Umweltrechtsetzung durch die EG: Entscheidungsabläufe und Einflussstrukturen


Seminararbeit, 2003

27 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Teil
I. Einführung
II. Ursprung und Entwicklung der Umweltpolitik durch die EG
1. Drei Phasen europäischer Umweltpolitik
III. Grundprinzipien und Ziele europäischer Umweltpolitik

2. Teil
A. Umweltrechtliche Handlungsspielräume der Gemeinschaftsebene in der Europäischen Gemeinschaft
I. Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft
1. Grundkonzepte der Kompetenz und Entscheidungsstruktur
a. Prinzipien der Kompetenzverteilung und Kompetenzausübung
aa. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 5 Abs. 1 EG.
bb. Vorrang des Gemeinschaftsrechts.
2. Rechtsetzungsverfahren, Art. 250 ff. EG
II. Kompetenzen und weitere umweltrechtliche Vorgaben 8
a. Kompetenz für umweltbezogene Maßnahmen, Art. 175 EG
aa. Innere Grenzen des Art. 175 Abs. 1 EG
bb. Bedeutung des Art. 175 Abs. 2 EG
b. Umweltrechtliche Querschnittsklausel, Art. 6 EG
III. Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften, Art. 94 ff. EG
1. Allgemeine Harmonisierungskompetenz, Art. 94 EG
2. Maßnahmen zur Rechtsangleichung nach Art. 95 EG
a. Regelungsgehalt..
b. Sichtbarmachung der inneren Grenzen der Kompetenz..
IV. Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich des Art. 175 EG und anderen Kompetenzen
1. Problemstellung.
2. Lösungsansätze in der Literatur.
B. Grenzen der Ausübung von Gemeinschaftskompetenzen gegenüber den Mitgliedstaaten
I. Rechtliche Konzepte für die Beschränkung des Gemeinschaftsgesetzgebers
1. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit
a. Bedeutungsgehalt der Prinzipien
aa. Subsidiaritätsprinzip
bb. Verhältnismäßigkeitsprinzip
cc. Verhältnis zwischen dem Subsidiaritätsprinzip und Verhältnismäßigkeitsprinzip
C. Umweltrechtliche Handlungsspielräume der EG-Mitgliedstaaten
I. Die eingeschränkte Souveränität der Mitgliedstaaten und die Entscheidungsbefugnis des EuGH
II. Kompetenzen der Mitgliedstaaten
1. Unterscheidung konkurrierender und ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen
2. Notkompetenzen der Mitgliedstaaten in ausschließlichen Kompetenzbereichen der Gemeinschaft
3. Bereiche ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen
D. Verbleibende mitgliedstaatliche Handlungsspielräume bei Existenz sekundären Gemeinschaftsrechts
I. Sperrwirkung im Umweltbereich
1. Harmonisierungsformen im Umweltbereich
2. Bedeutung des Binnenmarktbezugs einer Regelung
II. Primärrechtliche Abweichungsermächtigungen
1. Abweichung von binnenbezogenen Maßnahmen, Art. 95 Abs. 4 EG
a. Anwendungsbereich
b. Materielle Voraussetzungen
c. Formelle Voraussetzungen..
2. Neueinführung von Abweichungen, Art. 95 Abs. 5 EG
3. Abweichung von umweltbezogenen Maßnahmen, Art. 176 EG
III. Sekundärrechtliche Abweichungsermächtigungen 22
1. Primärrechtliche Verpflichtung zur Einführung sekundärrechtlicher Abweichungsermächtigungen (Schutzklauselverbote)
a. Schutzklauselgebot für binnenmarktbezogene Maßnahmen, Art. 95 Abs. 10 EG
b. Schutzklauselgebot für umweltrelevante Maßnahmen, Art 174 Abs. 2 Uabs. 2 EG

3. Teil
Zusammenfassung und Bewertung

Literaturverzeichnis

1. Teil

I. Einführung

Die Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft ist zunehmender Kritik ausgesetzt. Insbesondere im Hinblick auf die Vielzahl gemeinschaftlicher Regelungen werden Einwände erhoben. Es wird vielfach beanstandet, dass die zunehmende Zahl von Rechtsakten der EG nationalen Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung trage und den Mitgliedstaaten keine eigenen Regelungsspielräume verblieben.

Im Umweltrecht sind diese Bedenken mit der Befürchtung verbunden, die Gemeinschaft werde modernes mitgliedstaatliches Umweltrecht durch weniger schutzintensives, zu stark an der Gewährleistung des Binnenmarktes orientiertes EG-Recht verdrängen.

Die Verteilung der Rechtssetzungsbefugnisse zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ist von erheblicher Bedeutung für die Funktionstüchtigkeit des darauf aufbauenden materiellen Rechts.

Im Umweltrecht gewinnt die Aufgabenverteilung zwischen den zwei Entscheidungsebenen besondere Bedeutung. So weisen zum Beispiel einerseits die regionalen Anforderungen an ein Umweltschutzrecht in einem System von kontinentalen Ausmaßen wie der Gemeinschaft erhebliche Unterschiede auf. Andererseits stellt der gemeinschaftsweite einheitliche Markt erhebliche Anforderungen an die Einheitlichkeit sowohl produktbezogener als auch produktionsbezogener Regelungen.

Hinzu kommt, dass im Umweltbereich deutliche Meinungsdifferenzen bezüglich eines angemessenen Schutzniveaus bestehen. Auch hierfür muss der Mechanismus der Aufgabenverteilung zwischen den beiden Ebenen Lösungen bieten.

In der vorliegenden Seminararbeit wird dargestellt, wie die Aufgaben im Umweltrecht auf Gemeinschaft und Mitgliedstaaten der EG verteilt sind und wie die Tätigkeit auf diesen beiden Ebenen hierdurch voneinander getrennt oder miteinander verbunden ist.

Vorab wird in allgemeiner Form dargestellt, wie sich die Umweltpolitik im Verlaufe der letzten 30 Jahre entwickelt hat und welche Grundprinzipien bzw. Ziele mit dieser Politik verbunden sind.

In den ersten zwei Teilen der Arbeit (Gliederungspunkte A und B) wird für die gemeinschaftliche Ebene dargestellt, welche Kompetenzen für den Bereich Umwelt bestehen. Neben den selbst angelegten inneren Grenzen einer Kompetenzbestimmung, stößt die Ausübung der Kompetenz oftmals an äußere, durch andere Rechtssätze bestimmte Grenzen. Diese werden im Anschluss behandelt.

Im dritten und vierten Teil der Arbeit (Gliederungspunkte C und D) werden die Kompetenzen der Mitgliedstaaten soweit das Gesamtsystem diese bestimmt, sowie die hiervon vorgegebenen Grenzen der Ausübung der Befugnisse aufgezeigt.

Hinsichtlich dieser Grenzen ist zu unterscheiden, ob im jeweiligen Regelungsbereich bereits Recht der oberen Ebene besteht (das einzelstaatliches Recht verdrängt oder diesem Inhalte vorgibt) oder ob dies nicht der Fall ist (und Grenzsetzungen daher ausschließlich aus dem EG-Vertrag herzuleiten sind).

Am Schluss der Arbeit werden die Ergebnisse und Prognosen der weiteren Entwicklung des Umweltrechts in der EG in Form von Thesen dargestellt.

II. Ursprung und Entwicklung der Umweltpolitik durch die EG

1. Drei Phasen europäischer Umweltpolitik

a. Erste Phase (1972-1987)

Betrachtet man zusammenfassend die Entwicklung der europäischen Umweltpolitik, so lassen sich drei grobe Phasen unterscheiden. In der ersten Phase (1972-1987) basierte die rechtliche Legitimation europäischer Umweltmaßnahmen primär auf handelspolitischen Motiven. Im Vordergrund stand zunächst das Ziel der Harmonisierung national unterschiedlicher Umweltvorschriften, die der Vollendung des Gemeinsamen Marktes entgegen stehen könnte. Als Folge zunehmender grenzüberschreitender Umweltprobleme und der Pionierfunktion einzelner Mitgliedstaaten entwickelte sich trotz schwacher rechtlicher und institutioneller Basis ein beachtliches Programm teilweise sehr ambitionierter Maßnahmen und Aktivitäten. Damit ging einher, ungeachtet fehlender rechtlicher Grundlagen, die graduelle Emanzipation der Umweltpolitik als eigenständiger, von der wirtschaftlichen Integration losgelöster Politikbereich der Gemeinschaft.

b. Zweite Phase (1987-1992)

Die zweite Phase (1987-1992) ist primär durch die rechtlich-institutionelle Konsolidierung und Weiterentwicklung der gemeinschaftlichen Umweltpolitik gekennzeichnet. Im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) wurde formal festgeschrieben, was auf informeller Basis bereit ein Faktum war: die Umweltpolitik wurde als offizielles Handlungsfeld zur Umweltpolitik der Gemeinschaft im EWG-Vertrag verankert. Im Rahmen eines neuen Vertragstitels zur Umweltpolitik wurden deren Ziele, Prinzipien und Entscheidungsverfahren festgelegt. Hieraus ergab sich eine beträchtliche Ausweitung umweltpolitischer Handlungskompetenzen der EU. Zum einen mussten Umweltmaßnahmen nicht mehr notwendigerweise mit handelspolitischen Zielen legitimiert werden. Zum anderen wurde für binnenmarktrelevante Umweltmaßnahmen ein neues Entscheidungsverfahren eingeführt, das anstelle einstimmiger Beschlussfassung Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Ministerrat ermöglichte. Damit, so die generelle Erwartung, sollte es in stärkerem Maße möglich sein, umweltpolitische Standards zu verabschieden, die über den kleinsten gemeinsamen Nenner der Mitgliedstaaten hinausgehen.

c. Dritte Phase (seit 1992)

Die dritte Phase in der sich die EU-Umweltpolitik seit 1992 befindet, ist durch zwei gegenläufige Tendenzen charakterisiert. Aus institutioneller und rechtlicher Sicht lässt sich eine graduelle Fortschreibung der mit der EEA eingeleiteten Entwicklungen feststellen, die insbesondere in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam sowie durch die Gründung der Europäischen Umweltagentur zum Ausdruck kommt. Gegenläufig zu diesem Trend zeichnet sich allerdings eine gewisse Abschwächung der umweltpolitischen Dynamik ab. Europäische Umweltpolitik hat gegenüber anderen Politikbereichen auf der europäischen Agenda an Bedeutung verloren. Damit einher geht ein zumindestens partieller Verlust der EU-Umweltpolitik als Motor strenger und umfassender Umweltvorschriften in der Gemeinschaft. Wie diese Entwicklung in der Zukunft verlaufen wird, bleibt abzuwarten.[1]

III. Grundprinzipien und Ziele europäischer Umweltpolitik

1. Europäische Umweltpolitik auf neuer Basis

Mit der EEA wurden erstmals Ziele und Prinzipien europäischer Umweltpolitik definiert. Darüber hinaus ergaben sich wichtige Veränderungen umweltpolitischer Rechtsgrundlagen und der Entscheidungsregeln. Die konkreten Veränderungen basieren dabei auf zwei Aspekten: Zum einen ist in diesem Zusammenhang der neue Titel „Umwelt“ zu erwähnen, der dem Vertrag hinzugefügt wurde, bestehend aus den Artikel 174-176 EG. Zweitens ergeben sich mit der Einführung neuer Regelungen zur Beschleunigen der ökonomischen Integration Rückwirkungen auf die Gestaltung europäischer Umweltpolitik.

Grundsätze gemeinschaftlicher Umweltpolitik

Die Art. 174-176 sind als die eigentlichen Umweltartikel der europäischen Vertragsgrundlagen zu betrachten. Sie enthalten nicht nur Vorschriften über den allgemeinen Stellenwert und das Ziel der europäischen Umweltpolitik, sondern definieren darüber hinaus auch Leitlinien, Abwägungskriterien und Entscheidungsverfahren, auf deren Basis diese Ziele verwirklicht werden sollen. Des weiteren werden generelle Bedingungen bezüglich der Allokation europäischer und nationaler umweltpolitischer Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten getroffen.

Im Rahmen von Art. 174 Abs. 1 erfolgt eine relativ detaillierte und klare Definition der Ziele der europäischen Umweltpolitik:

- die Umwelt zu erhalten, zu schützen, und ihre Qualität zu verbessern
- zum Schutz der menschlichen Gesundheit beizutragen
- eine umsichtige und rationale Verwendung der natürlichen Ressourcen zu gewährleisten

Art. 174 Abs. 2 schreibt einige zentrale Leitlinien fest, auf deren Basis die umweltpolitischen Zielvorgaben erreicht werden sollen. Interessanterweise waren diese Prinzipien bereits im ersten umweltpolitischen Aktionsprogramm von 1973 formuliert worden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Grundsätze:

- das Vorsorgeprinzip:

Umweltpolitisches Handeln soll nicht erst dann erfolgen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung vorliegt, sondern auf die Vermeidung von Gefahren und Risiken ausgerichtet sein.

- das Ursprungsprinzip:

Umweltbeeinträchtigungen sollen an der Quelle bekämpft werden, an der sie entstehen.

- das Verursachungsprinzip:

Derjenige, der die Umwelt belastet oder ein entsprechendes Risiko schafft, soll die Kosten für die Vermeidung, Beseitigung und zum Ausgleich von Umweltbelastungen tragen.

- das Prinzip der Integration:

Die Erfordernisse des Umweltschutzes sollen bei der Formulierung und Durchführung von Maßnahmen in anderen Politikbereichen der Gemeinschaft (wie der Verkehrs-, Regional-, oder Landwirtschaftspolitik) berücksichtigt werden.

In Art. 174 Abs. 3 wird die gemeinschaftliche Umweltpolitik gewissen Abwägungskriterien und Einschränkungen unterworfen, die bei der Entwicklung von Aktionsprogrammen und einzelner Maßnahmen zu berücksichtigen sind. So soll die gemeinschaftliche Umweltpolitik den Stand von Wissenschaft und Technik sowie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen der Gemeinschaft und der Regionen berücksichtigen. Des weiteren sind die Kosten und Nutzen umweltpolitischer Maßnahmen bzw. ihrer Unterlassung abzuwägen. Gleichzeitig wird hier der Grundstein für die Einführung regional differenzierter Umweltstandards gelegt, indem festgelegt wird, dass die europäische Umweltpolitik die jeweiligen Umweltbedingungen in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft berücksichtigen muss. Zuvor hatte die Gemeinschaft unter einem gewissen Druck gestanden, einheitliche Standards zu beschließen, da Umweltmaßnahmen meist auf das Harmonisierungsgebot des Art. 94 EGV gestützt werden mussten.

In Art 174 Abs. 4 wird schließlich das „umweltpolitische Subsidiaritätsprinzip“ in den Vertrag aufgenommen, das ebenfalls bereits im ersten Aktionsprogramm formuliert wurde. Danach darf die Gemeinschaft im Umweltbereich nur dann tätig werden, wenn die „Ziele besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können als auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten“.[2]

2. Teil

A. Umweltrechtliche Handlungsspielräume der Gemeinschaftsebene in der Europäischen Gemeinschaft

I. Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft

Die Europäische Gemeinschaft verfügt seit 1987 in Art. 175 des EG-Vertrages über eine spezifisch umweltbezogene Kompetenz. Rechtsakte mit umweltrechtlichem Bezug werden jedoch auch auf andere Kompetenzen gestützt.

1. Grundkonzepte der Kompetenz und Entscheidungsstruktur
a. Prinzipien der Kompetenzverteilung und Kompetenzausübung

aa. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 5 Abs. 1 EG

Die Befugnisse der Gemeinschaft sind durch das sog. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung eingegrenzt. Danach sind die Organe der Gemeinschaft nur insoweit zum Erlass verbindlicher Rechtsvorschriften berechtigt, als die Gründungsverträge hierzu eine ausdrückliche Ermächtigung enthalten. Das Prinzip wird bereits im Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 deutlich. Anhaltspunkte finden sich auch in Art. 202 - Rechte und Pflichten des Rates „nach Maßgabe dieses Vertrages“, Art. 211 - wiederholte Bezugnahme auf den Vertrag bei der Beschreibung der Aufgaben der Kommission, und Art. 249 - vom EG vorgesehene Rechtsreform sind „nach der Maßgabe dieses Vertrages“ einzusetzen. Mit dem Vertrag über die Europäische Union (Europäischer Unionsvertrag, Maastricht-Vertrag) ist das Prinzip in Art. 5 ausdrücklich niedergelegt worden. Die Nutzung der „Lückenschließungskompetenz“ des Art. 308 in Verbindung mit den weitgefassten Zielen nach der Präambel und den Art. 2 und 3 durch die Gemeinschaft hatte Zweifel am faktischen Fortbestand des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung hervorgerufen. Insbesondere neue bereichsspezifische Ermächtigungen, etwa zum Umweltschutz, die in Rechtssetzung und Rechtsprechung die praktische Bedeutung des Art. 308 deutlich geschmälert haben, sprachen allerdings gegen eine solche Auffassung. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gilt grundsätzlich auch für nicht rechtsverbindliche Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten folgt demnach formal einem Regel-Ausnahme-Prinzip zugunsten der Mitgliedstaaten. Eine Kompetenz der Gemeinschaft ist rechtstechnisch eine Ausnahme uns als solche stets begründungsbedürftig.[3]

bb. Vorrang des Gemeinschaftsrechts

Der EuGH löst alle Kollisionsfälle kurz und prägnant mit der Feststellung, dass dem Gemeinschaftsrecht keine wie auch immer geartete innerstaatliche Rechtsvorschrift vorgehen kann. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich bei der betreffenden nationalen Vorschrift um ein einfaches Gesetz oder um Verfassungsrecht handelt, insbesondere können auch entgegenstehende nationale Grundrechte keinen Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht erlangen. Begründet wird dies mit der Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung und der Notwendigkeit der einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts: wäre es möglich, dass jeder Mitgliedstaat das Gemeinschaftsrecht auf die Vereinbarkeit seiner eigenen Rechtsordnung hin überprüfen und für unanwendbar erklären könnte, würde ihm sein Charakter als in allen Mitgliedstaaten geltendes Gemeinschaftsrecht aberkannt und damit die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft in Frage gestellt.[4]

2. Rechtssetzungsverfahren, Art. 250 ff. EG

Der EG sieht für die Schaffung des sekundären Gemeinschaftsrechts unterschiedliche Rechtssetzungsverfahren vor.

In erster Linie sind als Hauptrechtssetzungsverfahren des EG-Vertrages zu nennen:

1. das Anhörungsverfahren
2. das Zusammenarbeitsverfahren
3. das Mitentscheidungsverfahren

Je nach Kompetenz kommt eines von drei Verfahren zur Anwendung, an denen Kommission, Rat und Europäisches Parlament (EP) in unterschiedlicher Weise beteiligt sind. Die Herausbildung der heute bestehenden Verfahren und die Zuweisung des einen oder anderen Verfahrens zu den einzelnen Kompetenzen ist das Ergebnis einer Entwicklung, die in mehreren Schritten stattgefunden hat. Der Kommission steht bei allen Verfahren das Initiativmonopol zu.

Das Anhörungsverfahren

Im Anhörungsverfahren nach Art. 250 entscheidet der Rat allein auf Vorschlag der Kommission über Rechtsakte der Gemeinschaft. Im Regelfall ist eine einstimmige Entscheidung erforderlich. Das Initiativmonopol der Kommission wird dabei mit besonderem Gewicht versehen, indem der Rat bei Abweichung vom Kommissionsvorschlag gemäß Art. 250 Abs. 1 nur einstimmig entscheiden kann.[5]

Umweltrechtliche Relevanz

Im Bereich des Umweltrechts ist das Anhörungsverfahren in den Fällen des Art. 175 Abs. 2 EG vorgesehen. Danach erlässt der Rat auf Vorschlag der Kommission sowie nach Anhörung des Parlaments und sowohl des Wirtschafts- und Sozialausschusses als auch des Ausschusses der Regionen einstimmig Maßnahmen im Bereich der Raumordnung, der Bodennutzung – mit Ausnahme der Abfallbewirtschaftung und allgemeiner Maßnahmen – sowie der Bewirtschaftung der Wasserressourcen und Maßnahmen, welche die Wahl des Mitgliedstaates zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berühren.

Der Rat kann einstimmig bestimmen, in welchen der vorgenannten Bereiche lediglich mit qualifizierter Mehrheit beschlossen wird.

Des weiteren ist das Anhörungsverfahren insbesondere in den Fällen der Art. 94 EG (Maßnahmen bezüglich der Harmonisierung des Gemeinsamen Marktes), des Art. 37 Abs. 2 Uabs. 3 EG (Gemeinsame Agrarpolitik) sowie des Art. 157 Abs. 3 EG (Maßnahmen im Bereich der Industriepolitik) durchzuführen.[6]

Das Verfahren der Zusammenarbeit

Im Verfahren der Zusammenarbeit nach Art. 225 ist das EP beteiligt. Erzielen Rat und EP keine Einigkeit über den Entwurf des Rates und Änderungswünsche des EP, so legt der Rat einen gemeinsamen Standpunkt fest. Über Ablehnung oder Änderung des vom Rat festgelegten gemeinsamen Standpunktes durch das EP kann sich der Rat nur einstimmig hinwegsetzen.[7]

Umweltrechtliche Relevanz

Im Bereich der Umweltrechtsetzung kommt dieses Verfahren nicht mehr zur Anwendung. Das Verfahren der Zusammenarbeit wurde durch den Vertrag von Amsterdam weitgehend aus der praktischen Anwendung verdrängt. Die bisherigen Anwendungsbereiche unterliegen nunmehr größtenteils dem noch zu behandelnden Mitentscheidungsverfahren.[8]

Das Verfahren der Mitentscheidung

Die stärkste Position hat das EP im Verfahren der Mitentscheidung nach Art. 251. Einen gemeinsamen Standpunkt kann das EP mit absoluter Mehrheit seiner Mitglieder endgültig ablehnen. Äußert das EP hingegen Änderungswünsche, die nicht die Zustimmung des Rates finden, so ist ein hälftiger aus Mitgliedern des Rates und des EP zusammengesetzter Vermittlungsausschuss anzurufen. Im Ergebnis kann sich der Rat über Änderungswünsche des EP nicht hinwegsetzen. Das EP verfügt über ein „parlamentarisches Vetorecht“, das es rechtfertigt, das EP als „Mitgesetzgeber“ anzusehen.[9]

Umweltrechtliche Relevanz

Das Verfahren der Mitentscheidung nach Art. 251 EG findet gemäß Art. 175 Abs. 1 EG regelmäßige Anwendung, wenn Rechtsakte zur Erreichung der in Art. 174 EG genannten Ziele erlassen werden sollen. Es ist damit auf dem Gebiet des Umweltrechts das standardmäßig durchzuführende Gesetzgebungsverfahren.

Zusätzlich zu dem zuvor dargestellten Ablauf des Verfahrens der Mitentscheidung ist nach Art. 175 Abs. 1 EG eine Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Region bezüglich der angestrebten Maßnahmen durchzuführen. Weiter findet das Verfahren der Mitentscheidung insbesondere Anwendung in den Fällen des Art. 40 EG (Arbeitnehmerfreizügigkeit), des Art. 44 EG (Niederlassungsfreiheit), des Art. 55 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 EG (Dienstleistungsfreiheit) sowie Art. 153 Abs. 3 lit. B, Abs. 4 EG (Verbraucherschutz).[10]

[...]


[1] Knill, Christoph: Europäische Umweltpolitik – Steuerungsprobleme und Regulierungsmuster im Mehrebenensystem S. 38.

[2] Knill, Christoph: Europäische Umweltpolitik – Steuerungsprobleme und Regulierungsmuster im Mehrebenensystem, S. 29.

[3] Schröer, Thomas: Kompetenzverteilung, S. 31-32.

[4] Loibl, Helmut: Europarecht – Das Skriptum, S. 23.

[5] Streinz, Rudolf: Europarecht, 4. Auflage Heidelberg, Rn. 449.

[6] Dietrich/Au/Dreher: Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 37.

[7] Streinz, Rudolf: Europarecht, 4.Auflage Heidelberg, Rn. 453.

[8] Dietrich/Au/Dreher: Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften, S.39.

[9] Streinz, Rudolf: Europarecht, 4.Auflage Heidelberg, Rn. 455.

[10] Dietrich/Au/Dreher: Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 40.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Umweltrechtsetzung durch die EG: Entscheidungsabläufe und Einflussstrukturen
Hochschule
Universität Siegen
Veranstaltung
Ökonomie, Institutionenbildung und Öffentliches Recht - am Beispiel des Umweltschutzes
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
27
Katalognummer
V21458
ISBN (eBook)
9783638250771
ISBN (Buch)
9783638647120
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ein sehr aktuelles Thema!
Schlagworte
Umweltrechtsetzung, Entscheidungsabläufe, Einflussstrukturen, Institutionenbildung, Recht, Beispiel, Umweltschutzes
Arbeit zitieren
Stephan Haberkamp (Autor:in), 2003, Umweltrechtsetzung durch die EG: Entscheidungsabläufe und Einflussstrukturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21458

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