Initiation, Assimilation und gescheiterte Integration. Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

21 Seiten, Note: 2,3 (gut)


Leseprobe


INHALT

1. Einleitung

2. Übergang von der Affen- zur Menschenwelt
2.1. Trennung vom Ursprung
2.2. Einführung in die ‚Gesellschaft‘
2.3. Initiation Rotpeters

3. Aneignung menschlichen Verhaltens
3.1. Nachahmung
3.2. Lehrer und Lehrstoff
3.3. Ziel und Ergebnis

4. Stellung in der Menschengesellschaft
4.1. Beruf und gesellschaftliche Stellung
4.2. Privatleben
4.3. Selbstbild
4.4. Der Bericht

5. Parabolische Struktur und bisherige Interpretationsansätze

6. Schluß

LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Franz Kafkas Erzählungen und Romane gehören wohl zu den meist interpretierten Texten der Literatur des 20. Jahrhunderts. Dabei hat man sich verschiedenster Perspektiven bedient, häufig unter Rückgriff auf das Leben des Autors.

Diese Arbeit versucht eine neue Herangehensweise an Kafkas ‚Bericht für eine Akademie‘[1]. Diese Erzählung vollzieht die Schritte der Entwicklung eines in Afrika gefangenen Schimpansen zum seiner selbst bewußten und die Gesellschaft eingetretenem Individuum, d. h. zum Menschen nach.[2]

Der Werdegang des Ich- Erzählers Rotpeter soll im Rahmen dieser Arbeit als ein Anpassungsprozess gelesen werden. Die Interpretation erfolgt dabei aus hauptsächlich dem Text immanenten Belegen. Als Vergleichspunkt dienen zentrale Begriffe aus der Ethnologie, die an gegebener Stelle eingeführt werden sollen. Erkenntnisleitend sind dabei die Fragen nach der Zielstellung, der Vorgehensweise und dem Ergebnis der Anpassung des früheren Affen.

Es soll mit diesem neuen Deutungsversuch keineswegs eine in sich geschlossene Erklärung des Textes behauptet werden. Vielmehr wird sich erweisen, dass dies bei der Komplexität der kafkaschen Erzählungen wohl nie zu erreichen ist. Doch auch auf diese Problematik soll später noch ausführlicher angegangen werden.

Die Arbeit ist wie folgt gegliedert.

Der folgende Abschnitt betrachtet die Entwicklungsphase Rotpeters von der Trennung vom Affen- Rudel bis zu seinem ersten Wort in der menschlichen Gemeinschaft.

Im dritten Abschnitt werden die Methoden, sowie Ziel und Ergebnis seiner Anpassung näher untersucht.

Der vierte Abschnitt fragt nach der erreichten Stellung des ehemaligen Affen in der menschlichen Gesellschaft.

Der fünfte Abschnitt will die Ergebnisse der Untersuchung in Verhältnis zu bisherigen Interpretationsansätzen zu Kafkas Erzählung bringen.

Ein Schlußteil fasst alle Erkenntnisse zusammen.

2. Übergang von der Affen- zur Menschenwelt

Kafkas Erzählung beschreibt den zwangsweisen Austritt eines Affen aus seinem Rudel und den selbst gewählten Eintritt in die menschliche Gemeinschaft. Beide Aspekte, Zwang und Eigenantrieb, werden in diesem und dem nächsten Abschnitt in ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Affen zum Menschen näher betrachtet werden.

Dieser vollzogene Übergang von einer Gemeinschaft in eine andere wird durch im Text vorhandene Topoi bestärkt. So symbolisiert das Meer, dass der Affe auf seiner Überfahrt von der „Goldküste“ (301; 4) nach Europa überquert, bereits in der Literatur des Mittelalters den Beginn eines neuen Lebens(-abschnittes)[3]. Ebenso steht das „Schiff“ (305; 18) für Veränderungen.

Zuerst soll der Vollzug der Trennung des Affen von seinem Ursprung betrachtet werden. Daraufhin steht dann seine Annäherung an die Menschen bis zum ersten Sprechakt im Fokus. Daraus folgt der Vergleich dieses Abschnittes in Rotpeters Entwicklung mit den ethnologischen Konzepten der Initiation und Übergangsrituale.

2.1. Trennung vom Ursprung

Die Trennung des Affen von seinem Ursprung vollzieht sich auf zwei Ebenen. Zuerst wird er physisch von den Artgenossen getrennt. Lebte er ursprünglich „... inmitten eines Rudels ...“ (301; 9) Affen, so endet dieser Lebensabschnitt, als er gewaltsam durch

„[e] ine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck“ (301; 6; Veränderung von mir; S.W.) „eingefangen“ (301; 4f.) wurde. „[Z]wei Schüsse“ (301; 11; Veränderung von mir; S.W.) besiegelten die physische Trennung.[4]

Auf zweiter Ebene erfolgt die psychische Trennung vom „Affentum“ (299; 8). Diese beginnt erst im Käfig auf dem Schiff. War der Ich- Erzähler über alles davor liegende „.. auf fremde Berichte angewiesen“ (301; 5f), so setzt nun „... allmählich [s]eine eigene Erinnerung“ (302; 16; Veränderung von mir; S.W.) ein. Damit beginnt der im Bericht geschilderte Prozess der Bewußtwerdung. Wie Dangelmayr treffend feststellt, ist das nun auftretende Bewußtsein bereits „... ein typisch menschlich strukturiertes ...“[5]. Die Reflexionen über sein „Leben ohne Ausweg“ (303; 4), die verlorene „Freiheit“ (304; 19) sowie über den eigenen Weg zu rationalen Schlußfolgerung, man müsse aufhören, „Affe zu sein“ (304; 12), um zu überleben, sind im Rahmen des Berichtes nur ein Nachvollzug des damals Empfundenen. Der Ich- Erzähler gibt selbst zu, dass er „... das damals affenmäßig Gefühlte ...“ (303; 22f.) nicht vollkommen exakt wiedergeben könne. Die Schilderung der Gedankengänge im Bericht[6] ist gestrafft, viele Irrwege in der Überlegung sicherlich getilgt, und somit entsteht die drastische Logik des Entschlusses. Doch damit wurde auch die bewußte psychische Trennung vom instinkgeleitetem Affendasein[7] vollzogen.

Im Bericht äußert sich dieser Wandel in der inneren Einstellung des Affen auch ‚bildlich‘. Zu Beginn der Reise verharrte er „... nur im Dunkel [...] [und] zur Kiste gewendet“ (302; 24f.; Auslassung und Hinzufügung von mir; S.W.). Indem er sich für den Ausweg entschieden hatte, wandte er sich der offenen Seite des Käfig und damit der Außenwelt zu und „beobachtete“ (307; 16) diese.

2.2. Einführung in die ‚Gesellschaft‘

Die Gesellschaft, in die Rotpeter durch sein Hinwendung zur Außenwelt eingeführt wird, beschränkt sich zuerst noch auf die Gemeinschaft der Menschen auf dem Schiff.

Die erste gesellschaftliche Konvention, mit der der Affe in Berührung kommt, ist die der Namensgebung. Wegen der durch eine der beiden Schußwunden verursachten Narbe auf seiner Wange, erhielt er den Namen ‚Rotpeter‘. (301; 12- 15) So wenig der nun mit menschlichem Bewußtsein ausgestattete Rotpeter über seinen Namen erfreut ist, stellt seine Namensgebung doch eine zutiefst menschliche Handlung dar.[8] Durch diesen Namen wird er von anderen Affen unterschieden; er weist ihm „... eine gewisse Eigentümlichkeit zu“[9].

Die zweite gesellschaftliche Konvention, doch die erste Lektion für den Affen in menschlichem Verhalten ist der „Handschlag“ (300: 17). Dies überbietet die zuvor festgestellte Hinwendung des Affen zur Außenwelt. Den Handschlag zu geben stellt eine aktive Kontaktaufnahme mit den Menschen auf dem Schiff dar. Obwohl dieser Kontakt noch ohne verbalen Austausch vonstatten geht, handelt es sich dennoch bereits um eine Form der Kommunikation. Denn „Handschlag bezeugt Offenheit“ (300; 17), er ist ein in der Menschenwelt auf dem Schiff universell verstandenes Symbol.

Der Affe findet zudem Beachtung durch die Gemeinschaft, denn die Menschen vom Schiff versammeln sich vor seinem Käfig. (306; 8ff.) Es bleibt dabei nicht bei gegenseitiger Beobachtung und dem Handschlag. Eine Art Spiel entwickelt sich, in dessen Verlauf sich Affe und Mensch „... gegenseitig ins Gesicht“ (308; 10) spuckten oder der Affe zur Belustigung der anwesenden Menschen ihre Rauch- und Trinkgewohnheiten nachahmte oder betont tierisches, um nicht zu sagen äffisches Verhalten[10] zeigte. (308f.) Diese Interaktionen zeugen von der allmählichen Eingliederung Rotpeters in die Aktivitäten der menschlichen Gemeinschaft auf dem Schiff.

Schließlich kam es auch zur verbalen Kommunikation, als der Affe eines Abends nach erfolgreichem Leeren einer Schnapsflasche „in Menschenlaut ausbrach“ (311; 3f.) und den Anwesenden ein „Hallo!“ (311; 3) entgegenbrachte.

Dieser Kontakt des Affen mit den Menschen auf dem Schiff ermöglicht ihm erst seine Entwicklung. Nur dadurch, dass er mit ihnen durch Handschlag und spielerisches Verhalten sowie schließlich durch die Sprache in Kontakt trat, konnte er menschliches Verhalten beobachten und selbst annehmen[11]. Damit wurde er zugleich ein Interaktionspartner der Menschen und somit folglich Teil ihrer Gemeinschaft.[12]

[...]


[1] Ich stütze mich hier auf folgende Fassung: Franz Kafka: Ein Bericht für eine Akademie. In: Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Hrsg. v. Wolf Kittler, Hans- Gerd Koch und Gerhard Neumann. Frankfurt am Main: S. Fischer, 1991. S. 299- 313; Zitate aus dieser Erzählung werden in Folgenden in der Form

(Seite; Zeile) kenntlich gemacht.

[2] Obwohl im Bericht die Entwicklung des Affen zum Menschen behauptet wird, wird in dieser Arbeit hauptsächlich vom ‚Affen‘ oder von ‚Rotpeter‘ die Rede sein.

[3] Man vergleiche etwa hierzu den ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg und die handlungsgliedernden

Meerfahrten des Protagonisten.

[4] Meisel sieht in diesen beiden Schüssen bereits den Beginn der ‚Menschwerdung‘ des Affen. (Gerhard Meisel: Transplantation und Metamorphose. Das Motiv der Haut bei Musil und Kafka. In: Josef Strutz/ Endre Kiss (Hrsg.): Genauigkeit und Seele. Zur österreichischen Literatur seit dem Fin de Siècle. Internationale Robert- Musil- Sommerseminare 1987 und 1988 im Musil- Haus, Klagenfurt. München:

Fink, 1990. (=Musil- Studien; Bd. 18), S. 171- 190. Hier S. 186).

[5] Siegfried Dangelmayr: Ein Bericht für eine Akademie. Integration eines Außenseiter. In: Ders.: Der Riss im Sein oder die Unmöglichkeit des Menschen. Interpretationen zu Kafka und Sartre. Frankfurt am Main: Lang, 1988. (= Europäische Hochschulschriften: Reihe 20; Philosophie; Bd. 228), S. 198- 216. Hier S.

204.

[6] Zur besonderen Rolle des Berichtes in dieser ‚Selbsterzählung‘ später im Unterabschnitt 4.4.

[7] Ich widerspreche hiermit Dangelmayr (Dangelmayr: Bericht, S. 207), und behaupte, im Käfig auf dem Schiff hat sich wirklich eine Abkehr von der Affennatur vollzogen. Natürlich tritt die äffische Natur im Bericht nicht auf, denn der Erzähler versucht ja gerade ihr Vorhandensein zu negieren, wie noch zu zeigen sein wird. Dieser frühere Lebensabschnitt Rotpeters ist jedoch immer als Ausgangsstufe seiner

Entwicklung mit gedacht und nicht zuletzt durch seine physische Konstitution ständig präsent.

[8] Selbstverständlich macht die Namensgebung den Affen nicht gleich zum Menschen. Denn sein Name ist nicht nur untypisch für ein menschliches Individuum, mit dem Farbattribut und ohne Familiennamen. Vielmehr erinnert der Name an solche, die der Mensch oft seinen Haustieren verleiht.

[9] Meisel: Transplantation, S. 186.

[10] Insbesondere die Passage der Erzählung, in der vom Unterricht im fachmännischen Leeren einer Schnapsflasche berichtet wird, tritt dieses äffische Verhalten auf. Rotpeter „kratzte [s]ich quietschend der Länge und Breite nach, wo es sich trifft“ (309; 9f.; Veränderung von mir; S.W.) und „verunreinig[t] [s]ich in [s]einem Käfig“ (309; 12f.; Veränderung von mir; S.W.). Er erfüllt damit die Erwartungen der Menschen an typisch äffisches Verhalten, während sie ihn andererseits in typisch menschlichen

Verhaltensweisen unterrichten.

[11] Zu den Methoden der Aneignung menschlichen Verhaltens folgt im dritten Abschnitt Genaueres.

[12] Dangelmayr spitzt die These zu. Für ihn ist der Affen bereits durch seine erwiesene Fähigkeit zu

Sprechen in die menschliche Gemeinschaft aufgenommen. (Dangelmayr: Bericht, S. 202).

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Initiation, Assimilation und gescheiterte Integration. Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Literatur)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
2,3 (gut)
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V40076
ISBN (eBook)
9783638386807
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Initiation, Assimilation, Integration, Kafkas, Bericht, Akademie, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Sarah Weier (Autor:in), 2005, Initiation, Assimilation und gescheiterte Integration. Kafkas "Ein Bericht für eine Akademie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40076

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