Das europäische Agrarrecht und die neue GAP-Reform


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

37 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Grundzüge des europäischen Agrarrechts
1.1 Die gemeinsame Agrarverfassung
1.1.2 Die Landwirtschaft im Gemeinsamen Markt
1.1.3 Anwendungsbereich der Agrarregelungen
1.1.4 Gemeinsame Agrarpolitik
1.1.4.1 Einheit des Marktes
1.1.4.2 Gemeinschaftspräferenz
1.1.4.3 Finanzielle Solidarität
1.1.5 Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik
1.1.5.1 Sicherstellung der Versorgung
1.1.5.2 Sicherstellung einer angemessenen Lebenshaltung
1.1.5.3 Steigerung der Produktivität
1.1.5.4 Stabilisierung der Märkte
1.1.5.5 Gewährleistung angemessener Verbraucherpreise
1.1.5.6 Neuausrichtung der Ziele
1.1.6 Agrarstrukturpolitik
1.1.6.1 Grundlage für eine Agrarstrukturpolitik
1.1.6.1.1 Eigenarten landwirtschaftlicher Tätigkeit
1.1.6.1.2 Stufenweise Anpassung
1.1.6.2 Strukturpolitik und Politik des ländlichen Raums
1.2 Die Instrumente der Gemeinsamen Agrarpolitik
1.2.1 Europäische Marktordnungen
1.2.1.1 Binnenmarkt
1.2.1.1.1 Preis- und Interventionssystem
1.2.1.1.2 Beihilferegelungen
1.2.1.1.3 Ergänzende Sonderregelungen
1.2.1.1.4 Maßnahmen zur Begrenzung der Produktion
1.2.1.2 Bestimmungen zum Handel mit Drittländern
1.2.1.2.1 Außenschutz
1.2.1.2.2 Ausfuhrförderung
1.2.1.2.3 Internationale Abkommen
1.2.2 Reformen

2. Die neue GAP-Reform
2.1 Die entscheidenden Elemente der GAP-Reform in der Systematik der VO (EG) Nr. 1782/
2.1.1 Anwendungsbereich
2.1.2 Cross Compliance
2.1.3 Modulation
2.1.4 Regelung der einheitlichen Betriebsprämie
2.1.4.1 Allgemeine Bestimmungen
2.1.4.2 Bestimmung des Beihilfebetrags
2.1.4.3 Zahlungsansprüche
2.1.4.3.1 Flächenbezogene Zahlungsansprüche
2.1.4.3.2 Zahlungsansprüche, die besonderen Bedingungen unterliegen
2.1.4.4 Flächennutzung
2.1.4.5 Flächenstilllegung
2.1.4.6 Regionale Durchführung
2.1.4.7 Weitere Optionen
2.2 Zur Umsetzung der Reform in Deutschland

Schlussanmerkungen

Literaturverzeichnis

Einleitung:

Die EU-Agrarminister haben am 26 Juni 2003 eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik verabschiedet. Zentrales Ergebnis ist die am 29. September 2003 vorgelegte Verordnung (EG) Nr. 1782/2003[1] mit der eine Neuausrichtung des Systems der Einkommensbeihilfen eingeleitet wird. Durch die Einführung einer einheitlichen Betriebsprämienregelung soll die vollständige Entkopplung der Beihilfen von der produzierten Menge vollzogen werden. Die Gewährung der Beihilfen wird in Zukunft an die Einhaltung gewisser Standards aus den Bereichen Umwelt, Tierschutz sowie Gesundheit und Landschaftsschutz gebunden. Darüber hinaus ist eine Stärkung der 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik, der sogenannten Politik der ländlichen Entwicklung vorgesehen. Die Beschlüsse sind bis zum 1. August 2004 in nationales Recht umzusetzen. Am 28. Februar 2004 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Reformen vorgelegt.

Diese Arbeit versucht in einem ersten Teil die Grundlagen des europäischen Agrarrechts zu erläutern, soweit sie für das Verständnis der Reform notwendig sind. Dabei sollen zunächst die Besonderheiten der Gemeinsamen Agrarpolitik aus der Systematik des EGV heraus erklärt werden. Daran anschließend folgt ein Überblick über die sekundärrechtlich geregelten Instrumente der GAP. Am Schluss des ersten Teils steht eine Betrachtung der bisherigen großen Reformen von 1992 und 1999 (Agenda 2000). Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der aktuellen GAP-Reform, wobei sich die Ausführungen auf die zentralen Elemente der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003[2] (Betriebsprämienregelung, Cross Compliance und Modulation) sowie die Umsetzung der Bestimmungen in deutsches Recht beschränken sollen.

1. Grundzüge des europäischen Agrarrechts:

1.1 Die gemeinsame Agrarverfassung:

Das Agrarrecht der europäischen Mitgliedsstaaten (MS) wird heute zum überwiegenden Teil vom Recht der Europäischen Gemeinschaft bestimmt. Art. 3 I lit. e EGV rechnet der Tätigkeit der Gemeinschaft eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der Landwirtschaft und der Fischerei zu. Der EG-Vertrag enthält in diesem Sinne eine gemeinschaftliche Agrarverfassung, die in den Art. 32 – 38 EGV die Bestimmungen für den Bereich der Landwirtschaft regelt.

1.1.2 Die Landwirtschaft im Gemeinsamen Markt:

Art. 32 I 1 EGV bezieht die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in den Gemeinsamen Markt mit ein. Dieser Umstand ist zurückzuführen auf die große strategische und volkswirtschaftliche[3] Bedeutung, die dem Agrarsektor insbesondere zur Zeit der Gründung des Vertrages über die EWG zukam. Eine umfassende ökonomische Integration wäre ohne Einbeziehung der Landwirtschaft nicht denkbar gewesen. Nicht zuletzt geschah die Einbeziehung der Landwirtschaft auch auf das Drängen Frankreichs, das traditionell einen bedeutenden und umfassend geregelten Agrarsektor besaß.[4]

Art. 32 II EGV erklärt nun zunächst die Vorschriften des Gemeinsamen Marktes (Grundfreiheiten, Wettbewerbsregeln) auf die Landwirtschaft für anwendbar, schickt jedoch direkt den Vorbehalt hinterher, „soweit in den Artikeln 33 bis 34 nicht etwas anderes bestimmt ist“. Was zunächst wie eine Ausnahme anmutet, erweist sich gleichsam als Normalfall. Insbesondere mit Blick auf die in Art. 34 I lit. c EGV vorgesehenen europäischen Marktordnungen, die für den überwiegenden Teil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse existieren, offenbart sich die Regelungsdichte des europäischen Agrarrechts. Nicht umsonst werden der europäischen Agrarpolitik bisweilen planwirtschaftliche Züge nachgesagt.[5] Der Vorrang der Agrarregelungen vor den Vorschriften des Gemeinsamen Marktes als lex spezialis rechtfertigt sich durch die Sonderstellung, welche der Landwirtschaft innerhalb der Volkswirtschaft zukommt. Diese ergibt sich einmal aus den besonderen Produktionsbedingungen, die durch nicht beeinflussbare Faktoren wie Witterungsverhältnisse und die begrenzte Lagerfähigkeit der Produkte gekennzeichnet sind, zum anderen aus ihrer Funktion als Erzeuger von Grundnahrungsmitteln, was insbesondere für die Bewältigung von Krisenzeiten (wie sie ja der Vertragsgründung unmittelbar vorausgingen) von Bedeutung ist. Mittlerweile wird zunehmend auch die Funktion der Landwirtschaft im Umweltschutz, in der Landschaftspflege und als Erhalter ländlicher Strukturen und des ländlichen Lebens in Dorfgemeinschaften hervorgehoben.

1.1.3 Anwendungsbereich der Agrarregelungen:

Der Begriff „Landwirtschaft“ ist im EGV nicht näher definiert. Es finden sich jedoch Begriffserklärungen in den sekundärrechtlichen Regelungen der Gemeinschaft, wie z.B. „landwirtschaftliche Tätigkeit“ in Art. 2 lit. c der VO (EG) Nr. 1782/2003.[6] Unter der Bezeichnung „landwirtschaftliche Erzeugnisse“ versteht der Art. 32 I 2 EGV Erzeugnisse des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei sowie die mit diesen in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Erzeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe. Der Begriff „Erzeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe“ bezeichnet Erzeugnisse wie Käse, Wein oder Zucker, die über ein bestimmtes Herstellungsverfahren aus dem (landwirtschaftlichen) Grunderzeugnis hervorgegangen sind, wobei der Preis des Grunderzeugnisses als Kostenfaktor keine untergeordnete Rolle gegenüber den Kosten des Herstellungsverfahrens spielen darf.[7] Nach Art. 32 III EGV enthält Anhang I des EGV eine abschließende Liste der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, für die somit die Vertragsregeln über die Landwirtschaft anzuwenden sind. Darüber hinaus wurden mittlerweile weitere Erzeugnisse in die Gemeinsame Agrarpolitik aufgenommen, die im Anhang I des EGV nicht aufgeführt sind, darunter Seide und Baumwolle.[8]

Der geographische Geltungsbereich ergibt sich aus dem Art. 299 EGV, wobei die Sonderstellung der französischen Departements, der Azoren, Madeiras und der Kanarischen Inseln zu berücksichtigen ist, für die die Anwendung des Vertrages, einschließlich der gemeinsamen Politiken, unter speziellen Bedingungen erfolgt.[9]

1.1.4 Gemeinsame Agrarpolitik:

Um das Funktionieren und die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu gewährleisten, verlangt der Art. 32 IV EGV die Gestaltung einer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Als Grundprinzipien der GAP werden die Einheit des Marktes, die Gemeinschaftspräferenz und die finanzielle Solidarität gesehen.[10]

1.1.4.1 Einheit des Marktes:

Dies bedeutet die Schaffung eines Binnenmarktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse, wie er auch für den übrigen Warenverkehr im EGV vorgesehen ist,[11] das beinhaltet insbesondere:

- Die Abschaffung von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen bzw. Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten;
- Einen gemeinsamen Außenzoll gegenüber Drittländern;
- Die Schaffung einheitlicher Wettbewerbsregeln;
- Die Angleichung innerstaatlicher Rechtsvorschriften, soweit sie für landwirtschaftliche Erzeugnisse von Bedeutung sind (z.B. verwaltungs- und gesundheitsrechtliche Bestimmungen);
- Die Einführung eines gemeinsamen Agrarpreissystems.

1.1.4.2 Gemeinschaftspräferenz:

Das Prinzip der Gemeinschaftspräferenz sichert landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die innerhalb der Grenzen der EG hergestellt werden, eine Vorzugsbehandlung gegenüber Importen aus Drittstaaten.[12] Es stellt jedoch keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der einen Rechtsanspruch begründen würde. Der Gesetzgeber ist also nicht zur Anwendung dieses Prinzips verpflichtet, vielmehr gilt es abzuwägen, wie sich die Gemeinschaftspräferenz auf den internationalen Handel und die Einhaltung internationaler Abkommen (GATT, WTO) auswirkt.[13]

1.1.4.3 Finanzielle Solidarität:

Prinzipiell sollen die Kosten der Gemeinsamen Agrarpolitik von der Gemeinschaft getragen werden. Dies erscheint zunächst nachvollziehbar unter dem Gesichtspunkt, dass die Landwirtschaftspolitiken der einzelnen Mitgliedsstaaten auf die Gemeinschaftsebene übertragen wurden. Allerdings wird dieses Prinzip vom EGV nicht zwingend vorgegeben, auch hier handelt es sich somit nicht um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz. Die Möglichkeit der Finanzierung agrarpolitischer Maßnahmen durch die Mitgliedsstaaten ist weiterhin gegeben.[14] Zur Aufbringung und Verteilung der für die GAP notwendigen Mittel ist in Art. 34 III EGV die Schaffung eines oder mehrerer Ausrichtungs- oder Garantiefonds für die Landwirtschaft vorgesehen. Im Zuge der ersten Marktordnungen wurde mit der Verordnung (EWG) Nr. 25/1962[15] von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und ein Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) geschaffen. Es wurde bewußt die Beschränkung auf ein Finanzierungsinstrument für die Gesamtheit der Agrarausgaben gewählt, anstatt etwa mehrere Fonds für die verschiedenen Marktordnungen einzurichten. Der EAGFL ist kein Fonds im eigentlichen Sinne, er besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit und keine eigenen (Fonds-) Mittel.[16] Er ist vielmehr „ein Teil des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Gemeinschaften“.[17] Der EAGFL ist aufgeteilt in eine Abteilung „Ausrichtung“, welche die Finanzierung der Agrarstrukturpolitik abdeckt und eine Abteilung „Garantie“, die den weitaus bedeutenderen Teil der Finanzierung ausmacht. Sie umfasst die Ausfuhrerstattungen und Interventionsmaßnahmen (Marktordnungspolitik), einen Großteil der Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums, Veterinär- und Pflanzenschutzmaßnahmen sowie Maßnahmen der Information über die gemeinsame Agrarpolitik sowie der Evaluierung.[18]

1.1.5 Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik:

In Art. 33 I EGV sind die Ziele der GAP aufgeführt:

- Die Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft. Damit ist nicht die Steigerung der Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse, sondern ein effizienterer Einsatz der Produktionsfaktoren gemeint. Technischer Fortschritt und Rationalisierung in der Produktion werden ausdrücklich angestrebt.
- Die Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung für die landwirtschaftliche Bevölkerung. Dies soll im Besonderen durch eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen erreicht werden.
- Die Stabilisierung der Märkte. Damit ist der Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf den Märkten für landwirtschaftlichen Erzeugnissen gemeint.
- Die Sicherstellung der Versorgung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen.
- Die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen.

Bei der Durchführung der GAP müssen alle diese Ziele angemessen berücksichtigt werden. Sie stehen untereinander in keinerlei Hierarchie, so dass einzelnen Zielen zeitweise der Vorrang vor anderen Zielen gegeben werden kann.[19] Betrachtet man den vorliegenden Katalog näher, so ergibt sich, dass einige der Ziele nicht konfliktfrei in gleicher Intensität verfolgt werden können. So kann beispielsweise das Ziel der Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung für die landwirtschaftliche Bevölkerung mit dem Ziel der Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen kollidieren. Demzufolge wird den EG-Organen bei der Berücksichtigung der Ziele im Rahmen der GAP ein weiter Ermessensspielraum zugesprochen.[20]

Zur Zeit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften standen sicherlich die Ziele Sicherung der Versorgung und Gewährleistung eines angemessenen Einkommens für die landwirtschaftliche Bevölkerung im Vordergrund.[21]

1.1.5.1 Sicherstellung der Versorgung:

Gerade in der Aufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg war die Behebung einer allgemeinen Mangelsituation von zentraler Bedeutung. Dazu kam das Bedürfnis der Mitgliedsstaaten für zukünftige Krisensituationen die Sicherung einer gewissen Autarkie in der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zu erreichen.[22] Mittlerweile gilt die Eigenversorgung der Gemeinschaft mit Agrarprodukten als gesichert, dem Verbraucher steht ein vielfältiges Angebot zur Verfügung. Vielmehr haben Produktionsanreize wie Interventionskäufe und Prämienzahlungen spätestens seit Mitte der 1980er Jahre zu Überkapazitäten und zu einem massiven Anstieg des Agrarhaushaltes geführt, weshalb man zunehmend versuchte, der Überproduktion Herr zu werden. Über anhaltende Reformen der GAP wurden Maßnahmen wie Milchquoten, Flächenstilllegungsprogramme oder Mitverantwortungsabgaben etabliert.

1.1.5.2 Sicherung einer angemessenen Lebenshaltung:

Die Sicherung einer angemessenen Lebenshaltung für die landwirtschaftliche Bevölkerung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass in den 1950er Jahren das Einkommen in der Landwirtschaft bei lediglich 55% des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens lag.[23] Zwar ist die Angleichung der Einkommen längst abgeschlossen, nach wie vor wird diesem Ziel aber ein hoher Stellenwert beigemessen. Inzwischen geht die Tendenz jedoch eher dahin, direkte Einkommensbeihilfen zu zahlen um die im Zuge der zahlreichen Reformen reduzierten Stützungen zu kompensieren. Unter diesem Aspekt ist auch die aktuelle GAP-Reform zu verstehen, die eine von der Produktion entkoppelte einheitliche Betriebsprämie vorsieht.[24]

1.1.5.3 Steigerung der Produktivität:

Das Ziel der Steigerung der Produktivität kann ebenfalls als erreicht angesehen werden. In der Tat erwies sich der Agrarsektor in der jüngeren Vergangenheit als der Sektor mit den höchsten Produktivitätssteigerungen, was auch hier mittlerweile zu einem Umdenken geführt hat. Zu den Problemen der Überproduktion (s.o.) gesellen sich solche des Umweltschutzes (intensiver Düngeeinsatz), des Tier- und Seuchenschutzes (Massentierhaltung) und des Verbraucherschutzes. Dies erklärt die zunehmende Forderung nach einer zumindest partiellen Extensivierung der Landwirtschaft und Instrumente wie die sogenannten „anderweitigen Verpflichtungen“ aus der VO (EG) Nr.1782/2003, wonach die Gewährung der Direktzahlungen von der Einhaltung bestimmter Umwelt-, Tierschutz-, und Gesundheitsvorschriften abhängig gemacht wird.[25]

1.1.5.4 Stabilisierung der Märkte:

Die Stabilisierung der Märkte steht in starker Abhängigkeit zu der Verfolgung der anderen Ziele. Diese können unterstützend wirken, wie bei der Förderung der Angebotsmenge in den Anfangsjahren der GAP (als eher eine Unterversorgung mit Agrarprodukten vorlag). Heute erweist sich die Verfolgung der anderen Ziele überwiegend als destabilisierend, da sie eine Überproduktion erzeugt, die bei künstlich hochgehaltenen Preisen von der Nachfrageseite nicht bewältigt werden kann. Grundsätzlich stabilisieren sich die Märkte über den Preismechanismus automatisch, solange man auf Eingriffe weitestgehend verzichtet. Das hätte jedoch die Abkehr von den übrigen Ziele zur Folge. Die mit der VO (EG) Nr. 1782/2003[26] zu vollziehende Entkopplung der Beihilfen von der Produktion leistet einen Beitrag zur Reduktion der Markteingriffe. Sie ermöglicht es den Landwirten in Zukunft, ihre Produktion stärker den Preisen und den Bedürfnissen des Marktes anzupassen, anstatt sich an Prämien und Interventionsgarantien zu orientieren.

1.1.5.5 Gewährleistung angemessener Verbraucherpreise:

Der Begriff der angemessenen Verbraucherpreise unterliegt der politischen Bewertung. Die bisherigen Maßnahmen der GAP (wie Interventionspreise und Außenschutz) sorgen auf dem Binnenmarkt eher für ein relativ hohes Preisniveau für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Das erklärte Ziel früherer Reformen war es immer wieder, die Interventionspreise zu senken. Spürbare Auswirkungen auf die Verbraucherpreise blieben jedoch weitestgehend aus. Ob die anstehenden Reformen zu einer Senkung der Verbraucherpreise führen wird (etwa durch die Senkung von Interventionspreisen[27] oder die Stärkere Orientierung der Produktion am Markt), bleibt zu bezweifeln. Die Bundesregierung rechnet in ihren Ausführungen zu den finanziellen Auswirkungen der Reform jedenfalls nicht damit.[28]

1.1.5.6 Neuausrichtung der Ziele:

Dass sich die in Art.33 I EGV aufgeführten Ziele lediglich auf die Gemeinsame Agrarpolitik beziehen, schließt nicht aus, dass im Rahmen der GAP auch andere Vertragsziele wie die Wettbewerbspolitik oder der Umweltschutz verfolgt werden.[29]

Im Rahmen der Neuorientierung der GAP und unter Berücksichtigung bereits durchgeführter Agrarreformen könnte eine Ergänzung bzw. Neuausrichtung der Ziele in folgender Weise vorstellbar sein:

„Es soll Ziel der GAP sein:

a) eine nachhaltige Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion und deren Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen,
b) eine nachhaltige ländliche Entwicklung sicherzustellen, insbes. im Hinblick auf die Lebensfähigkeit ländlicher Gebiete und die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen und Landschaften, einschließlich der Erhaltung der biologischen Vielfalt,
c) der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten,
d) dem Bedürfnis der Verbraucher nach sicheren und zugänglichen landwirtschaftlichen Produkten von hoher Qualität gerecht zu werden,
e) die Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten zu gewährleisten.“[30]

[...]


[1] ABl. 2003, L 270/1.

[2] ABl. 2003, L 270/1.

[3] Borchert in: Lenz, Carl Otto u. Klaus Dieter Borchardt (Hrsg.), EU- und EG-Vertrag, Kommentar, 3. Aufl., Köln 2003, S. 418.

[4] Schäfer, Peter: Studienbuch Europarecht, Das Wirtschaftsrecht der EG, 2. Auflage, 2003, S. 253.

[5] vgl. Schäfer, S. 254.

[6] ABl. 2003, L 270/1.

[7] vgl. Borchardt, S. 423.

[8] Baumwolle wurde mit dem Beitritt Griechenlands in die GAP aufgenommen, s. Protokoll Nr. 4 zur Beitrittsakte von 1979.

[9] Art. 299 II 2 EGV.

[10] siehe Borchardt: S. 420.

[11] vgl. Art. 23 ff. EGV.

[12] Schäfer: S. 253.

[13] vgl. Borchardt: S. 421.

[14] siehe Mögele, Rudolf, R. Priebe: Agrarrecht, in: Dauses, Manfred A. (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. 1, G, Loseblattsammlung, EL 8, Stand 2000, München.

[15] ABl. 1962, 991.

[16] Borchardt: S. 493.

[17] Art. 1 I VO (EG) Nr. 1258/1999, Abl. 1999, L 160/103; die Grundregeln der GAP und somit des EAGFL sind in dieser Verordnung zusammengeführt.

[18] s. Art. 1 II VO (EG) Nr. 1258/1999.

[19] vgl. Eiden, Hanns-Christoph: Die Agrarmarktordnungen der Europäischen Gemeinschaften, DVBl. 1988, S. 1087 f.; Borchardt: S. 430.

[20] Für die Ausübung des Ermessens sind insbesondere das Diskriminierungsverbot und der Vertauensschutz (bei Neugewichtung der Ziele) zu beachten. Ermessenskontrolle erfolgt durch den EuGH. Vgl. auch Borchardt: S. 430, 431.

[21] So auch Eiden in: DVBl., 1988, S.1088.

[22] Ende der 1950er Jahre produzierte die Gemeinschaft nur 85% ihres Nahrungsmittelbedarfs selber. vgl. Mögele, Priebe in: Dauses, S. 3.

[23] Borchardt: S. 433.

[24] Siehe dazu Kapitel 2.1.4 Regelung der einheitlichen Betriebsprämie.

[25] Siehe dazu Art. 4 i.V.m. Art. 3 I der VO (EG) Nr. 1782/2003, ABl. 2003, L270/1.

[26] ABl. 2003, L 270/1.

[27] Wie dies beispielsweise bei Butter in Art. 1 Alt. 2 der VO (EG) Nr. 1787/2003, ABl. 2003, L270/121 vorgesehen ist.

[28] Siehe Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik,

www.verbraucherministerium.de/index-000D3A5B83E31022B9146521C0A8D816.html, 21.06.2004., S 4.

[29] Borchardt: S. 431.

[30] so, mit Blick auf die Arbeiten des Europäischen Konvents zur EU-Verfassung: Borchert: S. 432.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Das europäische Agrarrecht und die neue GAP-Reform
Hochschule
Universität Münster  (Rechtswissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2004
Seiten
37
Katalognummer
V29390
ISBN (eBook)
9783638309073
Dateigröße
562 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Agrarrecht, GAP-Reform, Wirtschaftsverfassungs-, Wirtschaftsverwaltungsrecht
Arbeit zitieren
Jan Leiendecker (Autor:in), 2004, Das europäische Agrarrecht und die neue GAP-Reform, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29390

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