Kleists Amphitryon und die Liebe als reflektierte Einheit mit sich selbst im anderen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I Einleitung

II. Von Doppelgängern und Konfliktstiftern

III. Sosias und die Problematik des Leibes als Manifestation des Selbst

IV. Alkmene – Bewusstlose Grazie
IV.1. Die fünf Prüfungen des Jupiters

V. Amphitryon

VI. Die Gattungsfrage

VII. Schlussbetrachtung

I. Einleitung

„Hierauf kam Alkmene, Amphitryons Ehegenossin,

Welche den Allbesieger, den löwenbeherzten Herakles

Hatte geboren, aus Zeus`, des großen Kroniden, Umarmung.“[1]

Heinrich von Kleist stellt sich mit seinem Anfang Mai 1807 zuerst

Veröffentlichtem Drama „Amphitryon“[2] in den Überlieferungszusam-

menhang mit einem Mythos, der sich bis zu den oben zitierten drei Versen des 11. Gesanges von Homers „Odysse“ zurückverfolgen lässt und eine sehr reiche Rezeptionsgeschichte vorzuweisen hat. So konnte sich Kleist bei seiner Bearbeitung des mythischen Stoffes auf zahlreiche literarische Quellen stützen, von denen der „Amphitryon“ des französischen Klassizisten Molière sicher die bekannteste und damit wohl auch bedeutendste sein dürfte. Der Untertitel des Kleistschen Dramas: „Ein Lustspiel nach Molière“, bedeutet demnach wenigstens dreierlei: den Rückbezug auf die Vorlage, den produktiven Umgang mit und die zeitliche, d.h. intellektuelle Distanz zu ihr.[3]

Dieser zeitlich-intellektuellen Distanz zum prominenten Vorbild wurde besonders in den 70er und 80er Jahren Rechnung getragen und somit der Blick für moderne Ansätze in Kleists „Amphitryon“ geschärft. Die Forschung konzentrierte sich zunehmend auf die Frage nach Identität und Rolle, denn – so eine These von Hans Robert Jauß – „die Modernität des Kleistschen Dramas erhellt sich vor allen Dingen im Hinblick auf die epochale geistesgeschichtliche Entwicklung, die den deutschen Idealismus von der französischen Klassik trennt.“[4]

„Der entscheidende, alle Problematik verändernde Schritt über Molière

hinaus aber liegt darin, dass sich für Alkmene wie für Amphitryon (...)

die Frage nach der Identität nicht mehr an der Instanz des Selbstbe -

wußtseins, sondern an der Instanz des Du, d.h. an jener Gewissheit

seiner Selbst entscheiden muss, die das Subjekt allein in der Beziehung

zu einem anderen Subjekt finden kann.“[5]

Damit wird gleichzeitig ein Liebeskonzept definiert, welches das Gefühl für einen anderen von der Vorstellung des eigenen Selbst abhängig macht. Darin ist der Hegelsche Grundgedanke enthalten:

„Das Selbstbewusstsein ist an und für sich, indem und dadurch, daß

es für ein Anderes an und für sich ist: d.h. es ist nur als ein

Anerkanntes.“[6]

Die folgenden Seiten sollen diesen Aspekt in Heinrich von Kleists „Amphitryon“ darauf hingehend betrachten, inwieweit das vorgestellte Liebesmodell auf die Hauptprotagonisten zutrifft und inwiefern es ihre Handlungen, Gefühle und Entscheidungen mitträgt. Gleichzeitig soll geprüft werden, ob dieser Liebesentwurf einen Einfluss auf den Lustspielcharakter von Kleists Drama hat und – falls ja – wie weit er reicht. Hierzu werden neben berühmten Interpretationen wie die von Hans Robert Jauß oder Peter Szondi auch neuere Vorschläge von Bernhard Greiner und Doris Claudia Borelbach Einfluss nehmen und an gegebener Stelle zur Diskussion gestellt.

II. Von Doppelgängern und Konfliktstiftern

Wie die Geburt Christi lässt auch die Geburt des Herakles die Frage nach dem Zeugungsgeschehen oder gar den Erzeugern selbst nicht zu. Dennoch ist im Amphitryon-Mythos die Liebesvereinigung von Mensch und Gott der zentrale Kern, dessen Betrachtung von einer tragischen und tragikomischen Behandlung des Stoffes zur Quelle der Komik werden kann. Kleist gibt diesem Akt seine eigenen Akzente.

Zum Vergleich sei hier das aus der Epoche der Romantik stammende Gedicht „Mondnacht“ Joseph von Eichendorffs vorangestellt:

Es war als hätt der Himmel

Die Erde still geküsst,

Daß sie im Blütenschimmer

Von ihm nur träumen müsst.

Die Luft ging durch die Felder,

Die Ähren wogten sacht,

Es rauschten leis die Wälder,

So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,

Flog durch die stillen Lande,

Als flöge sie nach Haus.[7]

Das Gedicht entwirft eine Nacht der Liebesumarmung von Himmel und Erde.

Dabei könnte „Himmel“ für „Gott“ stehen und „Erde“ –wie die zweite Strophe selbst anzeigt – für die „Natur“ und im engeren Sinne auch für den „Menschen“.

In der dritten Strophe wendet sich die Seele des lyrischen Ichs dem Kuss des Gottes durch einen unorientierten Flug durch die Nacht zu, „als flöge sie nach Haus“. Der Konjunktiv weist auf einen Irrtum der Seele hin. Das Gefühl vertrauter Heimat trügt.

Um trügerische Gefühle geht es auch im Amphitryon-Mythos, jedoch wird die Vereinigung von Mensch und Gott bei Kleist etwas anders dargestellt. Jupiter begnügt sich nicht mit einem keuschen „bräutlich verhaltenen Kuss“[8], er „gönnt“ sich vielmehr eine Nacht voller Lust und Begehren, die – von Aurora beflissentlich verlängert – siebzehn Stunden währt. Die Voraussetzung für solche Freuden ist die Metamorphose Jupiters in Amphitryon und die Verwandlung Merkurs in die Gestalt des Sosias. Damit ist im Amphitryon-Mythos sowohl das Doppelgängermotiv als auch die Frage nach der Identität gesetzt.[9] Letztere wird bei Kleist durch eine grundlegende Neuerung des Mythos radikal verschärft. Das Erscheinen Jupiters auf der Erde und die somit entstehende Identitätsproblematik wird durch ein Vergehen Alkmenes ausgelöst, denn was bewegt einen Gott aus den Höhen des Olymps hinabzusteigen und Menschengestalt anzunehmen, um die Liebe – sowohl in sexueller als auch in spiritueller Dimension – einer Frau zu erfahren? Er wurde provoziert. (Wie, wenn du seinen Unwillen (...) gereizt?, Vs.1417ff)

Alkmene , die zum allabendlichen Gebet vor dem Altar des Jupiter ihr Antlitz neigt, hat vor ihrem inneren Auge den Gott der Gestalt Amphitryons gleichgemacht:

Jupiter: „Weshalb warfst du aufs Antlitz dich? – Wars nicht, / Weil in des Blitzes zuckender Verzeichnung / Du einen wohlbekannten Zug erkannt?“

Alkmene: „Mensch! Schauerlicher! Woher weißt du das?“ (Vs. 1443-1446)

Jupiter: „Ists nicht Amphitryon, der Geliebte stets,/ Vor welchem du im Staube liegst?“(Vs. 1452-1453)

Sie hat der „Gott-Idee“ ein konkretes Bild gegeben, obwohl man das Unendliche nur denken kann[10] und damit die Gottes-Liebe zur Menschen-Liebe verschoben. Alkmene degradiert den Gott zum „Götzen“ (VS.1433), Beten wird zur „Abgötterei“ (VS.1459) und die „Betende“ selbst zur „Vergessenen“ (VS. 1466), d.h. zur Gott-Vergessenen. Sie hat aus dem Gebet ein Theater gemacht und zwar ein „Theater des verneinenden Dritten“[11], in dem sie den Gott aus ihrer Zweisamkeit mit Amphitryon ausgeschlossen hat. Der Gatte kann in der Rede nicht ausgeschaltet werden, weil Jupiter in dessen Gestalt gebannt ist und von Alkmene darauf festgelegt wird. Amphitryon tritt hier demnach als verneinender Dritter in Erscheinung. Doch Jupiter antwortet darauf wiederum ebenfalls mit einem Theater des verneinenden Dritten. Er verschafft sich als Dritter Eintritt in die Liebesgemeinschaft Alkmenes, zwar in Gestalt Amphitryons, dennoch als Gott, den wahren Gatten somit negierend. Dieser Identitätskonflikt Jupiters – durch Alkmenes Gott-Vergessenheit hervorgerufen – sich selbst angebetet zu wissen, überträgt sich zwangsläufig auf Alkmene. Die Frau wird – sei es auch durch den höchsten Gott – um ihre Liebe zu ihrem Gatten betrogen. „Sie war immer nur die absichtslos den einen Liebende“[12]. Jetzt ist in diese festgefügte Beziehung des „Ich-bin-weil-du-bist“ ein verneinender Dritter eingeführt, der die Beteiligten Figuren in ihrer Selbstgewissheit erschüttert[13]. Die Frage nach dem „Wer bin ich?“ ist nicht mehr intersubjektiv begründbar, denn hier steht „das Ich als Subjekt, das nur in Beziehung zu einem anderen Subjekt seine volle Existenz erlangt“[14]. Durch die neue Dreierkonstellation kann das Ich nicht mehr einfach aus einem Du heraus erfragt werden und in diese abstruse Situation hinein stellt Kleist die Frage nach der Selbstgewissheit und ihrer Standhaftigkeit gegenüber dem Himmel entstiegener Täuschungen.

Normalerweise könnte man meinen, dass Alkmene sich trotz aller Täuschungsmanöver immer noch als Alkmene weiß. Amphitryon dürfte trotz seines vorhandenen Doppelgängers ein ungetrübtes „Sich-Selbst-Wissen“ besitzen – ebenso Jupiter, auch wenn Alkmene ihm verweigert, wonach er sich sehnt und Sosias müsste wissen, wenn er schon nicht Sosias sein darf, dass er etwas sein muss. Doch all diese Götter und Menschen haben ihre Selbstgewissheit unlösbar in Bezug zu einem Du gestellt. In diesem Bezug definieren sie ihr „Ich-Selbst“ und erfahren darin eine grundlegende Negation.

[...]


[1] HOMER: „Ilias. Odyssee“, In der Übertragung von Heinrich Voß, Darmstadt 1987, 11. Gesang, V. 266ff.

[2] Zitiert wird unter Angabe der Verszahl nach der Reclam-Ausgabe, Stuttgart 1996.

[3] STAENGLE, Peter: "Heinrich von Kleist“, dtv-portrait, München 1998, S. 84.

[4] BORELBACH, Doris Claudia: „Mythos-Rezeption in Heinrich von Kleists Dramen“, Würzburg 1998, S.156.

[5] JAUß, Hans Robert: „Von Plautus bis Kleist“, In: Walter HINDERER (Hrsg), Kleists Dramen, Stuttgart 1981, S. 131.

[6] HEGEL, Georg Friedrich Wilhelm: Phänomenologie des Geistes, Werke, Bd. 3, S. 145.

[7] EICHENDORFF, Joseph von: „Aus der Heimat hinter den Blitzen rot“, hg. von Eckhard Henscheid, München 1999, S.111.

[8] GREINER, Bernhard: Amphitryon. Ein Lustspiel nach Moliere. Bewusstlose Grazie als Feld zernichteter Identität, In: (ders.) Kleists Dramen und Erzählungen, Tübingen 2000, S. 220.

[9] ebd. S.221.

[10] ebd. S.229.

[11] ebd. S.230.

[12] GÖNNER, Gerhard: Die göttliche Versuchung: Amphitryon, In: Von zerspaltenen Herzen und der gebrechlichen Einrichtung der Welt: Versuch einer Phänomenologie der Gewalt bei Kleist, Stuttgart 1989, S. 27.

[13] GREINER, Bernhard: S.231.

[14] ebd. S. 231.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Kleists Amphitryon und die Liebe als reflektierte Einheit mit sich selbst im anderen
Hochschule
Universität Bayreuth
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
25
Katalognummer
V43031
ISBN (eBook)
9783638409216
ISBN (Buch)
9783656564621
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kleists, Amphitryon, Liebe, Einheit
Arbeit zitieren
Andrea Redlich (Autor:in), 2003, Kleists Amphitryon und die Liebe als reflektierte Einheit mit sich selbst im anderen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/43031

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