Maria Stuart und ihre Verwandlung zur "schönen Seele"

Die Rechtfertigung ihrer Position als Titelheldin und moralische Siegerin im Vergleich zu ihrer Kontrahentin Elisabeth in Friedrich Schillers Werk


Seminararbeit, 2004

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

1. Schillers Heldenideal der „schönen Seele“
1.1 Die „schöne Seele“ in der Figur der Maria Stuart
1.2 Schillers Charaktere sind „von der Geschichte hergegeben“

2. Die charakterstarken Königinnen: Maria und Elisabeth
2.1 Maria Stuart ist nicht von Anfang an die positive Heldin
2.2 Elisabeth ist die rivalisierende Tyrannin

4. Der Konflikt der Königinnen
4.1 Marias „Läuterung“ durch ihren inneren Konflikt
4.2 Elisabeth als „moralische Verliererin“

5. Wer ist die Verurteilte: Maria oder Elisabeth?

6. Fazit: Maria ist die Heldin und „siegt“ über Elisabeth

7. Literatur

I. Einleitung

Schillers Werk Maria Stuart wird in der Forschungsliteratur nicht selten als das „im Technischen vollkommendste und regelmäßigste, am meisten klassische Bühnenstück“[1] Schillers bezeichnet. Mein thematischer Fokus liegt aber nicht auf einer formalen Analyse des Stückes, sondern richtet sich auf die Titelheldin Maria und ihre Kontrahentin Elisabeth. Das Schicksal der Königinnen spielt dabei eine entscheidende Rolle: Wenn doch Elisabeth als Siegerin in diesem Drama hervorgeht, warum ist dann Maria Stuart die Titelheldin?

Schiller definiert im Zusammenhang mit seinem klassischen Held den Begriff der „schönen Seele“. Dieses Ideal sollte demnach auch die Titelheldin in Maria Stuart aufweisen. Zentraler Aspekt wird daher sein, ob die Titelheldin von Beginn an eine positive Heldin im klassischen Sinne ist, oder ob sie sich erst im Laufe der Handlung dazu entwickelt. Damit einhergehend soll gezeigt werden, dass Schiller sich dem Maria Stuart Stoff und den weiblichen Helden mit besonderem Interesse widmete.

Der Figurencharakter der Maria greift in diesem Drama das Motiv der religiösen Märtyrerin auf. Gibt ihre Rivalin Elisabeth durch ihre tyrannischen Verhaltensmuster und ihren handlungstreibenden Motiven Auskunft über Marias Werdegang? Ich werde dies im Zusammenhang mit der Frage nach der „moralischen Siegerin“ klären.

Ergebnis der Hausarbeit soll es sein, die charakteristischen Besonderheiten der Hauptfiguren in ihrem Verhalten bezüglich ihrer Umwelt und gegenüber ihrer Kontrahenten herauszufinden, um dadurch die eigentliche Heldin des Stücks zu bestimmen. Dabei werde ich den „Läuterungsprozess“ der Maria nicht vollständig erklären können. Es werden deshalb exemplarische Auszüge der zentralen Stellen angeführt, um den inneren Konflikt Marias mit Elisabeths vergleichen zu können. Dies ist insofern wichtig, da meine Ausführungen zeigen werden, dass Elisabeth zwar unbewusst, aber dennoch maßgeblich am Läuterungsprozess der Marias beteiligt ist. Umgekehrt hat Maria das Schicksal der Elisabeth noch nach ihrem Tode weiterhin beeinflusst. Mein Bewertung der beiden weiblichen Hauptcharaktere läuft nicht auf eine Schwarz-Weiß-Darstellung der Figuren hinaus, sondern berücksichtigt vielmehr die divergierenden Beweggründe beider Frauen.

1. Schillers Heldenideal der „schönen Seele“

In seinen ästhetischen Schriften formuliert Schiller seine Vorstellung von einer humanen Gesellschaft in der Verkörperung einer Gestalt der „schönen Seele“:

„Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, daß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen. Daher sind bei einer schönen Seele die einzelnen Handlungen eigentlich nicht sittlich, sondern der ganze Charakter ist es“[2]

Der Charakter einer Figur ist es also, der sie zur schönen Seele macht. Ihre Harmonie von körperlichem und sprachlichem Ausdruck sind perfekt und äußerst anmutig. Charakter und äußere Schönheit sind verschmolzen: „In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung.“[3]

Dieses Modell der schönen Seele sollte der zu Schillers Lebzeiten bestehenden Gesellschaft als ideologisches Ideal dienen.[4] Bei Schiller sind es ausschließlich Frauen, denen die Möglichkeit vorbehalten ist eine schöne Seele zu werden.

1.1 Die „schöne Seele“ in der Figur der Maria Stuart

Schiller projizierte seine Vorstellung eines idealen Menschen auf die Gestalt der Maria Stuart. Jedoch besitzt sie nicht gleich von Beginn an diese Ideale. Anfangs agiert sie eher sprunghaft, leidenschaftlich und unvernünftig. Sie hat in der Vergangenheit durch Beihilfe am Mord ihres Gatten schwere Schuld auf sich geladen und ist sich dessen auch bewusst:

„[…] und lud die schwere Schuld auf mein so junges Leben.“ (I, 4)[5]

Es bedarf im Laufe des Dramas einer Wandlung zur schönen Seele. Dies vollzieht sich aber nicht so abrupt, wie Schiller es durch Kennedy beschreibt:

„Man löst sich nicht allmählich von dem Leben!

Mit einem Mal, schnell augenblicklich muss

Der Tausch geschehen zwischen Zeitlichem

Und Ewigem, und Gott gewährte meiner Lady

In diesem Augenblick der Erde Hoffnung

Zurückzustoßen mit entschlossner Seele,

Und glaubenvoll den Himmel zu ergreifen.“ (V,1)[6]

Im Gegensatz zum ersten Eindruck, dass sich der Prozess plötzlich und erst kurz vor ihrer Hinrichtung vollzieht, lassen sich im gesamten Drama Hinweise auf eine langsam stattfindende Entwicklung ausmachen. Maria durchläuft einen inneren Konflikt zwischen ihrer Findung zur eigenen Identität und den Einflüssen aus ihrem Umfeld. Daher kann diese Wandlung nur ein langsamer Prozess der Selbstverwirklichung sein. Gert Ueding beschreibt diesen Vorgang folgendermaßen:

„Die Erhabenheit wird zu einem Ideal, nach dem der Mensch als Gipfel seiner Selbstverwirklichung zu streben hat. Diese Selbstverwirklichung fällt ihm nicht zu, er verdankt sie nicht seinen Vorfahren, dem qua Geburt garantierten Stand, sondern – erreicht er sie – ist sie auch sein eigener Verdienst, Folge eines Bildungsprozesses an sich selber, abzulesen an seinen Taten und Werken.“[7]

Ihre Haltungen und Taten gegenüber anderen Figuren im Stück lassen Maria also erst am Ende als schöne Seele erscheinen. Dennoch beginnt der Entwicklungsprozess schon zu Beginn des Stückes. Ein Beispiel dafür ist, dass sie sich mehr Sorgen um ihr Gefolge, als um ihr eigenes Schicksal macht: “[…] doch beruhigt will ich sein, dass die Getreuen nicht leiden und entbehren.“(I,2)[8]

Doch erst eine vollständige Wandlung ihres Charakters in allen Lebenslagen würde sie zu schönen Seele machen. Diese Verwandlung zeichnet sich während der Begegnung der Königinnen bereits ab. Als sie von ihrer Rivalin Elisabeth Erniedrigungen erdulden muss, bewahrt Maria Haltung: „Fahr hin, ohnmächt’ger Stolz der edeln Seele!“ (III,4)[9]

Am Ende des Dramas kann sie schließlich allem Irdischen entsagen und ist für ihren Tod gewappnet:

„Nun hab ich nichts mehr

Auf dieser Welt –

(Sie nimmt das Kruzifix und küsst es.)

Mein Heiland! Mein Erlöser!

Wie du am Kreuz die Arme ausgespannt,

so breit sie jetzt aus, mich zu empfangen.“ (V,9)[10]

Erst kurz vor ihrem Tod erreicht Maria die vollkommene Reinheit mit sich selbst und ihrer Umwelt. Daher scheint ihre innere Wandlung als plötzlicher Durchbruch stattzufinden. Doch erst die selige Harmonie und das Freimachen von menschlichen Verlangen machen sie zur schönen Seele.

1.2 Schillers Charaktere sind „von der Geschichte hergegeben“

Vor Schiller haben sich bereits zahlreiche Schriftsteller mit dem Stoff der Maria Stuart auseinandergesetzt. Er besitzt eine lange Tradition, die Schiller ausgiebig studierte und schnell beschloss, diesem Stoff ein eigenes Drama zu widmen. Dass er dabei kein Interesse an den üblichen dramatischen Charakteren hatte, bekundete er in einem Brief an Goethe. Er schreibt, Stoffe von „Soldaten, Helden und Herrschern […] jetzt herzlich satt“[12] zu haben. Auch wenn Maria Stuart erneut ein Herrscherschicksal zum Gegenstand hat, so verschafft der Autor seiner Phantasie weitgehend Freiheit über die Geschichte und folgt seinen literarischen Vorläufern nur in der Handhabung des Stoffes: neben der Figur des Mortimer ist sowohl das Verhältnis zwischen Maria und Leicester, sowie die Begegnung der beiden Königinnen erfunden.[13] Die Wandlung der Maria entstammt ebenfalls seiner dichterischen Phantasie.[11]

1783 hatte Schiller sich bereits von Robertson, einem Bibliothekar aus Meiningen, die Geschichte von Schottland ausgeliehen, um sich dem Stoff anzunehmen. Da er zu dieser Zeit sehr mit seinem Fritz Imhoff und Don Carlos beschäftigt war, vernachlässigte er jedoch die Arbeiten an Maria Stuart.

Der jungendliche Dichter Schiller schrieb Maria Stuart in der Zeit der Weimarer Klassik. Diese Epoche wurde durch das Humanismusideal, sowie das aufgeklärte und rationale Bewusstsein des Menschen geprägt. In Schillers Gedankenaustausch mit Goethe beschreibt er selbst die Figur der Maria Stuart wie folgt:

„Meine Maria wird keine weiche Stimmung erregen, es ist meine Absicht nicht, ich will sie immer als ein physisches Wesen halten, und das Pathetische muss mehr eine allgemeine tiefe Rührung als ein persönlich und individuelles Mitgefühl sein.“[14]

Die eingeleitete Katastrophe bereits in der ersten Szene dient dazu, auf die enorme Tragik des Stoffs aufmerksam zu machen. Indem die Handlung des Stückes sich davon weg zu bewegen scheint, wird die endgültige Katastrophe immer näher geführt. Damit hatte Schiller optimale Dramatik, seiner Maria eine Wandlung zur schönen Seele zu ermöglichen.

2. Die charakterstarken Königinnen: Maria und Elisabeth

Beide Königinnen sind in ihrer äußeren Erscheinung von besonderer weiblicher Schönheit. Schiller wollte damit erreichen, dass man für beide Figuren gleichermaßen Mitleid das Sympathie oder Abneigung hegen kann.[15] Ebenfalls verbindet Maria und Elisabeth ihre jeweilige Stellung als Repräsentantin einer staatlichen Macht und als weibliche Rivalin. Dieser Umstand macht das Drama zu einem „Widerspiel von Öffentlichkeit und Privatheit, von geschichtlich-gesellschaftlichem und privat-psychischen Prozessen.“[16]

2.1 Maria Stuart ist nicht von Anfang an die positive Heldin

Marias Charakter wird von Schiller sowohl als lasterhaft, als auch als liebenswürdig und tugendhaft dargestellt. Diese Zuordnung an Eigenschaften lassen Maria als „ambivalentes Wesen erscheinen.“[17] Ihre äußerliche Gestalt hat Schiller mit einer auffallend natürlichen Schönheit und damit verbunden einer enormen Anziehungskraft auf Männer ausgestattet. Mortimer verfällt ihr zunächst allein durch das Betrachten eines Porträts:

[...]


[1] Vgl. Kommentar von Dietrich Bode. In: Friedrich Schiller. Maria Stuart. Reclam, Stuttgart, 2001, S.168

[2] Schiller: Über Anmut und Würde. Schiller-SW Bd. 5, S. 468

[3] Ebd. S. 468-469

[4] vgl. Gert Ueding: Schillers Rhetorik. Idealistische Wirkungsästhetik und rhetorische Tradition. Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1971, S. 63.

[5] Schiller, Friedrich: Maria Stuart. Reclam Verlag, Stuttgart, 2001, V. 296. (= Reclam 64).

[6] Schiller, Friedrich: Maria Stuart. V. 3402 ff

[7] Ueding, Gert: Schillers Rhetorik. S. 71

[8] Schiller, Friedrich: Maria Stuart. V. 206 f

[9] Ebd., V. 2246

[10] Vgl. Schiller, Friedrich: Maria Stuart. V. 3815 ff

[11] Schillers Brief vom 11.06.1799 an Goethe

[12] Schillers Brief vom 19. 03.1799 an Goethe

[13] Vgl. Matthias Luserke (Hrsg.): Friedrich Schiller Dramen IV. Deutscher Klassiker Verlag, 1996, S. 541

[14] Schillers Brief vom 18. 06.1799 an Goethe

[15] Vgl. Matthias Luserke: Friedrich Schiller Dramen IV. S. 577

[16] Vgl. Ebd., S. 578

[17] Vgl. Ebd., S. 578

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Maria Stuart und ihre Verwandlung zur "schönen Seele"
Untertitel
Die Rechtfertigung ihrer Position als Titelheldin und moralische Siegerin im Vergleich zu ihrer Kontrahentin Elisabeth in Friedrich Schillers Werk
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Proseminar zu Friedrich Schiller
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V35278
ISBN (eBook)
9783638352475
ISBN (Buch)
9783638879620
Dateigröße
602 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Maria, Verwandlung, Seele, Rechtfertigung, Position, Titelheldin, Siegerin, Vergleich, Kontrahentin, Elisabeth, Friedrich, Schillers, Stuart, Proseminar, Schiller
Arbeit zitieren
Master of Arts Alexander Monagas (Autor:in), 2004, Maria Stuart und ihre Verwandlung zur "schönen Seele", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35278

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