Zentrale Bestandteile einer marxistischen Literaturinterpretation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

23 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

- Einleitung

- Der Beginn der materialistischen Literaturtheorie

- Der Inhalt von schöner Literatur nach Marx und Engels

- Der Typus nach Marx und Engels

- Die marxistische Ästhetik

- Die marxistische Literatur-Interpretation
- Die „Basis-Überbau-Thematik“
- Die Widerspiegelung
- Der Klassenkampf
- Marxismus und Formalismus

- Schluss

Literatur

Einleitung

Die Literatur ist ein Medium von sozialer Kommunikation. Die Produktion, so wie die Rezeption literarischer Texte sind Bestandteile des gesellschaftlichen Prozesses. So nimmt der Text selbst, als „Zeichenstruktur“, immer auf eine soziale Realität Bezug. Die Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Literatur und sozialer Welt ist ein Hauptziel der Literatursoziologie. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Lokalisierung des Literaturbetriebs als ein Teilsystem moderner Gesellschaften. Möglichkeiten, aber auch Grenzen, literatursoziologischer Forschung können unter anderem bei der marxistischen Literatur­Interpretation festgestellt werden. Sie ist ein „klassischer Ansatz“ einer Analyse des Literaturbetriebs.

Ihre Höhepunkte hatte die marxistische Literatur-Interpretation in den 20er und 60er Jahren. Im Laufe der Zeit verlor sie immer mehr an Bedeutung, und spätestens ab Ende der 70er Jahre spielte sie keine große Rolle mehr.

Parallel zu der marxistischen Interpretation entwickelte sich in Russland der Formalismus. Hierbei galt als „oberstes Gebot“, die Literatur streng von der Geschichte zu trennen. Um dieses zu erfüllen, gab es bestimmte Voraussetzungen, welche eingehalten werden mussten. Die Marxisten standen dem Formalismus, so wie seinen Anhängern negativ gegenüber, da sie eine völlig andere Ansicht von dem Zusammenhang oder dem Verhältnis von Literatur und Geschichte hatten: Ihrer Meinung nach war nur die Literatur von Bedeutung, welche teilhatte an der Historik. Es musste eine Widerspiegelung der Geschichte in der Literatur zu erkennen sein. Dieses bedeutete zugleich eine Reflexion oder eine Strategie der ästhetischen Verarbeitung. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Dieser „Leitsatz“ der Marxisten stand dafür, dass sie derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Literatur aufgenommen und verarbeitet wurden. Die Produktionsbedingungen spiegelten sich also im literarischen Produkt.

Neue Geschichtsschübe, die dann ebenfalls wieder in der Literatur verarbeitet wurden, enthielten immer etwas Rückwirkendes. Temporäre Rückschritte und Widersprüche „bildeten“ den Weg nach vorne. Wurde also einmal eine These aufgestellt, welche später widerlegt werden konnte, gab es dadurch eine Antithese. Daraus folgte nach neuen Überlegungen die Synthese und damit ein weiterer „Schritt nach vorne“.

Parallel zum Problem der Widerspiegelung beschäftigte sich die marxistische Diskussion mit der „Basis-Überbau-Thematik“. Die literarische Produktion war hier verknüpft mit der dialektischen Bestimmung des Verhältnisses von ökonomischer Basis und kulturellem Überbau. Hierbei war wichtig, was überhaupt unter „Basis“ verstanden wurde. In Bezug auf literarische Produktion konnte der Begriff einerseits die Herkunft und die Klassenlage des Autors meinen, falls sie sein Schreiben beeinflusste. Andererseits konnte der institutionelle Rahmen gemeint sein, in dem sich literarische Produktion vollzog.

Die Analyse der Auseinandersetzung zwischen Machtgruppen, die Analyse des Klassenkampfes, bestimmte die marxistische Literatur-Interpretation besonders stark. Hierbei standen die Marxisten auf der Seite der Arbeiterklasse und richteten sich gegen die oberen Klassen, so wie gegen den Staat. Sie solidarisierten sich mit dem Proletariat und unterstützten es einzugreifen, zu handeln und politisch aktiv zu werden. Durch die marxistische Literatur sollten die Menschen motiviert werden sich aufzulehnen.

Die wichtigsten und bekanntesten Vertreter der Marxisten waren wohl Karl Marx und Friedrich Engels. Sie vertraten seit ungefähr 1845 die dialektisch-materialistische Literatur­Betrachtung. Ihrer Ansicht nach war nur diese fähig die tatsächlichen Widersprüche von Klassengesellschaften aufzudecken. „Ideologie“ bestimmten die beiden Klassiker als ein notwendiges falsches Bewusstsein, da sie nur die Lebensbedingungen und Interessen einer bestimmten sozialen Klasse widerspiegelte. Diese Konzeption spielte eine wichtige Rolle für die marxistische Ästhetik.

Wenn man die marxistische Grundannahme ernst nehmen will, dass literarische Produkte von den materiellen Produktionsbedingungen beeinflusst werden, muss das komplexe Geflecht der Interaktion, in das der Autor sein Werk hineinschreibt, zum Gegenstand der Analyse gemacht werden.

Der Beginn der materialistischen Literatur-Theorie

Bevor man den Literaturbegriff nach Karl Marx und Friedrich Engels erörtert, muss man sich an die Ausgangspunkte erinnern:

Marx wuchs in einem „klassisch-klassizistischen Bildungsideal“[1] auf, was sich auch in seinen Jugendgedichten und in einem von ihm entworfenen Trauerspiel widerspiegelt. Seinen drei Lieblings-Schriftstellern, Aischylos, Shakespeare und Goethe, galt ein Großteil seines literarischen Interesses. Dieses ist als „nahezu uferlos“1[2] zu beschreiben, da er durch die Beherrschung fast aller europäischer Sprachen keine Verständnisprobleme hatte. Sein Schwiegersohn, Paul Lafargue, berichtete, dass er manchmal ganze Romanbibliotheken „verschlang“.

Friedrich Engels kam aus einer Familie, welche der Pietistengemeinde eines berühmten Pastors angehörte. Im Vordergrund seiner Erziehung stand „eine eher nationale Variante des klassischen Bildungsideals“[3], welche durch die Mythen und die Sagenwelt der Germanen gekennzeichnet wurde. Engels nahm in den Jahren um 1840 regelmäßig an einem Literatur­Kränzchen teil und war, ebenso wie Marx, sprachlich, besonders auch im Umgang mit Fremdsprachen, sehr begabt.

1844 wurde bei Marx' Kritik an einer Fabel eine seltsame Veränderung festgestellt: Er verteidigte auf einmal Romanfiguren und Handlungen, als ob sie real gewesen wären. Er attackierte den Autor, als ob er selbst die Taten seiner Figuren begangen, und nicht nur aufgezeigt hätte. Zudem wurde der Autor, nicht nur für sein Werk, sondern auch für die Realität „verantwortlich“ gemacht. Marx nahm die Literatur als Wirklichkeit, als Realismus. Diese Form zog sich als eine problematische Fragestellung durch alle kunsthistorischen Erörterungen von Engels und Marx.

1844 entstand die Erste gemeinsame Arbeit von beiden.

Engels kritisierte immer häufiger, wenn die Arbeiterklasse als eine „passive Masse“[4] dargestellt wurde, welche unfähig war, sich selbst zu helfen oder nicht einmal danach strebte, sich selbst helfen zu können. Engels Abwehr richtete sich auch gegen die Funktion des Autors, denn seiner Meinung nach sollte der politisch-ideologische Standpunkt des Autors nur durch sein Thema, seine Gestaltung und durch seine Figuren zum Ausdruck kommen.

Balzac war für Marx und Engels der Schriftsteller, welcher das Beste Beispiel für eine Literatur war, die von sozialer Relevanz war, ohne das bewusste „Zutun“ des Autors. Im marxistischen Literatur-Vertändnis spielte diese Art des Realismus eine wichtige Rolle. Wichtig ist auch der berühmte Briefwechsel von Marx und Engels mit Ferdinand Lassalle über dessen Drama „Franz von Sickingen“. Karl Marx forderte hierbei von Lassalle, dass er die Bauernvertreter und die revolutionären Elemente in dem Drama aktiver handeln lassen solle. Lassalle jedoch hielt es für unangebracht so etwas der Geschichte von „Franz von Sickingen“ hinzu zu fügen, da es so nicht vorgefallen sei. Er wehrte sich gegen die Manipulation von geschichtlichen Fakten, und er „formte“ sich seine Wahrheit aus der interpretierten Wirklichkeit. Marx und Engels dagegen wollten „ihre Wahrheit einer in diesem Sinne interpretierten Wirklichkeit aufstülpen“[5]. Sie wollten ihre Ideenentwürfe in die Realität hinein verlagern. Lassalle beschäftigte sich außerdem mit nur einer Führerperson, einem Individuum, wie sein Biograph in der Untersuchung „Führung und Masse - ein Problem der Demokratie“ andeutete. Diese Haltung war für F. Engels und K. Marx zunächst völlig unverständlich, später sogar völlig unannehmbar. Für sie war das Individuum Teil einer Gesamtheit. „Nicht der Mensch, sondern die Menschen.“[6]

Dieser Satz ist auch auf das Menschenbild von Marx übertragbar: Sein Verhältnis zum Tod war schon seit seinem 26sten Lebensjahr lediglich das einer „Abwehrstellung“, denn der Tod bedeutete für ihn nicht das Auslöschen des Lebens. Ein einzelnes Sein, der Mensch, vergeht durch den Tod, aber das Leben, die Menschen, vergeht nicht. Dieses Menschenbild prägte das marxistische Denken.

Der Inhalt von schöner Literatur nach Marx und Engels

Martin Hüttel beschreibt in „Die theoretische Bedeutung der Literaturkritik von Marx, Engels und Lenin“ literaturkritische Aussagen der Klassiker.

Der junge Marx und Engels verfolgten beide mit großem Interesse die literarischen Strömungen ihrer Zeit, wobei sie in ihrem literarischen Urteil stark von Hegels Ästhetik beeinflusst wurden. Seit ungefähr 1845, mit der Herausbildung des dialektischen Materialismus, „vertraten Marx und Engels eine methodisch originäre, materialistische Literatur-Betrachtung“[7]. Marx und Engels gingen in ihren kulturkritischen Aussagen davon aus, dass die menschliche, besonders die künstlerische Arbeit kulturbildende Funktionen hatte. Sie sollte zur Entfaltung menschlicher Wesenskräfte führen.

Engels und Marx analysierten die damals bestehenden gesellschaftlichen Gegebenheiten und stellten danach Überlegungen an, wie sich das kapitalistische System weiter entwickeln würde. Hierbei gingen sie davon aus, dass „die industrielle Revolution eine neue, eine sozialistische Gesellschaftsordnung wünschenswert macht[e]“[8]. Voraussetzung für eine emanzipierte Gesellschaft war ihrer Meinung nach „die Vernichtung der kapitalistischen Ausbeuterordnung“[9], und erst mit der sozialistischen Produktionsweise an der Macht, könne der Mensch seine Veranlagungen vollständig ausbilden, besonders im Bereich der Kunst und der schönen Literatur.

Nicht nur im Bereich der Produktion, auch im Bereich der Konsumption prognostizierten Marx und Engels positive Veränderungen für den Menschen. Durch die Ausprägung von bestimmten Sinnen, welche menschliche Genüsse, wie z.B. einen schönen Klang oder eine schöne Form, wahrnehmen können, bekommt der Mensch ebenfalls ein verändertes und besseres Dasein. Hüttel zeigt also auf, dass schöne Literatur nach K. Marx und F. Engels mit Kultur und auch mit bildender Kunst Gemeinsamkeiten haben sollte.

Martin Hüttel weist auch auf das Werk „Mysteres de Paris“ von E. Sue hin. In einer Kritik bezüglich dieses Werkes zeigte Marx exemplarisch auf, wie ein Werk der schönen Literatur auf materialistische Weise zu interpretieren ist. Sue vertrat hierin frühsozialistische Überlegungen, welche nach Marx' Auffassung nicht geeignet waren, um die wirklichen Probleme seiner Zeit begreifen zu können. Sues Ideologismen entsprachen, wie Marx fand, dem Interesse des Klerus und des Adels, wobei die Interessen des vierten Standes unberücksichtigt blieben. Dies kritisierte er entschieden, denn seine Ansicht war, dass „der Inhalt von schöner Literatur [auch] Wahrheitscharakter in sozioökonomischer Hinsicht besitzen“[10] sollte. Auch bei der Interpretation von Lassalles Werk hatte er kritisiert, dass die geschichtliche Bedeutung der Bauernbewegung unterschätzt, die Bedeutung des Adels jedoch überschätzt worden war.

Wenn man Marx fragen würde, inwieweit die Gedankeninhalte eines Werkes zeitgebunden sind und inwieweit sie es nicht sind, so würde er antworten, dass man bei der „Erstellung“ eines Werkes, bei der literarischen Produktion zeitbedingte Stoffe berücksichtigen muss, wenn man auf einen aktuellen Informationswert aus ist. Auch wenn das Werk später einmal nicht mehr aktuell ist, so hat es doch in seiner kunsthaften Form der Inhalte einen typischen Aussagewert, welcher auch später noch von emanzipatorischer Bedeutung sein kann. Die Inhalte von schöner Literatur müssen also nach den beiden Klassikern Marx und Engels historisch-kritisch fundiert sein.

Weiterhin meinte Engels, dass schöne Literatur widerspiegeln sollte, dass „die reale Konfrontation verschiedener Schichten und/oder Klassen nicht zuletzt geprägt ist durch nationale und lokale Eigentümlichkeiten“[11]. Engels plädierte für eine materialistisch fundierte Betrachtung der Wirklichkeit. Außerdem sollten in einem sozialen Roman, als ein Paradigma der schönen Literatur, die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse aufgeführt werden. Fasst man zusammen, so sagten Marx und Engels folgendes über den Inhalt von schöner Literatur aus: Er sollte in „soziologischer und kritisch-ökonomischer Hinsicht wahr sein“[12], die Wirklichkeit sollte richtig widergespiegelt werden und geschichtlich konkret erfasst sein. Propagandistische oder agitatorische Inhalte wurden abgelehnt, dagegen mussten lokale, so wie nationale Eigenschaften besonders berücksichtigt werden.

Der Typus nach Marx und Engels

Hüttel beschreibt ebenfalls den Typus nach K. Marx und F. Engels, womit er die richtige künstlerische Gestaltungsweise eines Werkes anspricht.

An dem schon erwähnten Roman von Sue hatte Marx auszusetzen, dass der Autor die Personen in seinem Roman nicht lebensvoll dargestellt hatte. Dies lehnte Marx für den Bereich der schönen Literatur, als auch für die politische Publizistik ab. Außerdem kritisierte er die inhaltsarme Gestaltung in „Franz von Sickingen“ von Lassalle. Seiner Ansicht nach waren die dargestellten Personen nur Repräsentanten der Revolution oder Repräsentanten von Begeisterung, was Marx als langweilig empfand. Es gab also eine inhaltsarme Gestaltung, wie gerade beschrieben, und eine inhaltsreiche Gestaltung: Schiller stand in Marx' Augen für inhaltsarm, Shakespeare dagegen für inhaltsreich. In diesem Zusammenhang stellte er auch die Forderung auf, „daß die dramatis personae in sozioökonomischer Hinsicht typisiert werden sollten“[13] und dass sie als Personen dargestellt werden sollten. Diese sollten nicht nur Vertreter ihrer Klasse sein, sondern auch Personen, die eigenmotiviert handeln.

[...]


[1] Raddatz, Fritz J.: Der Beginn der materialistischen Literaturtheorie. In: Revolte und Melancholie. Hamburg 1979. S.14

[2] Ebd. S.14

[3] Raddatz, Fritz J.: Der Beginn der materialistischen Literaturtheorie. In: Revolte und Melancholie. Hamburg 1979. S.15

[4] Ebd. S.26

[5] Ebd. S.32

[6] Raddatz, Fritz J.: Der Beginn der materialistischen Literaturtheorie. In: Revolte und Melancholie. Hamburg 1979. S.37

[7] Hüttel, Martin: Marxistisch-leninistische Literaturtheorie. In: Müller, Ulrich, Franz Hundsnurscher u. Cornelius Sommer (Hg.): Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik. Stuttgart 1977. S.25

[8] Ebd. S.26

[9] Ebd. S.26/27

[10] Hüttel, Martin: Marxistisch-leninistische Literaturtheorie. In: Müller, Ulrich, Franz Hundsnurscher u. Cornelius Sommer (Hg.): Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik. Stuttgart 1977. S.30

[11] Ebd. S.34

[12] Ebd. S.35

[13] Hüttel, Martin: Marxistisch-leninistische Literaturtheorie. In: Müller, Ulrich, Franz Hundsnurscher u. Cornelius Sommer (Hg.): Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik. Stuttgart 1977. S.58

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Zentrale Bestandteile einer marxistischen Literaturinterpretation
Hochschule
Universität Paderborn  (FB Germanistik)
Note
2,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
23
Katalognummer
V8014
ISBN (eBook)
9783638151030
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zentrale, Bestandteile, Literaturinterpretation
Arbeit zitieren
Stefanie Teusch (Autor:in), 2002, Zentrale Bestandteile einer marxistischen Literaturinterpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8014

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