Postmoderne Betrachtungsweisen des 'Realismo Magico'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

16 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Postmoderne als kulturelles Phänomen
1.2. Postkoloniale Situation Lateinamerikas

2. Ziel dieser Arbeit

3. Definition magisch-realistischer Literatur
3.1.Zersetzung der üblichen Kausalitätslogik durch magische Elemente
3.2. Ambivalente Realitätsbilder
3.3 . Magisch realistische Gegenmodelle

4. Postmoderne
4.1. Definition
4.2. Philosophische Konzeption der Postmoderne
4.3. Primärmerkmale der literarischen Postmoderne
4.4. Verhältnis von Postmoderne und Postkolonialität

5. Verschiedene Interpretationen des Magischen Realismus
5.1. Magischer Realismus als postkolonialer Gegendiskurs
5.1.1. Zentrum vs. Peripherie: Reversal of the European gaze
5.1.2. Renarrativierung
5.2. Textresistenz und Inkompetenz des Lesers
5.3 Postmoderne Rezeption: Magischer Realismus als eine (selbst)referentielle Form der Exzentrität

6. Bedeutung von Mythen in magisch-realistischer und postmoderner Literatur
6.1. Mythen als Zugang zum Begreifen einer Kultur
6.2. Funktion von Mythen / literarische Verarbeitung von Mythen
6.3 Dezentrierte Interpretation von Mythen:

7. Neugestaltung lateinamerikanischer Traditionen des Magischen Realismus
7.1. Zwischen Post-boom und Postmoderne: „L a Casa de los Espiritus “ von Isabel Allende
7.2. Magie als Stilmittel vs. Magie als Denkweise

8. Schlußbemerkung

1. Einleitung

1.1. Postmoderne als kulturelles Phänomen

Angesichts der rapiden Veränderung unserer Gesellschaft kommt im postmodernen Zeitalter eine neue Herausforderung auf uns zu. Wir befinden uns heutzutage in einem Stadium, in dem wir nach der ersten ‚Entzauberung’, die Religion anbetreffend, nun auch mit der zweiten ‚Entzauberung’, nämlich die der Wissenschaft, konfrontiert werden. Letztgenannte versucht, für die veränderte Lebenssituation der Menschheit, bedingt durch die fast ausgeschöpften Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik, neue gesellschaftsfähige Konzepte zu finden. Angesichts aktueller gesellschaftlicher Probleme sieht sich so mancher Wissenschaftler mit mangelnder Aktualität und Flexibilität bezüglich von Paradigmen konfrontiert. Die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler lenkt sich voller Hoffnung auf einzelne kleinere Theoriekonzepte. Doch dies kann insgesamt zum totalen Zerfall der Paradigmen führen. Durch die Vielfalt verschiedener Theoriekonzepte werden die bisher geltenden Paradigmen, Normen und Werte, welche jede Gesellschaft zu jeder Zeit bisher prägten, in Frage gestellt. Die Lage wird zunehmend konfus und unüberschaubar. Das führt zu Unsicherheit und zwangsweise zu Krisenerfahrungen. Die neostrukturalistische Bewegung propagiert sogar fröhlich das Ende der Vernunft.

Das Zusammenleben von Menschen verschiedenen Ursprungs, verschiedener Nationalitäten und Kulturen ist in unserer postmodernen und postkolonialen Welt längst Alltag geworden. Dies hat zur Folge, dass sich Nationalitäten und Kulturen mischen und es schwieriger wird, sich der eigenen Kultur bewusst zu bleiben. Die Entwicklung wendet sich weg von der nationalen Identität hin zur globalisierten Massengesellschaft, durch die eine ethnische Hybridität entsteht. Wir befinden uns in einem Moment des Übergangs, in welchem sich Raum und Zeit kreuzen und komplexe Konfigurationen von Differenz und Identität, von Vergangenheit und Gegenwart, Innen und Außen, Einbeziehung und Ausgrenzung erzeugen. Paradoxerweise dominiert nun in der postkolonialen Gesellschaft seitens der ehemaligen Kolonialmächte die Frage nach dem Erhalt der kulturellen Identität, während seitens der kolonisierten Völker verstärkt die Suche nach eigener kultureller Identität erfolgt, die von den Kolonialmächten lange Zeit durchsetzt und unterdrückt worden ist.

1.2. Postkoloniale Situation Lateinamerikas

Bezogen auf die Situation Lateinamerikas bedeutet dies, dass die Vorbildstellung Europas seit der Aufnahme des Kulturaustausches durch die Entdeckungen und Eroberungen stets eine Konstante des lateinamerikanischen Kulturlebens war. Erst Ende des 19. Jahrhunderts zeigen sich erste Ansätze eines „kontinentalen Selbstbewusstseins“. Diese Entwicklung resultiert in erster Linie aus dem Modernismo und dessen Essayistik (z.B. Martí oder Rodó).[1] Mit dem Beginn der Emanzipation der lateinamerikanischen Literatur vom europäischen Vorbild stand nun die Frage nach dem typisch Nationalen, wie z.B. der argentinidad und die Abgrenzung zu Nordamerika im Vordergrund. Das Augenmerk wurde nun vornehmlich auf die „einheimische“ (meist indianische) Kultur gelenkt. Der Indianer oder der Mischling wurde zur nationalen Identifikationsfigur stilisiert. Aus dieser Tendenz heraus resultieren Entwürfe, welche auf eine Verschmelzung der Rassen und kulturellen Traditionen von Europäern und Indios abzielen. Allerdings darf die Tatsache nicht übersehen werden, dass gerade die städtischen Intellektuellen Lateinamerikas, welche die Repräsentanten der unterdrücken Völker darstellen, fast allesamt der europäischen Kulturtradition verbunden sind. In diesem Zusammenhang wird häufig auf eine andere Raum-, Zeit- und Kausalitätsvorstellung, auf ein anderes Welterleben, auf mythisch-magische Denkstrukturen verwiesen.[2] Dies ist jedoch nur eine Facette der postkolonialen Perspektive. Homi Bhaba gibt zu bedenken, dass der Prozeß transnationaler Dimension kultureller Transformation sich zu einer komplexen Form der Signifikation entwickeln würde und deshalb der natürliche oder naturalisierte, einheitsstiftende Diskurs, welcher auf festverwurzelten Mythen der kulturellen Besonderheit wie „Nation“, „Völkern“ oder authentischen „Volks“-Traditionen beruhe, kaum als Bezugspunkt dienen könne. Bhaba betont, dass postkoloniale kritische Diskurse Formen des dialektischen Denkens, die die Andersheit, welche den symbolischen Bereich psychischer und sozialer Identifikation konstituiert, nicht aufheben oder verleugnen.[3].

2. Ziel dieser Arbeit

Vor dem Hintergrund der postkolonialen Situation Lateinamerikas soll untersucht werden, inwieweit in der Kategorie lateinamerikanischer magisch-realistische Literatur postmodernes Gedankengut aufzufinden ist.

Anhand einiger Werke, die magisch-realistische Elemente beinhalten und literaturwissenschaftlich in das Genre Magischer Realismus eingeordnet werden, sollen literarische „Kunstgriffe“, Elemente und Denkweisen aufgedeckt werden, welche dem postmodernen Gedanken innewohnen. Auch wird auf verschiedene Deutungsmöglichkeiten von magisch-realistischer Literatur eingegangen. Die Frage, inwiefern Magischer Realismus postmodern ist, hängt vor allem von dessen Interpretation ab.[4] Magischer Realismus kann zum einen als postkolonialer Gegendiskurs, in welchem sich ein Widerstand gegenüber der Subalternisierung der sogenannten „Peripherie“ abzeichnet, interpretiert werden. Aus postmoderner Sicht praktiziert Magischer Realismus eher eine (selbst)referentielle Form der Exzentrizität, da er vor allem die von offizieller Autorität gekennzeichneten Versuche zur allgemeinen Darstellung der Realität als unangemessen zu entlarven versucht. Magischer Realismus ist jedoch vorweg nicht mit der Reaktion auf die Krise logisch-rationalen Denkens im postmodernen Zeitalter gleichzusetzen. Ein weiteres Kapitel dieser Arbeit widmet sich der Mythe als einem gemeinsamen, bedeutungstragenden Element in postmoderner und magisch-realistischer Literatur.

3. Definition magisch-realistischer Literatur

Primärmerkmal des Magischen Realismus ein nicht reduzierbares Element der Magie, das zwar den festgelegten Naturgesetzen unterliegt, aber jedoch nicht unbedingt diesen Naturgesetzen folgt, die unsere Ratio zulässt[5]. Der Magische Realismus in Lateinamerika wird zum einen mit der Kultur seiner Ureinwohner identifiziert[6], wobei eine Auseinandersetzung mit deren Mythen unumgänglich ist, und zum anderen dient er der nationalen und kontinentalen Identitätsfindung. Er ist ein Versuch von Selbstfindung einer heterogenen, bisher von der Nachahmung der jeweiligen europäischen Modeströmungen bestimmten Kultur. Magisch realistische. Texte zeichnen sich durch verschiedene Realitätsebenen, Weltbilder, Zeiträume, Orte, Ineinanderblendung von Charakteren aus, und dieses Ineinanderblenden, welches auch immer eine Verschmelzung von Individuellem und Kollekivem impliziert, wird durch das Auftauchen von Geistern ankündigt.[7]

3.1.Zersetzung der üblichen Kausalitätslogik durch magische Elemente

Wichtigstes Primärmerkmal des Magischen Realismus ist ein nichtreduzierbares Element der Magie, das zwar festgelegten Naturgesetzen unterliegt, aber eben nicht unbedingt jenen Naturgesetzen folgt, die unsere Ratio zulässt. Damit erhält die Magie den Status einer unumstößlichen Realität: Sie zersetzt die übliche Kausalitätslogik und entlarvt deren Realitätsbild als wundersam oder sogar lächerlich.[8]

3.2. Ambivalente Realitätsbilder

Von einer solch parodisch-hyperbolischen Irrationalität hebt sich das zweite Merkmal - eine bodenständige Realitätsverbundenheit - deutlich ab. Sie äußert sich in einer „strong presence of the phenomenal world“ und umgarnt den Leser mit heimtückisch befremdlichen Vertrautheit, die daraus resultiert, dass inmitten der fiktiven Erzählwelten Unmengen an realistischen Details auftauchen. In Verbindung mit magischen Elementen erzeugt diese Detailüberfrachtung ambivalente Realitätsbilder, die das Einzeldetail aus traditionellen Mimesiskonzepten befreien, eine meist idiosynkratische Wiederbelebung historisch belegbarer Fakten bewirken und alternative Gegendiskurse zur offiziell abgesegneten Historiographie liefern[9]. Um vertraute und unvertraute Realitäten auszutarieren, braucht der Magische Realismus einen Zweifel zwischen Glauben und Nichtglauben. Die Grenze muss zwischen Fakt und Fiktion fallen[10].

3.3 . Magisch realistische Gegenmodelle

Magisch-realistische Gegenmodelle werden erzeugt, indem man sich die Techniken des sogenannten „Zentrums“ aneignet und diese dann in alternative Weltbilder umsetzt, die eine Korrektur bestehender Realitätsbilder anstreben, anstatt diese in gewohnt „realistischer“ Mimese zu reproduzieren und weiterhin zu legitimieren.[11]

[...]


[1] Rössner 1988, 177

[2] Rössner 1988, 178

[3] Bhaba 1990, 257

[4] Rössner 1988, 179

[5] Faris 1995, 167

[6] Jedoch waren die ersten Versuche, sich der magisch-mythischen Welt der Indios anzunehmen, durch und durch europäisch inspiriert: zum einen durch die Ethnologie und die Anthropologie und zum anderen durch die europäischen Avantgardeströmungen wie z.B. dem Surrealismus, mit welchem viele lateinamerikanische Autoren besser vertraut sind als mit dem Leben der Indios.

[7] Zamora 1995, 501

[8] Faris 1995, 167

[9] Faris 1995, 169 ff.

[10] Mc Hale 1987, 9 ff

[11] D’haen 1995, 194

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Postmoderne Betrachtungsweisen des 'Realismo Magico'
Hochschule
Universität zu Köln  (Romanisches Seminar Köln)
Veranstaltung
Postmoderne Literatur in Lateinamerika
Note
2,5
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V35994
ISBN (eBook)
9783638357494
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Postmoderne, Betrachtungsweisen, Realismo, Magico, Postmoderne, Literatur, Lateinamerika
Arbeit zitieren
Silke Nufer (Autor:in), 2001, Postmoderne Betrachtungsweisen des 'Realismo Magico', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35994

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