Kudrun - Ein Frauenroman?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

32 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Frauenroman – Begriffsklärung und Prognosen

Exkurs: Situation der adligen Frau im Mittelalter

Die Frauen in der ›Kudrun‹
Ute 1
Ute 2
Hilde 1
Hilde 2
Gerlint
Hergart
Ortrun
Hildburg
Kudrun

›Kudrun‹ - Ein Frauenroman?

Anhang
Kudrun - Statistik
Nibelungenlied - Statistik

Literaturverzeichnis

Einleitung

Jedem, der sich eingehend mit mittelalterlicher Dichtung beschäftigt, muss schon beim Lesen des Titels das Besondere des Kudrunepos auffallen: Das Epos trägt den Namen einer Frau, Kudrun, mehr noch der Dichter erklärt: „Ditze buoch ist von Kudrun[1]. Diese Tatsache, die eine tragende Rolle der Figur Kudrun vermuten lässt, die allgemein übliche Dreiteilung des Epos in einen Hagen -, Hilde - und Kudrunteil [2] (⅓ männlich vs. ⅔ weiblich) , sowie die ab Hilde 1 auftretende matrilineare Genealogie[3] könnten aufgrund ihrer Besonderheit als ›Indizien‹ betrachtet werden, die die Aufstellung der These gestatten, dass es sich bei der ›Kudrun‹ um einen Frauenroman handelt. Hugo Kuhn geht jedoch noch weiter und schreibt:

„Die ›Kudrun‹ ist ein Frauenroman, bis in erstaunliche politische Eingriffe der Frau hinein.“[4]

Ziel dieser Abhandlung soll es sein zu untersuchen, ob und inwieweit diese These über die genannten ›Indizien‹ hinaus durch das Kudrunepos gestützt wird.

Frauenroman – Begriffsklärung und Prognosen.

Vorab bedarf es einer Klärung, was der Begriff Frauenroman meint und wie er im Rahmen der Abhandlung verstanden werden soll.

Die Definition des Frauenromans, als ein „von Frauen verfasster Roman [...] um ein Frauenleben“[5], als „Literatur [...], die sich kritisch mit der Erfahrung von Frauen auseinandersetzt“[6] oder kurz gesagt als „Literatur von, für und über Frauen“[7], auf den Begriff des Frauenromans in dieser Abhandlung anzuwenden, hieße, die These bereits in ihrem Keim zu ersticken. Zum einen sind die Werke des Mittelalters in einer überwältigenden Mehrheit von Männern verfasst.[8] Es hat zwar auch schreibende Frauen, z. B. Marie de France[9] oder die Mystikerinnen[10], gegeben, doch schrieben sie „an und für Gott, der sich ihnen in mystischen Erlebnissen unmittelbar und spürbar offenbart hatte“ oder sie thematisierten „den Bruch zwischen Schweigen und Schrift selbst“, „be-schrieben das Szenarium, den Raum, in welchem sich Schrift für sie ereignen konnte“.[11] Letzteres ist definitiv kein Thema der ›Kudrun‹. Ersteres betreffend lässt sich sagen, dass das Kudrunepos zwar keineswegs ›Gott-los‹ ist, wie sich vor allem im Kudrunteil zeigt, dass sich dessen Rolle aber auch nicht dahingehend erstreckt, dass von dem Epos als Text „an und für Gott“ gesprochen werden kann[12].

Über den Kudrundichter ist nichts bekannt, man geht aber im Allgemeinen von einem männlichen Verfasser aus. Theodor Nolte sieht die männliche Hand sogar bewiesen. In Bezug auf die positive Reaktion Kudruns gegenüber dem um die Minne kämpfenden Herwig schreibt er, dass die Frau, die sich dem aggressiven Werber nicht entziehen könne und sich ihm in Minne unterwerfe, eine rein männliche Phantasie sei.[13] Letztendlich gibt es keine eindeutigen Beweise, die für eine Frau oder gegen einen Mann als Dichter des Epos sprächen, so dass ein männlicher Verfasser angenommen werden muss. So fragt auch Kuhn:

„Wer war dieser erstaunliche Mann, der Dichter der ›Kudrun‹?“[14]

Man könnte mutmaßen, dass der Dichter der ›Kudrun‹ vielleicht eine Mäzenatin hatte, die ihn veranlasste, ein derartiges Werk zu schreiben, aber dies wäre eben nur eine Mutmaßung, für die sich ebenfalls keinerlei Beweise finden lassen.

Genauso wenig ist bewiesen, dass das Kudrunepos für Frauen geschrieben wurde. Der Text spricht weder Leser, noch Leserin, wie in einigen mittelalterlichen Texten üblich[15], an. Allein die Tatsache, dass im Mittelalter wesentlich mehr Frauen als Männer lesen konnten[16] oder, dass Bücher zu dem wenigen gehörten, das Frauen im Mittelalter erben konnten[17] ist noch kein Beweis dafür, dass sich der Dichter der ›Kudrun‹ vornehmlich an Frauen richtete. Auch die, wie Nolte meint, idealisierte Darstellung der Kudrun[18] kann nur ein Indiz für eine derartige Annahme sein.

Der Begriff des Frauenromans kann demnach nicht innerhalb des gesetzten Rahmens auf das Epos angewendet werden. Lässt man aber diese Aspekte außer acht und konzentriert sich auf die von Helga Meise erkannte Besonderheit des Frauenromans: der Kampf um den Charakter der Frau, seine begehrenswerten und abstoßenden Seiten und die daraus resultierende Herausbildung von Zügen weiblicher Identität, so dass ein Modell ›Weiblichkeit‹ entsteht[19] ; hat man einen Ansatzpunkt, von dem aus es gilt, die einzelnen Frauen, insbesondere aber Kudrun, in Bezug auf ihre dargestellte Persönlichkeit, Entwicklung und Bedeutung im Handlungskontext und –verlauf zu betrachten.

Darüber hinaus macht der von Frauen produzierte Roman laut Meise „die Anstrengungen, Ratschläge, Versuche [sichtbar], mit denen die Frauen auf das Feld von Moralisierung und Normalisierung reagieren, in das sie sich eingespannt sehen [...].“[20] Könnte man diese ›Charaktereigenschaften‹ des Frauenromans auch dem Kudrunepos zuordnen, ließe sich eine Bezeichnung des Epos als Frauenroman im weitesten Sinne des Begriffes rechtfertigen.

Exkurs: Situation der adligen Frau im Mittelalter

Es ist notwendig, zuerst das Umfeld zu schildern, in das sich adlige Frauen des Mittelalters im allgemeinen eingespannt sahen, um die Reaktionen der Frauen in der ›Kudrun‹ besser würdigen zu können.

Adlige Frauen waren wie andere Frauen nicht rechtsmündig. Sie standen unter der Muntwaltschaft eines meist männlichen Verwandten. Wurde eine Frau verheiratet, musste an den Bräutigam eine Mitgift gezahlt werden, wodurch sie einen zusätzlichen Kostenfaktor für ihre Familien darstellte[21]. Allein schon darum sah sich eine Frau, die keine Söhne gebar, der Gefahr der Scheidung genauso ausgesetzt, als wenn sie keine Kinder bekäme[22]. Aber genau jenes war in erster Linie ihre Funktion, Ehefrau zu sein und Mutter[23], vor allem von Söhnen als Trägern der Familienfolge, denn nur sie waren im Allgemeinen erbfähig[24].

Adligen Frauen war es aufgrund ihres Standes verwehrt zu arbeiten, allerhöchstens konnten sie Kranke ihres Standes pflegen. Sie hatten gegenüber anderen Frauen das Vorrecht, sich zu bilden. War eine adlige Frau ausnahmsweise Lehnserbin, eine Möglichkeit, die nur bestand, wenn sie einzige Erbin war, hatte sie die gleichen Rechte, wie Männer: Verwaltung ihres Besitzes, Gerichtsbarkeit und Aufstellung eines Heeres.[25] Von diesen wenigen Fällen abgesehen waren Frauen „Schachfiguren in der Familienpolitik, nicht in der Lage ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten“[26]. Innerhalb der seit dem 13. Jahrhundert üblichen „patriarchalisch organisierten Verheiratungspraxis“[27] war zwar die Einwilligung der Töchter notwendig[28], doch war dies eine reine Formalität, da diese ihren Vätern gegenüber als Mündel zum Gehorsam verpflichtet waren.[29]

[...]


[1] Stackmann (Hrsg.), Kudrun, S. 1; weitere Verweise auf das Werk werden innerhalb des laufenden Textes durch runde Klammern markiert.

[2] Vgl. Janzen, Zum Aufbau, S. 516f.

[3] Nolte, Das Kudrunepos, S. VII.

[4] Kuhn, Kudrun, S. 509

[5] Wilpert, Sachwörterbuch, S. 310.

[6] Stephan, Reallexikon, S. 625.

[7] Ebd. S. 626.

[8] Nolte, Das Kudrunepos, S. IX.

[9] Brinker-Gabler, Deutsche Literatur, S. 44f.

[10] Ebd., S. 88ff.

[11] Bäurle/ Braun, Über das Schreiben, S. 1.

[12] Vgl. Hoffmann, Kudrun, S. 167f. und 191.

[13] Nolte, Das Kudrunepos, S. 39.

[14] Kuhn, Kudrun, S. 514.

[15] Ebd., S. 70, insb. Fußnote 225.

[16] Schirmer, Mystik und Minne, S.14.

[17] Ebd.

[18] Nolte, Das Kudrunepos, S. 71.

[19] Meise, Die Unschuld und die Schrift, S. 10.

[20] Ebd., S. 11.

[21] Schirmer, Mystik und Minne, S.13.

[22] Nolte, Das Kudrunepos, S.27.

[23] Schirmer, Mystik und Minne, S.13

[24] Nolte, Das Kudrunepos, S.27.

[25] Schirmer, Mystik und Minne, S.14

[26] Ebd.

[27] Opitz, Vom Familienzwist, S. 125.

[28] Nolte, Das Kudrunepos, S. 27.

[29] Vgl. Ebd., S. 29.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Kudrun - Ein Frauenroman?
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Literaturwissenschaft)
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
32
Katalognummer
V28322
ISBN (eBook)
9783638301374
Dateigröße
730 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kudrun, Frauenroman
Arbeit zitieren
Monique Weinert (Autor:in), 2003, Kudrun - Ein Frauenroman?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28322

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