Ist es ethisch relevant, eine Person zu sein?


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Personenbegriff
2.1 bei John Locke
2.2 bei Immanuel Kant
2.3 bei Peter Singer

3. Ethikverständnis Peter Singers
3.1 Konsequenzen, keine Person zu sein
3.2 Abtreibung, Euthanasie und Töten von Tieren

4. Schluss

Literaturverzeichnis

Digitale Medien

1. Einleitung

Die thematisierte Frage, ob es ethisch relevant sei, eine Person zu sein, lässt sich auf den ersten Blick sowohl mit einem klaren Nein als auch mit einem affirmativen Ja beantworten. Doch dem ersten Blick ist nicht immer zu trauen und wenn man der Oberflächlichkeit mit etwas Spürsinn entgegenkommt, so wird sich dem Auge ein weites Feld öffnen. Auf den sogenannten gesunden Menschenverstand ist in dieser Hinsicht eher selten Verlass und selbst im Alltag kommt man nur begrenzt ohne eine gewisse Theoretisierung des je eigenen Handelns, in bezug auf andere und auf sich, aus. Die Perspektiven reichen von einer sehr egozentrischen bis hin zu einer relativ altruistischen Betrachtung. Dazwischen, so mutet es an, gibt es nur das eine Prinzip, nämlich dass „(...) jeder (...) sich selbst der Nächste (ist)“[1] – vor allem dann, wenn es nützlicher scheint, gemeinsames Handeln hintan zu stellen. Wobei, was ist das, „sich selbst der Nächste“? Was bin ich als Person, was ich als Mensch nicht bin? Ist das Menschsein vor dem Personsein? Wer oder was ist Person? Und überhaupt: Was hat all dies mit Ethik zu tun?

Will man also seinen Lebensvollzug (auch) durch „(...) Rechtfertigung der eigenen Moral und zwar durch Argumentation“[2] verstanden wissen, so benötigt man Hilfsmittel theoretischer Natur. Es kommt einem dabei das Bild der „(...) Rückkehr des Philosophen nach der Schau des Guten in die Höhle (...)“[3] in den Sinn. Doch soll unser Erdendasein nicht ähnlich dem platonischen Höhlenmythos „(...) in einer praktischen Aporie“[4] enden, müssen wir uns in einer „(...) in hinreichendem Maße von Vernunft geprägt(en)“[5] Verfassung der Gesellschaft befinden. Die angenommene Vernunft wiederum ist eine relative Basis, die gerne auch als absolut und ideal zur Disposition gestellt wird. Die Basis wird demnach zwangsläufig mal mehr in diese Richtung, mal mehr in jene tendieren, je nach Interesse und Interpretation. Was aber Kant schon als allgemein gültig formuliert hat, nämlich „(...) daß es einen einzigen, letzten, allgemeinen Grundsatz für schlechthin alle Wahrheiten nicht geben kann“[6], das gilt für den komplexen Bereich der Ethik seit den Vorsokratikern und bis heute um so mehr.

Den grundlegenden Aspekt der Ethik liefert die Heranziehung der unantastbaren, wenn auch grundlosen Würde des Menschen. Die universelle Würde wird dabei argumentativ je unterschiedlich angesetzt, mal a priori individualistisch, mal vernunftbezogen. Hieraus ergeben sich verschiedene philosophische Ansätze zur Begründung einer Person. In dieser Arbeit sollen einige Ansätze zur Personen-Begründung erläutert werden, hiervon etwas ausführlicher, samt Konsequenzen, aus Peter Singers viel und kontrovers diskutiertem Werk Praktische Ethik[7]. Diese Arbeit kann es aber nicht leisten, Gegenkonzepte, wie man sie vielleicht aus hermeneutischer Sicht entwickeln könnte, zu diskutieren. Die argumentative Komplexität wäre diesbezüglich zu weitgreifend.

2. Personenbegriff:

Der Begriff der Person ist in jeder Hinsicht ein sehr gebräuchlicher. Etymologisch ist der Begriff wohl bei den Etruskern anzusiedeln. Im klassischen Latein gab es verschiedene Verwendungen, sowohl metonomisch und metaphorisch, als auch philosophisch. So bedeutet persona im Schauspiel die Rolle, die gespielt wird, als Amtsperson zielt persona auf den Charakter, die Würde des Menschen ab. In beiden Fällen handelt es sich gewissermaßen um die Funktion der persona als Maske, die lateinische persona ist „(...) gewissermaßen metaphysisch unberührt.“[8] Die Maske dient dem Menschen, um zu veräußerlichen, was der Mensch in der jeweiligen Situation ist. Der Mensch wird also hinsichtlich seiner handelnden Funktion kategorisiert, als der „(...) Geizige(n), die Alte, den Banditen usw.“[9] Er ist nie nur Mensch (an sich), sondern als dieser auch etwas. Dieses etwas manifestiert sich allgemein als die jeweilige Person, wobei auch anstelle der Person namentlich „(...) Selbst oder Ich (...)“[10] stehen könnte, jenes aber auf keinen Fall als gegenständlich zu interpretieren wäre. Das Selbstbewusstsein und die Selbsterkenntnis spielen bei der Inanspruchnahme des Terminus der Person die zentrale Rolle. Selbstbewusstsein ist laut Frank „(...) die unmittelbare (nicht-gegenständliche, nicht-begriffliche und nicht-propositionale ) Bekanntschaft von Subjekten mit sich.“ Selbsterkenntnis ist dabei „(...) die Reflexionsform von Selbstbewusstsein: also das explizite, begriffliche und in vergegenständlichender Perspektive unternommene Thematisieren des Bezugsgegenstandes von ‚ich’ (...).“[11] Selbstbewusstsein ist also nicht die Reflexion. Die Theologie nach dem klassischen Latein vollzog den glaubensreflektorischen Schritt „(...) von ‚persona’ als Rolle zu(r) ‚persona’ als ‚dieses Individuum in seiner Individualität’“.[12] Damit wurde der Begriff der persona aus der „(...) lateinischen Grammatik in die Theologie“[13] transformiert und von dort aus wurde der nächste Schritt durch die Philosophen in die Metaphysik vollzogen. Jedes Individuum - Einzelner in seiner Einzelnheit - ist dabei als Subjekt - und nicht umgekehrt – zu betrachten. Und, so Frank mit Bezug auf die „(...) ‚Sattelzeit’ (1750-1800)“[14], Individualität „(...) scheint in der Tat in der Eingrenzung und Spezifizierung der Semantik von Subjektivität zu gründen.“[15]

Somit waren nicht mehr alle Menschen gleich, auch wenn viele Philosophen, von „(...) Descartes (...), von Kant bis Hegel (...)“ und „Husserl schließlich (...)“[16], dies nicht akzeptieren wollten (und konnten). Hier treten aber allgemeinere Schwierigkeiten auf. Denn wenn man einerseits weiterhin davon ausgeht, dass z. B. alle Menschen gleich seien, so muss dies anhand allgemeiner Merkmale nachgewiesen werden. Wenn man aber andererseits annimmt, dass es keine Allgemeinheit mit einem gemeinsamen Nenner gäbe, dann wird es schwierig, z. B. allgemein anerkannte normative Verhaltensregeln (nach Recht und Gesetz) als für sich selbst bindend zu akzeptieren. So stellen sich in dieser Konsequenz weiterführend heutige Probleme vor allem im Zuge der weit fortgeschrittenen (Natur-)Wissenschaften dar: Wer oder was ist wann ein Mensch? Wann und inwiefern ist jener Mensch eine Person? Wie verhält es sich mit Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten der Individuen? Was, wenn denn überhaupt, lässt sich daraus für das Handeln im einzelnen und im allgemeinen folgern? Ist Gleichheit damit nur ein tatsachenunbegründetes moralisches Prinzip, wie es Peter Singer konstatiert? Die Ethik, oder besser gesagt all die Leute, die sich mit Ethik und Moral, mit Fortschritt und Menschenwürde beschäftigen, hinken scheinbar den durch die „moderne Zivilisation und der Schlüsseltechnologien“[17] geschaffenen Tatsachen, Möglichkeiten und Problemen weit hinterher.

Im folgenden sollen die verschiedenen Schritte der Entwicklung des Personenbegriffes in neuerer Zeit von John Locke über Immanuel Kant bis zu Peter Singer nachgezeichnet werden, um im Anschluss die Praktische Ethik Singers eingehender zu skizzieren. Es werden dabei die implizierten, die das Handeln des Menschen bestimmenden Konsequenzen aus den Personenbestimmungen, nur äußerst grob angedeutet. Einzig Singers Ethik erfährt eine größere Darlegung.

2.1 Personenbegriff bei John Lo name="_ftnref18" title="">[18] und dessen Werk man auf die Formel bringen kann: „Konsolidierung durch Kritik und Vorbereitung für weiteren Fortschritt.“

John Locke entwickelte seine „(…) Personendefinition quasi nebenbei[19], nämlich im größeren Zusammenhang der Frage, wie man die Identität (und die Verschiedenheit) bei unbelebten Körpern (…) und schließlich beim Menschen verstehen kann.“[20] Locke ging es dabei nicht um den Menschen an sich, sondern um dessen Identität mit sich durch die Seinsweise einer Person. Das Bewusstsein dient dem Menschen als Vermittler zwischen sich selbst als seinem Selbst, also die Person, und seinen Handlungen mittels seiner Körperlichkeit. Hieraus folgert Locke die (Eigen-)Verantwortlichkeit des jeweiligen Menschen und akzentuiert den Menschen qua Person zum Rechtsobjekt. Der Substanzbegriff wird obsolet, da die Person als ein mit Bewusstsein„(…) denkendes, verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst als sich selbst betrachten kann“[21] verstanden wird, dessen Substantialität diesbezüglich irrelevant ist. Letztlich wissen wir über die Substanz, die alles tragen sollte, so gut wie nichts. Wichtiger scheint vielmehr „das Sich – selbst –gleich - Bleiben“ und soweit das Bewusstsein „rückwärts auf vergangene Taten oder Gedanken ausgedehnt werden kann, so weit reicht die Identität dieser Person.“[22]

Die Identität ist weiterhin relevant für die darauf ruhenden Prinzipien des Rechts, der weitausgreifenden Gesetze und der Gerechtigkeit „(...) von Lohn und Strafe, weil Glück und Unglück das sind, woran jeder um seiner selbst willen interessiert ist (...)“[23], und dies ebenso unabhängig vom immateriellen Substanzbezug. Glück und Unglück, Freude und Schmerz, Lust und Unlust, diese jeweils zu haben und nicht zu haben, das sind die abgeleiteten Qualitäten, die in dreierlei Gesetzen kodifiziert werden, dem göttlichen, dem bürgerlichen und dem der öffentlichen Meinung. Locke, als Eudämonist und Utilitarist, versucht mit diesen Gesetzen die Handlungen des Menschen zu kanalisieren und jeweils als rechtens bzw. als nicht rechtens zu fundieren. Dass dabei ein gewisser Relativismus in der Handhabe durch die unterschiedlichen Staaten, Nationen oder, allgemeiner gesprochen, durch die verschiedensten Gesellschaften hinweg vor zu finden ist, ist ein rein erfahrungsgemäßer, aber tatsächlicher Befund. Geregelt, universalistisch betrachtet, ist deshalb so gut wie nichts, so dass eine Ethik, die auf Locke’s Personenbegriff zurückgreift, eine relativistische sein muss. Die Person aber ist nicht relativ, sondern ganz und gar absolut, so könnte eingewendet werden. Denn „die Identität des fortdauernden Bewußtseins“[24] ist es, welche das Selbst, also die Person oder auch das Ich- Selbst, begründet. In dieser Definition werden sich vor allem für die jüngste Zeit Probleme, hausgemachte Sachzwänge, die ein Handeln, sei es so oder so, erzwingen, heraus kristallisieren, auf die Locke nur bedingt und eingeengt durch alltägliche und allgemeine Empirie, eingehen konnte, so z. B. auf den Sachverhalt des Handelns von Betrunkenen oder „Geistesschwachen“, die je unterschiedlich dafür haftbar bzw. nicht haftbar gemacht werden konnten. Doch vorab soll ein weiterer einflussreicher Philosoph und sein Personenbegriff ins Spiel gebracht und erläutert werden.

[...]


[1] Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, Stuttgart 1991, S. 171f.

[2] Bernhard Irrgang: Praktische Ethik aus hermeneutischer Perspektive, Paderborn; München; Wien; Zürich 1998, S. 9 f. (=UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher; 2020).

[3] Julian Nida-Rümelin: Ethische Essays, Frankfurt a. Main, erste Auflage 2002, S. 242.

[4] Ebenda.

[5] Ebenda.

[6] Immanuel Kant: Vorkritische Schriften bis 1768, Bd. 1, Frankfurt a. Main, 1.-6. Auflage 1991, S. 411.

[7] Peter Singer: Praktische Ethik, Stuttgart, 2., revidierte und erweiterte Auflage 1994.

[8] Martin Brasser (Hrsg.): Person. Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart 1999, S. 26.

[9] Ebenda.

[10] Manfred Frank: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität, Stuttgart 1991, S. 5 f.

[11] Ebenda, S. 7.

[12] Martin Brasser (Hrsg.): Person, S. 25.

[13] Ebenda.

[14] Manfred Frank: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis, S. 50.

[15] Ebenda.

[16] Ebenda, S. 51.

[17] Bernhard Irrgang: Praktische Ethik aus hermeneutischer Perspektive, S. 210.

[18] Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie. Neuzeit und Gegenwart, Bd. II., Frankfurt am Main o. J., S. 200.

[19] Ebenda, S 201.

[20] Martin Brasser: Person, S. 77.

[21] Zit. nach Martin Brasser: Person, S. 79.

[22] Ebenda.

[23] Ebenda, S. 81.

[24] Martin Brasser: Person, S. 86.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ist es ethisch relevant, eine Person zu sein?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Philosophisches Seminar 2)
Veranstaltung
Proseminar: Wer ist eine Person? Über die Begründung der menschlichen Identität.
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V14581
ISBN (eBook)
9783638199407
ISBN (Buch)
9783638758208
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Person, Proseminar, Person, Begründung, Identität
Arbeit zitieren
Anton Distler (Autor:in), 2003, Ist es ethisch relevant, eine Person zu sein?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14581

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