König Rother: Aspekte von Herrschaft und deren zeitgeschichtliche Implikationen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

I. Vorbemerkung

II. Hauptteil
A. Das Phänomen der Herrschaft im König Rother
1. Die Titelfigur
2. Rothers Helfer
3. Konstantin und sein Verhältnis zu Rother
4. Ymelot
B. Zeitgeschichtliche Implikationen

III. Nachbemerkung

IV. Literaturverzeichnis

I. Vorbemerkung

Der Bearbeiter sah sich zunächst mit der Aufgabe konfrontiert, das gewählte Thema „Herrschaft im König Rother“ genauer zu konkretisieren. Dieser Anforderung versucht er gerecht zu werden, indem er die Untersuchung in zwei Richtungen anlegt. So wird zuerst der Primärtext unter Zuhilfenahme der Forschungsliteratur auf Herrschaftsaspekte analysiert. Naturgemäß wird dabei dem Protagonisten besondere Aufmerksamkeit zuteil. Jedoch ist eine Berücksichtigung der Vasallen Rothers zwingend geboten, um überhaupt das Funktionieren des weströmischen Herrschaftssystems veranschaulichen zu können. Zum Teil erfolgt die Diskussion der Rolle der Gefolgsleute im Kapitel über Rother; zur Abrundung der Darstellung ist ihnen aber auch ein eigener Abschnitt gewidmet worden. Das Bild der Titelfigur wird hinsichtlich seiner Herrscherqualitäten allerdings erst durch die Präsentation seines Gegenspielers Konstantin vollständig. Letzterem gebühren wie dem Heidenkönig Ymelot separate Überlegungen schon aufgrund ihres nicht unerheblichen eigenen Machtbereichs. Mit der Ermittlung der zeitgeschichtlichen Implikationen des Primärtexts wird ein zweiter Gesichtskreis dieser Bearbeitung eröffnet.

II. Hauptteil

A. Das Phänomen der Herrschaft im König Rother

Zunächst wird der Primärtext hinsichtlich der Interpretation des Untersuchungsgegenstandes herangezogen.

1. Die Titelfigur

Selbstverständlich hat sich die Forschung besonders mit dem Protagonisten beschäftigt und dabei verschiedene Eigenschaften und Verhaltensweisen konstatiert. Schon Woelker[1] verweist auf Rothers Herrschertugenden milte und triuwe, welche ihm seinen Status als Gefolgschaftskönig vermitteln würden. Daher verwende er nicht nur Macht und Reichtum im Interesse seiner Lehensmänner, sondern nehme zu deren Befreiung mit der Reise nach Konstantinopel auch ein hohes persönliches Risiko in Kauf.[2] Darüber hinaus beinhalte sein Ethos die materielle Unterstützung sozial Deklassierter wie in der Beschenkungsszene zugunsten fremder Ritter.[3] Rothers Charakter zeichne sich durch höfische Merkmale aus: Der in der aller schoniste man[4] und wolgetan[5] zum Ausdruck kommenden körperlichen Attraktivität entspreche ein perfektes Sozialverhalten, dessen Attribute unter anderem lossam[6] und gezogenliche[7] seien. In des Epos zweiten Teil komme es jedoch zum Bruch, wenn das heroische Idealbild Rothers durch eine stärkere spielmännische Akzentuierung beseitigt werde.[8] Exemplarisch hierfür sei Konstantins Vergleich Rothers mit einem vluchtigin dieb[9] wegen dessen Aufenthalt unter einem Festtisch anlässlich der geplanten Verheiratung seiner Frau mit Basilistium. Die anschließende Rehabilitation von Rothers Ehre durch den erfolgreichen Befreiungskampf und seine weitere Vita würden dieses Intermezzo noch nachhaltiger als missraten erscheinen lassen.[10]

Nach Wentzlaff-Eggebert ist der Erzähler des König Rother von Kreuzzugseifer beseelt[11] und der Kampf der Titelfigur gegen die Heiden unter Ymelot ein Glaubenskampf[12]. Rother sei nach seiner Rettung vor dem Galgen zunächst von Racheimpulsen gegenüber Konstantin beherrscht gewesen.[13] Der mit religiösen Motiven versetzte Diskurs der Riesen und Berchters Rat[14] würden ihn aber zur Selbstüberwindung und zum christlichen Verzeihen bewegen.[15] Die Mönchung am Ende des Epos sei Ausdruck der königlichen Demut vor Gott.[16]

Neben dem bereits genannten Reichtum betont Schröder[17] vor allem Rothers list im Sinne kluger Verschlagenheit. Während triuwe, milte, christliche Nächstenliebe und Gerechtigkeit das innenpolitische Handeln des Regenten prägen würden, fungiere die list als diplomatisches Geschick bei der Gestaltung der außenpolitischen Beziehungen. Da der Rother-Figur jegliche negative Eigenschaften fehlen würden, besitze sie keinerlei Individualität.[18] Vielmehr stehe sie nur als typischer Vertreter für das okzidental-christliche Herrscherideal. Daher beruhe die Brautwerbung auch nicht auf romantischen Gefühlen Rothers, sondern auf dessen staatspolitischem Kalkül.[19] Überhaupt habe das gesamte Geschehen politische Relevanz. So verberge sich hinter Brautwerbung und –verweigerung ein politischer Konflikt der Könige in West- und Ostrom.[20] Rothers Erfolgsgeheimnis der list wiederum impliziere ein verändertes Politikverständnis, wonach sich der eigene Machtbereich nicht nur mittels Okkupationen, sondern auch durch Verträge ausdehnen lasse.[21]

Siegmund[22] beschäftigt sich eingehend mit Rothers milte. Im Gegensatz zu Woelker interpretiert er die Freigebigkeit des Protagonisten aber nicht als frei von Egoismus.[23] Der Monarch bezwecke nämlich mit seinen Schenkungen die Erhaltung alter und den Gewinn neuer Bundesgenossen. Die list als weiteres Charakteristikum Rothers kompensiere das auffällige Fehlen von großer Körperkraft und militärischem Erfolg, welche in der deutschen Literatur des Mittelalters regelmäßig das Herrscherideal bestimmen würden.[24] Mit der Einordnung der Titelfigur als weltlichem Herrscher wendet sich Kokott[25] ausdrücklich gegen eine primär religiöse Interpretation des Textes wie bei Wentzlaff-Eggebert. Rothers Vorbildlichkeit zeige sich insbesondere im Verhältnis zu seinen Vasallen; selbiges werde in erster Linie von gegenseitiger triuwe dominiert.[26] Des Königs Fürsorge um seine Mitstreiter ergebe sich aus dem Entschluss zur Brautwerbung, deren Erfolg nicht nur die Fortsetzung der eigenen Dynastie bedeuten würde sondern auch die Aufrechterhaltung der sozialen Position der Lehnsmänner. Ein weiteres Indiz für Rothers triuwe sei sein großer Kummer um das Wohlergehen der nicht zurückkehrenden Boten.[27] Umgekehrt enthalte das Epos eine Vielzahl von Treuedemonstrationen seitens der Gefolgsleute; vor allem die prompte Bereitschaft zur Reisebegleitung nach Konstantinopel[28] sei hierfür exemplarisch. Da die Eigenschaft der triuwe im Text auf die Beziehung zwischen Herrschern und Beherrschten beschränkt sei, bezeichnet sie Kokott als „Moment konkreter Herrschaft“[29]. Die Freigebigkeit des Protagonisten stehe ebenfalls im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Verhältnis: Einerseits stabilisiere sie den politischen status quo, indem der Regent durch Verteilung materieller Güter eine militärische Unterstützung durch die Gefolgsleute bewirkt und später belohnt[30]. Andererseits gereiche die christlich motivierte Wohltätigkeit gegenüber den Vertriebenen im Ergebnis auch dem Schenker zum Vorteil, wenn dieser durch den gleichfalls bedachten Graf Arnold vor dem Erhängen bewahrt wird.[31] Zwingende Voraussetzung für diese Freigebigkeit sei der für einen bedeutenden Herrscher essentielle Reichtum Rothers.[32] Dieser ermögliche ihm erst die Ausübung der Macht. Darüber hinaus dokumentiere die milte das politische Talent des Königs. Mit der häufigen Erwähnung von dessen list charakterisiere der Text Rothers kognitive Tauglichkeit zum Herrscher. Dabei seien zwei Erscheinungsformen der list zu unterscheiden: So bezeichne der Begriff oftmals die Verschlagenheit des Protagonisten, an anderen Stellen sei hingegen dessen politische Klugheit gemeint. Beispielhaft für letztere Alternative sei die Gefangennahme Ymelots im ersten Krieg gegen die Heiden,[33] womit eine verlustreiche Schlacht vermieden und hierdurch die Bindung des geschonten eigenen Gefolges an Rother vertieft werde.[34] Mit der regelmäßigen Einholung der Ratschläge seiner klügsten Getreuen nutze der Herrscher deren Intelligenz bei akuten Entscheidungsvorgängen und demonstriere zugleich seinen intellektuellen Führungsstil. In Krisensituationen ergreift Rother aber auch unverzüglich die Initiative, wenn er nach der Rückkehr von der ersten griechischen Reise[35] von Hademars Rebellion erfährt und zur Abwendung der Anarchie Rechtsprechungsaufgaben wahrnimmt[36]. Seine Gerechtigkeit erschöpfe sich jedoch nicht in der bloßen Rechtsanwendung, sondern wirke auch als Element in der triuwe -Beziehung zu seinen Vasallen.[37] Deutlich werde dies im Verzicht auf eine Bestrafung Lupolds nach der Rückentführung seiner Frau.[38] Indem Rother Gnade vor Recht gehen lasse, führe er eine Intensivierung der Bindung seiner Gefolgsleute herbei.

[...]


[1] Vgl. Woelker, Eva-Maria: Menschengestaltung in vorhöfischen Epen des 12. Jahrhunderts: Chanson de Roland/Rolandslied des Pfaffen Konrad /König Rother. Berlin 1940, S. 157.

[2] Vgl. Woelker, S. 158.

[3] Vgl. König Rother. Mittelhochdeutscher Text und neuhochdeutsche Übersetzung von Peter K. Stein. Herausgegeben von Ingrid Bennewitz unter Mitarbeit von Beatrix Koll und Ruth Weichselbaumer (zit.: V...). Stuttgart 2000, V. 1355-1386.

[4] V. 294.

[5] V. 2184.

[6] V. 2054, 2220, 2232.

[7] Vgl. V. 107, 916.

[8] Vgl. Woelker, S. 159 f.

[9] V. 3926.

[10] Vgl. Woelker, S. 160.

[11] Vgl. Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm: Kreuzzugsdichtung des Mittelalters. Studien zu ihrer geschichtlichen und dichterischen Wirklichkeit. Berlin 1960, S. 115.

[12] Vgl. Wentzlaff-Eggebert, S. 116.

[13] Vgl. Wentzlaff-Eggebert. S. 117.

[14] Vgl. V. 4385 ff.

[15] Vgl. Wentzlaff-Eggebert, S. 120.

[16] Vgl. Wentzlaff-Eggebert, S. 123.

[17] Vgl. Schröder, Walter Johannes: König Rother. Gehalt und Struktur. In: DVjS 29 (1955) S. 301-322, S. 305.

[18] Vgl. Schröder, S. 306.

[19] Vgl. Schröder, S. 307.

[20] Vgl. Schröder, S. 308.

[21] Vgl. Schröder, S. 310.

[22] Vgl. Siegmund, Klaus: Zeitgeschichte und Dichtung im König Rother. Versuch einer Neudatierung. Berlin 1959, S. 14 ff.

[23] Vgl. Siegmund, S. 15.

[24] Vgl. Siegmund, S. 18.

[25] Vgl. Kokott, Hartmut: Literatur und Herrschaftsbewusstsein. Wertstrukturen der vor- und frühhöfischen Literatur. Vorstudien zur Interpretation mittelhochdeutscher Texte. Frankfurt am Main Bern Las Vegas 1978, S. 109.

[26] Vgl. Kokott, S. 110.

[27] Vgl. V. 435 ff.

[28] Vgl. V. 640 ff. und V. 3384 ff.

[29] Kokott, S. 111.

[30] Vgl. die Belehnungsszene V. 4821 ff.

[31] Vgl. V. 4043 ff.

[32] Vgl. Kokott, S. 112.

[33] Vgl. V. 2725 ff.

[34] Vgl. Kokott, S. 113.

[35] Vgl. V. 2966 ff.

[36] Vgl. V. 3106 f.

[37] Vgl. Kokott, S. 115.

[38] Vgl. V. 3327 ff.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
König Rother: Aspekte von Herrschaft und deren zeitgeschichtliche Implikationen
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Germanistisches Seminar)
Veranstaltung
König Rother
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V42651
ISBN (eBook)
9783638406437
ISBN (Buch)
9783638772662
Dateigröße
555 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
König, Rother, Aspekte, Herrschaft, Implikationen, König, Rother
Arbeit zitieren
Dr. phil. Ass. iur. M.A. Reiner Scheel (Autor:in), 2002, König Rother: Aspekte von Herrschaft und deren zeitgeschichtliche Implikationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/42651

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