Die Bilder von Andreas Gursky. Realismus oder Abstraktion?

Fünf Beispiele aus dem aktuellen Werk des Fotografen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

22 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Andreas Gursky
2.1 Gursky und sein künstlerisch-biographischer Hintergrund
2.2 Gursky und die Motivwahl
2.3 Gursky und die Malerei
2.4 Gursky und die digitale Technik

3. Einzelne Werke
3.1 Paris, Montparnasse, 1993
3.2 Ohne Titel X (Constable), 1999
3.3 May Day IV, 2000
3.4 Bundestag, 1998
3.5 99 Cent, 1999
3.6 EM, Arena I, 2000

4. Schlussbetrachtung

1. Einleitung

„Dokumentarischer Realismus oder digitale Manipulation, modernistischer Idealismus oder postmoderner Skeptizismus, Kunst oder Kommerz, konzeptuelle Strenge oder spontane Beobachtung, Fotografie oder Malerei – diese [...] Antagonismen haben so manche scharfe Diskussion ausgelöst. Für Gursky sind sie keine Gegensätze, sondern Gefährten. [...] [Er hat die] Fähigkeit viele dieser scheinbaren Polaritäten in seine Arbeiten zu integrieren.“[1]

Ich möchte in den folgenden Ausführungen zu Lebenslauf, Arbeitsform und Werk des zeitgenössischen Fotografen Andreas Gursky auf dessen aktuelle Arbeiten eingehen, die zur Zeit im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main ausgestellt sind. Die Auswahl begrenzt sich auf sechs seiner jüngsten Werke. Die Entwicklung der Werke Gurskys, etwa vom Anfang der 80er Jahre an, ist im MMK[2] nicht dokumentiert, Die Betrachtung des Gesamtwerks Gurskys wird in dieser Arbeit demnach nicht Gegenstand sein.

Ich möchte im folgenden der Frage nachgehen, inwiefern sich die „scheinbaren Polaritäten“[3], vor allem Gurskys geliebteste, die Polarität zwischen Realismus und Abstraktion[4], in den Werken des Künstlers bemerkbar machen.

Der Journalist Ulrich Rüdenauer hat bezüglich des aktuellen „Szenenwechsel“s im MMK über Gursky geschrieben, dass dieser zwar nicht der einzige ausgestellte Künstler sei, aber: „Er ist sicherlich einer, der den Weg zur Abstraktion und zum fast malerischen Verständnis von Fotografie am weitesten gegangen ist.“[5] Diese These möchte ich als Anhaltspunkt für die weiterführende Fragestellung und die zweite wichtige „scheinbare Polarität“[6] nehmen, inwieweit Gursky die Malerei in die Fotografie mit einbezieht und wie er sich an ihr orientiert sowie sich ihrer bedient, um seine Kunst zu verwirklichen.

Ziel dieser Arbeit ist es also, anhand der ausgewählten Literatur, der Analyse der fotografischen Bilder sowie den Gesprächen mit den Betreuern der Gursky -Ausstellung im MMK, das aktuelle Schaffen des Düsseldorfer Künstlers nachzuvollziehen. Seine Werke sollen sowohl unter inhaltlichen wie auch formalen Gesichtspunkten untersucht werden und trotz ihrer vorgeblichen Autonomie unter der seriellen Gemeinsamkeit von integrierten Polaritäten behandelt werden.

Bezüglich meiner Fragestellungen möchte ich zuallererst den Blick auf diejenigen Personen richten, die großen Einfluss auf Andreas Gurskys Laufbahn hatten und seinen heutigen Stil entscheidend prägten.

2. Andreas Gursky

2.1 Gursky und sein künstlerisch-biographischer Hintergrund

Andreas Gursky wurde im Januar 1955 als einziges Kind von Rosemarie und Willi Gursky in Leipzig geboren. Er war schon früh mit dem Medium der Fotografie im kommerziellen Sinn vertraut, da er in der Tradition von Berufsfotografen in der Familie seines Vaters steht.[7]

Andreas Gursky wurde in seiner Laufbahn von zwei sehr unterschiedlichen fotografisch - künstlerischen Prinzipien geprägt. Seine Lehrmeister, Otto Steinert und Bernd und Hilla Becher, stellen zwei nicht zu vereinbarende ästhetische Richtungen dar.

1977 bewirbt sich Gursky zunächst an der Folkwangschule in Essen, die von Otto Steinert gegründet worden war. Ein Jahr nachdem Gursky das Studium begonnen hatte, 1978, starb Steinert . Mit dessen Leben war gleichsam auch eine Ära beendet; die Fotografie mit der Leica und damit „die Romantik der spontanen Beobachtung“[8] wurde von den jungen Fotografen abgelegt, die in der Folgezeit Plattenkameras mit Stativ verwendeten. Mit Hilfe der größeren Negative entstand nun eine wesentlich detailreichere und genauere Fotografie. Otto Steinert, 1915 geboren, war ein Fotograf, der die künstlerische Bedeutungszumessung der Fotografie sehr stark verfolgte ganz im Gegensatz zu den Bechers.

Von 1981 bis 1987 verbrachte Gursky seine Lehrjahre in der Kunstakademie in Düsseldorf, wo Bernd Becher seit 1976 eine Professur hatte, und besuchte als Schüler dessen Klasse. Neben seiner Lehrzeit in der Steinerschen Schule genoss Gursky hier den wohl wichtigsten Teil seiner Ausbildung. Als Fotografen arbeitend, richteten Bernd und Hilla Becher , geboren 1931 bzw. 1934, ihre Aufmerksamkeit auf die Stahlindustrie und bildeten auch ansonsten vorzugsweise Architekturkategorien ab. Ihre Bilder erhielten erst mit der neuen Minimal- und Konzeptkunst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts auch in Ausstellungen Beachtung. Entscheidend für ihren Stil waren die „abstrahierenden schwarz-weiß Effekte“. Es entstand eine „schematische Einfachheit der Bilder“.[9] Diese durch und durch sachlich nüchterne Haltung gegenüber dem Medium wird auch als „straight fotografy“ bezeichnet; als eine Fotografie, die nicht emotional beeinflusst ist und doch auch keinesfalls ein fotojournalistisches, das heißt rein dokumentarisches, Werk bedeutet, wie es, um nur ein Beispiel zu nennen, Barbara Klemm verfolgte. Der Mensch als Bildelement, als im Bild auftretende Figur, ist niemals in den Werken der Bechers miteinbezogen. Typologien von Bildern, das heißt Formen von Familienzusammengehörigkeiten, bestimmten das konzeptuelle Schaffen der Bechers. Nicht nur ihr Arbeits- sondern auch der Lehrstil der Partner, die sie im Beruf wie im Leben waren, ist die unpersönliche Objektivität. Experiment und Subjektivismus in der Fotografie lehnen die Künstler konsequent ab. „Bernd Becher nahm nur sehr wenige Studenten an, so dass seine Klasse trotz der langen Ausbildungszeit lediglich aus jeweils 6 oder 7 Schülern bestand. Die Seminare wurden normalerweise privat im Hause der Bechers abgehalten.“[10] So bildete sich eine starke Gemeinschaft mit starkem Zusammenhalt aber auch Konkurrenz unter den Schülern aus, die neben Andreas Gursky zum Beispiel Ruff, Struth, Hütte und Wunderlich waren. Die Studenten wurden, worauf wohl keiner von ihnen gefasst war, etwas mehr als 10 Jahre nach Beginn in der Kunstakademie mit einem Schlag berühmt. Der Begriff Becher-Schüler wurde zum Markenzeichen. Vor allem Gursky wurde von dem Erfolg zu seinen besten und originellsten Arbeiten angespornt.

Ein Graduiertenstipendium der Kunstakademie erlaubte es Gursky, sich 1987 ohne zusätzliche kommerzielle Tätigkeiten auf seine Kunst zu konzentrieren. Er verlässt die Akademie und verabschiedet sich später in seinem reifen Werk immer mehr von dem konzeptuellen Imperativ der Bechers (worauf im nächsten Kapitel weiter eingegangen wird).[11] Die vielen späteren Einflüsse von anderen Künstlern, unter diesen ganz besonders der Kanadier Jeff Wall sowie die Amerikaner, die schon seit dem Krieg große Erfolge erzielten, prägten Gursky. Doch die Tatsache, dass er trotzdem einen im Grunde nicht unterzukriegenden eigenen Kern in seinen Arbeiten bewahrte, lässt letztlich doch auf ein relativ konsequentes Festhalten an dem schließen, was er in der Vergangenheit gelernt hatte. Gursky ist und bleibt also einerseits ein Becher-Schüler, andererseits kann man ihn nicht darauf reduzieren.[12] Die Bechers lehrten ihren Studenten zum Beispiel die Wahl eines stets einheitlichen Bildstils und zwar wenn möglich ohne Wolken, frontal und statisch. Das stringente Festhalten an solchen Bildschemata behielt Gursky bei. Zudem beweist er sich als Schüler der objektivierenden Fotografie der Bechers, da man als „Betrachter überall in seine Bilder einsteigen kann und nicht zum Nachvollzug vorbestimmter Sehweisen gezwungen wird.“[13] Bechers war es wichtig, das aufdringliche Hervortreten des fotografischen Standpunkts zu reduzieren. Gursky macht seine Bilder stets von fernen Betrachterstandpunkten aus. Er steht selber nie mitten im Geschehen. Oft wird das Motiv infolgedessen aus einer für den Betrachter ungewohnten Perspektive abgebildet.

2.2 Gursky und die Motivwahl

Die von mir näher betrachtete Auswahl konzentriert sich auf Farbfotos, eine von Gursky bevorzugte Technik, die ihn von den anderen Künstlern der Becher-Schule abgrenzt. Gursky wurde vielleicht von der früh einsetzenden Farbigkeit der amerikanischen Werke inspiriert.

Zudem war im Vergleich zu seinen Mitschülern und auch im Vergleich mit Bechers selbst der Fokus bei Andreas G. etwa Mitte der 80er Jahre nicht das serielle Vorgehen sondern die Suche nach dem ganz einmaligen Bild. „Man kann sagen es sind Wunschbilder, Schlüsselbilder, Idealbilder, nach denen der Künstler suchte, die er in seiner Vorstellung hatte.“[14] „Gursky sucht im Besonderen, Heutigen, Zeitgenössischen nach allgemeinen, immer wiederkehrenden Zeichen von Regeln und Strukturen des Zusammenlebens, Produzierens und Ordnens der Welt.“[15] Was Gursky nicht im entferntesten verfolgt, ist der konzeptuelle Einsatz der Fotografie.[16] Gursky kennt nicht die starre typologische Erfassung von Gegenständen, wie es seine Lehrmeister Bernd und Hilla Becher verfolgten, und es sind keine geschlossenen thematischen Gruppen, die er vorsätzlich fotografiert, auch wenn einige seiner Arbeiten den Anschein einer gewissen Familienzusammengehörigkeit erwecken. Inwiefern auch die zur gegenwärtigen Zeit im MMK ausgestellte Auswahl auf den ersten Blick stark individualistischer Fotos serielle Züge aufweist, soll in der Nebeneinanderstellung der Ikonographien im zweiten Teil dieser Arbeit deutlich werden.

[...]


[1] Galassi, P., 2001, S. 40.

[2] Museum für Moderne Kunst.

[3] Galassi, P., 2001, S. 40.

[4] Galassi, P., 2001, S. 32.

[5] Rüdenauer, U., 2001, S. 34.

[6] Galassi, P., 2001 S. 40.

[7] Vgl. Galassi, P., 2001, S. 12.

[8] Galassi, P., 2001, S. 13.

[9] Vgl. Galassi, P., 2001, S. 10f.

[10] Galassi, P., 2001, S. 16.

[11] Vgl. Galassi, P., 2001, S. 15.

[12] Siehe folgendes Kapitel.

[13] Schmitz, R., 1994, S. 8.

[14] Kramer, M., vom MMK, 2001.

[15] Stahel, Urs, in: http://www.fotomuseum.ch/DEU/9811SHOW1/show_Fram-Ein.html..

[16] Vgl. Ausstellungskatalog Kunstmuseum Bonn, 1999, S. 17.

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Details

Titel
Die Bilder von Andreas Gursky. Realismus oder Abstraktion?
Untertitel
Fünf Beispiele aus dem aktuellen Werk des Fotografen
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Mittelseminar: Fotografie nach der Fotografie: Das digitale Bild
Note
1-
Autor
Jahr
2001
Seiten
22
Katalognummer
V33273
ISBN (eBook)
9783638337922
ISBN (Buch)
9783638901888
Dateigröße
2636 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Andreas, Gursky, Realismus, Abstraktion, Fünf, Beispiele, Werk, Fotografen, Mittelseminar, Fotografie, Bild
Arbeit zitieren
Ann-Katrin Kutzner (Autor:in), 2001, Die Bilder von Andreas Gursky. Realismus oder Abstraktion? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33273

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