Das Auf- und Ableben des Autors


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Das Auf- und Ableben des Autors

Hausarbeit im Rahmen

des Hauptseminars: Theorie der Autorschaft

von Monique Weinert

“Ich möchte gleich klarstellen, dass ich weder wild funkelnde Augen, noch ein launisches Wesen oder seltsame Allüren als Voraussetzungen für ein Autordasein betrachte.”[1]

“Douglas W. Fortescue”, murmelte der Verleger, “so habe ich sie mir nicht vorgestellt in meinen schönsten und übelsten Träumen.”

Er betrachtete Douglas aufmerksam, fast unverschämt. Er lächelte. Er lächelte immer breiter. Er schüttelte den Kopf.

“Douglas W. Fortescue”, wiederholte er, jetzt fast lachend, “wie fürchterlich gut passen sie zu ihren Buch.”[2]

Von diesem Moment an ist Douglas ein Dichter.

Vielleicht möchte man an dieser Stelle protestieren und fragen, warum Douglas W. Fortescue erst dann ein Dichter ist, als ein Verleger bei ihm auftaucht, um den Autor eines bei ihm eingegangenen Buches kennenzulernen, und diese Frage ist auch durchaus berechtigt, aber es ist nun einmal so, dass Douglas in CHRISTINE WUNNICKEs Buch Fortescues Fabrik im chronologischen Ablauf erst während des Gesprächs mit dem Verleger das erste Mal als Dichter bezeichnet wird.[3] Douglas W. Fortescue ist plötzlich auch der Dichter Fortescue und als solcher ein wandelndes Klischee: Er ist gerade 21 Jahre jung, trägt nur schwarze Kleidung und hat langes schwarzes Haar. Er ist schlank, mit hagerem blassen Gesicht und freundlichen, alles beobachtenden, dabei aber immer teilnahmslos wirkenden Augen, welche er mit einer getönten Brille bedeckt, die er sich von seinem Verleger hat kaufen lassen. Im London der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts führt er das Leben eines seelischen Einsiedlers zwischen einer Vielzahl von Jüngern, die ihm reichlich Geschenke machen, ihm sogar Villen schenken, in denen sie dann ein- und ausgehen und Feste feiern.

In einem Brief an seinen Bruder Jeremy schreibt Douglas: “Du machst dir keine Vorstellungen, wie viele Leute sich in London für Gedichte interessieren, und besonders für ihren Dichter.”[4]

Anfang der vierziger Jahre veranlassen ihn einige unangenehme Geschehnisse mit seinem Bruder nach Amerika auszuwandern, wo er von einem Verehrer, dem sechzehnjährigen Halbblut Joshua Jenkins entführt und einige Zeit darauf mit 32 Jahren unter geradezu romantischen Umständen von seinem Bruder ausversehen erschossen wird, als er Joshua, der mittlerweile sein Freund und Geliebter ist, das Leben retten will.

Dies ist natürlich eine grob gekürzte Zusammenfassung, die auch wichtiges verschweigt, aber sie ist gedacht, ein ähnliches Bild wie dieses zu zeigen, das selbst heute noch vor dem einen oder anderen inneren Auge in Verbindung mit den Begriffen Dichter, Schriftsteller oder Autor auftaucht.

Woher das kommt, ist schwer zu sagen. Sicher mag es Schriftsteller gegeben haben, die diesem Bild entsprachen, sei es, weil sie es tatsächlich taten oder weil sie, so wie einige eine ihren Werken entsprechende Biographie erfanden[5], einen zu ihrem Werk passenden Lebensstil lebten, um somit dem damaligen öffentlichen Interesse am Dichter zu entsprechen.

Warum sich diese Erwartungshaltung an eine Außergewöhnlichkeit des Dichters, Schriftstellers und Autors bis heute gehalten hat, ist zwar sehr interessant, kann aber an dieser Stelle nicht untersucht werden, festzuhalten ist hier vielmehr, dass es dem Autor, während einerseits noch immer Interesse an seiner Person besteht, es ihm auf der Ebene der Literaturwissenschaft in den letzten Jahren des öfteren ans Leben ging.

Davon noch einmal abgesehen dürfte aufgefallen sein, dass die Zusammenfassung von Fortescues Lebenslauf den Anschein erweckt, es handle sich nicht nur um den tatsächlichen Lebenslauf einer Person, sondern vielmehr um den Lebenslauf einer tatsächlichen Person. Dies geschah in Anlehnung an das Buch, in welchem eine Wirklichkeit konstruiert wird, zu deren Geschichte ein Dichter Douglas W. Fortescue gehört, in dem die Erzählerin[6] von einer nicht näher datierten, aber nach dem 26. Juli 1891[7] liegenden Gegenwart spricht, in welcher Douglas’ Schule ein Museum ist und eine dort angebrachte Messingtafel an ihn erinnert.[8]

Der Grund, Fortescues Geschichte im Zusammenhang mit der Autortheorie zu erzählen und ihn einmal als real existierende Person anzunehmen, ist zum einen die Tatsache, dass er als Autor seiner Texte mit deren Interpretation konfrontiert wurde und er sich dazu auch positionierte, (worauf ich an geeigneter Stelle noch einmal eingehen werde), und zum anderen hatte er ein Problem, welches ich bis hierhin verschwiegen habe, weil es vielleicht alles bisher gesagte in seiner Aussagekraft abgeschwächt hätte. Dennoch erschien mir gerade dieses Problem geeignet, einen endgültigen Einstieg in den Diskurs der Autortheorie zu finden: Douglas W. Fortescue führte vielleicht das klischeehafte Leben eines Dichters, aber er hat selbst nie gedichtet.

“Ich habe”, sagte er, immer noch stehend, das Glas in der Hand, “keine einzige Zeile gedichtet in meinem Leben. [...] Ich bin ein reicher Mann, meine Damen und Herren, und ein berühmter Dichter. Man liest mich in Paris und New York. Ich möchte die Gelegenheit ergreifen und Dank sagen, Dank allen, die meine Gedichte machten für mich und mir Geld gaben, die Lebenden und die Toten, und ich feiere ein Fest zu dieser Gelegenheit, und ich bitte nun um einen zweiten Toast, auf mich und die Fortescue Follies, auf den Dichter, der nicht dichtet, [...].”[9]

Thirst, sein erstes Buch, ist die Mitschrift der durchaus poetischen Bekenntnisse eines verrückten Wirtes, der seine Frau ermordet hat.[10] Art & Nature ist das Protokoll eines Liebesgeplänkels zwischen seinem Freund Arthur und einer Hure.[11] Colours ist das exakt wiedergegebene Halluzinieren seines vollgedröhnten Schützlings Donny.[12] Iron, Dreams und The Waltz sind jeweils Sammlungen verschiedener Gesprächsfragmente, die Douglas gesammelt hat in seiner Gedichtfabrik Fortescue Follies, wohin er die Leute einludt, um sie in ihrem Drogenrausch zu belauschen.

[...] Er stieg hinauf in den obersten Stock, und er sah hinein in die Separées, ob es dort Gefühle gäbe, die zu verwenden wären in dem einen oder anderen Gedicht. [...]

[...]Und er lauerte weiter auf die Gefühle seiner kleinen Lords und Earls, auf die berauschten und flüchtigen und möglichsten poetischen Gefühle der ahnungslosen Gäste [...].

“Du sagst mir die Wahrheit, oder?” murmelte Douglas bisweilen, wenn er wieder einen Satz gestohlen hatte von dem oder jenem Gast. “Du lügst mir nichts vor?” [...] Er fragte nicht wirklich, denn keiner hörte ihn. Er wusste auch selbst nicht, ob er es ernst meinte. Was ist schon die Wahrheit, wenn man ein Buch füllen möchte? Was ist schon ein Gefühl?[13]

Sein letztes Buch, Pain, ist das Diktat seiner Hassliebe und Mitwisserin Marie, die über ihn, aber eben auch für ihn spricht, da er sich dazu nicht in der Lage wähnt.[14]

Angesichts dessen stellt sich nicht nur für Douglas die Frage: “Ist einer ein Dichter, der aufschreibt, was andere sagen?” [15] Die meisten würden an dieser Stelle sicher mit einem klaren Nein antworten, doch wenn man erst einmal Douglas, seine Gedanken und sein Leben näher kennengelernt hat, will man sich mit dieser Antwort gar nicht mehr so beeilen.

An dieser Stelle soll deshalb auch eine andere Frage im Mittelpunkt stehen, die sich aber aus vorrangegangener ableiten lässt: Was ist eigentlich ein Dichter, Schriftsteller und in Bezug auf das Thema ganz allgemein ein Autor ?

Gemäß dem Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft meinte der Begriff ‘Autor’[16], vom lateinischen auctor ‘Förderer’ abgeleitet, ursprünglich den juristischen Inhaber von Urheberrechten. Darüber hinaus wird er heute aber als “geistiger Urheber” von (in erster Linie literarischen) Texten, weitergehend aber auch von Werken der Musik und der bildenen Künste verstanden.

[...]


[1] Dorothea Brande, Schriftsteller werden, S. 24.

[2] Christine Wunnicke, Fortecues Fabrik, S. 223f.

[3] Ebd. S. 227.

[4] Christine Wunnicke, Fortescues Fabrik, S. 233.

[5] Vgl. Boris Tomaševskij, Literatur und Biographie, S. 53-57.

[6] Ein Foupas, den ich mir als Frau erlaube, in dem ich annehme, das erzählende und in keiner Weise benannt oder beschriebene Subjekt sei eine Frau, eben, weil auch die Autorin eine Frau ist, ohne dabei aber behaupten zu wollen, Erzählerin und Autorin seien identisch.

[7] Das chronologisch letztgenannte Datum der Geschichte. Christine Wunnicke, Fortescues Fabrik, S. 443.

[8] Ebd. S. 93.

[9] Christine Wunnicke, Fortescues Fabrik, S. 333f.

[10] Ebd. S.204-220.

[11] Ebd. S. 260.

[12] Ebd. S. 274f.

[13] Christine Wunnicke, Fortecues Fabrik, S. 302.

[14] Ebd. S. 328-332.

[15] Ebd. S. 175.

[16] Erich Kleinschmidt, Autor, S. 176-180.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das Auf- und Ableben des Autors
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Theorie der Autorschaft
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V28325
ISBN (eBook)
9783638301404
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Auf-, Ableben, Autors, Hauptseminar, Theorie, Autorschaft
Arbeit zitieren
Monique Weinert (Autor:in), 2001, Das Auf- und Ableben des Autors, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28325

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