Zur Migrantenberichterstattung in deutschen Fernsehnachrichten

Eine vergleichende Inhaltsanalyse öffentlich-rechtlicher versus privat-kommerzieller Fernsehsender


Magisterarbeit, 2004

143 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Vorwort

Abstract

1 Einleitung

I Theoretischer Teil

2 Migranten und Medienberichterstattung
2.1 Migranten im Fokus der Berichterstattung von Presse und TV
2.1.1 Zur Problematik des Ausländerbegriffs
2.1.2 Ausgewählte Studien
2.2 Merkmale der tagesaktuellen Migrantenberichterstattung
2.2.1 Themen und Kontexte
2.2.2 Sprachliche Präsentation
2.3 Zwischenbilanz

3 Ansätze der Nachrichtenforschung
3.1 Nachrichtenwerttheorie und Migrantenberichterstattung
3.1.1 Nachrichtenwerttheorie – ein kurzer Überblick
3.1.2 Nachrichtenfaktoren in der Migrantenberichterstattung
3.2 Konzept der Nachrichten-Frames
3.2.1 Journalistische Nachrichten-Frames
3.2.2 Nachrichten-Frames und Migrantenberichterstattung

4 Fernsehnachrichten im deutschen Rundfunksystem
4.1 Duales Rundfunksystem und Konvergenzhypothese
4.2 Konvergenz der Nachrichtensendungen
4.3 Zwischenbilanz

II Empirischer Teil

5 Methodisches Vorgehen
5.1 Forschungsfragen und Hypothesen
5.2 Stichprobe
5.3 Operationalisierung und Untersuchungsmethode
5.4 Codierbuch
5.5 Datenauswertung

6 Ergebnisse
6.1 Formales
6.2 Themen und Themenstruktur
6.2.1 Ereignishintergrund der berichteten Meldungen
6.2.2 Themenstruktur
6.3 Nachrichtenfaktoren
6.4 Framing
6.5 Wortwahl und sprachliche Gestaltung
6.6 Spezielles Thema: Terrorismus

7 Diskussion

Literatur

Anhang
A I Codebuch
AII Themenliste
A III Tabellen

Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abb. 3.1: Rahmungen von Ereignissen in Fernsehnachrichten innerhalb episodischer oder thematischer Frames

Abb. 5.1: „keine Visualisierung von Stereotypen“

Abb. 5.2: „große Visualisierung von Stereotypen“

Abb. 6.1: Verteilung der Migrantenbeiträge nach Monaten in Prozent

Abb. 6.2: Anzahl der Beiträge über Migranten nach ihrer Platzierung

Abb. 6.3: Rangfolge der Nachrichtenfaktoren nach deren Vorkommen in Prozent

Abb. 6.4: Positionierung der Sender nach Vorkommen der Nachrichtenfaktoren

Abb. 6.5: genannte Nationalitäten

Abb. 6.6: Motiv zur Visualisierung des Themas „Islamisten in Deutschland“

Tabellenverzeichnis

Tab. 5.1: Verteilung der Migrantenbeiträge nach Monat und Sendung

Tab. 6.1: Themenstruktur im Vergleich nach Rundfunktypen

Tab. 6.2: Verteilung von Hard News, Soft News und Terrorismus nach Rundfunktyp in Prozent

Tab. 6.8: Negativität nach Rundfunktyp in Prozent

Tab. 6.11: Sensationalismus gefiltert nach Rundfunktyp in Prozent

Tab. 6.12: Mittelwertvergleich der Nachrichtenfaktoren nach Themenbereichen

Tab. 6.13: Mittelwertvergleich Visualisierung von Stereotypen nach Sendern

Tab. 6.3: Einfluss nach Rundfunktyp in Prozent

Tab. 6.4: Prominenz nach Rundfunktyp in Prozent

Tab. 6.5: Aggression nach Rundfunktyp in Prozent

Tab. 6.6: Schaden nach Rundfunktyp in Prozent

Tab. 6.7: Mittelwertvergleich von Negativität nach Sendern

Tab. 6.9: Mittelwertvergleich von Sensationalismus nach Sendern

Tab. 6.10: Sensationalismus nach Sendern in Prozent

Tab. 6.15: Signifikanz der Unterschiede zwischen den Gruppen je Nachrichtenfaktor

Tab. 6.16: Mittelwertvergleich nach Nachrichtenfaktoren zwischen den Gruppen

Vorwort

Erste Einblicke in die Nachrichtenforschung erhielt ich während meiner Tätigkeit als studentische Hilfskraft im Rahmen des Projektes „Der Wert von Nachrichten-werten im deutschen Fernsehen“ am Lehrstuhl für Grundlagen der medialen Kommunikation und der Medienwirkung. Mit der Medienberichterstattung über Migranten beschäftigte ich mich eingehend im Projekt „Nachrichtenauswahl und – wirkung der Berichterstattung über Migranten“. Die Analyse von Fernsehnachrichten stellt dabei einen wichtigen Teilbereich dar. Einige Befunde und erste Ergebnisse aus diesen Studien warfen interessante Fragestellungen auf, denen ich in der vorliegenden Arbeit nachgegangen bin.

Die Daten der Fernsehanalyse, mit deren Erfassung ich vertraut war, wurden mir von Prof. Dr. Georg Ruhrmann für die Anfertigung dieser Studie zur Verfügung gestellt. Im Rahmen dieser Arbeit konnten somit, über die Zielstellung des Projektes hinausgehende Fragestellungen untersucht werden.

Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Georg Ruhrmann und Dipl.-Psych. Denise Sommer für die Betreuung und Unterstützung der vorliegenden Arbeit sowie für das Vertrauen, dass mir während meiner gesamten Tätigkeit entgegengebracht wurde. Außerdem möchte ich mich herzlich bei Dr. Matthias Kohring für seine Hinweise und hilfreichen Anregungen bedanken.

Abstract

Fernsehnachrichten haben einen zentralen Einfluss auf das öffentlich wahr-genommene Ausländerbild. Migranten werden jedoch vorwiegend im Zusammen-hang mit Kriminalität oder kontrovers diskutierten Sachverhalten (Stichwort Zuwanderung) in den Medien präsentiert. Diese negative und oft undifferenzierte Darstellung zeichnet ein falsches Ausländerbild und kann deren Ausgrenzung und Stigmatisierung fördern. Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in die Migrantenberichterstattung in deutschen Fernsehnachrichten im Jahr 2003 geben. Anhand einer inhaltsanalytischen Untersuchung der vier meistgenutzten Hauptnachrichtensendungen - ARD- Tagesschau, ZDF- Heute, RTL- aktuell und SAT.- 18:30 - wird gezeigt, innerhalb welcher Themen und Kontexte vorwiegend über Migranten berichtet wird. Unter Beachtung der hier einflussreichen Nachrichtenfaktoren werden Selektions- und Präsentationsstrukturen in der Migrantenberichterstattung beschrieben. Es kann festgestellt werden, dass die Migrantenberichterstattung von den Themen Kriminalität und Terrorismus dominiert wird. Anhand der Terrorismusberichterstattung werden exemplarisch mögliche inhaltliche Nachrichten-Frames veranschaulicht. Zudem können sender- und rundfunkspezifische Unterschiede festgestellt werden.

Media coverage, especially in the case of television news, has got an important influence on the people’s ideas as to minorities, specifically immigrants. Because of its tendency to present immigrants mainly in contexts of crime and illegality, it might contribute to an increasing fear towards strangers. Thus, the following paper aims to examine the television news coverage of immigrants in 2003. A content analysis of the most popular news in german television - ARD- Tageschau, ZDF- Heute, SAT.1- 18:30 as well as RTL- aktuell - will identify the relevant news values and topic in immigrant coverage. The study points out to an intensive change in immigrant coverage. In that sense, news are nowadays rather dominated by topics about terrorism than asylum issues. In addition, remarkable distinctions between public and private channels were revealed.

1 Einleitung

Islamisten, Terroristen, eine nicht enden wollende Debatte über die Zuwanderung oder die Frage, ob es muslimischen Lehrerinnen erlaubt sein sollte, bei der Arbeit ein Kopftuch zu tragen – Gerade in Zeiten eines sich vereinigenden Europas, besonders mit der EU-Osterweiterung und möglichen Aufnahme der Türkei, stellt der Umgang und das Zusammenleben mit anderen Kulturen einen gesellschaftlich besonders relevanten Sachverhalt dar.

Mehr denn je ist auch die Berichterstattung über in Deutschland lebende Migranten bedeutendes politisches und nicht zuletzt kommunikationswissen-schaftliches Thema. Dabei nehmen die Fernsehnachrichten als wichtigste Informationsquelle für aktuelle und politische Themen eine zentrale Rolle ein (vgl. Blödorn et al. 2000). Aufgrund der hohen Glaubwürdigkeit, die ihnen zugesprochen wird (vgl. Darschin/Horn 1997), haben sie einen besonderen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung von Migranten (vgl. Bodenhausen et al. 1995).

Die Medienberichterstattung wurde diesbezüglich jedoch häufig kritisiert. Bisherige Untersuchen zur Presse- und Fernsehberichterstattung über Ausländer (vgl. Merten/Ruhrmann 1986; Meißner/Ruhrmann 2001) zeigen bspw. auf, dass das Bild der Ausländer in den Medien deutlich negativ verzerrt ist. Dies ist vor allem auf die starke Kriminalitätsberichterstattung (vgl. Meier-Braun 2000) sowie auf die besonders häufig negative Bewertungen dieser (vgl. Ruhrmann/Kollmer 1987) zurückzuführen.

Unter Beachtung des besonderen Auftrags, dem die Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterliegen, stellt sich hier jedoch die Frage, ob beobachtete Merkmale in den Fernsehnachrichten gleichermaßen zu finden sind oder sich hier Unterschiede zu Gunsten des ö-r Rundfunks finden lassen. Hierbei wäre zu erwarten, dass deren Berichterstattung über Migranten sorgfältiger, differenzierter und vorurteilsfreier im Vergleich zu der Berichterstattung der privaten Sender ist.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu untersuchen, wie im Jahr 2003 in deutschen Fernsehnachrichten über Migranten[1] berichtet wurde. Besonderes Interesse gilt hier der Frage, innerhalb welcher Themen und Kontexte Migranten vornehmlich thematisiert wurden. Zudem soll die visuelle und sprachliche Darstellung der Migranten in den Fernsehnachrichten erfasst werden. Besonderer Fokus liegt dabei auf der Frage, ob sich senderspezifische Unterschiede in der Migranten-berichterstattung erkennen lassen.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Bereiche. Der theoretische Teil liefert dem Leser einen Einstieg in das Forschungsgebiet sowie einen Überblick über den jeweiligen wissenschaftlichen Forschungsstand. Basierend darauf werden im empirischen Teil das methodische Vorgehen sowie die Ergebnisse aufgezeigt.

Kapitel 2 „Migranten und Medienberichterstattung“ stellt ausgewählte Studien zum Thema sowie deren wichtigste Ergebnisse vor.

Im darauf folgenden Kapitel 3 wird versucht, die der Migrantenberichterstattung zugrunde liegenden Selektions- und Präsentationsstrukturen mit Hilfe der Nachrichtenwert-Theorie und dem Konzept der Nachrichten-Frames zu beschrei-ben (Kapitel 3).

Kapitel 4 geht auf die Besonderheiten der Fernsehnachrichten, genauer auf den rundfunkpolitischen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender ein. Hier werden Annahmen für eine möglicherweise differenzierte Migrantenberichterstattung abgeleitet. Unter dem Stichwort Konvergenzhypothese wird darüber hinaus der Frage nachgegangen, wie sich die Inhalte der Fernsehnachrichten unter zu-nehmenden Konkurrenzdruck der Sender in den letzten Jahren verändert haben und welche Auswirkungen dies auf die Berichterstattung über Ausländer haben könnte.

Kernstück der Arbeit bildet der empirische Teil. Hier werden ausgewählte Nachrichtenbeiträge nach kommunikations- und sprachwissenschaftlichen Kriterien analysiert und auf die genannten Fragestellungen hin untersucht. An dieser Stelle wird u.a. ein Vergleich mit früheren Befunden zu diesem Thema angestrebt. Die Ergebnisse werden in Kapitel 6 detailliert vorgestellt. Abgerundet wird die Arbeit durch eine kritische Diskussion der Ergebnisse.

Im Literaturverzeichnis findet der interessierte Leser eine Vielzahl an Publika-tionen zu vorliegendem Thema. Der Anhang dieser Arbeit enthält das vollständige Codierbuch sowie die Codieranweisung mit den dazugehörigen Listen. Zudem finden sich in hier Tabellen und Abbildungen, auf die in Kapitel 6 Bezug genommen wird. Der beiliegenden CD-ROM sind sowohl ausgewählte Filmbei-träge, die Erläuterungen zum Codierbuch als auch die zur Recherche herangezogene Online-Literatur zu entnehmen.

I Theoretischer Teil

Der folgende theoretische Teil dieser Arbeit besteht aus drei Hauptkapiteln, in denen eine Hinführung zum Thema sowie eine theoretische Herleitung der wich-tigsten Fragestellungen vorgenommen werden sollen.

2 Migranten und Medienberichterstattung

Den Massenmedien kommt in modernen Gesellschaften eine bedeutende Rolle zu. Indem sie nicht unmittelbar erfahrbare Realitäten vermitteln und so Wirklichkeit konstruieren, haben Massenmedien einen „zentralen Einfluss auf unser Bild von der Welt“ (McCombs 2000: 123; vgl. Kübler 1994). Medien gelten als einfluss-reichste Quelle von Informationen insbesondere über Minderheiten (vgl. Bodenhausen et al. 1995: 50) und prägen so auch unser „Ausländerbild“ (Meier-Braun 2001: 132). Gerade jene Menschen, die keinen oder kaum persönlichen Kontakt zu den in Deutschland lebenden Migranten haben, sind besonders auf Informationen durch Dritte oder aber durch die Medien angewiesen. Eine Mög-lichkeit, diese medial vermittelten Informationen über Migranten zu überprüfen, besteht hingegen nicht (vgl. Ruhrmann 1997: 65).

Migranten werden in den Medien auf unterschiedliche Weise thematisiert - in verschiedenen Formaten und Genres, in fiktionalen wie in nonfiktionalen Texten[2]. Einen herausragenden meinungsbildenden Stellenwert nimmt aber vor allem die tagesaktuelle (politische) Berichterstattung in Rundfunk und Presse ein (vgl. u.a. Fahr 2001; Schulz 1976). Im Zuge ihrer Informationsfunktion müssen Medien hier „möglichst sachlich und ausführlich über das öffentliche Geschehen berichten und den Bürgern wirtschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge ver-ständlich machen“ (Wetzel 2001: 33). Dies bezieht eine Berichterstattung über in Deutschland lebende Migranten natürlich mit ein. Jedoch werden hier die Medien und insbesondere die Nachrichtensendungen kritisiert. Sie werden vor allem der unnötigen Betonung und Verstärkung von Stereotypen[3] bezichtigt (vgl. Boden-hausen 1995 et al: 53). Stereotype eignen sich durch ihre Prägnanz und Kürze besonders, komplizierte Sachverhalte in den Medien vereinfacht darzustellen, weshalb sich Journalisten dieser gern bedienen (vgl. Hömberg/Schlemmer 1995; Loew/Pfeifer 2001). Problematisch wird die Verwendung von Stereotypen dann, wenn bestimmte Gruppen oder Personen dadurch zu undifferenziert dargestellt und wichtige Informationen vorenthalten werden (vgl. Hömberg/Schlemmer 1995: 12). Gerade Rezipienten ohne eigenen Kontakt zu Ausländern sind somit besonders anfällig für derartig erzeugte Vorurteile, Verzerrungen und Falschein-schätzungen (vgl. Graves 1999). Deren Einstellung gegenüber Ausländern kann sich durch ein Negativ-Image dieser in den Medien noch weiter verschlechtern (Meier-Braun 2001: 132). So ist also nicht nur von großer Bedeutung was Medien über Migranten berichten, sondern auch wie sie über diese berichten (bzw. was sie nicht berichten). Im Zuge wachsender Ausländerfeindlichkeit und fremdenfeind-licher Übergriffe wurde die Rolle der Massenmedien immer wieder kritisch hinterfragt: Wie berichten die Medien über Ausländer? Welche Bild schaffen sie dabei in den Köpfen der Zuschauer? Werden hier möglicherweise Vorurteile verstärkt, eine Ausgrenzung bzw. Stigmatisierung gefördert, wie es Brosius und Esser (1995) vermuteten? So konnten die Autoren die Zunahme an ausländer-feindlicher Gewalt u.a. auf die entsprechende Medienberichterstattung zurück-führen.

Während noch in den 90er Jahren die Medien häufig über fremdenfeindliche Straftaten berichteten (vgl. Brosius/Esser 1995a; 1995b), hat in den letzten Jahren die Berichterstattung über Terrorismus entscheidend zugenommen (vgl. Hafez 2002b). Gerade der Islam bzw. die muslimische Welt steht so erneut im Blickpunkt des Interesses und der Medien. Und auch hier könnte die Medien-berichterstattung Ursache für veränderte Einstellungen gegenüber Personen diesen Glaubens sein. In einer von Brosig/Brähler (2002) durchgeführten Befragung im Jahr 2002 bspw. wurde eine wachsende Abneigung gegenüber muslimischen Menschen festgestellt. Auf die Frage, welche Personengruppe am wenigsten in der unmittelbaren Nachbarschaft erwünscht wäre, wurden die „Moslems“ mit 19% erwähnt. Im Vergleich zum Vorjahr ist dieser Wert um 7% gestiegen; die Moslems stellen damit die einzige Personengruppe unter den Migranten dar, bei denen eine Verstärkung der Abneigung stattgefunden hat (vgl. Brosig/Brähler 2002: 15). Es stellt sich erneut die Frage, wie Ausländer, speziell wie bestimmte Gruppen, Ethnien oder Religionen in den Medien dargestellt werden, in welchen Kontexten vorwiegend über sie berichtet und welches Bild dabei von ihnen gezeichnet wird. Im Folgenden soll ein Überblick über verschiedene Unter-suchungen zum Thema gegeben werden, um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie Migranten in den deutschen Medien vornehmlich dargestellt werden.

2.1 Migranten im Fokus der Berichterstattung von Presse und TV

Der Grossteil der Studien zur Migrantenberichterstattung untersuchte vorwiegend regionale oder überregionale Tageszeitungen, teilweise auch wöchentlich erschei-nende Politik-Magazine, weniger dagegen fanden Fernsehanalysen statt. Diese setzten erst zu Beginn der 90er Jahre ein. Gründe sind hier sowohl die noch feh­lenden standardisierten Untersuchungsinstrumente als auch der enorme Kosten- und Zeitaufwand der Fernsehanalysen gegenüber den herkömmlichen Zeitungs­analysen (vgl. Ruhrmann 1997: 61). Für eine genauere Betrachtung der Migran-ten­berichterstattung in den deutschen Medien ist eine Beachtung der Zeit-ungsanalysen daher unerlässlich. Im folgenden Abschnitt werden relevante, ausgewählte Arbeiten zum Thema vorgestellt. Vorerst scheint es jedoch sinnvoll, den Ausländerbegriff genauer zu definieren, denn dieser wurde in den verschie-denen Studien sehr unterschiedlich gebraucht.

2.1.1 Zur Problematik des Ausländerbegriffs

Eine erste Frage also lautet: Wer sind diese Migranten bzw. Ausländer, welche Personen und Personengruppen sind hiermit gemeint? Die kommunikations-wissenschaftliche Forschung beschäftigte sich, wenn auch oft unter dem Begriff Ausländer, nicht einheitlich mit immer derselben Personengruppe. So gibt es Arbeiten, die eine weite Bedeutung des Terminus Ausländer gebrauchen sowie Studien mit einem eher eingegrenzten Ausländerbegriff.

Während Brosius/Scheufele bspw. ihren Fokus auf die Personengruppen bestimm-ter Nationalitäten, hier besonders der Kurden und Palästinenser (vgl. Scheufele/ Brosius 2002; 2001) legen, stehen die Asylbewerber bei Hömberg/Schlemmer (1995) im Mittelpunkt des Interesses. Kühne-Scholand (1987) wiederum analy-siert alle Sendungen und Beiträge, die über „Personen und Personengruppen aus den ehemaligen Anwerbeländern[4] in der Bundesrepublik Deutschland, den Hei-matländern oder Drittländern, die Heimatländer selber sowie Asylsuchende und Flüchtlinge“ in irgendeiner Weise berichten (ebd.: 80). In die Untersuchung wer-den also auch jene Beiträge und Sendungen aufgenommen, die Nicht-Deutsche in deren Heimatländern thematisieren, die also Ausländer im weiten Sinne sind.

Merten und Ruhrmann (1986) dagegen untersuchen in ihren ersten Studien zur Presseberichterstattung die Darstellung jener nicht-deutschstämmigen Personen und Personengruppen, die sich in Deutschland befinden, hier leben oder hier leben wollen. Das bezieht auch jene Artikel ein, die über Personen berichten, welche sich im Rahmen eines Besuches nur für wenige Wochen oder Tage in Deutsch-land aufhalten. Hierzu zählen bspw. Sportler, Künstler und andere prominente Personen, die nicht zum Ziel haben in Deutschland zu leben, sondern teilweise sogar auf Einladung nach Deutschland kommen. Dabei unterscheiden die Autoren nach deren Rolle drei Gruppen:

1. die Ausländer, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, wie Gäste, Touristen oder bereits erwähnte Sportler und Künstler,
2. die Gruppe der ausländischen Arbeitnehmer, die in Deutschland leben und arbeiten sowie
3. die Gruppe der Asylbewerber.

Hierbei wird zwischen „erwünschten“ und „unerwünschten“ Ausländern unter-schieden, da eine differenzierte Darstellung dieser in der Presse festzustellen ist (vgl. Ruhrmann/Nieland 2001; Merten/Ruhrmann 1986). So nehmen die Auslän-der der ersten Gruppe einen gänzlich anderen Status ein, als jene Personen, die beabsichtigen nach Deutschland zu kommen um sich hier niederzulassen.

Herleitung einer Arbeitsdefinition

Merten und Ruhrmann zufolge nehmen die Gäste, Künstler und Sportler in der deutschen (Presse-)Berichterstattung eine gesonderte Position ein - indem sie in deutschen Zeitungen vorwiegend positiv oder sehr positiv dargestellt werden (vgl. ebd.). Diese Personen sind deshalb und auf Grund ihres Status[5] selten oder nie fremdenfeindlichen Einstellungen oder gar Stigmatisierungen ausgesetzt. Es scheint an dieser Stelle durchaus sinnvoll, diese Personengruppe aus der Betrachtung herauszulassen, ebenso wie die in ihren Heimatländern lebenden Ausländer. Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind demnach ausschließlich Berichte, in denen folgende Personen oder Personengruppen thematisiert werden:

1. die in Deutschland lebenden Arbeitsmigranten bzw. ehemaligen Gastarbeiter und deren Familien. Obwohl deren Kinder (und mittlerweile Enkel) schon in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist nach wie vor mangelnde, teil-weise sogar sich verschlechternde Integration dieser Ausländer festzustellen. (vgl. Meier-Braun 2000: 1) Hierzu zählen jedoch auch die so genannten Hoch-qualifizierten und „neuen Gastarbeiter“, welche nach wie vor nach Deutschland einreisen um hier zu arbeiten (vgl. Münz/Ulrich 2000: 13ff) oder zu studieren.
2. die Gruppe der Aussiedler und Spätaussiedler aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Trotz ihrer ethnischen Zugehörigkeit haben diese Menschen oft nur wenig oder gar keinen Bezug zum ehemaligen Heimatland, sowie kaum (ausreichende) Deutschkenntnisse (vgl. Heinen 2000).
3. Die Gruppe der Asylbewerber, zumeist Kriegsflüchtlinge, politische Flücht-linge, sowie ethnische Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen um hier Asyl zu beantragen.

Im wissenschaftlichen Diskurs hat sich für diese Personengruppen der Begriff des Migranten etabliert. Unter Ausländer, oder auch Migranten[6] genannt, sollen im Rahmen dieser Arbeit in Anlehnung an die Definition von Sommer (2003) fol-gende Personen bzw. Personengruppen verstanden werden:

Personen aus dem Ausland, die in Deutschland leben oder leben möchten, aus fremden Kulturen stammen oder lange in solchen gelebt haben und potenzielle Opfer von Fremdenfeindlichkeit und negativer Stigmatisierung sind.

Die von Sommer beschrieben Gruppe der Arbeitsmigranten wurde zusätzlich noch um deren Familien und Kinder erweitert, da auch diese, wie erwähnt, mit Aus-grenzung und Diskriminierung konfrontiert werden. Zusammengefasst sind dies letztendlich:

a. die Arbeitsmigranten und deren Folgegenerationen
b. politische und ethnische Flüchtlinge
c. sowie ethnisch zugehörige Migranten.

2.1.2 Ausgewählte Studien

Studien zur Medienberichterstattung über Migranten bzw. Ausländer in Deutsch-land gibt es zahlreich. Oftmals beziehen diese sich auf nur eine der drei genannten Personengruppen: Hier zeichnet sich je nach politischer oder gesellschaftlicher Relevanz eine konjunkturelle Struktur ab: Hatte in den frühen 1960er Jahren die so genannte Gastarbeiterproblematik Konjunktur, waren es später vor allem die Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, die im Mittelpunkt des Interesses standen. In den 1990er Jahren dagegen bestimmten die Berichte über fremdenfeindliche Gewalt gegenüber Asylbewerbern die Nachrichten. Wie bereits erwähnt, nehmen die Studien zur Presseberichterstattung eine dominierende Rolle ein. Diese wurden meist durchgeführt unter der Fragestellung, inwiefern die Medienberichterstattung ausländerfeindliche Einstellungen verstärken könnte und ein entsprechendes Meinungsklima (vgl. Funk/Weiß 1995) zur Folge hat (vgl. Ruhrmann/Nieland 2001; Brosius/Esser 1995a; Loew/Pfeifer 2001). Die wich-tigsten und für die vorliegende Arbeit relevanten Studien werden im Folgenden kurz vorgestellt.

1. Presseberichterstattung:

Erste Untersuchungen zum Thema Gastarbeiter in der Presse stellte Delgado 1972 in der Studie „Die Gastarbeiter in der Presse“ an. Anhand einer inhalts-analytischen Untersuchung von 84 Tageszeitungen aus dem Raum Nordrhein-Westfalen konnte Delgado eine negative Darstellung von Gastarbeitern nach-weisen. Am Ende der Untersuchung kommt der Autor zu dem Schluss, dass eine derartig undifferenzierte und eingeschränkte Berichterstattung die Gefahr in sich bürge, negative Einstellungen gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe eher noch zu verstärken, denn abzubauen (vgl. Ruhrmann/Nieland 2001: 116; Blei 2003: 11).

Merten/Ruhrmann führten im Jahr 1986 im Auftrag der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung eine repräsentative Untersuchung der deutschen Presse durch: Dabei konnten sie feststellen, dass Ausländer in der Presseberichterstattung diffe-renziert werden: in die „erwünschten“ und in die „weniger erwünschten“ Aus-länder (vgl. 2.2.1). Doch auch innerhalb der Gruppe der ehemaligen Gastarbeiter ließen sich Unterschiede ausmachen. Dabei habe die Kulturzugehörigkeit einen Einfluss auf deren Behandlung in den Medien. So werden bspw. Personen tür-kischer Herkunft nachteiliger beschrieben als Spanier, Italiener oder Griechen. Insgesamt werden die Ausländer vornehmlich negativ dargestellt.

Diese Befunde bestätigen konnten Ruhrmann/Kollmer (1987) in ihrer Studie zur „Ausländerberichterstattung in der Kommune“. Die Analyse von Bielefelder Tageszeitungen und Wochenzeitschriften ergab ebenfalls eine kulturspezifische Bewertung von Nationalitäten, sowie eine starke Tendenz zur Berichterstattung über Migranten im Zusammenhang mit Kriminalität. Zudem stellen die Autoren fest, dass Ausländer in den Medien meist als Objekt, dagegen kaum als aktive Handlungsträger in Erscheinung treten bzw. zu Wort kommen (vgl. Ruhrmann/ Kollmer 1987: 143; Blei 2003).

Hömberg/Schlemmer (1995) untersuchten speziell die Asylberichterstattung in sechs deutschen Tageszeitungen. Auch hier kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass besonders konflikthaltige bzw. negative Ereignisse in der Berichterstattung Vorrang haben. Asylpolitik und Asylrecht, die Fragen der Unterbringung sowie Gewalt gegen Asylbewerber stellen die führenden Themen dar. Dagegen wird das friedliche interkulturelle Zusammenleben der Asyl-bewerber mit Deutschen kaum thematisiert. Auch über die Lebensverhältnisse und –hintergründe wird nur selten berichtet (vgl. ebd.) Zudem stellen Hömberg/ Schlemmer fest, dass Asylsuchende vorwiegend stereotyp und negativ dargestellt werden (vgl. ebd.).

Eine genaue Untersuchung auf Text-, Satz- und Wortebene im deutschen Presse-diskurs nahmen Loew/Pfeifer (2001) vor. Sie untersuchten das Bild der in Deutschland lebenden Russen, Polen und Rumänen. Grundlegende Frage war, welche expliziten und oder impliziten Stereotype über diese Nationen in den Presseartikeln[7] verwendet wurden. Dabei ist eine starke Vernetzung des Krimina-litätsdiskurses mit dem Asyldiskurs festzustellen gewesen. Zudem kritisieren die Autoren eine undifferenzierte Behandlung des Begriffs Osteuropa. Dabei scheint Osteuropa als Ort der Anarchie und organisierten Kriminalität schlechthin (vgl. Loew/Pfeifer 2001: 58). Die Autorinnen kommen zu dem Ergebnis, dass der Trend zur Abgrenzung in den Medien gegenüber dem kulturell Anderen eher noch zunehme als geringer werde (vgl. ebd. 2001: 111).

Weitere sprachwissenschaftliche Untersuchungen zum Thema wurden u.a. von Gerhard (1994), Böke (1997), Wagner et al. (1997) und Galliker et al. (1997) durchgeführt. Galliker und Kollegen gingen bspw. der Frage nach, welche Person-engruppe verstärkt mit welchem Verhalten in Verbindung gebracht wird (vgl. Galliker et al. 1997: 216) bzw. ob und wie Ausländer in der Berichterstattung sprachlich diskriminiert werden. Böke (1997) und Gerhard (1994) konnten eine negativ besetzte Sprache ausmachen. Der Gebrauch von Metaphern, die Gefahr oder Bedrohung suggerieren sowie mit negativen Assoziationen behaftete Auslän-derbezeichnungen, wie Asylant[8] sind in der Berichterstattung festzustellen.

2. Fernsehberichterstattung:

Kühne-Scholand (1987) führte eine der ersten Untersuchungen von Fernsehpro-grammen durch. Besonderer Schwerpunkt lag dabei auf der Frage, inwieweit das Fernsehen zur Integration von Ausländern und damit zur Entwicklung einer multi-kulturellen Gesellschaft beitrage. Hierbei stellte sie fest, dass eine Thematisierung der Ausländer vor allem in der tagesaktuellen Berichterstattung stattfindet. Infolgedessen sei die Berichterstattung über Ausländer stark ereignisbezogen und an Konflikten orientiert (vgl. ebd.: 83; Ruhrmann/Nieland 2001). Eine solche Dar-stellung würde, so die Autorin, die Ausländer selber als Verursacher gesellschaft-licher Problemlagen beschreiben (vgl. Kühne-Scholand 1987: 84).

Eine zweite und wichtige Studie zur Wirkung der Migrantenberichterstattung stellt die Untersuchung von Brosius/Esser (1995) dar. Ausgangspunkt ihrer Arbeit war die Frage, ob die Medienberichterstattung durch so genannte Nachahmungs-effekte möglicherweise eine Zunahme an fremdenfeindlicher Gewalt zur Folge habe. Neben der Analyse von Fernsehsendern und Tageszeitungen, zogen die Autoren auch Agenturmeldungen der Deutschen Presse Agentur (dpa) sowie eine Bevölkerungsumfrage zum Thema in die Untersuchung mit ein. Sie konnten fest-stellen, dass den Schlüsselereignissen[9] eine anhaltende Berichterstattung folgte, die ihrerseits weitere fremdenfeindliche Anschläge auslöste. Die zentrale Rolle der Fernsehberichterstattung wird hier besonders deutlich. So befinden Brosius/ Esser, dass eher die „lebhafte, bildhafte und ereignisbezogene Berichterstattung des Fernsehens […] Ansteckungseffekte nach sich gezogen hat als die Berichterstattung der Tageszeitungen“ (Brosius/Esser 1995a: 195).

2.2 Merkmale der tagesaktuellen Migrantenberichterstattung

Auch wenn sich in den genannten Studien oft nur auf ganz bestimmte Teilgruppen bezogen wurde, sind die jeweiligen Ergebnisse doch sehr einheitlich; sie lassen sich zusammenfassen und für die gesamte Gruppe der Migranten verallgemeinern:

Die Berichterstattung über Migranten wird in allen Studien als problematisch erachtet, sowohl in Nachrichtenauswahl, Themensetzung und Präsentation. Die für die vorliegende Arbeit wichtigen Befunde sollen hier dargestellt und gegeben-enfalls diskutiert werden.

2.2.1 Themen und Kontexte

Da vorwiegend in der tagesaktuellen Berichterstattung über Migranten berichtet wird, ergeben sich für die Darstellung dieser Personengruppe scheinbar „formattypische“ Merkmale: wie z.B. Aktualitätsorientierung, Ereignisorien-tierung; Negativität-/Problemorientierung und Vereinfachung. Diese werden im Folgenden erläutert:

- Aktualitätssyndrom, Ereignisorientiertheit und starke Vereinfachung:

Gerade und besonders für die Fernsehnachrichten gilt der Anspruch nach höchst-möglicher Aktualität. (vgl. Scheufele/Brosius 2001) – Medien verkaufen Neuig-keiten; dies gilt vor allem bei den Nachrichtensendungen. Die Thematisierung der Migranten findet dabei immer stark ereignisbetont und problemorientiert statt (vgl. Kühne-Scholand 1987, Ruhrmann 1995; 1997). Brosius und Esser stellen fest, dass sich ein „Nachrichtenjournalismus entwickelt [hat], für den Aktualität wichtiger ist, als sorgfältige Recherche […]“ (Brosius/Esser 1995b: 236). Hinter-grundinformation, die geeignet wären, soziale Zusammenhänge aufzudecken, fehlen meist vollständig (vgl. Hafez 2002a: 10).

- Negativismus

Vor allem das Negative wird durch die Medien in Szene gesetzt. Konflikthaltige oder schadenträchtige bzw. außergewöhnliche Vorfälle steigern Auflagen und Einschaltquoten (vgl. Blei 2003; Loew/Pfeifer 2001). Migranten werden überpro-portional häufig in negativen Kontexten präsentiert (vgl. Ruhrmann 1999; Schatz 2001). Auch Hömberg/Schlemmer (1995: 18 ff.) stellen eine starke Problem-orientierung fest und bemerken eine deutliche Verdrängung normaler bzw. positiver Information durch negative oder konfliktträchtige Themen.

Hier sei allerdings anzumerken, dass die Tendenz zu negativer Berichterstattung auch für andere Themen, ja für Nachrichten insgesamt gilt (vgl. u.a. Zillman/ Knobloch 2000; Patterson 2000) und nicht generell nur der Migrantenbericht-erstattung zugeschrieben werden kann. Nach dem Motto: „only bad news are good news!“ werden vor allem Negativ-Ereignisse bevorzugt in den Medien berichtet.

- Kriminalitätssyndrom:

Bei der Berichterstattung über Ausländer nimmt die Kriminalitätsbericht-erstattung eine dominierende Rolle ein (vgl. Ruhrmann 2002: 81). Vor allem Asylsuchende werden sehr häufig im Kontext von Kriminalität und Illegalität thematisiert (vgl. Scheufele/Brosius 2001).

Die häufige Erwähnung von Migranten in einem kriminellen Kontext kann jedoch dazu führen: „dass sie als Verursacher zunehmender Kriminalität wahr-genommen und schließlich auch bekämpft werden“ (Galliker 1997: 226). Migranten kommen hier stets nur in speziellen Rollenschemata vor: Sie sind entweder als Opfer fremdenfeindlicher Gewalt oder aber als Täter dargestellt. Dabei ist eine so genannte Mehrfachstigmatisierung festzustellen. So wird in diesem Zusammenhang immer auf deren Nationalität und Herkunft sowie äußerliche Merkmale oder aber fehlende Sprachkenntnisse hingewiesen (vgl. Ruhrmann 1999: 105; Scheufele/Brosius 2002: 115).

- Überrepräsentation:

Migranten allgemein bzw. bestimmte Nationalitäten werden laut empirischer Studien in den Medien überrepräsentiert; mit der Folge, dass auch Rezipienten diese überdimensioniert wahrnehmen. Einer Umfrage zufolge, die Neuwöhner und Ruhrmann 1998 durchgeführt haben, überschätzt die Bevölkerung den Aus-länderanteil an der Gesamtbevölkerung deutlich. So werden kulturell fremde Personengruppen (wie z. B. aus Asien und Afrika, insbesondere auch türkische Staatsbürger) im Gegensatz zu weniger fremden[10] (wie bspw. Italiener oder Spanier) überproportional häufig dargestellt. Verstärkt würde dieser Effekt auch hier durch die unnötige Nennung der Nationalitäten[11] (vgl. Hafez 2000a). Doch auch Themen werden überrepräsentiert bzw. es wird zu nachhaltig über bestimmte Fragen und Sachverhalte berichtet, so dass diese als überdimensioniert wichtig bzw. problematisch erscheinen (vgl. Hafez 2002a: 6). So stimmt z.B. die Häufigkeit der berichteten kriminellen Delikte mit den tatsächlichen (gemäß der Kriminalstatistik) nicht überein (vgl. Brosius/Eps 1995).

- Dramatisierung/Sensationalisierung:

Der Trend zur Dramatisierung und Sensationalisierung ist vor allem in der Fern-sehberichterstattung über Migranten zu beobachten: In Kampf um den Zuschauer versuchen die Sender den Aufmerksamkeitswert ihrer Berichte zu steigern, bspw. durch emotionale und Aufsehen erregende Bilder oder durch Übertreibung. Journalisten sind sich der Konkurrenz der Sender bewusst und versuchen daher besonders spektakuläre Ereignisse zu thematisieren (vgl. Ruhrmann 1997: 64).

- Rechtsextremismus:

Im Zuge der Berichterstattung über fremdenfeindliche Übergriffe auf Ausländer finden auch Rechtsextremisten besondere mediale Aufmerksamkeit. Die Tatsache, dass sich die Medien dazu missbrauchen ließen, dem Rechtsextremismus ein breites Forum für deren Ansichten und Meinungen zu liefern, wurde häufig kriti-siert (vgl. Jäger 2000; Ruhrmann 1997; Esser/Scheufele/Brosius 2002).

- Konjunktur:

Wie bereits erwähnt, ist in der Ausländerberichterstattung eine konjunkturelle Struktur festzustellen. Die Medien berichten nicht kontinuierlich und gleichmäßig über alle (ethnischen) Gruppen und Probleme. Je nach gesellschaftlicher oder politischer Brisanz, so scheint es, werden verschiedene Personengruppen und Vorgänge thematisiert (vgl. Neumann/Heynen 1981; Münz/Ulrich 2002).

Fragwürdig ist allerdings, ob dieses Phänomen spezifisch für die Migranten-berichterstattung ist, oder ob dies nicht auch für andere Gruppen und Themen oder sogar generell für die Medienberichterstattung zu attestieren ist.

2.2.2 Sprachliche Präsentation

Migranten werden vor allem in der sprachlichen Darstellung oft negativ präsen-tiert. Wichtige Aspekte sind hier die sprachliche Abwertung mittels negativer Semantik, bzw. der Gebrauch von Feindbildern, sowie die Passivdarstellung der Ausländer. Jung (1997: 9) merkt hier an, dass ausländerfeindliche Gewalttaten auch darauf zurückgeführt werden können, wie sich die Medien über Migranten äußern.

- Gefahrensemantik:

Die sprachlichen Bezeichnungen von Ausländern stammen oder stammten vor-nehmlich aus der Wasser- sowie Militär- und Warenmetaphorik (vgl. Böke 1997: 175 ff.; Meyer 1997: 158 f.): „Flüchtlingswelle auf Europa“, „Zustrom von Asyl-bewerbern“, „Einfallstor ins Wirtschaftswunderland“ oder „menschliches Fracht-gut“ sind dementsprechende Schlagzeilen. Die Berichterstattung über Migranten ist durch eine Sprache oder Wortwahl aus der Gefahrensemantik geprägt. So symbolisiert auch die, für die „organisierte Kriminalität“ verwendete Metapher der „Krake“ anschaulich die von ihr ausgehende Gefahr aus „Osteuropa“ (Loew/Pfeifer 2001: 61). Die gebrauchten Metaphern erwecken negative Asso-ziationen (Meyer 1997) und symbolische Aussagen wie: z.B. „Asylantenflut“, „Schwemme“, „Invasion“ grenzen Migranten sprachlich aus und lassen sie als anonyme bedrohliche Masse erscheinen (vgl. Gerhard 1994: 54; Wetzel 2001).

- Passivdarstellung:

Ausländer werden in der Berichterstattung kaum als aktiv Handelnde dargestellt. Vielmehr sind sie die Objekte der Berichterstattung. Sie finden in den Medien kaum Gehör, kommen nicht selbst zu Wort und werden gerade zu Lösungen für Asylprobleme nicht befragt (vgl. Hömberg/Schlemmer 1995: 17ff.; Hafez 2002a). So könnte neben den unverzichtbaren Expertenmeinungen auch die Meinung der direkt Betroffenen Platz finden, indem z.B. auch Migranten zum Zuwan­de-rungsgesetz eine Stimme gegeben wird (vgl. Blei 2003: 23).

Zu fragen wäre an dieser Stelle jedoch, ob nicht eine implizite Berichterstattung über Migranten stattfindet, indem Migranten z.B. als normale Bürger oder als Augenzeugen zu anderen Themen und Ereignissen zu Wort kommen - ohne dass dabei deren Herkunft oder Status als Migrant besonders thematisiert wird. Dies müsste dann als Darstellung von Migranten als aktiv Handelnde und/oder normale Bürger betrachtet und wiederum als eine positive oder zumindest neutrale Bericht-erstattung über diese verstanden werden. Anzumerken ist hier, dass sich Presse und Fernsehen hier unterscheiden, indem das Fernsehen eventuell eher die Möglichkeit bietet, Migranten zu Wort kommen zu lassen. Eine implizite Berichterstattung über Migranten in den Fernsehnachrichten ist somit nicht auszuschließen und sollte daher in die Untersuchung mit aufgenommen werden.

2.3 Zwischenbilanz

Wenn über Migranten berichtet wird, dann vor allem in der tagesaktuellen Berichterstattung. Auffälligste Merkmale sind hier vor allem Negativität, Aktua-lität, Ereignis- und Problemorientierung sowie eine vereinfachte Darstellung der Ereignisse. In den Fernsehnachrichten dürfte dies besonders zutreffen, da die Zeit-knappheit des Formates eine Eingeschränktheit der Darstellung und die Begren-zung der Komplexität und Tiefe der Informationen noch zusätzlich fördert (vgl. Pfetsch 1996).

Durch eine speziell gebrauchte Semantik und eine stetige Verbindung mit Krimi-nalität erscheinen Ausländer negativ oder gar als Bedrohung. Es liegt die Vermu-tung nahe, dass sich diese Befunde trotz der Forderungen und Verbesserungs-vorschläge seitens der Wissenschaft nach wie vor finden lassen. Der stetig wachsende Konkurrenzdruck der Medien fördert vielmehr eine am Sensational-ismus und Negativismus ausgerichtete Berichterstattung (vgl. Ruhrmann 1997), was einer ausgewogenen und neutralen bzw. positiven Berichterstattung im Grunde widerspricht.

3 Ansätze der Nachrichtenforschung

Ziel der meisten Ansätze zur Nachrichtenforschung ist es, die „Muster selektiven Handelns von Journalisten sowie Formen und Inhalte der Nachrichtengebung zu beschreiben und zu erklären“ (Ruhrmann/Woelke 2003: 16). Die Nachrich-tenwert-Theorie stellt dabei einen wichtigen Ansatz dar. Sie beschreibt jene Kriterien, die ein Ereignis haben muss, um zu einer Nachricht[12] zu werden. Ergän-zend wurde versucht, mit dem Konzept des Nachrichten-Framings die Selektions-problematik auch hinsichtlich der Strukturen in Formulierung und Präsentation der Nachrichten zu beschreiben (vgl. ebd.).

Im folgenden Abschnitt werden diese Konzepte kurz vorgestellt und erläutert, um sie anschließend hinsichtlich der Migrantenberichterstattung zu betrachten. Es soll der Frage nachgegangen werden, wie und warum bestimmte Themen und Ereig-nisse im Zusammenhang mit Migranten als Nachrichten publiziert und behandelt werden, andere dagegen so gut wie nie. Das Konzept der Nachrichten-Frames soll versuchsweise erklären, wie bestimmte Themen und Sachverhalte in den Fernseh-nachrichten präsentiert werden, d.h. welche Aspekte eines Ereignisses besonders hervorgehoben und welche dagegen nicht erwähnt werden. Dahinter steckt die Annahme, dass jene Strukturen und Merkmale wiederum die Beachtung seitens der Rezipienten sowie deren Bild über Migranten beeinflussen könn(t)en.

3.1 Nachrichtenwerttheorie und Migrantenberichterstattung

Ausgangspunkt dieser Theorie ist die Annahme, dass der Journalist aus einer Fülle von Ereignissen jene selektieren muss, die ihm am bedeutendsten und wichtigsten erscheinen. Bei der Erstellung von Nachrichten spielen sowohl Rezeptionssitua-tionen als auch Selektionsentscheidungen eine Rolle, die, so die Annahme, von bestimmten Kriterien oder Ereignismerkmalen geleitet werden.

3.1.1 Nachrichtenwerttheorie – ein kurzer Überblick

Erste Ideen oder Formulierungen hinsichtlich einer Nachrichtenselektion nach konventionellen Mustern anstatt objektiver Regeln stammen von Walter Lipp-mann (1922), der in seiner Arbeit „Public Opinion“ die Frage aufwirft, welche Kriterien Ereignisse erfüllen sollten, um zu einer Nachricht zu werden (vgl. Staab 1990: 41). Die Publikationswürdigkeit eines Ereignisses bezeichnet Lippmann als „news value“, „Nachrichtenwert“, der sich aus der Kombination bestimmter Einzelaspekte[13] ergibt. Diese werden - allerdings erst 40 Jahre später – durch Östgaard[14] (1965) und differenzierter durch Galtung und Ruge (1965) als so ge-nannte Nachrichtenfaktoren beschrieben. Deren Liste zu Nachrichtenwerten um-fasst insgesamt zwölf Kriterien. Zu nennen sind an dieser Stelle bspw. Nach-richtenfaktoren wie Bedeutsamkeit, Überraschung oder Negativität. Dabei ist ein Ereignis z.B. überraschend, wenn es den Erwartungen vollkommen widerspricht bzw. nicht vorhersehbar ist; als negativ gilt ein Ereignis nach Galtung/Ruge, je mehr es auf Konflikt, Kontroverse, Aggression, Zerstörung oder gar Tod bezogen ist (vgl. Schulz 1999: 331; Galtung/Ruge 1965: 69).

Zur Funktionsweise der Nachrichtenfaktoren formulierten Galtung/Ruge die fol-genden drei Hypothesen:

1. Additivitätshypothese: Diese besagt, dass ein Ereignis um so eher zu einer Nachricht wird, je mehr Nachrichtenfaktoren es aufweisen kann.
2. Komplementaritätshypothese: Ein nicht gut ausgeprägter oder gar nicht vor-handener Nachrichtenfaktor kann durch einen besonders stark ausgeprägten oder anderen wichtigen ausgeglichen werden, so dass das Ereignis doch noch als Nachricht ausgewählt wird.
3. Exklusionshypothese: Ereignisse, die keine oder zu wenig Nachrichtenfaktoren aufweisen, werden nicht berichtet.

Nachrichtenfaktoren haben einen Einfluss darauf, ob ein Ereignis publikations-würdig, sprich „nachrichtenwert“ ist bzw. wie bedeutend und wichtig es erscheint[15]. Darüber hinaus bestimmen sie auch wie über dieses Ereignis berichtet wird. Dahinter steht die Annahme, dass genau die Merkmale, die zur Auswahl beigetragen haben, in der Meldung auch besonders hervorgehoben werden. Die Darstellung eines Ereignisses sei somit an den Nachrichtenfaktoren entlang verzerrt (vgl. Eilders/Wirth 1999: 36; Galtung/Ruge 1965: 71). Auch Staab (1990: 96) merkt an, dass die Selektionsentscheidungen der Journalisten eher als ziel-gerichtetes Handeln zu verstehen sind:

„Journalisten wählen (…) Ereignisse oder Meldungen nicht nur deshalb aus, weil sie bestimmte Eigenschaften (Nachrichtenfaktoren) besitzen, sie sprechen auch Ereignissen oder Meldungen, die sie aufgrund ihres instrumentellen Charakters auswählen, diese Eigenschaften erst zu oder heben diese besonders hervor…“ (ebd.: 98).

Die Theorie der Nachrichtenwerte gilt mittlerweile als empirisch bestätigt[16] ; Nachrichtenfaktoren steuern demnach als wahrgenommene Ereignismerkmale die Auswahlentscheidung in den Medien und bestimmen so die Nachrichten (vgl. Eilders/Wirth 1999: 35). Sowohl die Nachrichtenfaktoren als auch der Nach-richtenwert lassen sich empirisch, inhaltsanalytisch erfassen, bzw. nachweisen. Indem Nachrichtenfaktoren beeinflussen, wie wichtig ein jeweiliges Ereignis erscheint, beeinflussen sie auch die Art und Weise seiner Präsentation.

„‚Wichtigen’ Nachrichten wird von den Medien mehr Platz eingeräumt, als ‚unwichtigen’ […]“ (Schulz 1976: 30). Der Nachrichtenwert eines Ereignisses manifestiert sich somit in Platzierung, Darstellung und Umfang der jeweiligen Meldung (vgl. Schulz 1976: 30 f.; Eilders 1997; Maier 2003).

Die Nachrichtenfaktoren wurden in verschiedenen Studien von den Autoren je nach ihrer Operationalisierbarkeit und Bedeutung über die Zeit hinweg zu modi-fizieren, zu präzisieren versucht. Dabei wurden diese teilweise erweitert, verän-dert, einige zusammengefasst, manche ganz vernachlässigt und neue hinzu-gefügt.[17] Einzelne Faktoren erwiesen sich als übergeordnete Merkmale und wurden in Einzelfaktoren ausdifferenziert. Negativität z.B. ergibt sich nach Schulz (1976) aus den Faktoren Schaden[18], Konflikt, Kriminalität und Erfolg. Der Faktor Sensationalismus wiederum kann mit Hilfe der Einzelfaktoren Visualität und bildlicher Darstellung von Emotionen operationalisiert werden (vgl. Maier 2003: 81). Zudem konnte eine relative, d.h. themenspezifische und qualitativ unter-schiedliche Bedeutung der Nachrichtenfaktoren festgestellt werden. So sind bspw. für die internationale Berichterstattung andere Faktoren einflussreich als für die nationale (vgl. Maier 2003: 39 ff). Die von Ruhrmann et al. (2003) durchgeführte Studie zur Bedeutung der Nachrichtenfaktoren in den Fernsehnachrichten stellt die derzeit aktuellste zu diesem Thema dar. Hier konnten 22 Einzelfaktoren beschrieben, eindeutig identifiziert und nachgewiesen werden. Als insgesamt zunehmend wichtig haben sich hier die folgenden Nachrichtenfaktoren erwiesen: Prominenz, Einfluss sowie Faktizität scheinen bei allen Sendern besonders relevant zu sein. Eine deutliche Zunahme des Einflusses konnte bei den Faktoren Kontroverse und Aggression festgestellt werden. Auch die Bedeutung von Visualität und bildliche Darstellung von Emotionen hat entschieden zuge-nommen (vgl. Maier 2003; Brosius 2001). Außerdem ließen sich so genannte übergeordnete Dimensionen in der Fernsehberichterstattung ausmachen, welche themenunabhängig und langfristig „als latente Kriterien der journalistischen Nachrichtenauswahl zu begreifen sind“ (Maier 2003: 97). Dies sind die Faktoren Konflikt, Negativität, Nähe, Nutzen und Prominenz.

Nachrichtenfaktoren und deren Einfluss auf die Rezeption

Eilders/Wirth (1999) bemerken jedoch, dass der Vermittlungsprozess mit dem Medientext bzw. dem Medienbild durchaus nicht abgeschlossen ist, sondern darüber hinaus mit der Rezipientenwahrnehmung weitergeht. Nachrichtenfaktoren wirken somit auch auf Seiten der Rezeption. Deren Einfluss auf die Behaltens-leistung und Beachtung durch den Rezipienten stellt durchaus ein erklärungs-reiches und wichtiges Konzept dar. So sind Nachrichtenfaktoren als allgemeine menschliche Wahrnehmungs- und Selektionskriterien begreifbar, „die die Nach-richtenauswahl von Journalisten und Rezipienten gleichermaßen steuern“ (ebd.: 35). Bei der Rezeption haben sie Einfluss sowohl auf das Auswahlverhalten (selektive Nutzung) als auch auf die selektive Erinnerung der Meldungen. In Bezug auf die selektive Nutzung spielen Platzierung und Aufmachung eine ent-scheidende Rolle[19]. Auf die selektive Beitragserinnerung haben die Nachrichten-faktoren Reichweite, Überraschung, Personenstatus und Kontroverse einen großen Einfluss (vgl. ebd: 39). Die Nachrichtenfaktoren Negativität in Verbin-dung mit Kontinuität[20] und Personalisierung sind wichtigste Rezeptionskriterien, da Ereignisse mit diesen Nachrichtenfaktoren vom Publikum systematisch als wichtig eingeschätzt werden.

Nachrichtenfaktoren können jedoch auch beitragsintern wirken, indem sie „das aus der Rezeption […] resultierende Vorstellungsbild in bestimmter Weise akzentuieren“ (ebd.). Diese beitragsinternen Selektionsvorgänge schlagen sich in der Akzentuierung der Nachrichtenwiedergaben nieder. Nachrichtenfaktoren haben demnach einen deutlichen Einfluss auf die Informationsverarbeitung der Rezipienten. Vor allem Nachrichten mit den Faktoren Kontroverse, Über-raschung, Einfluss, Personalisierung und Schaden wurden überdurchschnittlich häufig erinnert, die ohne jene Nachrichtenfaktoren waren dagegen weniger häufig in der Erinnerung vertreten (vgl. ebd.).

3.1.2 Nachrichtenfaktoren in der Migrantenberichterstattung

An dieser Stelle ließe sich nun die Frage aufwerfen, welche Nachrichtenfaktoren speziell für die Migrantenberichterstattung bedeutend sind. Staab (1990) untersuchte die Bedeutung von Nachrichtenfaktoren für bestimmte Themen. In den Untersuchungszeitraum fiel auch die Berichterstattung zum Thema „Ausländer in der BRD“. Hier konnte er vor allem einen Einfluss des Nachrichtenfaktors Personalisierung feststellen. Andere Autoren weisen in ihren Befunden zur Migrantenberichterstattung ausdrücklich auf das Vorkommen der Faktoren Negativität (vgl. Ruhrmann 2001) sowie Sensationalismus[21] (vgl. Hömberg/Schlemmer 1995) hin. Die Ausdifferenzierung des Faktors Negativität, wie Schulz (1976) sie vornimmt, zeigt dabei deutliche Zusammenhänge mit den Befunden der Migrantenberichterstattung. Sowohl auf die Kriminalitäts- als auch auf die Konfliktorientierung wurde bereits hingewiesen. Die Orientierung auf Negativität insgesamt ist also entscheidend auf die hier einflussreichen Nach-richtenfaktoren zurückzuführen. Doch auch Sensationalismus als immer wieder beobachtetes Merkmal der Berichterstattung über Migranten speziell im Fern-sehen ist möglicherweise auch mit einem zunehmenden Einfluss der Faktoren , bildliche Darstellung von Emotionen sowie Visualität insgesamt zu begründen. Doch können eventuell auch weitere Merkmale der Migrantenberichterstattung mit betreffenden Nachrichtenfaktoren in Verbindung gebracht werden. Die Überrepräsentation bestimmter Themen, wie Hafez (2002a) sie kritisierte, könnte durch den hier einflussreichen Faktor Etablierung erklärt werden, bzw. die starke Ereignisorientierung mit dem hier wichtigen Faktor Faktizität.

Es wird deutlich, dass einige der Nachrichtenfaktoren, die sich für die gesamte Berichterstattung sowie für die Rezeption als bedeutend und relevant erwiesen haben, gerade auch auf die Berichterstattung über Migranten einen großen Einfluss nehmen. Die Nachrichtenauswahl nach Nachrichtenfaktoren fördert bzw. erzeugt eine Berichterstattung über Migranten mit den bereits genannten (und kritisierten) Merkmalen. Wenn nun, wie Eilders feststellt, die Nachrichtenfaktoren das Vorstellungsbild bei den Rezipienten in bestimmter Weise akzentuieren, würden diese durch die Nachrichtenfaktoren Negativität und Konflikt ihr Vor-stellungsbild von Migranten besonders negativ verzerren. Diese Nachrichten-faktoren wirken sich also in doppelter Weise negativ auf das Ausländerbild in den Medien aus. So werden also gerade negative Ereignisse bevorzugt zu Nachrichten über Migranten ausgewählt; deren negative Merkmale werden in der Meldung zusätzlich akzentuiert und sorgen so dafür, dass sie beim Rezipienten besonders - negativ - erinnert werden.

Zwischenbilanz

In der Berichterstattung über Migranten sind vermutlich folgende Nachrichten-faktoren einflussreich: Schaden, Aggression, Kriminalität und Kontroverse sowie Personalisierung, Faktizität und Überraschung. Ereignisse mit Bezug zu Migranten/Migration, die diesen Nachrichtenfaktoren entsprechen, werden bevor-zugt als Nachricht ausgewählt. Zusätzlich werden eben jene Kriterien in der Meldung besonders hervorgehoben. Da Visualität eine zunehmende Bedeutung erlangt, wird dieses Kriterium auch für die Migrantenberichterstattung Relevanz besitzen. Die genannten Faktoren müssten sich schließlich im Rahmen dieser Arbeit inhaltsanalytisch nachweisen lassen.

Eine solche an Nachrichtenfaktoren orientierte Selektion und Präsentation beeinflusst auch die Wahrnehmung sowie die Erinnerungsleistung der Rezipienten und prägt somit in bestimmter Weise ein, an den Nachrichtenfaktoren entlang verzerrtes Bild über Migranten. Die Rezeption der Nachrichtenfaktoren soll in dieser Arbeit zwar nicht überprüft werden, jedoch können Vermutungen über die Wirkung der inhaltsanalytisch gefundenen Nachrichtenfaktoren angestellt werden. Die Nachrichtenwert-Theorie liefert also zum einen eine Erklärung, wie und warum bestimmte Themen mit Migrantenbezug als Nachricht erscheinen, andere dagegen nicht. Zudem können so detaillierte und vergleichbare Befunde angestellt werden. Je nach Ausprägung inhaltsanalytisch gefundener Einzelfaktoren lassen sich z.B. präzise Aussagen über die Stärke von übergeordneten Merkmalen wie Negativität und Sensationalismus treffen. Darüber hinaus können sie auch ansatzweise erklären, warum eine Berichterstattung über Migranten, wie sie stattfindet, nicht dazu beitragen kann, Vorurteile über Migranten abzubauen, diese im Gegenteil sogar verstärken kann. Die Nachrichtenwert-Theorie liefert somit einen Ansatz, inhaltsanalytisch genaue Merkmale auszumachen, die helfen sollen, die Berichterstattung über Migranten zu verstehen, sie detailliert und genau zu beschreiben und konstruktiv zu kritisieren.

3.2 Konzept der Nachrichten-Frames

Ein weiterer Ansatz sowohl die Auswahl von Ereignissen als auch die Struktur der publizierten Nachrichten zu beschreiben, versucht das Konzept der Nachrichten-Frames. Im Gegensatz zu den Nachrichtenfaktoren sind Frames theoretische Konstrukte, die mehrere Aspekte und Informationen eines Ereignisses bzw. einer Nachricht beschreiben.

3.2.1 Journalistische Nachrichten-Frames

Frames gelten als so genannte Interpretationsrahmen von Journalisten zur Selektion und Aufbereitung von Ereignissen als Nachrichten (vgl. Brosius/Eps 1995: 169).[22] Diese Interpretationsrahmen entscheiden vorwiegend darüber, wie Ereignisse aufgenommen, selektiert und schließlich auch kommuniziert werden (vgl. Scheufele 1999). Brosius/Eps weisen ausdrücklich darauf hin, dass es sich dabei sowohl um kognitive Strukturen im Bewusstsein des Journalisten als auch um ereignisimmanente Merkmale handelt. Dies meint z.B. Aspekte wie den Ort, den Zeitpunkt des Geschehens oder die handelnden Personen. Somit beeinflussen die „…existierende(n) Interpretationsrahmen der Journalisten […], welche Ereignisse berichtet werden, und die Attribute von Ereignissen bestimmen, welche Interpretationsschemata Journalisten anwenden“ (Brosius/Eps 1995: 170). Frames können sozusagen als Routineregeln für Journalisten verstanden werden, mittels derer verschiedene Informationen oder Ereignisse in bestimmte zeitliche, sachliche und soziale Kontexte gesetzt werden (vgl. Dunwoody 1992). Indem ein Ereignis als Nachricht berichtet wird, wird es in einen bestimmten Interpretationsrahmen gestellt. Somit meint Framing:

“… to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text. In such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation and or other treatment recommendation.” (Entman 1993: 52).

Dabei werden bestimmte Aspekte der wahrgenommen Realität besonders betont, andere dagegen werden nicht beachtet. Scheufele (2004: 35) weist an dieser Stelle ergänzend darauf hin, dass nicht nur Attribute, also Merkmale bestimmter Objekte beschrieben, sondern zusätzlich auch „normative oder Wertbezüge“ der Journa-listen mitgeliefert werden.

In dieser Arbeit sollen nunmehr die Strukturen der Nachrichtentexte beschrieben werden, der Annahme Scheufeles (2001: 145) folgend, dass die Auswahl- und Interpretationsprozesse der Journalisten sich als messbare Medien-Frames in der Berichterstattung niederschlagen. Nur diese Text- bzw. Medien-Frames können sich tatsächlich inhaltsanalytisch nachweisen lassen. Die vorliegende Arbeit wendet sich somit dem Konzept der Nachrichten-Frames vornehmlich aus der Kommunikatorperspektive zu. Nachrichten-Frames (Medien-Frames) können dabei nach inhaltlichen bzw. thematischen Kriterien als inhaltliche Frames oder aber nach deren Aufbau bzw. Komplexität als formale Frames beschrieben werden.

Formale Nachrichten-Frames: episodische versus thematische Frames

Je nach Abstraktheit oder Komplexität können Ereignisse entweder innerhalb eines a) thematischen oder eines b) episodischen Frames präsentiert sein (vgl. Iyengar 1991). Episodische Nachrichten-Frames sind eher kurzfristig angelegt. Sie präsentieren bestimmte Sachverhalte und Probleme als Einzelereignisse (specific event context). Die den typischen Einzelereignissen immanenten Attribute, wie handelnde Personen, der Ort und Zeitpunkt des Geschehens -teilweise auch Ursachen und Wirkung - werden isoliert dargestellt.

Dahingegen sind thematische Nachrichten-Frames eher langfristig angelegt und stellen bestimmte Sachverhalte oder Ereignisse in einen komplexeren abstrakten Zusammenhang (general issue context). Ein Gesetzesentwurf z.B. zur Zuwan-derung entspricht somit eher gesellschaftlich relevantem Zeitgeschehen, das einen langfristigen und abstrakten Charakter innehat.

Es liegt die Vermutung nahe, die Verwendung der Frames ergibt sich dabei aus der Art der Ereignisse selbst: d.h. ein Einzelereignis wird notwendigerweise episodisch, ein komplexes, abstraktes politisches Problem dagegen innerhalb eines thematischen Frames dargestellt. Jedoch können auch scheinbare Einzel-ereignisse durch entsprechende Hintergrundinformation in einen abstrakten und komplexeren Kontext gestellt werden, wenn bspw. bestimmte Bedingungen von Situationen oder Problemen beschrieben oder mögliche Folgen und Entwick-lungen genannt werden. Auch die Darstellung verschiedener Meinungen und Einstellungen - als ein Austausch von Argumenten - zu einem Ereignis bzw. Thema ist hier möglich.

[...]


[1] Migrant und Ausländer sollen im Folgenden synonym verwendet werden. Eine Arbeitsdefinition erfolgt in Kapitel 2.1.

[2] Der Begriff Text bezieht sich hier auf alle medial vermittelten Kommunikationsinhalte, was neben literarischen Texten z.B. auch Filme, Zeitungsartikel, Radioprogramme oder Internetseiten einbezieht.

[3] Unter Stereotypen sind hier stark vereinfachte Verallgemeinerungen bzw. schablonenartige Beur-teilungen in Bezug auf Personen, Gruppen oder Völker gemeint. Durch stereotype Urteile werden neue Erfahrungen oft nicht zu gelassen (vgl. Hömberg/ Schlemmer 1995; Maurer et al. 1996).

[4] Gemeint sind die Arbeitsmigranten aus dem Mittelmeerraum, also die Einwanderer aus den
so genannten Anwerbestaaten Griechenland, Italien, Jugoslawien, Marokko, Portugal, Spanien, Tunesien sowie der Türkei (vgl. Münz/Ulrich 2000: 12).

[5] Zu bemerken sei hier, dass Gäste zumeist einer Einladung folgen und ohne besondere Absicht, größtenteils ohne Forderung nach Deutschland kommen. Hingegen brauchen die Ausländer der anderen Gruppen sehr wohl finanzielle, politische und/oder soziale Unterstützung und fordern teilweise natürlich auch Rechte, wie das Recht auf Arbeit oder die Staatsbürgerschaft ein.

[6] Der Terminus Migrant ist dabei von Migration abgeleitet, was Bewegung oder Wanderung bedeutet (vgl. Brockhaus 2004).

[7] Untersuchungsmaterial waren Artikel aus Nachrichtenmagazinen, Wochenzeitungen sowie Illustrierten der Jahre 1987-1998.

[8] In einer von Hildebrand (1985) durchgeführten Befragung wurden die Assoziationen
zu den eigentlich synonymen Termini „Asylant“ und „politischer Flüchtling“ erfasst. Die Ergebnisse zeigen eine deutlich negative Bewertung der Asylanten im Gegensatz zu einer positiven Einschätzung der politischen Flüchtlinge (vgl. ebd.: 52f).

[9] Damit sind außergewöhnliche Straftaten (Primärereignisse) gemeint, wie z.B. der erste große Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim (vgl. Brosius/Esser 1995).

[10] Kulturen oder Länder, die z.B. durch die gleiche Religion, geographische Nähe, oder eine ähnliche Sprache der eigenen näher sind, werden als weniger fremd wahrgenommen.

[11] Während in der Berichterstattung über die „Russenmafia“ die Nennung der Nation erforderlich ist, muss diese in einer Meldung über einen Ladendieb bspw. nicht notwendig genannt werden (vgl. Hafez 2000a).

[12] Unter einer Nachricht wird hier eine Neuigkeit verstanden, bzw. „ […] eine Mitteilung, über ein aktuelles Ereignis, für das ein öffentliches Interesse besteht […]“ (Schulz 1999: 307).

[13] Lippmann versteht hierunter Stereotype oder Schematas, die ein Ereignis beinhaltet oder
beschreibt (vgl. Staab 1990: 41).

[14] Anstatt verschiedener Einzelkriterien formuliert Östgaard die drei Faktorenkomplexe Verein-fachung, Identifikation und Sensationalismus. Diese lassen sich jedoch in Einzelfaktoren ausdif-ferenzieren, die den durch Galtung und Ruge beschriebenen Kriterien ähnlich sind. Ausführ-licher siehe dazu u.a. Maier (2003) und Schulz (1976).

[15] Hier sei angemerkt, dass diese Ereignismerkmale auch als kognitionspsychologische Selektions-kriterien zu verstehen sind. Erst im Zusammenhang mit den journalistischen Kriterien, werden die Nachrichtenfaktoren tatsächlich wirksam (vgl. Maier 2003: 31).

[16] Staab (1990) merkt hierzu jedoch an, dass die Funktion für die journalistische Selektion tat-sächlich nicht wissenschaftlich zu überprüfen sei, da ausreichende Daten zur Wirklichkeit bzw. zur „extramedialen Ereignis-Realität“ nicht vorliegen (können) (vgl. ebd.).

[17] Einen ausführlichen Überblick hierzu gibt Maier (2003).

[18] In der ausführlichen Form heißt dieser Faktor Schaden/Misserfolg, sein Pendant Nutzen/Erfolg.

[19] Siehe dazu ausführlicher Donsbach (1991) und Eilders (1997).

[20] Eilders nutzt hier den Begriff Kontinuität; dieser Nachrichtenfaktor wird in anderen Arbeiten auch als Etablierung von Themen beschrieben und meint die Dauer bzw. Zeit in der über
ein Thema oder Ereignis berichtet wird.

[21] Hömberg/Schlemmer verwenden hier allerdings den, von Östgaard (1965) beschriebenen Faktor Sensationalismus, der sich aus den Einzelfaktoren Konflikt, Schaden und bildliche Darstellung von Emotionen zusammensetzt und damit teilweise auch Merkmale von Negativität beschreibt.

[22] Es sei hier angemerkt, dass Frames auch an anderen Stellen des Kommunikationsprozesses lokalisiert sind, d.h. sowohl bei politischen Akteuren, die Ereignisse und Meinungen präsentieren als auch bei Rezipienten, bei denen wiederum die Medien-Frames als unabhängige Variablen wirken. Darauf soll im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Ausführlicher siehe dazu vor allem Scheufele (2004) sowie Kohring/Matthes (2004).

Ende der Leseprobe aus 143 Seiten

Details

Titel
Zur Migrantenberichterstattung in deutschen Fernsehnachrichten
Untertitel
Eine vergleichende Inhaltsanalyse öffentlich-rechtlicher versus privat-kommerzieller Fernsehsender
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Bereich Medienwissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
143
Katalognummer
V44691
ISBN (eBook)
9783638422390
ISBN (Buch)
9783656690573
Dateigröße
1674 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Migrantenberichterstattung, Fernsehnachrichten, Eine, Inhaltsanalyse, Fernsehsender
Arbeit zitieren
Heike Uhlemann (Autor:in), 2004, Zur Migrantenberichterstattung in deutschen Fernsehnachrichten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44691

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