Grundsicherungsmodelle und ihre Auswirkungen auf Frauen


Diplomarbeit, 2002

164 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Ist soziale Grundsicherung heute wichtiger als vor zwanzig Jahren?
Gestaltungsmerkmale des österreichischen sozialen Systems
1.1 Gesellschaftliche Veränderungen:
1.1.1. Pluralisierung der Lebensstile
1.1.2. Erosion gesellschaftlicher Solidarität
1.2. Wirtschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen
Globalisierung – Neoliberalismus – Nationalstaat
1.3 Politische Veränderungen: Vom “goldenen Zeitalter des Österreichischen Wohlfahrtsstaates” bis zur Gegenwart
1.4.Veränderungen am Arbeitsmarkt
1.4.1. Strukturelle Veränderungen am Erwerbsarbeitsmarkt
- Sektorale Veränderungen
- Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien
- Qualifikatorische Veränderungen
1.4.3. Veränderungen der Erwerbstätigkeit
- Zunahme von Erwerbslosigkeit
Abweichungen vom Normalarbeitsverhältnis - Atypisierung
1.5 Verarmungsrisiko als Folge der vorher genannten Veränderunge

2. Frauen und soziale Sicherung
2.1. Rechtliche Gleichstellung
auf EU-Ebene
in Österreich
2.2. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und weibliche Erwerbsbeteiligung
2.2.1. Geschlechtsspezifische Hierarchisierung der Erwerbsarbeit
2.2.2. Weibliche Erwerbsarbeit - Atypisierung
2.3. Soziale Absicherung von Frauen
2.3.1. Absicherung durch "Hausfrauenehe"
2.3.2. Absicherung durch eigene Erwerbsarbeit

3. Grundsicherung
3.1. Historische Entwicklung der Grundsicherungsidee
3.2. Ideologische und aktuelle partei-politische Positionen in der Grundsicherungsdiskussion
3.2.1. Neoliberale Position
3.3.2. Sozialreformerische Position
3.3. Grundsicherungsmodelle
3.3.1. Neoliberale Konzepte:
- Zielsetzung und angestrebte Veränderungen
- Ausgestaltungsmöglichkeiten am Beispiel von
- Negativer Einkommensteuer
- Grundkapital
- Kombi-Lohn bzw. Lohnsubventionierung
- Finanzielle Aspekte
- Mögliche Probleme neoliberaler Grundsicherungskonzepte
3.3.2. Sozialreformerische bzw. sozialutopische Konzepte :
- Grundeinkommen
- Zielsetzung und angestrebte gesellschaftliche Veränderungen
- Gestaltung und finanzielle Aspekte
Nachteile – Probleme – Gefahren
- Bedarfsorientierte Grundsicherung
- Zielsetzung: Reform des derzeitigen Systems
- Ausgestaltung
- Unterschiedliche Ansätze, ergänzende Reformen und finanzielle Aspekte
- Positionen von Parteien und Interessenvertretungen zur bedarfs-orientierten Grundsicherung
Nachteile – Kritikpunkte

4. Grundsicherungsmodelle und Frauen
4.1. Ausgangspunkt: der “weibliche Lebenszusammenhang”
4.2. Problemlösungsstrategien in der Frauenpolitik
4.3. Optionen im Rahmen der feministischen Theorie
4.3.1. Gleichheit
4.3.2. Differenz
4.4. Grundsicherungsmodelle und ihre Problemlösungskapazität
4.4.1. Grundeinkommen – unabhängig von Erwerbsarbeit
- Intentionen und positive Auswirkungen auf Frauen
- Aufwertung von Reproduktionsarbeit
- Armutsvermeidung
- Entwicklung einer Tätigkeitsgesellschaft
- Nachteile und Gefahren für Frauen
- Verhärtung von Rollenerwartungen - Hausfrauisierung
- Verdrängung vom Arbeitsmarkt
- Förderung von Teilzeitarbeit
- Abbau sozialer Infrastruktur
- Gesellschaftsspaltung
4.4.2. Bedarfsorientierte Grundsicherung – Arbeitsmarktintegration
- Intentionen und positive Auswirkungen auf Frauen
- Verringerung des Verarmungsrisikos unabhängig von Erwerbsarbeit
- Mögliche Nachteile und Probleme
- Druck zur Erwerbsarbeit
- Zumutbarkeitsbestimmungen
- Abhängigkeit bei Anrechnung des Familieneinkommens

5. Resümee

Literatur

Basic income is one of those few simple ideas that must and will powerfully shape, first the debate, and next the reality, of the new century.

van Parijs 2000, 16

Einleitung

Während der Sozialstaat in den letzten fünfzig Jahren die Verbesserung der Lebensbedingungen der österreichischen Bevölkerung maßgeblich beeinflußt hat, zeigt sich in jüngster Zeit immer deutlicher, dass er den steigenden Anforderungen, die an ihn gestellt werden, nicht mehr gerecht werden kann. Seit mehr als 20 Jahren steht das System der sozialen Sicherung (keineswegs nur in Österreich) im Zentrum der Kritik. Einerseits, weil die Finanzierung durch steigenden Leistungsbezug bei schwindender Finanzierungsbasis unter Druck geraten ist, andererseits durch die Lückenhaftigkeit des sozialen Netzes, die gerade durch fortschreitende Veränderungen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt – wie steigende Arbeitslosigkeit und Zunahme atypischer Beschäftigungen – virulent wird. Inzwischen ist offensichtlich, dass de facto nicht nur die Vollbeschäftigung selber unwiderbringlich zu einem Ende gekommen ist, sondern dass auch die Vollbeschäftigung als Konzept und Grundlage für soziale Sicherung sowie die lange Zeit vorherrschende Allgemeingültigkeit des Normalerwerbsarbeits-verhältnisses ausgedient hat.

Die aktuelle Armutsforschung macht deutlich, dass Verarmungstendenzen selektiv auftreten, d.h. dass offensichtlich Frauen verstärkt von diesem Phänomen betroffen sind: einerseits aufgrund der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, andererseits durch die spezifisch weibliche Inklusion in das System der sozialen Sicherung durch von der Ehe abgeleitete Ansprüche. Noch immer sind weibliche Berufskarrieren häufig “Patchwork -Karrieren”, geprägt von Berufsunterbrechungen sowie von vom Normalarbeitsverhältnis abweichenden Beschäftigungsformen. Verschärfend wirken sich fortschreitende Erosionstendenzen von Ehe und Familie aus – den traditionellen Sicherungsinstanzen für Frauen.

Angesichts dieser Probleme sind neue Konzepte sozialstaatlicher Sicherung erforderlich, die nicht länger das Normalarbeitsverhältnis als Bezugspunkt haben. Eine Reform sozialer Sicherungssysteme, die vor allem eine Mindestsicherung – unabhängig vom Normalarbeitsverhältnis – garantieren soll, ist dringend erforderlich. Sozialwissenschafter verschiedener politischer Orientierung haben in den vergangenen zwanzig Jahren die offensichtlichen Sozialstaatsprobleme zum Anlaß für die Erarbeitung von Problembewältigungsstrategien in Form von Grundsicherungsmodellen genommen. Dabei weisen neoliberale Reformkonzepte insofern eine weitgehende ideologische Übereinstimmung mit der aktuellen österreichischen Politik auf, als in ihrem Diskurs “der finanz- und wirtschaftspolitische Argumentationszusammenhang” (Bäcker-Breil 1997, 37) dominiert und ein ‚ lean welfare’ auf unterem Niveau angepeilt wird. Im Gegensatz dazu stehen sozialreformerische, sozialutopische und sozialrevolutionäre Modelle, die mehr oder weniger umfassende Reformen bzw. teilweise radikale Neuansätze im Bereich der Sozialpolitik einfordern: Sie verabschieden sich nicht nur von Konzepten wie dem der Vollerwerbsarbeit und des Normalarbeitsverhältnisses als Normvorstellungen, sondern teilweise auch von überkommenen Arbeits- und Lebensmustern der Industriegesellschaft.

Im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit sollen ansatzweise die vielschichtigen Veränderungen dargestellt werden, die Ursache für den verstärkten Druck auf die Systeme der sozialen Sicherung sind. Die besondere Betroffenheit der Frauen von den angeführten Erosionstendenzen wird im zweiten Teil der Arbeit genauer heraus gearbeitet. Im dritten Kapitel werden die unterschiedlichen Grundsicherungskonzepte mit ihren jeweiligen Besonderheiten und Ausprägungen vorgestellt, und abschließend die möglichen Auswirkungen der verschiedenen Modelle auf Frauen – positive Folgen ebenso wie eventuelle Probleme – beleuchtet. Im letzten Teil der Arbeit wird noch insofern ansatzweise eine Verknüpfung des aktuellen Grundsicherungsdiskurses mit feministischer politischer Theorie angestrebt, als Zusammenhänge zwischen gegensätzlichen feministischen Konzepten (wie dem Gegensatzpaar Gleichheit – Differenz) und den möglicherweise jeweils daraus ableitbaren Forderungen (entweder der Forderung nach einem unbedingten Grundeinkommen oder aber nach einer am jeweiligen Bedarf orientierten Grundsicherung) hergestellt werden.

Für die Arbeit wurde ein großer Teil der nicht nur im deutschsprachigen Raum laufend neu erscheinenden Literatur zum Grundsicherungsdiskurs aufgearbeitet, die teilweise (noch) nicht in gedruckter Form vorliegt, sondern nur als Dokument im Internet zur Verfügung gestellt wird. Fallweise angeführtes statistisches Material dient als Beleg für aktuelle Veränderungen und Entwicklungstendenzen. Gelegentliche Hinweise auf Zeitungsberichte oder Fernsehmeldungen – meist in Form von Fußnoten – sollen den aktuellen politischen Bezug herstellen. Die Verbindung zum feministischen Diskurs im Rahmen der politischen Theorie konnte in dieser Arbeit naturgemäß nur ansatzweise erfolgen.

1. Ist soziale Grundsicherung heute wichtiger als vor 20 Jahren?

Die Entwicklung der europäischen Sozialsysteme fand – ausgehend von einer Reaktion der unselbständig arbeitenden Bevölkerung auf den klassischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts und den “wilden Kapitalismus der Anfänge” (Bourdieu 1997, 15) – über einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren statt. Ihre größte Wachstumsphase fiel jedoch in die Nachkriegsjahrzehnte nach 1945; nicht zu Unrecht werden die 60er und 70er Jahre rückblickend gerne als das “golden Age of the Welfare State” (Flora 1986, XXII) bezeichnet. Innerhalb dieser Zeitspanne kam es in ganz Europa unter dem Einfluß des keynesianischen Wirtschaftskonzepts zu einem außerordentlich hohen Wirtschaftswachstum und zur Vollbeschäftigung. Unter diesen ökonomisch günstigen Bedingungen sowie unter dem Einfluß der Sozialpartnerschaft wurde auch in Österreich eine Neugestaltung bzw. Erweiterung der traditionellen Sozialsysteme realisiert. Allerdings erfolgten alle vorgenommenen Verbesserungen unter dem Eindruck des "Wirtschaftswunders" der Nachkriegszeit in der (irrigen) Annahme, Vollbeschäftigung sowie ein gleichbleibend hohes Wirtschaftswachstum wären langfristig realisierbar – und diese tatsächlich nur kurze Sonderperiode wirtschaftlicher Prosperität wäre “die Normalität des Wirtschaftssystems” (Käpernick 1998, 9).

Da die ersten Ansätze des österreichischen Sozialsystems (und auch der übrigen europäischen Sozialsysteme) durchwegs reinen Versicherungscharakter aufwiesen und in erster Linie darauf abzielten, für Erwerbstätige eine finanzielle Absicherung im Fall des Eintretens bestimmter unvorhersehbarer, unvermeidlicher Risiken des Erwerbslebens – wie Unfall, Krankheit und Alter – bereit zu stellen, war die Arbeitszentrierung von Anbeginn an zentraler Orientierungspunkt des Systems, der in der Folge bis heute beibehalten wurde. Österreich zählt nach wie vor zu “jenen Ländern, die vergleichsweise dominant an Erwerbsarbeit – beim Leistungszugang, bei Leistungsniveau, bei der Finanzierung – ausgerichtet sind” (Tálos 2000, 78). Die Zugangsvoraussetzungen ebenso wie die Leistungsbemessung orientieren sich also “stärker als in anderen europäischen Ländern am jeweiligen Erwerbsstatus” (Hörndler/ Wörister 1998, 8).

Mitte der 70er Jahre, als “die beispiellose Nachkriegsprosperität der westlichen Industrieländer zu Ende ging und einer Situation platzzumachen schien, die als 'Stagflation' bezeichnet wurde – nämlich einer Kombination zwischen hoher und akzelerierender Inflation und einer Wachstumsabschwächung bis hin zum sogenannten 'Nullwachstum'" (Althaler/ Matjan 1996, 5) – setzte die bis heute anhaltende und in allen Industriestaaten gleichermaßen heftig und öffentlich geführte Diskussion betreffend die sogenannte "Krise des Wohlfahrtsstaates” ein (siehe dazu u.a. Butterwegge 2001; Bourdieu 1997; u.a.).

Die Ursachen dieser Krise sind vielschichtig und sollen die in der Folge noch näher erfaßt werden. Einer der Auslöser ist in der allgemeinen “Krise der Erwerbsarbeit” zu sehen, die sich in einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, in zunehmender Erwerbslosigkeit und Atypisierung äußert und damit zu einem Schwinden der Finanzierungsbasis des Sozial(versicherungs)staates führt. Die Erosion beschränkt sich aber nicht auf das “Normalarbeitsverhältnis” als dem Bezugspunkt für soziale Sicherung, sie erfaßt gleichermaßen die sogenannte “Normalfamilie”, durch die die Integration von (nicht in den Arbeitsmarkt einbezogenen) Frauen in das System der sozialen Sicherung bewerkstelligt wurde – und zwar durch abgeleitete, d.h. von der Ehe abhängige Ansprüche. Diese ehebezogene Integration von Frauen in die Sozialversicherung stellt zwar einerseits eine “Kompensation der unzureichenden Absicherung von Frauen in einem erwerbszentriertierten System dar” (Mairhuber 2000, 12), festigt aber zugleich die Fortschreibung der sozialstaatlichen Zuweisung von Frauen in die Familiensphäre und trägt damit sowohl zur uneingeschränkten weiblichen Ausbeutung in der Familie als auch zur Marginalisierung von Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt bei (siehe dazu u.a. Kickbusch 1984; Buhr 1998; Jönsson 1999; Mairhuber, 2000; Höfels 2001 etc.).

Weitere Ursachen für krisenhafte sozialstaatliche Entwicklungen sind in den tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen der 70er und 80er Jahren zu sehen, die einen politischen Paradigmenwechsel begünstigt und eine wirtschaftspolitische Neuorientierung in Gang gesetzt haben: weg vom keynesianischen Konzept einer antizyklischen Fiskalpolitik, hin zur markförmigen, neoliberalen Steuerung; weg von sozialstaatlichen Ausbauoptionen, hin zur Neubelebung liberaler Leitideen (siehe dazu u.a. Althaler 1995; Zilian 2000; Butterwegge 2001).

Experten-Meinungen betreffend den Wohlfahrtsstaat sind – keinesfalls nur in Österreich – äußerst kontroversiell und reichen von den Warnungen sozialreformerischer Politiker und Wissenschafter vor den mit dem drohenden Sozialabbau verbundenen Gefahren auf der einen Seite (siehe dazu u.a. Sallmutter 1997; Müller/ Otto 1997; Lißner/ Wöss 1999; Streissler 1999; Tálos 1999), bis zu Hinweisen von Vertretern der Wirtschaft und konservativen Politikern auf die unfinanzierbar hohen Kosten des Sozialstaats, die durch das Ausufern und den Mißbrauch von Sozialleistungen entstünden (siehe dazu u.a. Berthold 1997; Mautner Markhof 2000).

Einigkeit in der Beurteilung der gegenwärtigen Lage besteht unter Experten nur dahingehend, dass das Sozialsystem in seiner derzeitigen Form ohne grundlegende Reformen langfristig kaum finanzierbar sein wird und außerdem tatsächlich die erforderliche Treffsicherheit vermissen läßt. Über die Auslegung dessen, was unter “Treffsicherheit” jeweils verstanden wird, ebenso wie über die Art und das Ausmaß der erforderlichen Reformen gibt es allerdings wieder deutliche Auffassungsunterschiede. Während Vertreter der Industrie (ebenso wie der derzeitigen Regierung) alle Maßnahmen begrüßen und fördern, die zu einer finanziellen Entlastung von Staat und Wirtschaft, zur Privatisierung bisheriger staatlicher Aufgaben und damit zur Reduktion der Staatsausgaben führen, kritisieren Sozialreformer schon seit längerem die lückenhafte Ausformung des österreichischen Systems der sozialen Sicherung, das durch seine Gestaltung Ausgrenzung und Verarmung auch in einem so reichen Land wie Österreich nicht sicher verhindern kann [1] (siehe u.a. Müller/ Otto 1997; Streissler 1999; Tálos 1999; Sallmutter 1997).

Zu den wichtigsten Faktoren, die den wohlfahrtsstaatlichen Wandel beeinflußt oder verursacht haben, gehören nach Ansicht verschiedener Autoren (wie z.B. Bieling 2000, 232ff; Zapf 1989, 59; Opielka 1987, 128) unter anderem

1.1.- gesellschaftliche Veränderungen: Wandel und “Pluralisierung” der Lebensstile, die Individualisierung, die veränderte Stellung der Frau, die Erosion gesellschaftlicher Solidarität (siehe dazu Natter/ Reinprecht 1992; Tálos 1992; Münz 1995) ;

1.2.- wirtschaftliche Veränderungen: wie geringeres Wirtschaftswachstum, geänderte Produktionsbedingungen und wachsende Standortkonkurrenz als Folge von Internationalisierung (siehe dazu u.a. Zapf 1989; Lutz 1997; Sallmutter 1998);

1.3.- politische Veränderungen: d.h. die Auswirkungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen unter einer gewandelten politischen Konstellation (d.h. unter dem Einfluß von Neoliberalismus, EU und Europäischer Wirtschafts- und Währungsunion mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen) auf die sozialstaatliche Entwicklung (siehe dazu z.B. Tálos 2001; Rainer 1998; Puntscher-Riekmann 1997) und nicht zuletzt

1.4.- Veränderungen am Arbeitsmarkt: neben einem strukturellen Wandel vor allem die Entsicherung des Arbeitsmarktes, die Verbreitung prekärer Formen der Arbeit, die Entstandardisierung von Lebensläufen (siehe dazu u.a. Tálos 1992).

Dabei muss berücksichtigt werden, dass zahlreiche Querverbindungen und Interdependenzen zwischen diesen unterschiedlichen Faktoren bestehen, die einander beeinflussen und nicht immer klar getrennt werden können. Die Probleme selbst werden zwar von SozialwissenschafterInnen und Wirtschaftsvertretern gleichermaßen wahrgenommen, die für ihre Lösung vorgeschlagenen Maßnahmen sind aber höchst unterschiedlich.

1.1. Gesellschaftliche Veränderungen:

Seit den 60er Jahren ist ein deutlicher gesellschaftlicher Wandel konstatierbar, ablesbar beispielsweise an so unterschiedlichen Phänomenen wie dem demografischen Wandel [2] , der Pluralisierung der Lebensstile, dem “Wandel familiärer und partnerschaftlicher Lebensformen” (Tálos 1992, 28), der generellen Individualisierung der Menschen und nicht zuletzt auch an der sich verändernden Stellung der Frau in unserer Gesellschaft.

1.1.1. Pluralisierung der Lebensstile

Während noch im 19. Jahrhundert nahezu 40% der erwachsenen österreichischen Bevölkerung aufgrund von sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten unverheiratet blieben – geheiratet wurde nur, wenn man es sich leisten konnte – wurde “schon für die Generation der zwischen 1930 und 1945 geborenen Frauen ... Ehe und Familie zur sozialen Norm. Von ihnen heirateten über 90%” (Münz 1995, 27). “Das bürgerliche Ideal der Kernfamilie hatte in den Industrieländern in den 50er und 60er Jahren seine ‚Blütezeit’ – mit Baby-Boom, frühen Familiengründungen und Ehen (diese auch noch sehr stabil) als nahezu universelles Phänomen” (Familienbericht 1999, S. 5). Rückblickend können die Nachkriegsjahrzehnte nicht nur als das “goldene Zeitalter des Wohlfahrtsstaates”, sondern zugleich auch als das “goldene Zeitalter des Heiratens und der Familiengründung” (siehe dazu Münz 1995, 27) bezeichnet werden.

Erst in den 70er Jahren begannen die Zahlen der Ersteheschließungen deutlich abzufallen, während zugleich das Heiratsalter anstieg. Der höhere Frauenanteil bei den Maturanten und Studiumsanfängern an den Universitäten [3] hatte längere Ausbildungszeiten auch für Frauen und damit generell eine spätere Familiengründung zur Folge. Das höhere Ausbildungsniveau von Frauen, niedrigere Geburtenraten und der grundlegenden Wandel im geschlechtssspezifischen Rollenverständnis führte zu einer tiefgreifenden gesamtgesellschaftlichen Veränderung.

Heute können wir von einer wachsenden Heterogenität familialer (und nicht-familialer) Lebensformen seit den 70er Jahren und sogar von der “Erosion der traditionell bürgerlichen Kleinfamilie” (Mairhuber 2000, 135) sprechen. Es sind Tendenzen zur Individualisierung konstatierbar, für die die zahlenmäßige Zunahme von Single-Haushalten ebenso wie ein deutlicher Anstieg der Frauenerwerbsquote als Beleg dienen können. Heute sind nicht nur eheähnliche Lebensgemeinschaften in Österreich gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, auch 29,5% aller erstgeborenen österreichischen Kinder kommen unehelich zur Welt (siehe dazu: Informationen des Österreichischen Statistischen Zentralamtes). Die Zahl der Geburten nimmt generell weiter ab, der Geburtenüberschuß (d.h. die Differenz zwischen Geburten und Sterbefällen) verringerte sich im gesamten Bundesgebiet (4.613 im Jahr 1997, 2.894 im Jahr 1998). Während der Anteil der Ehepaare ohne Kinder (bzw. mit nur einem Kind) gestiegen ist, kam es zu einem deutlichen Rückgang des Anteils der Familien mit drei und mehr Kindern. Diese Entwicklung kann mit dem Wandel weiblicher Lebenzusammenhänge in Verbindung gebracht werden, wonach die jeweilige Orientierung von Frauen auf Beruf oder Familie Einfluß auf die Kinderzahl hat. Der vermehrte Zuzug von ausländischen Arbeitskräften und deren Familien kann diese Abnahme nur bedingt ausgleichen und bringt darüber hinaus neue Anforderungen an den Sozialstaat mit sich.

Durch die seit den 60er Jahren gestiegene weibliche Erwerbsquote (1981: 54%, 1997: 58%) ist die materielle Abhängigkeit der Frauen von einem Ehepartner heute geringer als noch vor einigen Jahren [4] , ein Faktum, das auch für sinkende Heiratshäufigkeit [5] und den deutlichen Anstieg der Scheidungsziffern verantwortlich sein dürfte. Die tendenzielle Abkehr der Frauen von traditionellen (persönlichen) Abhängigkeitsverhältnissen hin zu einer eigenständigeren Lebensführung ist Beleg für den Trend zur Individualisierung und hat – zusammen mit der gestiegenen Lebenserwartung der Menschen – in den letzten Jahren zu einer beständigen Zunahme von Ein-Personen-Haushalten geführt, die heute schon 28% aller österreichischen Haushalte ausmachen (siehe dazu Münz 1995, 35).

“Die Pluralisierung von Lebensentwürfen innerhalb unserer Gesellschaft, eine größere Vielfalt biographischer Muster und damit eine Abkehr von der zwischen 1950 und 1970 dominierenden Normalbiographie” (Münz 1995, 35) hat aber auch gravierende Auswirkungen auf die materielle Absicherung vieler Menschen – vor allem auf die Absicherung von Frauen.

Die Scheidungsrate lag 1998 mit 38,6% gleich hoch wie im Vorjahr, österreichweit ist die Zahl der “Teilfamilien” aber seit den 70er Jahren deutlich angestiegen und lag 1999 bei 42% (fast 90% davon sind alleinerziehende Mütter mit Kindern) der insgesamt 2,256.600 österreichischen Familien. Es kann also heute von einer Erosion von Ehe [6] und Familie [7] als der lange Zeit dominierenden Lebensform gesprochen werden. Ehe und Familie sind insofern einem fortschreitenden “De-Institutionalisierungsprozeß” ausgesetzt, als tatsächlich die Institution Ehe real und symbolisch zunehmend an Bedeutung verliert. Gehörten Partnerschaft und Elternschaft im traditionellen Verständnis noch untrennbar zusammen, so sind es heute praktisch zwei unterschiedliche Komplexe, die sich zunehmend entkoppeln. Kontinuierlich steigende Scheidungsziffern machen deutlich, dass immer mehr Frauen und Männer dem Konzept der lebenslangen Partnerschaft ein Konzept sukzessiver Beziehungsmuster entgegensetzen (siehe dazu u.a. Münz 1995, 35).

Einen weiteren, nicht unwesentlichen Faktor der gesellschaftlichen Veränderungen der letzten zwanzig Jahre, der die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung sowie die Sozialstaatsdiskussion ganz allgemein beeinflußt haben dürfte (und in Zukunft möglicherweise noch stärker beeinflussen wird), stellt die Abschwächung oder Erosion der gesellschaftlichen Solidarität dar.

1.1.2. Erosion gesellschaftlicher Solidarität

Schon seit Mitte der 80er Jahre traten mit dem Vormarsch neoliberaler Wirtschaftskonzepte Zerfalls- bzw. Auflösungstendenzen traditioneller Kollektive (d.h. neue Spaltungen, antisolidarische Strategien und partikularistische Tendenzen) auf (siehe dazu Opielka 1987, 128f.).

Richard Sennet stellt fest, dass es heute innerhalb der Gesellschaft sowie auch am Arbeitsmarkt vermehrt zum Verschwinden des früher verbreiteten Gefühls sozialer Zugehörigkeit kommt (Sennet 2000, 9). Gerade in letzter Zeit lassen sich immer weniger jene Ansätze eines “wechselseitigen, symbolischen Tausches (beobachten), der signalisiert, dass Arbeitnehmer von den Unternehmen, für die sie arbeiten, beachtet und gehört werden; die solidarischen Rituale, die einen Arbeitnehmer an seinen Kollegen binden, verschwinden; die Arbeitgeber können nichts mit der Vorstellung anfangen, sie seien denjenigen, die von ihnen abhängig sind, Rechenschaft schuldig” (Sennet 2000, 10).

Opielka geht davon aus, dass der Wohlfahrtsstaat in der bisher bekannten Form auf bestem Wege ist, die politische Unterstützung der Bürger zu verlieren – eine Entwicklung, die seiner Meinung nach weder “voll und ganz durch den Hinweis auf eine wirtschaftliche oder fiskalische Krise noch durch politische Argumente erklärt werden kann, die das Aufkommen neokonservativer Eliten und Ideologien betonen” (Opielka 1987, 129).

Opielka sieht die vielschichtigen Gründe für den gesellschaftlichen Destrukturierungsprozeß in

- den wachsenden Divergenzen der Lebenschancen der Arbeiterschaft;
- einer steigenden Zahl offener oder verdeckter Arbeitslosigkeit;
- der Zunahme individualistischer politischer Haltungen;
- der zunehmenden Ablehnung bürokratischer und professioneller wohlfahrtsstaatlicher Intervention als (angeblich) unwirksam und kontraproduktiv (d.h. abhängigkeitsschaffend und leistungsschwächend);
- dem Fehlen alternativer “linker” Programme und Visionen [8] ;
- der schwindenden Bedeutung des westeuropäischen Nationalstaats (sowohl auf Grund supranationaler Regelungen als auch wegen der zunehmenden Relevanz subnationaler Entscheidungsfindung).

Die Verengung wirtschafts- und budgetpolitischer Verteilungsspielräume hat in Österreich unter anderem zur Verschärfung von Verteilungskämpfen beigetragen, die in einer öffentlichen “Mißbrauchsdebatte” gipfeln (siehe dazu u.a. Mairhuber 2000, 135). Allerdings weisen Bacher und Stelzer-Orthofer auch darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung ein ganz anderer sein könnte: So könnte gerade die öffentlich inszenierte “Sozialschmarotzerdebatte” für die rückläufige Akzeptanz all jener Maßnahmen verantwortlich sein, die mit der seit den 80er Jahren deutlich gestiegenen Arbeitslosigkeit in Verbindung stehen (Bacher/ Stelzer-Orthofer 1997, 174). Denn – nach Meinung von Rosenberger – trägt es “zum Gelingen ausgebauter Wohlfahrtsstaaten maßgeblich bei, dass jene Menschen (Personengruppen), die die sozialstaatlichen Leistungen mit ihren Steuern und Angaben hauptsächlich finanzieren, den Wohlfahrtsstaat auch akzeptieren” (Rosenberger 2001, 17).

Zugleich muss aber darauf hingewiesen werden, dass inzwischen – von der Öffentlichkeit und den Medien nur am Rande wahrgenommen – die sogenannte “Zivilgesellschaft” längst begonnen hat, sich als Reaktion auf das Schwinden gesellschaftlicher Solidarität zu vernetzen, “Knotenpunkte (zu) suchen und gegen das Abbröckeln des sozialen Zusammenhalts einen entschlossenen Akzent (zu) setzen” (Dokumentation 2. Österreichische Armutskonferenz, S. 8). Im Rahmen von NGOs, von Arbeitskreisen oder Sozialstaats-Initiativen wird gegen den geplanten weiteren sozialstaatlichen Abbau gekämpft und ein Anstoß für eine substanzielle Ergänzung des derzeit bestehenden sozialen Sicherungssystems gegeben – sozusagen als Gegengewicht zum gegenwärtigen neoliberalen Mainstream in der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik [9] .

1.2.- Wirtschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen am Beispiel der Globalisierung

Bedingt durch das außerordentlich hohe österreichische Wirtschaftswachstum der Nachkriegsjahrzehnte [10] ist bis zur Mitte der 70er Jahre eine deutliche Zunahme der Zahl unselbständig Erwerbstätiger und sogar ein vermehrter Zuzug ausländischer Arbeitskräfte (sogenannter “Gastarbeiter”) zu verzeichnen. Dieser kurzen Wachstumsphase der Nachkriegsjahrzehnte folgte die sogenannte “Krise der 80er Jahre” – begleitet von Phänomenen wie Stagnation des Wirtschaftswachstums, verstärktem Konkurrenzdruck, fortschreitender Internationalisierung von Betrieben, Globalisierung der Wirtschaft und Deregulierung der Finanzmärkte, einem entsicherten, teilweise flexibilisierten Arbeitsmarkt und wachsenden Arbeitslosenzahlen.

Im Zuge der globalen ökonomischen Veränderungen, die sich seit dem Zusammenbruch des Realsozialismus ereignet haben, hat die Ideologie des Neoliberalismus hegemonialen Status erlangt und hat – zusammen mit anderen Faktoren wie z.B. dem rasanten technologischen Wandel – “die Grundlagen nationaler Politik radikal transformiert und neue Kontexte des Politischen geschaffen” (Appelt/ Sauer 2001, 127).

- Globalisierung – Neoliberalismus – Nationalstaat

Unter dem nicht ganz klar definierten Schlagwort der “Globalisierung” wird einerseits die Globalisierung der Finanzmärkte, das verstärkte Auslandsengagement, d.h. die Internationalisierung von Unternehmen, andererseits aber auch das “Zusammenwachsen von Güter- und anderen Märkten über nationale Grenzen hinweg” (Jungnickel 1995, 46) verstanden [11] . Der ökonomisch relevante Aspekt der Globalisierung – die verstärkte Integration der Weltwirtschaft – “äußert sich in der Zunahme des internationalen Handels relativ zum Weltsozialprodukt, in weitgehend weltweit integrierten Finanzmärkten, dem starken Wachstum von Direktinvestitionen im Ausland und der zunehmenden Bedeutung multinationaler Unternehmen mit Produktionsstätten in mehreren Ländern” (Kurer/ Pohl 1999, 42). Gefördert und eigentlich erst ermöglicht wurde dieser Prozeß einerseits durch technologische Entwicklungen in den Bereichen Transportwesen und Kommunikation, andererseits durch politisch-institutionelle Maßnahmen wie die Liberalisierung des Welthandels und die Deregulierung der Finanzmärkte (siehe Kurer/ Pohl 1999, 42).

Obwohl Globalisierung zu einem herausragenden Thema in der gesellschaft- und wirtschaftspolitischen Diskussion der letzten Jahrzehnte geworden ist, stellt sich der Globalisierungsdiskurs als keineswegs homogen dar, die verschiedenen Ansatzpunkte in der Diskussion führen zu äußerst unterschiedlichen Ergebnissen und differierenden Einschätzungen der Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und (Sozial-)Politik. Den vielschichtigen Erklärungsansätzen für die Festlegung der Bestimmungsfaktoren und der Ursachen für die Internationalisierung ist nur gemeinsam, “daß sie dem Pendelschlag der Wirtschaftspolitik in Richtung Neo-Liberalismus zu Beginn der achtziger Jahre und den Deregulierungsbestrebungen in den meisten Industrieländern ab diesem Zeitpunkt große unterstützende Bedeutung für die gegenwärtige Internationalisierungsphase beimessen” (Hahn/ Mooslechner/ Pfaffermayer 1996, 6).

Zu den von der neoliberalen Ideologie - von liberale Politikern, Wissenschaftern und Vertretern der Wirtschaft - als Hindernis auf dem Weg zur Herstellung von Sicherheit und Gerechtigkeit auf dem "freien Markt" angesehenen Institutionen gehört der (angeblich) überdehnte, aufgeblähte (Sozial-)Staat (siehe u.a. Berthold 1997, 79; Mautner Markhof 2000, 17f.; Kier 2000) [12] . Bewährte, soziale Institutionen und Einrichtungen werden zu überflüssigem Ballast erklärt, da sie die Wettbewerbschancen verschlechtern und das Wirtschaftswachstum dämpfen. Nur "mehr Eigenverantwortlichkeit und eine stärkere Absicherung auf privaten Versicherungsmärkten schaffe eine solide marktliche Basis der 'Sicherheit' und einen steigenden Wohlstand" (Berthold 1997, 79). Dagegen agieren der Sozialstaat bzw. politische Entscheidungsträger und Interessenverbände – nach Bertholds Ansicht – derzeit gegen ökonomische Gesetzmäßigkeiten, indem sie auf die protektionistische Karte setzen. Als Folge dieser Politik bleibe "der Arbeitsmarkt ... gelähmt, die Systeme der sozialen Sicherung stürzten nacheinander in den finanziellen Abgrund, das international mobile Kapital wandere ab" (Berthold 1997, 79) [13] .

Die der neoliberalen Politik inhärente Tendenz, systematisch jene Personengruppen zu privilegieren, die schon mit Ressourcen ausgestattet sind und jene zu marginalisieren, die nicht auf Ressourcen zurückgreifen können, zeichnet auch den Prozeß der Globalisierung aus. Somit ist der Neoliberalismus “der ideologische Ausdruck der Herrschaftsansprüche der Finanz” (Duménil/ Lévy 201, 74). Als Gewinner dieses (nicht ganz neuen) Systems lassen sich die Besitzer von Kapital ausmachen – “und zwar sowohl von Finanz- als auch von Humankapital” (Wolff 1999, 12) – nicht länger beschränkt durch nationalstaatliche Grenzen. Damit läuft die Entwicklung aber – entgegen der etwas irreführenden Bezeichnung “Globalisierung” – keineswegs global ab sondern begünstigt in erster Linie die kapitalistischen Zentren (d.h. Westeuropa, Nordamerika und Südost-Asien) (Althaler 1995, 26).

Die negativen Auswirkungen der Globalisierung werden in der politikwissenschaftlichen Diskussion differenziert gesehen und auf unterschiedlichen Ebenen verortet. Nämlich einerseits

- in der durch Standortverschiebungen und verstärkte Konkurrenz verursachten Zunahme der Arbeitslosenzahlen, sowie im Rückgang bei Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum in den Industriestaaten

und andererseits

- in der Instrumentalisierung der Globalisierung als Druckmittel und Vorwand für Sozialabbau (siehe dazu Kurer/ Pohl 1999; Altvater/ Mahnkopf 1996 u.a.).

Altvater und Mahnkopf weisen in ihrer Arbeit “Grenzen der Globalisierung” darauf hin, dass der Anteil des Außenhandels an der Weltproduktion zwischen 1950 und 1993 von 7% auf 17%, der Anteil des Außenhandels in den OECD-Ländern von 12,5% (im Jahr 1960) auf 18,6% (in 1990) gestiegen ist – ein (wie die Autoren anmerken) keineswegs besonders beeindruckender Zuwachs, verglichen mit den Wachstumsraten bei Welthandel, Direktinvestitionen und Migration in der Blütezeit des imperialen Zeitalters (zwischen den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg) (Altvater/Mahnkopf 1996, 19). Dabei könnte aber auch die tatsächliche wirtschaftliche Bedeutung bzw. die Auswirkungen der Globalisierung auf unsere Wirtschaft möglicherweise geringer sein, als von Politikern und Vertretern der Industrie unterstellt (siehe dazu z.B. Kurer/ Pohl 1999). Auch das verlangsamte Wirtschaftswachstum sowie die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt – sinkende Durchschnittslöhne, eine sich öffnende Einkommensschere zwischen besser und schlechter Verdienenden, steigende Arbeitslosenzahlen – können nach Ansicht der Autoren nicht in erster Linie als Folge der Globalisierung gesehen werden, sondern eher als Ergebnis des Zusammenwirkens anderer Faktoren: allen voran des technischen Wandels und der daraus resultierenden Veränderungen in der Struktur industrieller Produktion, die das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum deutlich eingebremst haben (siehe Kurer/ Pohl 1999, 42ff.)(näher dazu Abschnitt 1.4.1. dieser Arbeit). Zugleich entkräften die Autoren auch die Schlußfolgerung, dass “der Zwang zur Aufrechterhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ... zu einer Abwärtsspirale bei Löhnen, Steuern, Sozialleistungen und Umweltschutzmaßnahmen” (Kurer/ Pohl 1999, 41) führen müsse, mit dem Hinweis, wie geringfügig die realen wirtschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung auf die EU-Staaten tatsächlich sind (siehe dazu u.a. auch Bourdieu 1997, 20; Bischoff/ Detje 1997, 100f; Wolf/ Reischl 1997). Das Argument der "globalen Konkurrenz" verliert angesichts der einfachen Tatsache deutlich an Gewicht, dass der weitaus größte Teil des Außenhandels der EU-Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen Union – also keineswegs "global" – abgewickelt wird (Wolf/ Reischl 1997; Bourdieu 2001). Ulrich Walwei geht sogar davon aus, dass nach Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion voraussichtlich “der Exportanteil der EU insgesamt auf 8% des BIP sinken” (Walwei 1999, 173) und im Gegenzug dazu der Handel innerhalb des europäischen Binnenmarktes auf 92% des BIP ansteigen dürfte (siehe Walwei 1999, 173f.).

Wenn trotzdem in den vergangenen Jahren in der Debatte um die “Hebung der Wettbewerbsfähigkeit und den Ab- und Umbau des Wohlfahrtsstaates ... die globalen Sachzwänge zum sozialpolitischen Totschlagargument ersten Ranges” (Altvater/ Mahnkopf 1996, 9) avancieren konnten, so erhärtet sich damit vor allem der Verdacht, dass die gravierendste Auswirkung der Globalisierung tatsächlich ihr gezielter Mißbrauch durch Wirtschaftslobbies und Politiker sein dürfte, also ihre Instrumentalisierung zur Herstellung “weltkapitalistischer Konkurrenzverhältnisse für machtpolitische Veränderungsprozesse auf nationaler Ebene" (Schunter-Kleemann 1997, 19). Schunter-Kleemann bezeichnet die gesamte “Globalisierungsthese” als den Versuch der Wirtschaftslobbies, “durch Inszenierung einer Schieflage im Bewußtsein der Menschen Vorteile in den anstehenden Sozialkonflikten für sich herauszuholen” (Schunter-Kleemann 1997,19). Auch Bourdieu vertritt die Meinung, dass die Globalisierung mißbraucht wird, um den Wohlfahrtsstaat und seine Politik der sozialen Sicherheit zu Grabe zu tragen, “um immer niedrigere Löhne und zunehmend flexiblere Tarifverträge durchzusetzen" (Bourdieu 1997, 14).

So gesehen stellt das Phänomen der Internationalisierung des Arbeitsmarktes in erster Linie eine Herausforderung für Arbeitnehmervertretungen dar und beweist, dass der Sozialstaat nicht länger an den nationalen Grenzen enden kann sondern vielmehr zum vorrangigen Problembereich der Europäischen Union sowie der globalen Politik gemacht und mit verstärktem Druck vorangetrieben werden muss.

1.3.- Politische Veränderungen : Vom “goldenen Zeitalter des Österreichischen Wohlfahrtsstaates” zur Gegenwart

Nachdem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Grundlagen für den österreichischen Sozialstaat gelegt worden waren, begann nach dem Ersten Weltkrieg eine sozialpolitische Expansionsphase, die große Zeit der Sozialreformen, das “goldene Zeitalter des Wohlfahrtsstaates”. Der zügige Ausbau der staatlichen Sozialpolitik erfolgte unter Beibehaltung der schon im 19. Jahrhundert festgelegten Grundprinzipien (d.h. der Fortführung der Bismarckschen einkommensbezogenen und nach Erwerbsgruppen differenzierten Sozialpolitik) (siehe dazu Tálos/ Wörister 1994, 10). Dabei wurden sozialdemokratische Zielvorstellungen – also die “Fesselung oder zumindest Einhegung des liberalen Kapitalismus durch den Auf- und Ausbau des Wohlfahrtsstaats in Kombination mit einer keynesianischen Wirtschaftspolitik” (Bieling 2000, 6) – berücksichtigt. Wie in allen europäischen Staaten so kam es auch in Österreich zu einem “additiven Aufgabenzuwachs” (Blanke 2000, 7) des Sozialstaates, der sich auf alle relevanten sozialstaatlichen Felder (wie Sozialversicherung, familienrelevante Leistungen, Arbeitsrecht und Arbeitsmarktpolitik) erstreckt.

Die für die Nachkriegsjahrzehnte konstatierbare günstige wirtschaftliche Entwicklung “hielt in Österreich im Vergleich mit den anderen westeuropäischen Ländern relativ lange an” (Mairhuber 2000, 134). Erst die Veränderungen der 80er Jahre (wie wirtschaftlicher Sturkturwandel, Wandel des Arbeitsmarktes, Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse) brachten die bis dahin vorherrschende, “am Ausbau des Wohlfahrtsstaates orientierte Politik” (Tálos 1992, 15) zu einem vorläufigen Ende. Der bis dahin “verbreitete keynesianische Grundkonsens wurde gänzlich in Frage gestellt” (Tálos 1995, 544), ein “Prioritätenwandel in Richtung Budgetkonsolidierung – mit Konsequenzen im Bereich der staatlichen Ausgaben für soziale Sicherung und Arbeitsmarktpolitik” (Tálos 1992, 11) zeichnete sich ab.

Anfang der 80er Jahre kam es in ganz Europa zu einem Machtverlust der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften und der traditionell orientierten Sozialdemokratie. So hat “die Einengung der staatlichen Verteilungsressourcen, der mit der Änderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verbundene politische Druck nach Anpassung des Arbeits- und Sozialrechtes an die Bedürfnisse der ’Wirtschaft’, und nicht zuletzt die politische Kräftekonstellation auf Regierungs- und Parlamentsebene” (Tálos 1992, 15) ihren Niederschlag auch in sozialpolitischen Maßnahmen gefunden. Von den vorgenommenen Veränderungen und Einsparungen waren aber noch nicht so sehr die grundlegenden Prinzipien betroffen, als in erster Linie das Ausmaß und die Reichweite der Sozialpolitik: Es kam zu Einsparungen im Bereich der sozialen Sicherheit, von denen die Familien und AlleinerzieherInnen am stärksten betroffen waren und die vorwiegend Leistungskürzungen bzw. Verschärfungen beim Leistungszugang zur Folge hatten (Rosenberger 1995, 388; siehe dazu u.a. Tálos/ Wörister 1994, 64f.; Mairhuber 2000, 14f.).

Schon seit den 80er Jahren ist das Eindringen neoliberaler Vorstellungen in Partei- und Wirtschaftsprogramme konstatierbar. Ab diesem Zeitpunkt kam der bis dahin sozialdemokratisch beeinflußte, wohlfahrtsorientierte Nationalstaat unter Druck [14] . War die von der SPÖ-ÖVP-Koalition realisierte Sozialpolitik noch “mehr oder weniger ein pragmatischer Kompromiß, gespeist aus konservativen, neoliberalen Optionen und traditionellen sozialdemokratischen sozialpolitischen Vorstellungen” (Tálos 2001, 18), so ist seit dem Regierungsantritt der neuen ÖVP-FPÖ-Koalition im Februar 2000 die gesellschafts- und sozialpolitische Entwicklung in eine neue Phase eingetreten: Es kann von einem bisher einmaligen und noch nicht dagewesenen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Grundkonsens gesprochen werden, einer programmatischen Trendwende hin zu einer neoliberal-konservativen Gesellschafts- und Sozialpolitik (siehe dazu u.a. Tálos 2001, 17f.). Im Rahmen dieses Wandels wurde mit großem Tempo die “annähernd durchgängige Unterordnung der Sozialpolitik unter budget- und wirtschaftspolitische Prioritäten” (Tálos 2000, 80) vorgenommen. Zu den neuen Schlagworten gehören die Slogans von “mehr Markt, weniger Staat”, der Begriff des “schlanken Staates”, dessen traditionelle Aufgaben und Tätigkeiten zugunsten von “mehr Eigenverantwortung” des einzelnen Bürgers zurückgenommen und auf die sogenannten “staatlichen Kernfunktionen” zurückgeschnitten werden sollten. Erwerbstätige wären dazu angehalten, die Verantwortung für ihre Risikenvorsorge zukünftig vermehrt selber zu übernehmen. Längst ist klar geworden, dass es bei der häufig zitierten Überprüfung der “sozialen Treffsicherheit” keineswegs um die Schließung vorhandener Versorgungslücken geht. Immerhin wird von Einsparungen in Höhe von zumindest ATS 3 Mrd. (eventuell sogar 7 Mrd. jährlich) ausgegangen (u.a. Tálos 2001, 17; Regierungsprogramm 2000, 118). In diesem Sinne dürfte sich auch die Aktion zur “Erhöhung der sozialen Treffsicherheit” (Regierungsprogramm 2000) vordergründig in einen “Geldregen für den Finanzminister” (Streißler 2000, 22) verwandeln.

Nach dem Verständnis der derzeitigen österreichischen Regierung besteht die Aufgabe einer modernen Sozialpolitik in erster Linie darin, Hilfe für sozial Bedürftige bereitzustellen bzw. denjenigen zu helfen, die “nicht zur Selbsthilfe fähig sind” (Regierungsprogramm, 18). (Eigen-) Vorsorge soll Vorrang vor (staatlicher) Fürsorge erlangen (siehe dazu Regierungsprogramm 2000, 18). Die geplante Reform der Sozialpolitik sieht eine Umgewichtung der Sozialpolitik vor: Statt der bisherigen Risikenvorsorge für Erwerbstätige und sozial Bedürftige soll in Zukunft ein “Sozialhilfestaat” à la Thatcher mit deutlich reduzierten Leistungen entstehen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Maßnahmen zur Mißbrauchsverhinderung im Bereich der Arbeitslosenversicherung und der Notstandshilfe gelegt [15] .

Armutspolitik oder Maßnahmen zur Bekämpfung des Verarmungsrisikos für Teile der österreichischen Bevölkerung sind in Form einer ”Vernetzung und Koordinierung bestehender Sozialleistungen von Bund, Ländern und Gemeinden” (Tálos 2000, 81) geplant. Eine Auseinandersetzung mit jüngsten gesellschaftlichen Veränderungen und daraus resultierenden sozialen Problemlagen findet hingegen nicht statt. Real vorhandene und weiter wachsende Lücken im System der sozialen Sicherheit werden in diesem Zusammenhang nicht wahrgenommen und daher auch nicht als Anstöße für notwendige Systemreformen angesehen (z.B. im Bereich der Absicherung atypisch Beschäftigter, der materiellen Grundsicherung oder des Arbeitsschutzes).

Die dieser Politik inhärente Grundhaltung des “gemäßigte Neoliberalismus” (Zilian 2000, 11) hat aber nicht nur in der aktuellen österreichischen Politik ihre Spuren hinterlassen, sondern wird gleichermaßen von OECD und EU vertreten. Die europäischen Wirtschaftssysteme sollen “gestrafft” [16] , Arbeitskräfte (und besonders Arbeitslose) durch gezielte Anreize “aktiviert” [17] , die Arbeitsmärkte generell flexibilisiert und die freie Marktwirtschaft von “Rigiditäten” [18] bereinigt werden, weil diese angeblich den Markt in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigen (siehe dazu u.a. Zilian 2000).

Nach Meinung kritischer SozialwissenschafterInnen kommt es durch die jüngsten Privatisierungstendenzen zur fortschreitenden Entpolitisierung der Gesellschaft bei gleichzeitiger Stärkung nicht nur der gesellschaftlichen Bedeutung sondern auch des politischen Einflusses des Kapitals; also zu einer “Dominanz der Ökonomie über die Politik” (Althaler 1995, 11; siehe auch Butterwegge 2001, 20f.; Zilian 2000, 20f. etc.). “Somit läuft Privatisierung auf Entpolitisierung, diese wiederum auf Entdemokratisierung hinaus” (Butterwegge 2001, 21).

1.4. Veränderungen am Arbeitsmarkt

Die Wachstumsphase der Nachkriegsjahrzehnte mit ihren Kennzeichen – wie hohem Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und einer signifikanten “Verbesserung der Einkommenssituation der privaten Haushalte” (Tálos/ Rossmann 1992, 25) – kam ab Mitte der 70er Jahre zu ihrem vorläufigen Ende. Das sogenannte “Normalarbeitsverhältnis”, d.h. die “vollzeitige und dauerhafte Beschäftigung mit geregelter Normalarbeitszeit, mit kontinuierlichem Entgelt und Bestandsschutzgarantien” (Tálos 1999, 417) war in den 60er Jahren sowohl Norm als auch Voraussetzung für existenzsichernde sozialstaatliche Ansprüchen geworden. Zwar gab es schon damals vom Normalarbeitsverhältnis abweichende Beschäftigungsformen (und damit verbundene Lücken im System der sozialen Sicherung [19] ), doch erst die gravierenden Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte – wie stagnierendes bzw. rückläufiges Wirtschaftswachstum und politischer Prioritätitenwandel in Richtung Neoliberalismus, verbunden mit Veränderungen am Arbeitsmarkt (nicht nur in Österreich, sondern in allen Industriestaaten) – brachten eine fundamentale Erschütterung dieser Norm mit sich.

1.4.1. Strukturelle Veränderungen am Arbeitsmarkt

In den letzten Jahrzehnten zeitigten wirtschaftsstrukturelle Veränderungen teilweise gravierende Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt. Der Strukturwandel äußerte sich sowohl in Anteilsveränderungen der Wirtschaftszweige und Regionen an den gesamtwirtschaftlichen Daten und am Sozialprodukt, als auch in Veränderungen der Zahl der Erwerbstätigen und in unterschiedlichen Entwicklungen der Arbeitsproduktivität in den verschiedenen Wirtschaftszweigen (siehe dazu u.a. Kurer/ Pohl 1999; Mutz 1999; Biffl 2001).

- Sektorale Veränderungen

In Landwirtschaft und Industrie (dem Primär- und Sekundärsektor) waren die Beschäftigtenzahlen langfristig im gesamten letzten Jahrhundert in allen OECD-Staaten stark rückläufig; noch in den Jahren zwischen 1960 und 1990 sank die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft von 25,7% auf 11,3% ab (siehe OECD 1991, 40). Allerdings wurden die Arbeitsplatzverluste in den güterproduzierenden Bereichen und der Landwirtschaft durch ein starkes Beschäftigungswachstum im Dienstleistungssektor in den letzten Jahren mehr als ausgeglichen (Biffl 2001, 1f.) – ein Trend, der den Übergang vom Zeitalter der Industrialisierung zur modernen Dienstleistungswirtschaft belegt.

Für Österreich läßt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten: Der Sektor Industrie und Gewerbe – im Zeitraum bis 1981 mit 41% noch der größte – sank bis 1991 aufgrund der zunehmenden Automatisierung in der Produktion auf 36% ab. Zugleich holte der Dienstleistungssektor schon 1971 mit 42% den Produktionssektor ein und beschäftigte 1991 bereits 59% aller Erwerbstätigen (siehe dazu Schramm 1995, 228). Waren im Jahr 1934 im Primärsektor (d.h. in der Land- und Forstwirtschaft) noch 36% aller Berufstätigen beschäftigt, so 1991 nur noch 5,8% (siehe dazu Schramm 1995, 230). Durch die Entstehung vieler neuer Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor kam es trotzdem zu einer stetigen Expansion der Erwerbstätigkeit zwischen 1970 und 1992 (Biffl 2001, 1) [20] . Allerdings gehen Experten davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren möglicherweise auch “in den Dienstleistungsbereichen des Handels, der öffentlichen Verwaltung und der Banken durch mikroelektronische Automatisierung und Organisationsreformen mehrere Millionen Arbeitsplätze verloren gehen (werden), die auch durch die Schaffung personennaher Dienstleistungen kaum kompensiert werden können” (Just 2000, 3).

- Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien

Der Informations- und Kommunikationssektor, der die Computerindustrie, den Telekommunikations- und den Medienbereich umfaßt, nimmt innerhalb der globalen Ökonomie einen immer größeren Raum ein (siehe dazu Grisold 1998, 15). Sein Wachstumspotential macht ihn zum Hoffnungsträger von Wirtschaft und Politikern. Während er als Motor für einen langfristigen Wirtschaftsaufschwung für die Zukunft gesehen wird, machen sich die gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungseffekte derzeit noch eher bescheiden aus. So hat sich die 1996 vom deutschen Wissenschafts- und Technologieminister geäußerte Erwartung von 5 bis 10 Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze in Europa und einem Investitionsvolumen von 300 Mrd. DM bis zum Jahre 2000 mittlerweile als “gigantische Fehlspekulation” (Hummel 1998, 70) erwiesen. In Österreich wird inzwischen realistischerweise von etwa 4000 bis 5000 neuen Arbeitsplätzen innerhalb der nächsten zwölf Jahre ausgegangen (Hummel 1998, 71), doch sogar diese Erwartungen könnten noch übertrieben sein. Immerhin machten gerade in den letzten Monaten zahlreiche internationale Konzerne aus dem High-Tech-Bereich durch Massenkündigungen von sich reden (siehe u.a. Profil 37/ vom 10. September 2001, 54f.), und Kurseinbrüche bei den Technologiebörsen erschüttern hochgesteckte Wachstumserwartungen [21] .

1.4.2. Qualifikatorische Veränderungen

Die Struktur der Arbeitsnachfrage hat sich sowohl in sektoraler als auch in qualifikatorischer Hinsicht gravierend verändert. So wird häufig auf die Tatsache hingewiesen, dass die Nachfrage nach einfacher Arbeit in den Industriestaaten in den vergangenen Jahren teilweise drastisch zurückgegangen ist (siehe dazu Berthold 1997, 13ff.; Kurer/ Pohl 1999, 42). Die rückläufige Nachfrage nach Arbeitskräften ohne oder mit nur geringer Qualifikation, läßt sich darauf zurückführen, dass diese “am leichtesten substituierbar und am wenigsten mobil sind” (Wiesenthal 1999, 525).

Allerdings bietet der Technologiewandel inzwischen auch die Möglichkeit der Substitution von höher qualifizierten Arbeitskräften z. B. durch Software oder andere Neuerungen (wie beispielsweise die Techniken des “re-engineering”) (siehe dazu Wiesenthal, 525). In den kommenden Jahren werden ständig fortschreitende technische Entwicklungen weitere Möglichkeiten bieten, menschliche Arbeitskraft in noch größerem Ausmaß als bisher durch Maschinen zu ersetzen und damit den Arbeitsmarkt noch weiter “auszudünnen”. Arbeitsabläufe werden “automatisiert und drastisch beschleunigt, menschliche Entscheidungen werden elektronischen Steuer- und Speicherelementen übertragen, Berufe werden verändert oder verschwinden ganz” (Leichsenring/ Zeiner 1992, 119). Massenkündigungen in High-Tech-Konzernen [22] sind Beleg dafür, dass auch Wachstumsbranchen ihren (teilweise hochqualifizierten) Angestellten keine Arbeitsplatzsicherheit mehr bieten können.

Auch wenn Aus- und Weiterbildung die Chancen am Arbeitsmarkt zweifellos verbessert, kann nach Meinung einzelner Sozialwissenschafter nicht einmal lebenslanges (oder lebensbegleitendes) Lernen, sowie permanente Höher-Qualifizierung zur Verbesserung der Chancen am Erwerbsarbeitsmarkt (Ribolits 2000, 465) Arbeitsplatzsicherheit garantieren (Ribolits 2000, 467).

1.4.3. Veränderungen der Erwerbstätigkeit

Die zwei Phänomene, die seit Mitte der 70er Jahre im Zentrum der Entwicklung am Arbeitsmarkt stehen, sind einerseits

- die Zunahme der Erwerbsarbeitslosigkeit, andererseits
- die wachsende Verbreitung atypischer Beschäftigungsformen (siehe dazu u.a. Tálos 1999a), die mit der “Erosion des Normalarbeitsverhältnisses” einhergeht.

- Zunahme der Erwerbslosigkeit

Das Phänomen der Massenerwerbslosigkeit prägt seit den 80er Jahren die Arbeitsmarktsituation in allen europäischen Staaten – bei gleichzeitigem kontinuierlichen Anstieg der Gesamtzahl der Erwerbstätigen. Die österreichische Arbeitslosenrate ist – obwohl in den vergangenen 20 Jahren deutlich angestiegen – im Vergleich zu anderen Industriestaaten noch immer realtiv niedrig.

Die Entwicklung der Arbeitslosenrate zeigte im Jahr 2000 einen leichten Rückgang gegenüber 1999, der sowohl bei Männern als auch bei Frauen zu verzeichnen war und die geschlechtsspezifisch wie sektoral divergierende Beschäftigungsentwicklung widerspiegelte: Der Rückgang ging bei Frauen (zu fast 70%) auf ein Wachstum des Tertiärsektors zurück, bei Männern auf einen Aufschwung im Bauwesen (siehe dazu Wirtschaftsbericht 2001, 90). Sowohl die Zunahme der Beschäftigtenzahlen als auch der langsame Rückgang der Zahl der Erwerbslosen in der ersten Hälfte des Jahres 2001 deuten auf eine leichte Verbesserung der Arbeitsmarktsituation hin.

Die neuesten Arbeitsmarktdaten bestätigen die hochgesteckten Erwartungen der Politiker für das kommende Jahr allerdings nicht – die Gefahr, arbeitslos zu werden, ist beträchtlich und dürfte sich auch in nächster Zeit nicht entscheidend verringern (http://www.oestat.gv.at).

- Abweichungen vom Normalarbeitsverhältnis – Atypisierung

Von ebenso großer Bedeutung wie die Zunahme der Erwerbslosigkeit ist die zweite Facette aktueller Veränderungen am Arbeitsmarkt: die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen (contingent oder non-standard employment). Als atypisch – also von der “Norm” abweichend – gelten alle jene Beschäftigungsformen, die sich in mehrfacher Hinsicht vom sogenannten “Normalarbeitsverhältnis” unterscheiden. Unter “Normalarbeitsverhältnis” ist dabei ein Beschäftigungsverhältnis zu verstehen, das “durch abhängige, vollzeitige und dauerhafte Beschäftigung mit geregelter Normalarbeitszeit, mit kontinuierlichem Entgelt und Bestandsschutzgarantien gekennzeichnet ist und im wesentlichen auf männliche Erwerbsbiographien ... zutrifft” (Tálos 1999, 7).

Unter den Begriff der “atypischen Beschäftigung” fallen Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, geringfügige oder befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Arbeit auf Abruf, Telearbeit und sogenannte scheinselbständige Beschäftigung (siehe dazu Näheres Tálos/ Mühlberger 1999, 264). Die verschiedenen Formen sind in Österreich nicht gleich häufig vertreten. Teilzeitarbeit ist in ihrer Normalform (unbefristet und sozialversicherungspflichtig) die am wenigsten problematische Variante atypischer Beschäftigungen und findet auch die größte Verbreitung, wobei der Anteil der Teilzeitbeschäftigten im Jahr 1997 12% (nach dem Lebensunterhaltskonzept) bzw. 13,9% (nach dem Labour-force-Konzept) [23] betrug.

Atypische Beschäftigungsformen sind in den letzten Jahren in allen westlichen Industriestaaten zunehmend häufiger geworden (siehe dazu Tálos 1999a). Obwohl die Entwicklung in Richtung Atypisierung des Arbeitsmarktes in Österreich noch vergleichsweise moderat verläuft, ist ihr Vormarsch international deutlich auszumachen und im selben Ausmaß (mit einiger Verspätung) für Österreich erwartbar. Es ist unverkennbar, dass es sich dabei offensichtlich nicht um einen vorübergehenden, sondern einen dauerhaften und voraussichtlich irreversiblen Trend handeln dürfte, der sich in den kommenden Jahren noch zuspitzen könnte (siehe dazu Tálos 1999).

Sozialversicherungsfreie Teilzeitbeschäftigung, d.h. geringfügige Beschäftigung [24] , stellt insofern einen Unterschied zur sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeit dar, als nur letztere mit einer Einbindung in das System der sozialen Sicherung einhergeht. Allerdings sind in einem Sozialversicherungssystem, das sich vorrangig am Normalarbeitsverhältnis orientiert, auch die aus Teilzeitarbeit resultierenden Sozialleistungen nur in seltenen Fällen geeignet, die Existenzsicherungsfunktion zu übernehmen. So führt beispielsweise ein monatliches Brutto-Teilzeitgehalt in der Höhe von ATS 8000 (= ca. 581 Euro) nach 35 Versicherungsjahren nur zu einer Pension von ATS 4300 (= ca. 312 Euro) – die Leistungen im Falle von Arbeitslosigkeit oder Krankheit liegen in etwa derselben Höhe (Tálos 1999, 277). Durch die Koppelung von Sozialleistungen an vorangegangene Beitragszahlungen ist die Verschärfung von Sicherungslücken sozusagen vorprogrammiert (siehe dazu Pfarr 2000, 282).

1.5. Verarmungsrisiko als Folge der vorher genannten Veränderungen

Inzwischen ist offensichtlich, dass die Diskussion um materielle Grundsicherung immer dann an Aktualität gewinnt bzw. eine Intensivierung erfährt, wenn aufgrund von sozialen, ökonomischen und politischen Herausforderungen “die Rolle des Staates bei der Steuerung sozialer Probleme und deren Reichweite verstärkt im Blickpunkt politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen standen und stehen” (Tálos 2001, 8). In diesem Sinne läßt sich auch die eingangs gestellte Frage, ob nämlich soziale Grundsicherung heute wichtiger ist als vor zwanzig Jahren, eindeutig bejahen. Die Verschärfung individueller Notlagen (beispielsweise durch Veränderungen am Arbeitsmarkt) bei gleichzeitigen Einsparungen (im Bereich sozialer Infrastruktur und Sicherung aufgrund geänderter politischer Prioritätensetzung und der schwindenden Finanzierungsbasis des Wohlfahrtsstaates) zeigt schon heute negative Auswirkungen. Als Folge der Erosion von Erwerbsarbeit, Familie (bzw. Ehe) und der daran gekoppelten sozialen Sicherung stieg in den vergangenen Jahren auch in den Industriestaaten die Zahl der armutsgefährdeten Personen.

Zwar ist unter dem Begriff der Armut nun nicht länger die Form völliger materieller und sozialer Verelendung zu verstehen, wie sie beispielsweise zu Ende des 19. Jahrhunderts innerhalb der europäischen Arbeiterbevölkerung verbreitet war und auch heute noch in der Dritten Welt zu finden ist. In den Industriestaaten tritt die sogenannten “neue Armut” als eine (manchmal nur vorübergehende) Unterversorgung bzw. Einschränkung materieller und sozialer Teilhabechancen auf [25] . Zur Lösung dieser Form der Armut genügen keineswegs Strategien gegen Einkommensarmut. Denn “Armut heißt nicht nur ein zu geringes Einkommen zu haben, sondern bedeutet einen Mangel an Möglichkeiten, um in den zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestausmaß teilhaben zu können” (Dokumentation Armutskonferenz 2000, 4). So müssen Lösungsstrategien die volle Teilhabe an “Ressourcen, Gütern und Rechten einer Gesellschaft” (Armutskonferenz 2000, 4) sicherstellen.

Lieselotte Wohlgenannt erweitert den Armutsbegriff – im Gegensatz zu einer auf Einkommensarmut beschränkten Definition – dahingehend, dass sie damit jeden Zustand bezeichnet, der durch eine radikale Einengung von Lebenschancen gekennzeichnet ist: neben Einkommensarmut also auch Zeitarmut (durch Mehrfachbelastung), Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung, fehlende Teilhabe durch Behinderung oder Krankheit und andere Faktoren, die Menschen am vollen Lebensvollzug, am “guten Leben” behindern” (siehe Wohlgenannt 1997, 81).

Um Armut statistisch erfassbar zu machen, wird gewöhnlich entweder von der Sozialhilfeschwelle oder der 50%-Einkommens-Armutsgrenze ausgegangen, obwohl die Aussagekraft dieser beiden Grenzwerte tatsächlich umstritten ist (siehe dazu u.a. Dietz 1997, 135; Buhr 1998, 71). Immerhin ist die Annahme, dass Armut (nach einer Definition der OECD) bei einem Durchschnittseinkommen von weniger als 50% aller nationalen Durchschnittseinkommen beginne, willkürlich festgelegt und nicht bedarfsbezogen und sagt tatsächlich nichts über die Lebensbedingungen der Betroffenen aus (siehe dazu u.a. Buhr 1998, 71). Gerade wegen der geringen bzw. fehlenden statistischen Erfassung des Phänomens der Armut, wird der Armutsbegriff in der einschlägigen Literatur aber häufig auf die Einkommensarmut bzw. auf sozialstaatlich erfaßte Teile der Einkommensarmut reduziert (siehe dazu u.a. Dietz 1997,135), weil diese einfach erfassbar sind. Trotzdem würde sich alleine nach dieser Berechnung für die Bundesrepublik Deutschland für 1992 eine Dunkelziffer von 72% armer Menschen ergeben [26] (Dietz 1997, 18).

In den vergangenen Jahren wurde das Thema mehrfach von SozialwissenschafterInnen aufgegriffen: unter anderem von einer ExpertInnen-Arbeitsgruppe im Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (siehe Einbinden statt Ausgrenzen, Wien 1998), sowie vom “Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung” im Rahmen der regelmäßig in Salzburg stattfindenden Armutskonferenzen (Dokumentationen aus 1995, 1997, 1999, 2000). Studien und Expertenberichte belegen, dass auch in Österreich das Problem der realen Verarmung nicht nur nach wie vor existiert, sondern sich unter den derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen noch zu verschärfen beginnt (siehe dazu u.a. Dokumentationen der Armutskonferenzen aus 1995, 1997, 1999, 2000; Stelzer-Orthofer 1997; Dietz 1997; Buhr 1998; Einbinden statt Ausgrenzen 1998; Eichler 2000; Rosner 2001; Wetzel 2001 etc.).

Zu den armutsverursachenden Gründen werden gezählt:

- Arbeitslosigkeit: Nach Meinung von SozialwissenschafterInnen gehören “Arbeitslose zum harten Kern der von Armutsgefährdung Betroffenen” (Tálos 1994, 63). Streissler bezeichnet die Armutsquote in österreichischen Arbeitslosenhaushalten als fünfmal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung; bei Langzeitarbeitslosenhaushalten steige die Armutsquote sogar auf über 40% (Streissler, 1999, 36). Nach Angaben von Riesenfelder (Riesenfelder 2000, 60f.) sind 22% aller Langzeitarbeitslosen und 18% der Transferleistungsbezieher/innen (also insgesamt 4% der Gesamtbevölkerung) von Armut betroffen. 25% der Gesamtbevölkerung verfügen über ein Einkommen, das noch unterhalb von ATS 10.800 (= ca. 785 Euro) liegt und in der Folge vermehrt Einschränkungen mit sich bringt wie z.B. Wohnungssubstandard, Einschränkungen bei Ernährung und Beheizung der Wohnung, Rückstände bei periodischen Zahlungen, sowie einen generell schlechteren Gesundheitszustand (siehe dazu u.a. Wetzel 2001; Steiner 2001).

[...]


[1] Der Ökonom Alois Guger bezeichnet es als eine Forderung im Sinne der Treffsicherheit, “dass jene mehr Steuern zahlen, die auch mehr leisten können” (zit. in Schenk 2001, 85).

[2] Relevantes Kennzeichen des demographischen Wandels ist die sogenannte “Überalterung” der Bevölkerung, die sich in sinkenden Geburtenzahlen bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung äußert und zu ständig wachsenden Kosten bei der Finanzierung der Altersvorsorge durch das veränderte Verhältnis der Anzahl von Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen führt.

[3] Im Schuljahr 1999/2000 waren schon 51% aller Schüler an Allgemeinbildenden Höheren Schulen und an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen weiblich, ebenso wie 49% aller an österreichischen Universitäten Studierenden (Bericht über die soziale Lage 1999, 152f.).

[4] Allerdings muß darauf hingewiesen werden, dass gerade verheiratete Frauen in viel höherem Ausmaß als Männer einer atypischen Beschäftigung nachgehen, die nur selten mit einem existenzsichernden Einkommen verbunden ist (siehe dazu Abschnitt 1.4.3. dieser Arbeit).

[5] “Der Abwärtstrend bei den Eheschließungen beschleunigt sich. Die Zahl der Verheiratungen ging 1998 um 2.2251 oder 5,4% zurück.” in: http://www.oestat.gv.at

[6] Ehe verstanden als rechtlich fixierte und staatlich privilegierte Gemeinschaft zweier heterosexueller Partner.

[7] Familie verstanden als Gemeinschaft zweier Elternteile mit einem oder mehreren gemeinsamen Kindern.

[8] Um die weitere Desorganisierung und Destabilisierung großer solidarischer Interessengemeinschaften zu verhindern, wären linke Ideen gefordert, “die über die traditionellen defensiven Positionen oder Forderungen nach einem immer weniger plausiblen künftigen Fortschritt gemäß der etablierten, aber obsoleten Logik des Keynschen Wohlfahrtsstaats hinausgehen und eine alternative, Post-Wohlfahrtsstaats-Vision einer gerechten Gesellschaft entwicklen” (Opielka 1987, 131). Der Soziologe Bourdieu hält die Schaffung eines vereinigten Europäischen Gewerkschaftsbundes für ein wichtiges langfristig anzupeilendes Ziel.

[9] Aktuelles Beispiel für eine derartige Initiative stellt das Volksbegehren ”Sozialstaat Österreich” dar, das darauf abzielt, einerseits die soziale Verantwortung des Staates und die Sozialverträglichkeit von Gesetzen in der österreichischen Bundesverfassung zu verankern, andererseits aber auch durch eine Aktualisierung der Sozialstaatsdiskussion Druck auf Entscheidungsträger auszuüben.

[10] In den 50er Jahren: 5,5%, in den 60er Jahre: 3,9% (siehe Tálos, Sozialpolitik, 568, in: Handbuch des politischen Systems Österreich, 567-577).

[11] D.h. “alle Aktivitäten im Zusammenhang mit international Business” (Hahn/ Mooslechner/ Pfaffermayer 1996, 5) – also der traditionelle Außenhandel mit Waren und Dienstleistungen, aktive und passive Direktinvestitionen, der internationale Technologie- und Informationstransfer sowie die grenzüberschreitende Mobilität von Kapital und Arbeitskräften.

[12] Zwar konnte historisch die Arbeiterbewegung “ihre Ansprüche über den Staat und dessen Politik” (Grigat 2001) durchsetzen, der Staat kann deshalb aber noch lange nicht als Verteidiger der Interessen der Arbeiterschaft per se angesehen werden. Da die Wirtschaft mindestens genau so viele Vorteile von der Existenz des Staates hat wie die Arbeiterschaft (in Form von wirtschaftsfreundlichen Rahmenbedingungen, Förderungen, Aufträgen etc.), kann davon ausgegangen werden, dass auch Neoliberale – trotz anderslautender Rhetorik – keinesfalls die Abschaffung des (National-) Staats anstreben, sondern nur eine Veränderung zu ihren Gunsten durchsetzen wollen (siehe dazu u.a. Opielka/ Stalb 1986; Grigat 2001).

[13] So kritisiert z.B. auch Otmar Issing, deutsches Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank, dass Mißstände wie die hohe Dauerarbeitslosigkeit zwar der marktwirtschaftlichen Ordnung angelastet würden, seiner Meinung nach aber tatsächlich “dem Machtkartell der Arbeitsmarktparteien und regulatorischen Eingriffen des Staates zuzuschreiben sind” (zit. in Birgitta Wolff, Schlußvortrag “Grenzenlose Welten”, S. 9).

[14] Zwar wird der Staat häufig als das “positive Gegenüber des Marktes” (Grigat 2001, 2) gesehen, tatsächlich hat er aber prinzipiell kein Interesse daran, “den Interessen widerspruch zwischen Kapital und Lohnabhängigen aufzuheben” (Opielka/ Stalb 1986, 959).

[15] Westenthaler: “Da muß jetzt einmal Schluß sein, dass wir sozusagen jene, die in der sozialen Hängematte liegen, weiterhin durchfüttern” (Die Presse, 23. 8. 2001, S. 1/ 6).

[16] Darunter ist die möglichst optimale Anpassung der jeweiligen Beschäftigtenzahlen an die Auftragslage der Unternehmen zu verstehen.

[17] Der neutrale Begriff der “Aktivierung” verschleiert nach Ansicht von Zilian die eingesetzten Zwangsmittel wie z.B. Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung etc.

[18] Neoliberale verstehen unter den Rigiditäten sowohl (Arbeits-)Schutzbestimmungen als auch Maßnahmen zur soziale Absicherung von Arbeitskräften und Arbeitslosen.

[19] Dass die Verbreitung dieser Norm schon damals eingeschränkt war und auch heute noch ist, beweist die Tatsache, dass zum Beispiel die Erwerbsbiographien von Frauen generell davon abweichen (siehe dazu Tálos 1999, 417; Mairhuber 2000, 12ff.).

[20] Einen kritischen Einwand zu diesem in der Öffentlichkeit begrüßten Wachstum des Dienstleistungssektors bringt Gorz in seiner Arbeit “Und jetzt wohin? (Berlin 1991, 75ff.), wo er vor der Rückkehr zur “Dienstbotengesellschaft” warnt (siehe dazu Seite 136 dieser Arbeit).

[21] Auch die ehemalige Bundessprecherin der FPÖ, Frau Riss-Passer, sprach bei einem ZIB 1-Interview (am 9. September 2001) von offensichtlichen “Überinvestitionen in New Economy”.

[22] Siehe dazu beispielsweise die Kündigung von 1000 Mitarbeitern der Firma Philips in Wien, angekündigt beim ORF/ ZIB-2 vom 15. 8. 2001.

[23] Bei Erhebung der Erwerbstätgkeit bzw. Arbeitslosigkeit nach dem Lebensunterhaltskonzept (LUK) werden Personen mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von mindestens 12 Stunden erfaßt, die sich selber als “erwerbstätig” beichnen (siehe Definition: Wirtschafts- und sozialstatistisches Taschenbuch 2000, 53). Hingegen werden beim Labour-Force-Konzept, das vor allem für internationale Vergleiche gebräuchlich ist, alle Personen erfaßt, die in der Woche vor der Befragung mindestens eine Stunde gegen Bezahlung gearbeitet haben.

[24] Das Kriterium für die Definition einer Beschäftigung als “geringfügig” ist ein monatliches Einkommen unterhalb der sogenannten Geringfügigkeitsgrenze von ATS 3.899 (im Jahr 1999).

[25] Christine Stelzer-Orthofer spricht in ihrer Analyse “Armut und Zeit” sehr zutreffend von “lebensphasenspezifischen Armutslagen” (Stelzer-Orthofer 1997, 135).

[26] Das sind in absoluten Zahlen etwa 6,236.000 Personen, die in Einkommensarmut leben – im Gegensatz zu 2,605.000 Sozialhilfebeziehern!

Ende der Leseprobe aus 164 Seiten

Details

Titel
Grundsicherungsmodelle und ihre Auswirkungen auf Frauen
Hochschule
Universität Wien  (Staats- und Politikwissenschaft)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
164
Katalognummer
V14130
ISBN (eBook)
9783638196154
Dateigröße
827 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grundsicherungsmodelle, Auswirkungen, Frauen
Arbeit zitieren
Gabriele Liliane Prucha (Autor:in), 2002, Grundsicherungsmodelle und ihre Auswirkungen auf Frauen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14130

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