Corporate Governance in Deutschland und den USA - Stand und Herausforderungen -


Seminararbeit, 2002

39 Seiten, Note: sehr gut

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Bezugsrahmen
1.2 Begriffsabgrenzung
1.3 Problemstellung
1.4 Zielsetzung
1.5 Vorgehensweise

2 Gegenüberstellung Deutschland – USA
2.1 Shareholder- versus Stakeholder-Orientierung im Unternehmen
2.2 Deutschland: Koordinierter Kapitalismus
2.3 USA: Marktorientierter Kapitalismus
2.4 Konstitutionelle Elemente deutscher Corporate Governance
2.4.1 Finanzsysteme
2.4.2 Aktienmarkt und Aktienbesitz, die „Deutschland-AG“
2.5 Zwischenfazit

3 Ursachen und Anzeichen einer möglichen Konvergenz internationaler Corporate Governance
3.1 Internationalisierung und Integration der Finanzmärkte
3.2 Die Rolle institutioneller Investoren
3.3 Entflechtung der „Deutschland AG“
3.4 Wandel in der Beziehung zu den Anteilseignern
3.5 Zwischenfazit

4 Komplementarität innerhalb konsistenter Systeme

5 Konvergenz?

6 Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Führung und Überwachung in der deutschen und anglo-amerikanischen Spitzenverfassung nach Böckli

Abb. 2: Gegenüberstellung von Shareholder- und Stakeholder-Orientierung, eigene Darstellung

Abb. 3: Innere und äussere Corporate Governance im deutschen System nach Böckli, P.

Abb. 4: Vereinfachte Darstellung der gegensätzlichen Corporate-Governance-Ansätze, eigene Darstellung

Abb. 5: Gegenüberstellung von Shareholder- und Stakeholder-Orientierung, eigene Darstellung

Abb. 6: Priorisierung von Dividendenausschüttung versus Arbeitsplatzsicherheit nach Yoshimori, M., 1995

Abb. 7: Gegenüberstellung von marktorientiertem und koordiniertem System, eigene Darstellung

Abb. 8: Insider und Outsider Control nach Witt, P., 2001

Abb. 9: Struktur des Aktienbesitzes in Deutschland und den USA, eigene Darstellung nach Gerke, W., o.J., S. 9

Abb. 10 Finanzierungsmuster deutscher und amerikanischer Unternehmen, eigene Darstellung nach Hackethal, 2000

Abb. 11: Finanzsysteme in Deutschland und den USA, eigene Darstellung nach Schmidt, R.H., Hachethal, A., Tyrell, M., 2001

Abb. 12: Börsenkapitalisierung in Deutschland und den USA, eigene Darstellung

Abb. 13: Wachstum des von institutionellen Anlegern verwalteten Vermögens, nach Gehrke, W., o.J., S. 7

Abb. 14: Anteil privat gehaltener Aktien, eigene Darstellung nach Gehrke, W., o.J. S. 9

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Bezugsrahmen

Den Bezugsrahmen dieser Arbeit bildet die internationale Corporate-Governance-Diskussion, die ihre Existenz insbesondere der Internationalisierung der Wirtschaft und der damit einhergehenden Verflechtung der Güter- und Kapitalmärkte verdankt. Die Globalisierung des wirtschaftlichen Handelns bedingt, dass sowohl der sich ergebende internationale Wettbewerb als auch die diesen regelnden Rahmenbedingungen in steigendem Maße zu berücksichtigen sind.[1] Einen Teil dieser Rahmenbedingungen bildet die Corporate Governance[2] eines Unternehmens, eines Landes, eines Wirtschaftsraums. Insbesondere die spektakulären Unternehmenszusammenbrüche in Europa und den USA verhelfen dem Thema aktuell zu großem Auftrieb.

1.2 Begriffsabgrenzung

Corporate Governance ist zwar ein international gebräuchlicher, jedoch nicht einheitlich definierter Begriff.[3]

Am engsten liegen die Grenzen bei der shareholderorientierten Sichtweise, die unter Corporate Governance lediglich den Prozess der Leitung und Kontrolle eines Unternehmens unter Zielsetzung der Ergebnisoptimierung im Sinne der Eigentümer sieht: „Corporate governance can be viewed as a process by which directors control and direct the management of a company to achieve the best returns to ist owners […] .”[4]

Weiter im Sinne der Stakeholder-Orientierung geht da die Definition der Corporate Governance als „[...] eine verantwortliche, auf langfristige Wertsteigerung ausgerichtete Unternehmensleitung und –kontrolle [...].“[5] Hier geht es nicht allein um Führungsaufgaben des Managements, sondern auch um die Aufgabenverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Beziehungen zu den Anteilseignern, Investoren, Mitarbeitern, Geschäftspartnern und der Öffentlichkeit, also neben dem Shareholder Value auch um den Stakeholder Value.[6]

1.3 Problemstellung

Wenn man sich allein die verschiedenen Definitionen des Begriffs „Corporate Governance“ vergegenwärtigt, so fällt auf, dass diese alle die Aspekte der Organisation und Kontrolle der Unternehmensleitung beinhalten. In diesem Zusammenhang werden systemvergleichend insbesondere oft das Aufsichtsrat-Modell auf deutscher und das Board-Modell auf anglo-amerikanischer Seite einander gegenübergestellt und verglichen.[7] Dabei gehören die Unternehmensführung und –überwachung, ungeachtet der Globalisierung und Internationalisierung, zu denjenigen Bereichen, die in den einzelnen Ländern mehr oder weniger starken rechtlichen Regelungen und Beschränkungen sowie zum Teil sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen unterliegen.

Umstritten demgegenüber ist allein schon in den verschiedenen Definitionen, ob und inwiefern die Ausgestaltung der Stakeholder-Relations Teil der Corporate Governance ist. Dies ist ein Ausdruck der verschiedenen Systeme angloamerikanischer und kontinental-europäischer Marktwirtschaft und Unternehmensausrichtung.[8] Die Gegenpole bilden hierbei insbesondere Deutschland auf der einen Seite mit einem als konsensorientiert und koordiniert verstandenen und die USA mit einer sehr marktorientierten System auf der anderen Seite.[9] Bezüglich der Ausgestaltung der Corporate Governance äußert sich diese Gegensätzlichkeit in der Stakeholder-Orientierung auf deutscher und der Shareholder-Orietierung auf angloamerikanischer Seite.

1.4 Zielsetzung

Im Rahmen dieser Arbeit soll nun ein Systemvergleich dieser unterschiedlichen Gestaltung und Ausrichtung von Corporate Governance unter Einbezug der dafür maßgeblichen wirtschaftlichen, rechtlichen und sozio-kulturellen Eigenheiten sowie unter der Fragestellung einer möglichen Konvergenz internationaler Corporate Governance durchgeführt werden.[10] Es soll untersucht werden, ob und inwiefern der festzustellende Wandel beider Systeme eine Konvergenz zwischen dem vornehmlich stakeholderorientierten Corporate-Governance-Ansatz in Deutschland und dem sehr shareholderorientierten Ansatz in den USA vermuten lässt.[11] Dabei soll, ausgehend von der Feststellung des koordinierten Kapitalismus in Deutschland sowie des marktorientierten Kapitalismus in den USA und unter Berücksichtigung herausragender konstitutioneller Elemente deutscher Corporate Governance der Wandel im deutschen Wirtschaftssystem dargestellt werden. Der Fokus hierbei liegt auf den grundlegenden Entwicklungen des Kapitalmarkts, da dieser, wesentlich schneller als andere Elemente des Wirtschaftssystems, auf die sich im Zuge der Internationalisierung und Globalisierung der Märkte ändernden Rahmenbedingungen reagiert hat. Schließlich soll zusammenfassend die Frage der Einbettung der Unternehmensorientierung nach Shareholdern bzw. Stakeholdern in ein jeweils konsistentes System komplementärer Elemente einer Wirtschaftsordnung aufgeworfen und in die Gesamtüberlegung einer möglichen Konvergenz internationaler Corporate Governance einbezogen werden.

Die Kernfragen, die es hierbei zu erörtern gilt, sind:

- Welche sind konstitutionellen Elemente deutscher und amerikanischer Corporate Governance?
- Was sind die Ursachen und Anzeichen für den Wandel und eine mögliche Konvergenz internationaler Corporate Governance?
- Ist Deutschland auf dem Weg zu einem shareholderorientierten Corporate-Governance-Ansatz, bzw. ist eine Konvergenz internationaler Corporate Governance erkennbar?
- Kann eine Konvergenz internationaler Corporate Governance unter dem Aspekt der Orientierung nach Shareholdern bzw. Stakeholdern überhaupt stattfinden, ohne dass sich alle wesentlichen Elemente innerhalb eines konsistenten Systems ebenfalls verändern?

1.5 Vorgehensweise

Um diese Fragen zu beantworten, sollen zunächst im zweiten Abschnitt Shareholder- und Stakeholder-Orientierung einander gegenübergestellt und die „alten“ Modelle deutscher und angloamerikanischer Corporate Governance in ihren Ausprägungen als stakeholder- bzw. als shareholderorientierte Unternehmensausrichtungen miteinander verglichen werden. Bei diesem Vergleich werden jedoch nur ausgewählte marktliche Besonderheiten als konstitutionelle Elemente der Corporate Governance herausgegriffen. Im dritten Abschnitt wird der Wandel des deutschen Finanz- und Kapitalmarktes als ein Anzeichen und wesentliche Ursache für eine mögliche Konvergenz beider Corporate-Governance-Ansätze dargestellt. Die Fragestellung einer Komplementarität der konstitutionellen Elemente eines Wirtschaftssystems bezüglich der Unternehmensorientierung nach Shareholdern und Stakeholdern soll im vierten Abschnitt aufgeworfen werden. Im fünften Abschnitt soll schließlich zusammenfassend eine mögliche Konvergenz beider Corporate-Governance-Ansätze erörtert sowie ein Ausblick auf die Perspektiven und zu erwartenden Entwicklungen gegeben werden.[12]

2 Gegenüberstellung Deutschland – USA

2.1 Shareholder- versus Stakeholder-Orientierung im Unternehmen

Neben der unterschiedlichen Ausgestaltung von Spitzenverfassungen in Deutschland und den USA bildet die Orientierung zu den Stakeholdern einerseits zu den Shareholdern andererseits den Kernpunkt in der Diskussion um verschiedenartige Corporate-Governance-Ansätze (vgl. Abb. 2). Böckli unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen einem inneren und einem äußeren Governance-Dreieck (vgl. Abb. 3).[13] Durch das innere Dreieck wird hierbei die Spitzenverfassung, durch das äußere Dreieck die Beziehungen des Unternehmens zu Shareholdern und Stakeholdern dargestellt. Vereinfacht und etwas überzeichnet kann dabei durch die Form des äußeren Dreiecks die Ausgestaltung der Corporate Governance im Sinne einer Stakeholder- oder einer Shareholder-Orientierung wiedergegeben werden (vgl. Abb. 4).[14] Ausgehend von dieser vereinfachten Darstellung kann der deutschen Corporate Governance eine starke Stakeholder-, angloamerikanischer Corporate Governance eine starke Shareholder-Orientierung zugeordnet werden (vgl. Abb. 5 sowie Abb. 6).

2.2 Deutschland: Koordinierter Kapitalismus

Das Modell der deutschen Marktwirtschaft wird häufig auch als eine Form des „organisierten“ oder „koordinierten Kapitalismus“ bezeichnet (vgl. Abb. 7). Kennzeichnend hierfür ist eine Vielzahl kartellartiger Verbindungen und zentralisierter Spitzenverbände auf Seiten von Wirtschaft und Arbeitnehmerschaft, zwischen denen eher Koordination als freier Wettbewerb herrscht und in deren Beziehungsgeflecht auch der Staat als Bündnispartner und Mitglied einer Vielzahl von Abstimmungsgremien inkorporiert ist. Im System der Unternehmensfinanzierung spielen insbesondere andere Unternehmen sowie die Banken als Kreditgeber, Anteilseigner, Inhaber von Mandaten im Aufsichtsrat sowie über Aktionärs-stimmrechte die zentrale Rolle der externen Unternehmenskontrolle. Die Unternehmen sind oft in ein stabiles Netzwerk von Kapital- und Personenverflechtung integriert, welches sie insbesondere gegen „feindliche Übernahmen“ abschottet und vor dem ständigen Wettbewerbsdruck über die Börsenbewertung sichert. Die Arbeitsbeziehungen im Innern gestalten sich durch rechtlich stark ausgestaltete Mitbestimmungsrechte sowie die Beteiligung der Arbeitnehmerschaft in den Aufsichträten relativ konfliktarm und koordiniert. Das Börsen-, Aktien- und Rechnungslegungsrecht lässt den Marktakteuren bezüglich der Geheimhaltung von Geschäftsinformationen große Gestaltungsräume, wodurch die Firmenpolitik für Außenstehende, insbesondere für Kleinaktionäre, häufig undurchsichtig bleibt und ihr Einfluss auf die Unternehmensleitung denkbar beschränkt ist.

2.3 USA: Marktorientierter Kapitalismus

Demgegenüber zeichnet sich das angloamerikanische Modell des marktorientierten Kapitalismus (vgl. Abb. 7) durch eine Vielzahl eher lockerer Beziehungen zwischen Industrie, Finanzsektor und Staat aus. Eine restriktive Wettbewerbspolitik verhindert hier die Ausbildung kartellartiger Strukturen. Die Unternehmen finanzieren sich in viel größerem Ausmaß über den organisierten Kapitalmarkt. Die Erfolgskontrolle über das Unternehmensmanagement unterliegt damit nicht einem stabilen Netzwerk von Großaktionären und Finanzierungsinstitutionen, sondern im wesentlichen dem Markt über die Börsenbewertung von Unternehmen. Fehler in der Unternehmenspolitik und –leitung werden in viel höherem Maß durch nachgebende Aktienkurse und der damit einhergehenden Gefahr von feindlichen Übernahmen bestraft. Dies macht die Ausschüttung hoher Dividenden an die Aktionäre sowie eine größere Transparenz von Unternehmensdaten zur Steigerung des Börsenwerts notwendig. Dieses auf Anlegerinteressen ausgerichtete System wird durch eine rigide und formalisierte Kapitalmarktverfassung im Bereich der Rechnungslegung sowie der Offenlegung von Informationen über Unternehmenssituation und Marktverhalten verstärkt.

2.4 Konstitutionelle Elemente deutscher Corporate Governance

2.4.1 Finanzsysteme

Nach wie vor erscheint das deutsche Finanzsystem[15][16] als banken-, das angloamerikanische als marktdominiert.[17] Im deutschen Finanzsystem spielen die Banken, speziell die Universalbanken, immer noch eine zentrale Rolle in der Unternehmensfinanzierung[18], während man die Kapitalmärkte, zumindest im Vergleich zu denen angloamerikanischer Ausprägung, als „unterentwickelt“ bezeichnen kann. Der Staat spielt als Eigentümer vieler Banken und als Regulierungsinstanz eine starke, aber weitgehend passive Rolle. Insgesamt kann das deutsche Finanzsystem als bankendominiertes „insider control system“[19] bezeichnet werden.[20] Im dem kapitalmarktorientierten angloamerikanischen Finanzsystem hingegen spielen Banken und die Bankfinanzierung der Unternehmen eine vergleichsweise geringe Rolle, während die Börse und andere kapitalmarktnahe NBFI wesentliche Elemente dieses Systems sind.[21] Es kann als marktorientiertes „outsider control system“ bezeichnet werden.

[...]


[1] Vgl. Nassauer, F., 2000, S. 179 ff.

[2] Der mittlerweile international gebräuchliche Ausdruck „Corporate Governance“ umfasst dabei ein breites Themenspektrum zum Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Kernelemente sind hierbei insbesondere Fragestellungen der Unternehmensleitung und -kontrolle für eine langfristige Wertschöpfung, die Investor Relations sowie die Beziehungen zu den übrigen Stakeholdern (Angestellte, Kunden, Lieferanten, gesellschaftliche Interessengruppen wie Gewerkschaften).

In diesem Rahmen hat bereits in den letzten 20 Jahren immer wieder ein intensiver Systemvergleich und eine Auseinandersetzung über die potenzielle Überlegenheit einzelner Systeme stattgefunden, wobei es meist um eine Gegenüberstellung des anlgo-amerikanischen und des kontinentaleuropäischen Systems der Corporate Governance geht.[2] Dieser Systemvergleich soll, unter der besonderen Fokussierung Deutschlands auf der einen und den USA auf der anderen Seite, den Rahmen dieser Arbeit bilden.

[3] Je nach Sichtweise variiert dabei Zielsetzung der Corporate Governance. Insbesondere bestehen hier Ansichten, die den Shareholder Value in den Vordergrund der Diskussion um Corporate Governance stellen, und solche, die einen breiteren Stakeholder-Ansatz zugrunde legen.

[4] Schneider, J., Chan, S. Y., S. 1

[5] Price Waterhouse Coopers, 07.08.2002

[6] In die gleiche Richtung geht die Definition, die der Corporate Governance in erster Linie eine Ausgleichsfunktion zuschreibt: „Corporate Governance bezeichnet die Organisation der Leitung und Kontrolle eines Unternehmens mit dem Ziel des Interessenausgleichs zwischen den beteiligten Anspruchsgruppen“ (Witt, P., 2001, F. 3).

[7] Vgl. Theisen, M. R., 2002, und Potthoff, E., 1996: Systemkennzeichnend für die deutsche Spitzenverfassung ist die strikte Trennung zwischen ausschließlicher, aber gemeinsamer Geschäftsführungsverantwortung des Vorstand und beinahe uneingeschränkter formeller wie materieller Geschäftsführungsprüfung durch den Aufsichtsrat. Alle Mitglieder des Vorstandes tragen kollektiv die Gesamtverantwortung für das Führungshandeln (§ 77 AktG). Dem Aufsichtrat kommt, bezogen auf die Unternehmensführung, eine reaktive Überwachungsfunktion zu. Prozessual wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats ist die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder (vgl. Peltzer, M., 2002, S.13). Als Stärken des Aufsichtrat-Modells gelten die klare Trennung der Unternehmensführung und der Unternehmensüberwachung sowie insbesondere die daraus resultierende Möglichkeit des Aufsichtrates, mit der notwendigen Distanz die Unternehmensführung und –strategie zu beurteilen, ohne durch eine unmittelbare Mitverantwortung in den entsprechenden Prüfungen und Kontrollen beeinträchtigt zu werden. Als Schwäche des Systems wird insbesondere die zunehmende Diskrepanz zwischen gesetzlichen Forderungen an das System und der Aufsichtsratspraxis benannt (vgl. Reichelt, H., 1998, S. 165).

Systemkennzeichnend für das Board-Modell hingegen ist die personelle und funktionelle Zusammenführung von Unternehmensführung und –überwachung in einem Organ, dem Board, welches sich aus inside- und outside-directors unter dem Vorsitz des CEO zusammensetzt. Der CEO übernimmt dabei normalerweise gleichermaßen die Rolle des Vorstandsvorsitzenden und des Aufsichtsratsvorsitzenden. Eine funktionelle Trennung der Unternehmensführung (inside-directors) und Unternehmenskontrolle (outside-directors) erfolgt hier innerorganisatorisch und personenbezogen. Stärken des Board-Modells werden in der Integration der nichtgeschäftsführenden Boardmitglieder in die Unternehmensführung und einer daraus folgenden besseren Informationsmöglichkeit für die Überwachung gesehen. Als Schwächen des Board-Modells hingegen können die übergroße Machtfülle innerhalb eines Organs und einzelner seiner Vertreter, insbesondere der CEO´s, sowie das aus der organischen Integration, der personellen Trennung und der Assymetrie der Informationsstände entstehende „Kontrollparadoxon“ (vgl. Gerum, E., Steinmann, H., Fees, W., 1998) gesehen werden.

Die anhaltende Debatte um die Organisation der Spitzenverfassung ist jedoch im Hinblick auf die Auswirkung in der Praxis nicht besonders interessant. Schon die Beratungen der OECD in dieser Frage haben ergeben, dass keines der beiden Systeme dem anderen überlegen ist. Vielmehr wird schon seit längerem versucht, die positiven Aspekte des jeweils anderen Systems zu integrieren. So soll der Aufsichtrat in Deutschland häufiger tagen und sein Recht zur Ausschussbildung häufiger einsetzen, während im anglo-amerikanischen Wirtschaftsraum die Überwachungsfunktion der non-executive Directors gestärkt und durch die Bildung von audit-committees ergänzt werden soll, was Züge des deutschen Systems erkennen lässt (vgl. von Rosen, R., 2001, S. 2).

Zur grundlegenden Struktur beider Spitzenverfassungen vgl. Abb. 1.

[8] Auf eine ausführliche Darstellung der gesamtwirtschaftlichen Systeme sowie ihrer Unterschiede und die darauf angewandten verschiedenen Typologien muss hier verzichtet werden. Bezüglich der Systeme in Deutschland und den USA wird hierbei unterschieden zwischen dem „rheinisch“-koordinierten Kapitalismus, der am ehesten in Deutschland zu beobachten ist, und dem „atlantischen“-marktorientierten Kapitalismustyp, der am ehesten in den Vereinigten Staaten und Großbritannien zu finden ist (vgl. Albert 1992). Mittlerweile wird diese Typologie noch weiter ausdifferenziert. So unterscheidet V. Schmidt hiervon einen weiteren Typ des „Staatskapitalismus“ (vgl. Schmidt 1999) und Fukuyma charakterisiert die südostasiatischen Kapitalismusregime als „family capitalism“ (vgl. Fukuyama 1995).

[9] So unterscheiden sich diese beiden Modelle insbesondere in den Akteurstrategien, der Dichte der den nationalen Markt prägenden Institutionen, dem Organisationsgrad und der Verflechtung des Industrie- und Finanzkapitals, der Ausprägung staatlicher Interventionen und dem damit verbundenen Freiheitsgrad unternehmerischen Handelns. (Vgl. zur Diskussion um Variationen nationaler „Produktionsregime“ Soskice 1999)

[10] Im Mittelpunkt dieser Betrachtung stehen dabei „große“ Unternehmen, also insbesondere international tätige Aktiengesellschaften, da sich bei diesen ein Wandel der Corporate Governance unter dem Aspekt der Internationalisierung am deutlichsten zeigen dürfte.

[11] Dabei muss eine tiefer gehende Erörterung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um verschiedene Verständnisse von Stakeholder- bzw. Shareholder(Value)-Ansätzen vernachlässigt werden. Ebenso sollen konkrete Corporate-Governance-Codes/Kodizes nur am Rande in die Überlegung einbezogen werden. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt demnach auf den sich wandelnden Rahmenbedingungen von Corporate Governance.

[12] Aufgrund des sehr umfassenden Themas können bei der Erörterung dieser Fragen nur die Grundlinien der Argumentation, ergänzt durch das Notwendigste an beschreibender Darstellung, dargelegt werden. Es wird davon ausgegangen, dass der Leser über die notwendigen wirtschaftswissenschaftlichen Grundkenntnisse sowie über eine ausreichende Kenntnis der wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Gegebenheiten und Entwicklungen verfügt.

[13] Vgl. Böckli, P., 2000, S. 7 ff. sowie Frey, R., 2002, S. 4 f.. Angewandt auf das deutsche System bilden dabei der Aufsichtsrat, der Vorstand sowie die interne und externe Revision das innere, das Unternehmen, die Shareholder und die übrigen Stakeholder das äußere Governance-Dreieck. Angewandt auf das anglo-amerikanische Board-Modell bilden die executive Directors, die non-executive Directors sowie die Revision bzw. neuerdings die Audit-Commitees das innere Dreieck.

[14] Vereinfacht werden hierbei die Shareholder zunächst nicht als Teil der Stakeholder verstanden, um eine sonst notwendig werdende weitergehende Differentiation des Stakeholder-Verständnisses zu vermeiden und eine einfache Gegenüberstellung beider Ansätze zu ermöglichen.

[15] Hier werden aus Raumgründen nur diejenigen konstitutionellen Elemente genannt, die einem starken Wandel unterliegen. Insbesondere die für unsere Problemstellung äußerst interessante Rolle der Mitbestimmung im System deutscher Corporate Governance wird hier ausgeklammert. Allerdings wurde auch mit der jüngsten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes belegt, dass dieses Element der deutschen Kapitalismusvariante eher bestätigt und vertieft wurde, als dass sich hier ein grundlegender Wandel erkennen ließe.

[16] Der Begriff des Finanzsystems wird in der einschlägigen Literatur sehr unterschiedlich verwendet (vgl. hierzu Papenfuß, H., 1999). Hier soll darunter nicht nur der jeweilige Finanzsektor (derjenige Teil einer Ökonomie, der den anderen Sektoren Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten und damit verbundene Beratungs- und Vermittlungsleistungen anbietet) eines Landes verstanden werden, sondern generell das Interaktionssystem von Angebot und Nachfrage nach Kapitalüberlassung und anderen finanzbezogenen Leistungen.

[17] Die Unterscheidung von Finanzsystemen als entweder banken- oder marktdominiert ist nicht unumstritten (vgl. z.B. Corbett, J./Jenkinson, J., 1997, S. 85: „[...] the celebrated distinction between the market based financial pattern of the United Kingdom and the United States and the bank-based pattern of Germany is inaccurate.“), soll hier jedoch aufgrund der unbestritten bedeutenden Rolle der Banken im behandelten Kontext verwandt werden.

[18] Gemeint ist hier die externe Unternehmensfinanzierung, die in Deutschland z.B. 1998 allein 46,6% der gesamten Finanzierung ausgemacht hat (vgl. Jürgens, U., Rupp, J., Vitols, K., 2000, S. 6 f.).

[19] Vgl. zum Begriff „insider control system“ Franks, J., Mayer, C., 1994 und Abb. 8.

[20] Vgl. hierzu Jürgens, U., Rupp, J., Vitols, K., 2000, S. 5 ff.: Die dominierende Stellung der Banken in Deutschland zeigt sich jedoch nicht nur durch ihre dominierende Stellung bei der Unternehmensfinanzierung. Neben einem Anteil von 10,3% direkt gehaltener Aktien (vgl. Abb. 9) und den sich daraus ergebenden Stimmrechten, ist das Depotstimmrecht von zentraler Bedeutung. Mit dem Depotstimmrecht autorisieren private Aktienbesitzer die Banken, die ihren Besitz verwalten, ihre Interessen den Unternehmen gegenüber zu vertreten. So verfügten Banken 1995 über durchschnittlich mehr als 84% der Stimmrechte bei 24 der größten deutschen Unternehmen. Dies erklärt auch die hohe Präsenz der Banken in den Aufsichträten deutscher Unternehmen.

[21] Vgl. Schmidt, R.H., Hackethal, A., Tyrell, M., 2001, S.7 f.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Corporate Governance in Deutschland und den USA - Stand und Herausforderungen -
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg  (Internationales Management)
Veranstaltung
Internationales Management
Note
sehr gut
Jahr
2002
Seiten
39
Katalognummer
V16240
ISBN (eBook)
9783638211451
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Corporate, Governance, Deutschland, Stand, Herausforderungen, Internationales, Management
Arbeit zitieren
Anonym, 2002, Corporate Governance in Deutschland und den USA - Stand und Herausforderungen -, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16240

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Corporate Governance in Deutschland und den USA - Stand und Herausforderungen -



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden