gründlicher Analyse der Moderne formulierte er eine visueller Kehrtwendung, z.B.

- Vielfalt und Widerspruch kontra Vereinfachung;
- unsaubere Vitalität anstelle der klaren Einheitlichkeit.

Die absolute Umkehrung des zuvor Gewesenen war der schöpferische Akt, den Venturi vollzog. Er strebte das genaue Gegenteil der Moderne an. Ba- sierend auf seinen Studien zu „Lernen von Las Vegas“ unterteilte er Gebäu-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Robert Venturi: Unterscheidung „duck“ - „decorated shed“

de in zwei Kategorien: „ decorated sheds “ (dt. dekorierte H ü tten) und „ ducks “ (dt. Enten). Unter „ ducks “ verstand er Gebäude, die ihrer (symbolischen) Form genügten und auf jegliche applizierten Objekte verzichteten. Er ord- nete die meisten modernen Gebäude dieser Klasse zu, da sie - auf einer abstrakteren Ebene - selbstgefällig nur sich selbst zum Ausdruck bringen wollten. Venturi bedauerte, dass es besonders an „ decorated sheds “ fehlte. Durch die vorangegangene Willkür des Eklektizismus war dem Ornament die ursprüngliche Symbolhaftigkeit abhanden gekommen. Diese Sinnes- leere sollte mit allgemein lesbaren Zeichen gefüllt werden, beispielsweise mit Ironie und Humor, die von der Öffentlichkeit verstanden werden konn- ten. Formal orientierten sich die Vertreter der Postmoderne an histori- schen Bauwerken und an der zur gleichen Zeit entstandenen Pop-Art.

Mit rhetorischem Geschick kommentierte Venturi einen umstrittenen Wettbewerbsbeitrag von Loos aus dem Jahre 1922:

„Adolf Loos verdammte das Ornament, verwandte bei seinen eigenen Entwürfen jedoch wunderschöne Muster, er hätte auch das großartigs- te, wenn auch ironisierende Symbol in der Geschichte der Wolkenkrat- zer errichtet, wenn er den Wettbewerb um das Gebäude der Chicago Tribune gewonnen hätte.“

R. Venturi: „Lernen von Las Vegas“, S. 164

In diesem unberücksichtigten Wettbewerbsbeitrag interpretierte Loos die klassizistische Form der dorischen Säule für einen Hochhausentwurf um. Als Grundlage diente ihm ein Wortspiel: als „ column “ werden im Engli- schen Textspalten in Zeitungen bezeichnet (woraus der deutsche Begriff „Kolumne“ abgeleitet ist). Im Bauwesen bezeichnet „ column “ gleichzeitig Säule. Für ihn war es naheliegend dem Gebäude die Form einer dorischen Säule zu geben. In den Erläuterungen zu seinem Wettbewerb schrieb er selbstbewusst:

„Diese große griechisch-dorische Säule wird gebaut werden. Wenn nicht in Chicago, dann in einer anderen Stadt (...). Wenn nicht von mir, dann von einem anderen Architekten.“

Dass er mit dieser Einschätzung nicht ganz Unrecht behalten sollte, beweist folgendes Bildbeispiele aus Ohio, 1955.

Die Protestbewegung

Der theoretische Ansatz der Postmoderne nahm für sich in Anspruch, in der Literatur und Kunst verwurzelt zu sein. Inhaltlich gab es eine Verbin-

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Kenton-County-Wasserturm, Ohio

Adolf Loos: Chicago Tribune

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

dung mit der Zeit und der Gesellschaft. Da die Herangehensweise in erster Linie einer Protesthaltung entsprang, die die Umkehrung des Bisherigen zum Ziel hatte, ohne neue Visionen oder Impulse zu entwickeln, erwies sie sich letztendlich als schwaches Fundament. Auf theoretischer Ebene entwickelte Jencks den architektonischen Anspruch einer doppelten Codie- rung. Ornamente sollten eine mehrdeutige Lesbarkeit zulassen. Einerseits war die breite Öffentlichkeit anzusprechen, andererseits den spezifischen Anforderungen anderer Architekten zu genügen. In der Praxis war es schwierig, diesem Anspruch gerecht zu werden:

„Das Venturi-Team hat gewiss verschiedene Kodes angewendet, deren sich die Architektur bis dahin nicht bedient hatte, solche, die von der unteren Mittelklasse stammen und vom Kommerz à la Las Vegas. Ihre ausgeführten Bauten haben jedoch meist eine andere Geschmackskul- tur zur Zielgruppe - Professoren, Colleges oder „Bauherren mit Ge- schmack“ -, und so entstand eine Art Schluckauf zwischen Theorie und Praxis.“

C. Jencks: „Die Sprache der postmodernen Architektur“, S. 88

Neben den von Jencks formulierten Geschmackskulturen der unterschied- lichen Zielgruppen trat ein formales Problem hinzu. Zwar war sich die Theorie bewusst darüber, dass das Ornament die Macht besaß, monoto- nen Flächen Poesie und Stimmung zurückzugeben, doch stellte sich die Frage, wie ihr praktisch zum Durchbruch zu verhelfen war. Nur wenigen Architekten gelang es, den goldenen Mittelweg zu finden. Folglich ent- standen in den 80er Jahren eine Vielzahl unharmonischer Gebäude, die mit uneinheitlichen und überzogenen karikierten Motiven ausgestattet waren. Nachdem eine ganze Architektengeneration ornamentlos gear- beitet hatte, fehlte das Gespür für eine formale Ausgeglichenheit in der Gestaltung.

[...]

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Ornaments reanimated. Das Zeitgenössische Ornament: Kitsch oder Poesie?
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen
Note
1
Autor
Jahr
2005
Seiten
44
Katalognummer
V51032
ISBN (eBook)
9783638471039
Dateigröße
2805 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ein wichtiges Thema: eine Alternative zur Moderne.
Schlagworte
Ornaments, Zeitgenössische, Ornament, Kitsch, Poesie
Arbeit zitieren
Jan Usinger (Autor:in), 2005, Ornaments reanimated. Das Zeitgenössische Ornament: Kitsch oder Poesie?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51032

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