Der Unzuchts- und Bigamiefall Johann Georg Sept 1803


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Ziel der Untersuchung

2. Die Quellen

3. Unzucht, Ehe, Ehebruch und Bigamie

4. Der Ort des Prozesses

5. Der Fall Johann Georg Sept
5.1 Die Vorgeschichte
5.2 Das Delikt
5.3 Der Prozess

6. Das Urteil

7. Bewertung

Literaturverzeichnis
A) Handschriftliche Quellen
B) Gedruckte Quellen
C) Sekundärliteratur

Bildverzeichnis

Glossar

Ortsregister

Abkürzungen

1. Ziel der Revision

Das Ziel der Revision des Unzuchts- und Bigamiefalles, der 1803 vor dem Patrimonialgericht in Brunn untersucht und verhandelt wurde, ist es, einen quellenfundierten Beitrag zur Erforschung der Lebensweise und der Lebensgewohnheiten niederer sozialer Schichten im ländlichen fränkischen Raum zu liefern. Da in der Regel aus diesem weitgehend analphabetische soziale Milieu so gut wie keine eigenhandschriftlichen Quellen vorhanden sind, ist es nötig auf schriftliche Quellengattungen auszuweichen, die von Schreibkundigen verfasst wurden, aber den Inhalt bzw. die Aussage der Analphabeten spiegeln. Diese Art von Quellen findet sich zumeist in Form von Protokollen in Untersuchungs- bzw. Prozessakten, was zur Folge hat, dass die niedergelegte Aussage entweder von einem Delinquenten oder von einem Zeugen im untersuchten Kriminalfall stammt. Es besteht die Gefahr, dass die Meinungen, Verhaltensweisen und Bewusstseinsinhalte, die sich in einzelnen Protokollen straffällig Gewordener niederschlagen, übergeneralisiert und für ein ganzes Milieu als typisch oder zumindest als nicht unüblich befunden werden, obgleich die Aussage in einem atypischen Rahmen, nämlich vor Gericht, und von möglicherweise atypischen Personen gewonnen wurde. Es gilt also sorgsam abzuwägen, wie weitreichend eine allgemeine Aussage über ein Milieu oder über die rurale Volkskultur[1] auf dieser Basis sein kann. Ganz sicher darf von einem isolierten exemplarisch wieder aufgerollten Fall – wie dies hier im Folgenden geschehen soll - kein revidierter Blick auf eine soziale Schicht erwartet werden. Trotzdem kann diese Revision von Gerichtsakten im Zusammenspiel mit anderen quellenfundierten Beiträgen und unter Abgleich mit bekannten Fakten ein wirklichkeitsgetreueres historisches Bild vom Leben eines schriftunkundigen Milieus liefern.

Ein Problem anderer Art bildet die Interpretation der wieder aufgerollten Untersuchung. Der Interpret neigt absichtslos dazu, einen Fall in seinem Sinn, also innerhalb seiner bekannten Kategorien auszulegen. Kurz ausgedrückt: Er findet das, wonach er sucht. Und er übersieht womöglich, was darzustellen lohnend wäre. Er begibt sich in einen circulus vitiosus, bei dem in der Annahme auch schon der Beweis enthalten ist. Es scheint deshalb geboten, den im Folgenden wieder aufgerollten Fall möglichst präzise vorzustellen, um dem Leser selbst die Gelegenheit zu geben, die vom Verfasser gezogenen Schlüsse nachzuvollziehen oder, wenn nötig, bei der Lektüre zu anderen Schlüssen zu kommen.

2. Die Quellen

Die Akten zum hier vorgestellte Unzuchts- und Bigamiefall Johann Georg Sept stammen aus dem Pückler-Limpurgischen-Archiv (PLA), das sich inzwischen im Stadtarchiv Fürth befindet. Über der Fall Johann Georg Sept existieren zwei Aktenkonvolute mit den Nummern 612 und 1322. In der Aktenmappe mit der Nr. 612 befinden sich im wesentlich Briefe des Untersuchungsbeamten Neubauer, der in Brunn den Prozess vorantrieb, an die Grafen Christian und Alexander von Pückler-Limpurg, die in Burgfarrnbach beheimatet waren. Darin fasst er die Untersuchungsergebnisse zusammen, fragt die Grafen um prozessualen Rat und bittet um Milde für den Angeklagten. In dieser Mappe befanden sich also die Schriftstücke, die ohnehin bereits in Burgfarrnbach aufbewahrt wurden. Die zweite Aktenmappe enthält die Schriftstücke, die zunächst in Brunn verblieben waren, dann aber ins Pückler-Limpurgische-Archiv nach Burgfarrnbach überführt wurden. Darin befinden sich die weitgehend chronologisch geordneten Vernehmungsprotokolle, Berichte an die Regierung in Bayreuth, die Beweismittel (Trauscheine) und das Urteil, sowie Briefe an die Zuchthausverwaltung in St. Georgen am See.

3. Unzucht, Ehe, Ehebruch und Bigamie

Um zu verstehen, wie die Verbrechen, die Johann Georg Sept zur Last gelegt wurden, von zivilbehördlicher und kirchlicher Seite wahrgenommen wurden, ist ein Exkurs über das sich in der frühen Neuzeit wandelnde Eherecht nötig. Des weiteren soll an dieser Stelle in Erinnerung gerufen werden, dass die Ehe zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf dem Lande noch weit davon entfernt war, dem Ideal der uns heute selbstverständlichen und sich genau zu jener Zeit im Bürgertum etablierenden Liebesehe zu genügen, sondern viel eher einer praktisch orientierten Zweckgemeinschaft zur arbeitsteiligen Erleichterung des täglichen Lebens und zur Kanalisation geschlechtlicher Begierden glich.

Die in westlichen Gesellschaften übliche Ehe könnte als „rechtlich anerkannte Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau zu dem Zweck, eine Familie zu gründen, d.h. Kinder zu zeugen und aufzuziehen“[2], definiert werden. Genauer müsste noch bestimmt werden, dass es sich im Normfall um eine Gemeinschaft von einem Mann und einer Frau handelt. Bei dieser Definition ist besonders wichtig, dass es sich um eine rechtlich geschlossene Verbindung zwischen zwei (Vertrags-)Partnern handelt.[3] Diese Vorstellung vom freiwillig geschlossenen Vertrag wird von den Naturrechtlern der Aufklärung in zunehmendem Maße seit dem 17. Jahrhundert vertreten. K. L. Pörschke definiert 1795 dann explizit, dass „die Ehe ein Vertrag zweier Personen beiderlei Geschlechts [sei], um zusammen in der engsten Verbindung zu leben“[4]. Damit einher geht eine Säkularisierung der Ehegerichtsbarkeit, d.h. die zwingenden Normen der Ehe werden auf Basis des Naturrechts minimalisiert und „das Staatswohl [Erhalt und Wachstum der Bevölkerung] zum alleinigen Kriterium“[5] der Ehegesetzgebung gemacht. Mit der Vorstellung der Ehe als Vertrag wurde es möglich, die Ehe unter bestimmten gesetzlich geregelten Voraussetzungen auch wie einen Vertrag zu kündigen, also sich scheiden zu lassen. Diese rationale Eheauffassung kann als Verstandesehe bezeichnet werden und hebt sich von der als unauflöslichen Bund beschrieben Institution im kanonischen Recht der katholischen Kirche ab[6]. Dies ist in unserem Zusammenhang von enormer Bedeutung, da Sept – wie noch zu zeigen sein wird – durchaus die Bedingungen erfüllte, um sich scheiden zu lassen.[7] Er versäumte es aber, dieses Recht bei den zuständigen Behörden offiziell umzusetzen. Stattdessen begnügt er sich mit dem in wütender Erregung ausgestellten Freibrief seiner ersten Frau, nie wieder mit ihm leben zu wollen.

Obwohl sich um 1800 im deutschsprachigen städtischen Bürgertum im Zuge literarischer Bewegungen wie Sturm und Drang[8] und Romantik[9] das Ideal der Liebesehe Verbreitung findet, sind die ländlichen Gegenden weit davon entfernt, dieses Ideal einzulösen. Die Ehe ist hier noch eine Zweckgemeinschaft zur wechselseitigen Lebenserleichterung und fest an institutionelle Formen gebunden. Wie auf anderen Gebieten auch, so sind die retardierenden Elemente auf dem Land stärker als in der Stadt, wo das alphabetisierte, gebildete und mobilere Bürgertum ansässig war. Zudem waren lange Zeit breite Schichten der Bevölkerung wie zum Beispiel die Tagelöhner auf dem Land von der Ehe ausgeschlossen, weil sie sich kaum selbst, geschweige denn eine Familie hätten ernähren können. Diese Regelung hatte eine soziale Funktion und diente der Armutprävention, war aber vor dem Hintergrund der frei gewählten Verstandes- bzw. Liebesehe ein Anachronismus und in dieser radikalen Form gegen Ende des 18. Jahrhunderts nicht zu halten.[10]

Einfache Unzucht, also der außereheliche Beischlaf (Fornikation), war eines der häufigsten Vergehen in der frühen Neuzeit. Da vielen heiratsfähigen, aber niedrig gestellten Personen die Ehe verweigert wurde, war zwangsläufig nur vorehelicher Geschlechtsverkehr möglich und dieser war mit Strafe belegt. Zudem war der voreheliche Sex mit einem Ehrverlust verbunden, der im besonderen Maße die Frau traf, da infolge der nicht vorhandenen Verhütungsmittel aus dem Geschlechtsakt schnell ein Zeugungsakt wurde. Damit waren ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt und damit ihre Lebenschancen drastisch gesunken, wenn sich der Übeltäter nicht zu der Vaterschaft bekannte und die Mutter zu seiner Frau nahm. Auch dem aus einer solchen Fornikation hervorgegangenen Spross waren sämtliche Erbansprüche verwehrt. Somit blieb ihr nur die Möglichkeit der Klage vor Gericht, um wenigstens eine Entschädigung zu erstreiten. Beide Phänomene sind im Fall Sept vertreten: Zum einen treibt Sept einfache Unzucht mit seiner späteren ersten Frau und wird zur Ehe mit ihr verpflichtet, um ihre Ehre zu wahren. Zum anderen verklagt ihn eine Magd vor dem Gericht auf Entschädigung, weil sie von ihm geschwängert worden war.

[...]


[1] Vgl. zum Begriff Volkskultur und zur musterbildenden quellenkritischen Vorgehensweise: Ginzburg, Carlo. Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Berlin 1996.

[2] Götsch, Dietmar. Ehe. In: Microsoft Encarta Enzyklopädie 2000, o.O. 1993-1999.

[3] Nach der Reformation eigneten sich mehr und mehr herrschaftliche Instanzen die Eherechtsprechung an, um die kladestine Winkelehe zurückzudrängen, da diese eine Überprüfung der Familienverhältnisse (Erbberechtigung, Mehrfachehe) verhinderte. Die weltliche Obrigkeit „schuf dabei kein neues Recht, sondern wollte nur die kirchliche Ehe- und Familienvorstellung als verbindlich deklarieren, um dadurch die Gesetze der öffentlichen Ordnung nun selbst bestimmen zu können.“ (van Dülmen, Richard. Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit, Bd. 2: Dorf und Stadt, München 21999, S. 232)

[4] Ringeling, Hermann. Ehe/Eherecht/Ehescheidung, VIII. Ethisch. In: Krause, Gerhard und Müller, Gerhard (Hrsg): Theologische Realenzyklopädie, Band IX, Berlin und New York 1982, S. 347. Immanuel Kant geht in seiner Metaphysik der Sitten (§ 24f) noch weiter. Für ihn ist die „Ehe eine Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“ (ebda. S. 348). Wobei mit Geschlechtseigenschaften nicht nur die libidinösen, sondern auch reproduzierenden Eigenschaften gemeint sind.

[5] Ebda. S. 347.

[6] Vgl. Weigand, R. Ehe / B. Recht / II. Kanonisches Recht. In: Lexikon des Mittelalters, Band III, München und Zürich 1986, Sp. 1623.

[7] Das böswillige Verlassen (desertio malitiosa), das man Septs erster Ehefrau durchaus hätte unterstellen können, galt nach protestantischer Auffassung als klassischer Scheidungsgrund (Ringeling, Hermann. Ehe/Eherecht/Ehescheidung. (wie Anmerk. 3), S. 347; vgl. auch van Dülmen, Richard. Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. (wie Anmerk. 2), S. 234). Da Sept protestantischen Glaubens war, wäre eine offizielle Scheidung wohl problemlos möglich gewesen.

[8] J. W. v. Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ soll hier als weithin bekanntes Beispiel angeführt werden, das nach seinem Erscheinen große Verbreitung fand.

[9] Friedrich Schlegel versucht in dem Romanfragment „Lucinde“ (1799) eine neue Moral anzuregen. „Für ihn ist die Liebe Gott. Das heißt anders, die Liebe ist Ehe, auch ohne Trauschein und bürgerliche (kirchliche) Zeremonien.“ (Ringeling, Hermann. Ehe/Eherecht/Ehescheidung, (wie Anmerk. 3), S. 349). Friedrich Schleiermacher greift diese Vorstellung in „Vertraute Briefe über Lucinde“ (1800) auf und erklärt die individuelle Wahlbeziehung der Ehepartner als Basis für die echte Ehe. Die Ehe hat nach seiner Auffassung ihren Zweck in sich selbst und nicht nur im Sinn der Zeugung.

[10] Septs Beispiel beweist, dass Tagelöhner um 1800 im Einflussgebiet des Fürstentums Ansbach-Bayreuth ohne Beschränkungen heiraten durften. Hier zeigt sich wohl der Einfluss des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, das die Errichtung von Rechtsstaat und Staatsbürgerschaft zum Ziel hatte.

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Details

Titel
Der Unzuchts- und Bigamiefall Johann Georg Sept 1803
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Kriminalitätsgeschichte - ein neues landeshistorisches Forschungsfeld
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V19087
ISBN (eBook)
9783638232999
ISBN (Buch)
9783656202349
Dateigröße
693 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fallstudie, Untersuchungs, Sachen, Johann, Georg, Sept, Reichs, Graeflichlich, Pücklerischen, Patrimonial, Gerichte, Brunn, Verbrechen, Kriminalitätsgeschichte, Forschungsfeld
Arbeit zitieren
Markus Wawrzynek (Autor:in), 2002, Der Unzuchts- und Bigamiefall Johann Georg Sept 1803, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19087

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