Ein Jahr Gesundheitsreform - eine Bilanz


Hausarbeit, 2005

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Finanzierungssituation der GKV

3. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz
3.1. Wesentliche Regelungen der Gesundheitsreform
3.2. Ziele der Gesundheitsreform

4. Die Ergebnisse der Gesundheitsreform

5. Schlussbetrachtung

Bibliografie

1. Einleitung

Die Gesundheitsreform oder offiziell das Gesundheitsmodernisierungsgesetz – neben der Arbeitsmarktreform Hartz IV handelt es sich wohl um die am hitzigsten debatierte und am meisten kritisierte politische Neuregelung im vergangenen Jahr.

Doch was verbirgt sich hinter dem großen Begriff „Gesundheitsreform“? Sind es nur die 10€ Praxisgebühr, die wahrscheinlich jedem Bürger inzwischen bekannt sind? Sicherlich nicht! Das Thema „Gesundheitsreform“ ist viel tiefer gehend – bis hin in die Vergangenheit. Denn in dieser sind die Ursachen zu suchen, die überhaupt erst zur Verabschiedung der grundlegendsten Änderungen im deutschen Gesundheitswesen führten. Es sind die zahlreichen Probleme, die sich in den vergangenen Jahren für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) Schritt für Schritt vergrößert haben und denen durch das Gesetz abgeholfen werden soll.

Ziel dieser Arbeit ist es daher, wesentliche Eckpunkte des Gesamtkomplexes „Gesundheitsreform“ näher zu beleuchten. So soll ein vorläufiges Urteil ermöglicht und eine Bilanz gezogen werden, wie das Gesetz ein Jahr nach Inkrafttreten bewertet werden kann.

Entsprechend soll in dieser Arbeit zunächst die Entwicklung der finanziellen Situation der GKV in den letzten Jahrzehnten betrachtet werden, um ein Verständnis dafür zu gewinnen, wieso es zu politischen Maßnahmen seitens der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Opposition gekommen ist. Im Folgenden wird erläutert, welche wesentlichen Änderungen mit der Reform einhergehen. Hierauf aufbauend und in Bezug zu der finanziellen Situation der GKV werden Ziele formuliert, die seitens der Politik und der Krankenkassen mit der Reform verfolgt werden. Danach werden die ersten sichtbaren Ergebnisse nach einem Jahr, positive wie negative, gegeneinander abgewogen. Hiervon ausgehend, soll abschließend eine Bilanz präsentiert werden, mit der versucht wird, eine Stellungnahme über die Gesundheitsreform bzw. das Gesundheitsmodernisierungsgesetz abzugeben.

2. Die Finanzierungssituation der GKV

„Kostenexplosion“, „finanzielle[] Atemnot“, „Teufelskreis“, „Unser Gesundheitswesen ist krank.“[1] – dies sind nur einzelne von vielen Aussagen, die man seit einigen Jahren in der Literatur, aber auch in Politik und Gesellschaft lesen und hören kann, wenn vom deutschen Gesundheitswesen die Rede ist.

Doch welche Ursachen kann es dafür geben, dass gerade in den vergangenen Jahren die GKV und die Gesundheitspolitik zu so brisant diskutierten Themen wurden? Hatte es doch bis dahin noch ganz andere Fragen gegeben, die – vor allem in der Gesellschaft – als viel wichtiger erachtet wurden wie z.B. die Arbeitslosigkeit oder die Außenpolitik im Irak und Afghanistan.

Auslöser waren möglicherweise das Rekorddefizit der GKV von sieben Mrd. € im Jahr 2002[2] sowie der im selben Jahr erstmals über 14% gestiegene Beitragssatz.[3] Doch es ist zu einseitig, diese Zahlen nur auf die jüngere Vergangenheit zurückzuführen. In Wahrheit ist die Situation der GKV Ende 2002/Anfang 2003 nach Beske die Folge von zahlreichen politischen Fehlentscheidungen.[4]

Betrachtet man die folgenden Abbildungen, scheint diese These zutreffend zu sein. Beide Grafiken stellen eine ähnliche Problematik dar, die sich bereits seit den 70er Jahren mehr und mehr entwickelt hat.

Vergleicht man den Anstieg des BSP oder des BIP in diesem Zeitraum mit dem der Ausgaben der GKV, lässt sich ein unverhältnismäßig hoher Anstieg zu Lasten der GKV feststellen. Oberender, Hebborn und Zerth schlussfolgern zutreffend: „Es entstand eine Schere zwischen Einkommens- und GKV-Ausgabenentwicklung.“[5] Die nachfolgende Statistik macht die Kostenexplosion, die in der GKV zu verzeichnen ist, deutlich.

Danach ist der prozentuale Anteil der Ausgaben für die GKV an den Gesamtausgaben im deutschen Gesundheitswesen von 35,5% im Jahr 1970 auf 52,3% 1997 gestiegen.

Der Literatur sind unterschiedliche Meinungen zu entnehmen, welche Gründe nun genau für diese Schieflage verantwortlich sind.

Die demografische Entwicklung und die zunehmende „Vergreisung“ der deutschen Gesellschaft sind entscheidende Ursachen für das entstandene Missverhältnis. Die folgende Grafik stellt dar, dass das Bevölkerungswachstum in Deutschland schon seit über zehn Jahren negativ ist.

Nicht ohne Grund wird also inzwischen vom „umgedrehten Tannenbaum“ gesprochen, wenn man die Verteilung der Bevölkerung auf die Altersstufen (Bevölkerungspyramide) betrachtet.

Neben der gesunkenen Geburtenrate ist die Lebenserwartung im vergangen Jahrhundert stark angestiegen, wie Abbildung 5 zu entnehmen ist. Die Folge ist, dass der prozentuale Anteil der über 60jährigen weiter zunimmt. Oberender, Hebborn und Zerth führen aus, dass über 60jährige die „teuren“ Patienten sind. Aufgrund der steigenden Nachfrage nach medizinischen und pflegerischen Leistungen wegen vermehrt eintretender Krankheiten im Alter könnten die Beitragseinnahmen der Krankenversicherung der Rentner inzwischen noch nicht einmal die Hälfte der von den Rentnern verursachten Kosten decken.[6]

Ein weiterer Faktor liegt, so Oberender, Hebborn und Zerth, in falschen Rahmenbedingungen und verkehrt gesetzten Anreizstrukturen für die Beteiligten, Versicherten und Leistungsträger. In der Gesellschaft habe sich ein zunehmendes Anspruchsdenken durchgesetzt. Es herrsche der falsche Eindruck, Gesundheit gebe es zum Nulltarif und das teuerste Medikament, das angeblich das beste sei, werde ohnehin bezahlt. Dabei handle es sich um eine „Ausbeutung aller durch alle“[7], durch die das Solidarprinzip grundlegend ausgehöhlt werde.[8] Man kann daraus die Schlussfolgerung ziehen, in den Köpfen der Menschen habe sich die Überzeugung etabliert, was nichts koste, sei auch nichts wert.

Der Aufbau des deutschen Gesundheitssystems unterstützt nach Wiechmann diese Fehlhaltung. Der Patient leide unter einem Informationsdefizit. Zwischen ihm und dem Arzt bestehe ein asymmetrisches Verhältnis.[9] Der Patient ist folglich gar nicht in der Lage, den Durchblick zu wahren, um bezogen auf die Kosten-Nutzen-Frage sinnvolle Entscheidungen über die medizinische Behandlung zu treffen. Ähnlich wie in der Sozialarbeit kann daher auch im Gesundheitswesen der Ruf nach gesamtgesellschaftlichem Qualitätsmanagement laut werden.

Es erscheint daher zutreffend, angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen parteiunabhängig von politischer Fehlplanung zu sprechen.

Die Schwierigkeiten, die sich ergeben, sind gravierend. Auf die zwei größten Probleme – das Ausgabendefizit und die steigenden Beitragssätze – wurde bereits hingewiesen. Es ergibt sich der eingangs erwähnte Teufelskreis. Durch die gleichzeitig gestiegenen Beitragssätze zur Gesetzlichen Arbeitslosen- und Rentenversicherung steigen die Gesamtsozialversicherungsbeiträge immer stärker an. Zum einen wird dadurch, wie Oberender, Hebborn und Zerth darstellen, das Lohneinkommen eines jeden Arbeitnehmers belastet.[10] Zum anderen erhöhen sich die Lohnnebenkosten erheblich.

Gemäß der vorherigen Abbildung machten in den westlichen Bundesländern im Jahr 2000 die Sozialversicherungsbeiträge beinahe ein Drittel der gesamten Personalzusatzkosten aus. Die hohen GKV-Beiträge sind also für die hohen Lohnnebenkosten mitverantwortlich. Diese sind eine der Hauptursachen für die seit Jahren unverändert hohen Arbeitslosenzahlen in Deutschland. Arbeitslosigkeit bedeutet wiederum geringere Einnahmen für die GKV. Der Beitragssatz bleibt konstant hoch. Der Wirtschaftsstandort Deutschland gerät nach Oberender, Hebborn und Zerth deshalb in seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr.[11] Diese Befürchtung erscheint aufgrund der Abwanderung vieler Unternehmen ins (osteuropäische) Ausland, in denen deutlich günstigere Arbeitskräfte zu finden und niedrigere Lohnnebenkosten zu zahlen sind, nicht unbegründet. Auch gibt es in Deutschland kaum Investitionsanreize für ausländische Unternehmen.

Die Politik setzt sich daher weiterhin als Ziel, die Beiträge zu stabilisieren, damit die Arbeitslosigkeit gedämmt, die Abwertung des Standort Deutschland vermieden und eine ausreichende Gesundheitsversorgung weiterhin gewährt werden können. Dies könnte, so konstituieren Oberender, Hebborn und Zerth, jedoch nicht ohne Folgen bleiben: „Entweder muß – soll das Ziel der Beitragssatzstabilität realisiert werden – der Leistungskatalog der GKV beträchtlich reduziert werden, oder die Vergütungen für die Leistungserbringer sind merklich zu beschneiden.“[12] Im Ermessen des Verfassers erwähnen sie dabei einen zentralen dritten Aspekt jedoch nicht. Es dürfte bereits 2002 zu erwarten gewesen sein, dass der einzelne Bürger zunehmend stärker bei seiner Gesundheitsversorgung belastet wird und in die eigene Tasche greifen muss.

Ob dies tatsächlich der Fall ist und welche Regelungen das Gesundheitsmodernisierungsgesetz mit sich brachte, soll im Folgenden dargestellt werden.

3. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz

3.1. Wesentliche Regelungen der Gesundheitsreform

Im Rahmen der Gesundheitsreform traten 2004 eine Reihe von gesetzlichen Neuerungen ein, die in das Sozialgesetzbuch (SGB V) eingearbeitet wurden.

Die entscheidende Veränderung war die Einführung einer Praxisgebühr in Höhe von 10€. Diese ist pro Quartal beim ersten Arztbesuch zu entrichten. Es muss sich dabei nicht unbedingt um den Hausarzt handeln, wie zunächst angedacht. Auch ein Facharzt kann aufgesucht werden. Weitere Ärzte können anschließend mit einem Überweisungsschein konsultiert werden. Einige Krankenkassen planen jedoch in Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsministerium die Einführung eines Hausarztmodells. Hierauf soll später noch näher eingegangen werden.

Hinzu kommen diverse neue Zuzahlungsregelungen. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten ist eine Zuzahlung von 10%, mindestens jedoch 5€ und maximal 10€, allerdings nicht mehr als die tatsächlichen Kosten aufzubringen. Dies trifft auch auf verschiedene Hilfsmittel (z.B. Rollstühle, Hörgeräte) zu. Heilmittel wie z.B. Krankengymnastik müssen zu 10% zzgl. einer Verordnungsgebühr von 10€ vom Patienten bezahlt werden. Für den Aufenthalt im Krankenhaus gilt, dass der Patient für maximal 28 Tage pro Jahr einen Eigenanteil von täglich 10€ zu tragen hat.

Für den Patienten ist es wichtig, die Belege über bereits geleistete Zahlungen aufzubewahren. Überschreitet er die Belastungsgrenze, werden ihm die Kosten zurückerstattet. Diese liegt bei 2% des Bruttoeinkommens, für chronisch Kranke bei 1%. Allerdings ist der Begriff „chronisch krank“ im Gesetz nur unscharf definiert.

Fahrtkosten und Sehhilfen werden nicht mehr von den Krankenkassen finanziert. Beim Zahnersatz galt 2004 noch der alte Versicherungsschutz. Ab 2005 ist ein zusätzlicher Beitragsanteil erforderlich. Darüber hinaus werden viele vorher verschreibungspflichtige Medikamente nun rezeptfrei angeboten und müssen komplett vom Patienten bezahlt werden.

[...]


[1] Oberender, Peter O.; Ansgar Hebborn; Jürgen Zerth: Wachstumsmarkt Gesundheit. Stuttgart 2002. S.1, 2, 52 und 57.

[2] vgl. Oberender; Hebborn; Zerth 2002. S.2.

[3] vgl. Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz (Hrsg.): Gesundheitsberichterstattung Berlin. Basisbericht 2002. Daten des Gesundheits- und Sozialwesens. Berlin 2003. S.156.

[4] vgl. Beske, Fritz: Das Gesundheitswesen zukunftsfähig machen. Kieler Alternative. Kiel 2003. S.47.

[5] Oberender; Hebborn; Zerth 2002. S.44.

[6] vgl. Oberender; Hebborn; Zerth 2002. S.118.

[7] Oberender; Hebborn; Zerth 2002. S.58.

[8] vgl. Oberender; Hebborn; Zerth 2002. S.5 und S.52-58.

[9] vgl. Wiechmann 2003. S.19-25.

[10] vgl. Oberender; Hebborn; Zerth 2002. S.5.

[11] vgl. Oberender; Hebborn; Zerth 2002. S.5.

[12] Oberender; Hebborn; Zerth 2002. S.204.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Ein Jahr Gesundheitsreform - eine Bilanz
Hochschule
Evangelische Hochschule Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V39302
ISBN (eBook)
9783638381093
ISBN (Buch)
9783638762496
Dateigröße
487 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der vorliegenden Arbeit werden u.a. folgende Fragen behandelt: - Warum wurde die Reform verabschiedet? - Welches sind die Maßnahmen und Ziele der Reform? - Welche Ergebnisse sind inzwischen sichtbar? - Wie kann die Reform bewertet werden? Achtung: Die Originalarbeit enthält Grafiken. Aufgrund des Speicherplatzes wurden diese in der hier vorliegenden Version herausgenommen. Ein gutes Verständnis der Arbeit sollte trotzdem möglich sein.
Schlagworte
Jahr, Gesundheitsreform, Bilanz
Arbeit zitieren
Henning Becker (Autor:in), 2005, Ein Jahr Gesundheitsreform - eine Bilanz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39302

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