Zur Bedeutung sozialer Anerkennung im Prozess der Identitätskonstruktion


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

13 Seiten, Note: sehr gut (1,3)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Das Konzept der sozialphilosophischen Anerkennungstheorie Axel Honneths

3. Formen und Dimensionen der Anerkennung
3.1 Anerkennungsformen
3.1.1 Emotionale Zuwendung
3.1.2 Rechtliche Achtung
3.1.3 Soziale Wertschätzung
3.2 Anerkennungsdimensionen

4. Formen und psychische Folgen sozialer Missachtung

5. Pädagogische Handlungsmaximen

6. Literaturverzeichnis

1. Einführung

Die Erforschung der Identität, insbesondere der Komponenten die zu ihrer erfolgreichen Entwicklung beitragen, stellt seit jeher eine zentrale und nur interdisziplinär zu bearbeitende Aufgabe humanistisch orientierter Wissenschaften dar.

Im Geflecht unterschiedlichster Einflüsse, deren Wirkmechanismen von der Neurologie über die Psychologie bis zur Soziologie unter jeweils anderen Fragestellungen untersucht werden, beschäftigt sich auch die Pädagogik mit der Rolle sozialer Faktoren bei der Konstruktion einer stabilen und ausgeglichenen Identität. Wie können diese problemadäquat analysiert und in pädagogisch fruchtbare Handlungsmaximen übersetzt werden ?

Solch eine Analyse wird umso schwieriger, je komplexer sich zum einen das Interaktionsfeld entwickelt und je dynamischer sich zum anderen die externen Umstände verändern. So stellen die großen sozialen Trends unserer Zeit die Pädagogik vor neue Herausforderungen[1]. Es geht im Kern um die Frage, welche Kompetenzen Heranwachsende brauchen und wie diese erworben werden um sich in einer zunehmend globalisierten, individualisierten und schnelllebigeren Risikogesellschaft[2] als authentisches, innerlich gefestigtes Individuum zu behaupten[3]. Sozialpädagogische Identitätsarbeit muss in diesem Kontext als Schaffung von Lebenskohärenz interpretiert werden, die umso schwieriger zu erreichen ist, je fluider die Gesellschaft wird, je stärker traditionelle Grenzen in Fluss geraten, je mehr ehemals statische Konstanten zu dynamischen Variablen werden.

Was gelten beispielsweise noch traditionelle Geschlechterrollen oder kulturelle Wertvorstellungen, was gilt noch die Grenze zwischen öffentlich und privat, zwischen Kultur und Natur, wenn Grenzüberschreitungen mehr und mehr zur gesellschaftlichen Norm werden ?[4]

Um dieser veränderten Wirklichkeit Herr zu werden, sie für sich sogar positiv zu nutzen, indem sich das Individuum kreativ aus vorgegebenen Schnittmustern der Lebensgestaltung löst, braucht es aber neben den unabdingbaren sozialen und materiellen Ressourcen, sowie zivilgesellschaftlichen und interkulturellen Kompetenzen vor allem auch Erfahrungen der Zugehörigkeit und der sozialen Anerkennung[5].

Gerade letzterer kommt in diesem interdependenten Geflecht eine herausragende Rolle zu. Erweist sich diese als mangelhaft, fehlen dem Heranwachsenden bestätigende soziale Bezüge, klare normative Orientierungen und Respekt vor sich selbst und anderen, sucht es seine persönliche Identität nicht selten in Sucht und Gewalterfahrungen[6].

Eine gesunde Identitätskonstruktion wird nahezu unmöglich. So konstatiert Taylor, dass „Nichtanerkennung oder Verkennung Leiden verursachen [kann], eine Form von Unterdrückung ist, die den anderen in ein falsches, deformiertes Dasein einschließt.[7]

Um den Zusammenhang zwischen sozialer Anerkennung und Identitätsentwicklung weiter zu erleuchten, werden nach einer kurzen Konzeptionalisierung der sozialphilosophischen Anerkennungstheorie Axel Honneths, sowohl die Formen und Dimensionen der Anerkennung als auch die möglichen Folgen ihres Mangels dargestellt. Anschließend wird der Fokus auf die Konsequenzen für die Pädagogik gerichtet. Welche Handlungsmaximen gelten, wie werden diese in der schulischen Realität umgesetzt ? Brauchen wir vielleicht eine neue Kultur der Anerkennung ?

2. Das Konzept der sozialphilosophischen

Anerkennungstheorie Axel Honneths

Schon Goethe fragte sich, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Auf der Suche nach Faktoren, die die soziale Welt zusammenhalten, die Gesellschaft als kohärente Gemeinschaft nach innen und außen erst möglich machen, konstruierte der Sozialphilosoph Axel Honneth Anfang der 1990er Jahre seine berühmt gewordene Gesellschaftstheorie „ Kampf um Anerkennung - Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte“.

Ganz gleich, ob es sich auf der Makroebene um ethnische, kulturelle oder religiöse Gemeinschaften handelt oder nur um soziale Netzwerke auf der Meso- und zwischenmenschliche Kontakte auf der Mikroebene, ohne gegenseitige Anerkennung ist kein friedvolles Zusammenleben denkbar.

Da erst die reziproke Anerkennung aller Subjekte einen fruchtbaren Raum der Interaktion schafft, sind sowohl das Individuum, als auch seine Gemeinschaft nur in einem dialektischen Austauschprozess vorstellbar[8].

Anders formuliert beeinflusst gegenseitige Anerkennung nicht nur die Qualität einer Gesellschaft, sie ist vielmehr fundamentale Voraussetzung für ihre Existenz. Auf der anderen Seite kann das Individuum seine Identität nur in Bezug zur Gesellschaft als Referenz- und Orientierungspunkt ausbilden. Ohne gesellschaftliche Anerkennung ist somit weder Identität, noch ein gesundes Verhältnis zu sich selbst und zur gesellschaftlichen Lebenswelt denkbar[9].

3. Formen und Dimensionen der Anerkennung

3.1 Anerkennungsformen

Soziale Anerkennung findet in diesem Kontext in drei spezifischen Modi statt, in denen sich Individuen sowohl reziprok in ihrer Bedürfnisstruktur bestätigen, als auch wechselseitig als autonome und individuierte Personen anerkennen.

Obgleich dies je nach Anerkennungsform auf jeweils unterschiedlichem Abstraktionsniveau geschieht, kann nicht auf eine Bedürfnispyramide der Anerkennung geschlossen werden, die zwischen wichtigen und nachgeordneten Mustern zu differenzieren versucht. So schafft erst das psychosoziale Zusammenspiel aller drei Anerkennungsformen die Voraussetzung für eine gelingende Identitätskonstruktion. Wird eine Anerkennungsebene als mangelhaft wahrgenommen oder sogar ganz verweigert, fehlt dem Individuum ein positiver Selbstbezug, ohne den keine ausgewogene und belastbare Identität vorstellbar ist[10].

3.1.1 Emotionale Zuwendung

Die erste Form der Anerkennung bezieht sich in diesem Kontext auf Primärbeziehungen. In ihrem Kern umfassen diese zunächst inner- später außerfamiliale Liebesbeziehungen, aber auch gute Freundschaften, die sich durch gegenseitige Zuneigung und Fürsorge auszeichnen[11]. Die Qualität der Primärbeziehungen misst sich hierbei zum einen an der gegenseitigen Kenntnis der individuellen Bedürfnisstruktur des Partners, wie auch an der Art und Weise, wie diese anerkannt und reziprok bestätigt wird. Eine gesunde Balance zeichnet sich darüber hinaus durch ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen Symbiose (dem Wissen, dass man sich gegenseitig braucht) und Selbstbehauptung (dem Wissen, dass man ein autonomer Mensch und keine Marionnette ist) aus[12]. Ausgeglichene Primärbeziehungen schaffen somit die Basis des Selbstvertrauens[13].

[...]


[1] Vgl. Lechner, S.1

[2] Vgl. Beck, Ulrich; Risikogesellschaft, Auf dem Weg in eine andere Moderne, München 1986;

zitiert aus: Lechner, S.1

[3] Vgl. Keupp 2003, S.12

[4] Vgl. Keupp 2003, S.5

[5] Vgl. Keupp 2002, S.99

[6] Vgl. Lechner, S.1

[7] zitiert aus: Keupp 2003, S.18

[8] Vgl. Sitzer, S.1

[9] Vgl. Sitzer, S.1

[10] Vgl. Honneth, S. 199

[11] Vgl. Sitzer, S.2

[12] Vgl. Keupp 2002, S.254

[13] Vgl. Sitzer, S.2

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Zur Bedeutung sozialer Anerkennung im Prozess der Identitätskonstruktion
Hochschule
Universität zu Köln  (Pädagogisches Seminar)
Veranstaltung
HS Die pädagogische Frage nach dem gelingenden Leben
Note
sehr gut (1,3)
Autor
Jahr
2004
Seiten
13
Katalognummer
V35234
ISBN (eBook)
9783638352154
ISBN (Buch)
9783640667925
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bedeutung, Anerkennung, Prozess, Identitätskonstruktion, Frage, Leben
Arbeit zitieren
Edineia Kleemann (Autor:in), 2004, Zur Bedeutung sozialer Anerkennung im Prozess der Identitätskonstruktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35234

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