Zwei contes philosophiques von Voltaire: "Le Monde comme il va" und "Le Blanc et le Noir"


Seminararbeit, 1997

22 Seiten, Note: gut (2,3)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1. “Le Monde comme il va” als typischer “conte philosophique”
1.1. Inhaltsanalyse
1.2. Stilanalyse

2.”Le Blanc et le Noir”
2.1. Inhaltsanalyse
2.2. Stilanalyse

Schlußbemerkung

Literaturverzeichnis

A. Text

B. Sekundärliteratur

Vorbemerkung

Die beiden Erzählungen von Voltaire, “Le Monde comme il va” und “Le Blanc et le Noir” sollen, habe ich gewählt, um die Merkmale des von Voltaire im 18. Jahrhundert geprägten “conte philosophique” herauszuarbeiten. Das Wichtigste dieser neuen Form des “conte” war, neben der Intention der Unterhaltung des Lesers eine ganz bestimmte philosophische Botschaft zu vermitteln, die den Leser zur kritischen Auseinandersetzung mit bestimmten aktuellen Themen und Problemen anregen sollte. Das heißt, ein solcher conte hat zwei Ebenen: die Oberfläche der abenteuerlichen Geschichte und die darin verborgen Maximen Voltaires.

Der Schwerpunkt meiner Arbeit soll dabei auf “Le Monde comme il va” liegen, da dort das Schicksal und die Gesellschaft zentrale philosophische Themen sind, mit denen sich der Autor sehr oft in seinen “contes” auseinandergesetzt hat und die hier meiner Meinung nach besonders gut deutlich werden . “Le Blanc et le Noir” zeigt noch andere Themen auf sowie eine Rafinesse in der Erzähltechnik, wobei gerade in der Stilanalyse die Ähnlichkeit der Struktur der beiden Erzählungen zum Ausdruck kommen soll.

1. “Le Monde comme il va” als typischer “conte philosophique”

1.1. Inhaltsanalyse

In diesem conte von Voltaire, zum ersten Mal 1748 herausgegeben, kann man als Merkmal von Voltaires “contes philosophiques” zunächst sagen, daß dieser Geschichte ein Handlungsstrang zugrunde liegt, der durch einen `Helden` geprägt ist.[1]

Der Protagonist ist der Skyther Babouc, der von dem hohen “génie” Ituriel den Auftrag bekommt, nach Persien zu gehen, die Menschen zu beobachten ,um nachher “un compte fidèle” zu erstellen, nach diesem dann entschieden wird, ob die Stadt Persépolis reformiert oder vernichtet werden soll.

Märchenhafte Elemente bzw. die Unwahrscheinlichkeit der Handlung als weitere typische Kennzeichen werden schon durch das Auftreten des Engels Ituriel und auch durch die Tatsache ersichtlich, daß Babouc vom Himmel “le discernement” (S.95) erhält sowie die Gabe, Vertrauen bei den Personen zu erwecken, durch die er mehr über den Charakter von Persépolis erfährt.

Die Erzählung besteht deshalb aus mehreren Episoden der Begegnung Baboucs mit den verschiedensten Einwohnern der Stadt, wobei immer unterschiedliche Themen behandelt werden, hinter denen sich Voltaires philosophische Auffassungen und Kritik an vielen Dingen verbirgt, z.B. an Staat, Kirche, Gesellschaft, Moral.

An einigen Stellen wird deutlich, daß Persépolis starke Ähnlichkeit mit Paris und seinem historischen Hintergrund zur Zeit Voltaires aufweist und sich außerdem mit den Erfahrungen des Autors und seinen Einstellungen zu dieser Stadt deckt.[2]

Das erste Thema dieses “conte” ist der Krieg, welcher dem Skythen Babouc gleich schon auf seinem Weg in die Stadt begegnet ,denn er trifft auf die persische Armee, die sich gerade auf den Kampf mit Indien vorbereitet (S.95-97). Dabei macht er die Erfahrung, daß, wen er auch fragt, vom Soldaten bis zum General, keiner richtig Bescheid weiß, warum so blutig gekämpft wird. Alle erfüllen nur ihre jeweilige Aufgabe, ohne sich Gedanken um die Hintergründe zu machen. Der Soldat sagt: “...: mon métier est de tuer et d´être tué pour gagner ma vie;...” ,und der Hauptmann verläßt bei einer Kriegserklärung sofort Haus und Familie, um “la fortune ou la mort” (S.96) zu suchen. Voltaire stellt damit die Lächerlichkeit eines Krieges heraus, von dem noch nicht einmal jemand weiß, warum er überhaupt begonnen wurde, was aber eine essentielle Frage ist, wenn man sich die Konsequenzen anschaut, “toutes les fautes et toutes les abominations”, die ein solcher Krieg mit sich bringt und die auch Babouc eigens beobachten kann: “les meurtres, les incendies, les ruines, les dévastations”. Und angesichts dieses Kriegsgreuels erscheint es doch lächerlich und unverantwortlich, wenn der Hauptmann Babouc auf seine Frage sagt: “.., et que m´importe ce beau sujet?” Außerdem ist der Grund, den Babouc dann doch letztlich von einem General erfährt, ein ganz trivialer (ursprünglich Streitigkeiten zwischen einem Eunuchen und einem Hofbeamten), was die ganze Sache noch absurder erscheinen läßt.[3] Durch Baboucs Augen sieht der Leser die Grausamkeiten des Krieges. Er ist schockiert von der Unmenschlichkeit, die herrscht, - “Sont-ce là des hommes, s´écria Babouc, ou des bêtes feroces?” - da er sieht, wie Kriegskameraden sich gegenseitig umbringen und ausplündern, und die Leute, die vom König Persiens gut bezahlt werden, sich kaum um die Verwundeten kümmern. Schnell zieht Babouc hieraus den Schluß, daß Persépolis zerstört werden sollte. Der Genie der Inder könnte aber genauso gut eben diese vernichten, da Babouc in der indischen Armee, die er danach besucht, dieselben Grausamkeiten zu sehen bekommt. Gleichzeitig bemerkt er aber auch, daß es auch im Krieg Menschen gibt, die zwischen den schrecklichen Dingen Gutes tun, die “grandeur d´âme, d´humanité” und “générósité” (S.97) beweisen, und er erkennt erstaunt zum ersten Mal, daß eine Stadt und seine Bewohner sehr viel Gegensätzlichkeit in sich vereinen können: “vertus” auf der einen und “crimes” auf der anderen Seite. Babouc zeigt sich dann auch wegen der guten Seiten und, als er hört, daß endlich der Friede beschlossen wird, um so mehr geneigt, die Stadt doch bestehen zu lassen.

Diese Episode zeigt deutlich Voltaires Antikriegshaltung, seine Abscheu gegen Gewalt, sein Unverständnis gegenüber denjenigen, die aus reinem Egoismus und aus lächerlichen Gründen einen Krieg beginnen, unter dem alle zu leiden haben, “...qui pour leur seul intérêt, avaient fait verser le sang de tant d´hommes, leurs semblables,...” (S.97). Diese Haltung von Voltaire ist besonders dann nachzuvollziehen, wenn man den historischen Hintergrund mit einbezieht, und zwar den österreichischen Erbfolgekrieg von 1741 bis 1748, der zur Zeit der Entstehung von “Le Monde comme il va” stattfand. Insofern kann man mit Van den Heuvel übereinstimmen, - welcher nicht nur in diesem conte stark biographische Züge sieht - der der Meinung ist, das Wesentliche in Voltaires contes liege darin, auf “des abus et des scandales” hinzuweisen und sie zu kritisieren, von denen gerade der Krieg “le plus grand des scandales” darstelle.[4]

Nach seiner Begegnung mit dem Krieg betritt Babouc nun die Stadt, und gleich sein erster Eindruck ist schlecht, da das Stadtviertel, das direkt hinter dem alten Toreingang

liegt, offensichtlich sehr heruntergekommen und von einer “rusticité dégoutante” (S.97) ist.[5] Babouc mischt sich unter eine Menschenmenge, die in eine Kirche geht, die er aber zunächst für einen Markt für Strohstühle hält, unter anderem wegen der lauten und schrillen Stimmen, die ihn umgeben. Was Babouc aber am meisten erschrecken läßt, ist die Tatsache, daß an diesem Ort, wo gebetet wird, auch Tote begraben werden, was er im folgenden nämlich selbst beobachten kann. Schon wendet er sich wieder gegen Persépolis, die er als “vilaine ville” (S.98) bezeichnet.

Gerade durch Baboucs naiven Irrtum, daß ihm der Ort zunächst überhaupt nicht wie eine Kirche erscheint, wird die scharfe Kritik Voltaires klar herausgestellt, denn Baboucs Erwartungen von einer Kirche, die mit denen des Lesers identisch sind, werden in keinster Weise, lediglich in der äußeren Erscheinung, nämlich im Niederknieen, erfüllt. Denn der Protagonist sieht keine Besinnlichkeit, Ruhe und Moral in diesem Tempel; im Gegenteil, es ist laut, eben so, wie es auf einem Markt sein könnte, und die Frauen beobachten die Männer von der Seite, anstatt sich auf den eigentlichen Zweck ihres Kommens zu konzentrieren, das Beten zu Gott, das für die Menschen aber augenscheinlich nicht der Grund ist. So hat auch Dalnekoff beobachtet, daß durch Baboucs großen Irrtum, der scharfe Kontrast Markt - Tempel den folgenden Effekt hat: “... a sharp attack upon the inappropriate kind of behaviour that can be observed in churches.”[6] Die Kritik richtet sich offensichtlich wieder gegen Frankreich, da Dalnekoff auch schreibt, daß die “abusive practice of burying the dead in places of religious worship” eine Praktik Frankreichs zu dieser Zeit ist.[7]

In dem “conte” ist zu beobachten, daß der Protagonist in seiner Meinung über Persépolis ständig hin und her schwankt, mal ist er begeistert und entzückt von den Sachen, die er sieht, mal tief erschrocken und verärgert. Die nächste Episode ist dann gleich wieder ein positives Erlebnis für Babouc, da er bei einer Dame am anderen Ende der Stadt zum Essen eingeladen ist. Dort bewundert er zum einen die prächtigen Bauten und zum anderen die hübsche und geistreiche Gesellschaft, in der er sich befindet, und auf einmal spricht er wieder von einer “ville si charmante” (S.98). Gleich danach wird er aber wieder eines Besseren belehrt, denn die Gesellschaft zeigt sich ihm in schlechter Moral, da sich verschiedene Liebschaften unter den Gästen aus deren Verhalten andeuten. Außerdem erfährt er bzw. sieht er, daß sich Ämter wie das eines Richters oder eines Offiziers in der Armee kaufen lassen, was er mit “le comble du désordre” (S.100) bezeichnet und für eine große Ungerechtigkeit hält. Die ganze Verwaltung sei “détestable”. Ämterkauf war zu Voltaires Zeit nichts Seltenes, und auch die “quarante rois plébéiens”, die Generalpächter, die reich werden, indem sie die Steuern für das Reich Persiens eintreiben, kann man auch auf die französischen Steuereintreiber beziehen. Hier wird ein Teil der Gesellschafts- und Staatskritik angesprochen, die auch ein Merkmal eines “conte philosophique” ist. Sieht man Babouc als Sprecher Voltaires an, kritisiert Voltaire hier z.B. vor allem “la jalousie, la discorde, la vengeance” (S.99) an der Gesellschaft.

Dieses Thema wird noch ein wenig fortgeführt, denn in der nächsten Episode hört Babouc eine für ihn langweilige und unnötige Predigt in einem Tempel mit an, bevor er dann ins Theater geführt wird und die Schauspieler dort für die “prédicateurs de l´empire” (S.101) hält. Denn diese reden mit einer solchen Hingabe von den Pflichten der Könige, “l´amour de la vertu” oder den Gefahren der Leidenschaften (S.101), daß Babouc so gerührt ist, daß er meint, dieses Erlebnis würde ihn für immer mit allem Schlechtem der Stadt wieder aussöhnen.

[...]


[1] Voltaire, Romans et contes, (Paris: Garnier-Flammarion, 1966) ,S.93-108. Alle Seitenangaben beziehen sich auf diesen Basistext

[2] Im Vorwort zum “conte” (S.93) wird angemerkt: “Voltaire en ce conte écrit ses <<scènes de la vie parisienne>>”.

[3] vgl. Van den Heuvel, “Voltaire dans ses contes, (Paris: Colin, 1982),S.131: “La guerre est horrible, mais elle est aussi absurde”.

[4] Ebd., S.130.

[5] Hier befindet sich, wie auch im Vorwort (S.93) erwähnt, wieder eine Anspielung auf die Stadt Paris, da “l´ancienne entrée” und die übrige Beschreibung des Stadtviertels genau auf das Viertel Saint-Marceau passen.

[6] Donna Isaacs Dalnekoff, “Voltaires Le Monde comme il va, a satire on satire” in: Studies on Voltaire and the eighteenth century,(106, 1973),S.93.

[7] Ebd., S.89

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Zwei contes philosophiques von Voltaire: "Le Monde comme il va" und "Le Blanc et le Noir"
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar: Exotik und Abenteuer im Dienste der Philosophie - das Wirken von Montesquieu und Voltaire
Note
gut (2,3)
Autor
Jahr
1997
Seiten
22
Katalognummer
V17005
ISBN (eBook)
9783638216920
Dateigröße
563 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zwei, Voltaire, Monde, Blanc, Noir, Proseminar, Exotik, Abenteuer, Dienste, Philosophie, Wirken, Montesquieu, Voltaire
Arbeit zitieren
Eva Neuhaus (Autor:in), 1997, Zwei contes philosophiques von Voltaire: "Le Monde comme il va" und "Le Blanc et le Noir", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17005

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