Indische Elemente in Günter Grass Roman Unkenrufe


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

26 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

Persönliche Indien-Erfahrungen von Günter Grass und deren literarische Verarbeitung
Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus Zunge zeigen

Chatterjees Fahrradrikschaunternehmen in Danzig, seine utopischen Dimensionen sowie seine Verwirklichung

Subha Chandra Chatterjee- eine Kreation aus Salman Rushdie und Subha Chandra Bose?

Schlußbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Indische Elemente tauchen in Günter Grass’ Erzählung Unkenrufe (1992) nicht zum ersten Mal im Grass’schen Kanon auf. Bereits in der Erzählung Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus (1980) und in dem Reisetagebuch Zunge zeigen (1988) unter anderem setzt sich Grass nach längeren Asien- und vor allem Indien-Aufenthalten mit der Thematik ‚Dritte Welt’ auseinander. Während die beiden genannten Werke direkt auf Grass’ Indien-Aufenthalte folgen und somit deren literarische Verarbeitung beinhalten, stellen sie in der Erzählung Unkenrufe lediglich eine Nebenhandlung um den bengalischen Unternehmer Subhas Chandra Chatterjee dar.

Die Haupthandlung konzentriert sich auf Alexander Reschke, Professor der Kunstgeschichte aus Bochum, geboren in Danzig, und Alexandra Piątkowska, Restauratorin, einst als Polin von Wilna nach Danzig umgesiedelt, beide verwitwet, die sich an Allerseelen 1989 in Danzig zufällig kennenlernen. Kurz darauf werden sie durch ihre Liebe füreinander und durch ein gemeinsames Vorhaben verbunden: durch die Errichtung eines Versöhnungsfriedhofes in Danzig, später der Deutsch-Polnischen Friedhofsgesellschaft (DPFG), die es Vertriebenen ermöglichen soll, in ihrer Heimat beerdigt zu werden. Erzählt wird die Geschichte rückblickend aus der Sicht eines früheren Schulkameraden Reschkes, dem Reschke Tagebücher, Dokumente, Rechnungen, Fotos, Zeitungsausschnitte, Tonbandkassetten aus der Zeit zwischen dem 2.11.89 und Sommer 1991 zukommen läßt, damit dieser die Geschichte von Alexandra und Alexander als eine Art Chronik aufzeichnen kann, weil er früher schon immer so gut Aufsätze schreiben konnte. Der das Material begleitende Brief ist datiert vom Jahre 1999, acht Jahre nach Reschkes Tod. Die Erzählung ist gespickt mit Zeitsprüngen und Vorausdatierungen und bewegt sich oft über den erzählten Zeitraum zwischen 1989 und 1991 hinaus. Grass läßt den Erzähler somit in der dem Autor eigenen vierten Zeit, der „Vergegenkunft“[1] schreiben, in der die Vergangenheit und die Zukunft am Schreibtisch vergegenwärtigt werden.

Die ideelle Grundidee des Paares wird jedoch im Laufe der Zeit, je mehr Leute in das Unternehmen verwickelt werden, zu einem kommerziellen Geschäft mit großem wirtschaftlichen Erfolg pervertiert und zieht Einrichtungen wie zum Beispiel Seniorenheime für die „Beerdigungswilligen“() und Hotels und Golfplätze für die Angehörigen mit sich. Alexander und Alexandra treten aus der DPFG, die als „neue deutsche Landnahme“() gedeutet wird, als Verantwortliche -sowie auch andere Gründungsmitglieder – aus. Wenig später kommen sie bei ihrer Hochzeitsreise nach Italien bei einem Autounfall ums Leben und werden in einem kleinen italienischen Dorf, nur durch zwei Holzkreuze kenntlich gemacht, dort begraben.

Die Haupthandlung um die Friedhofsgesellschaft entwickelt sich als eine Allegorie für europäische Verhältnisse am Ende des Jahrtausends; wichtige Ereignisse innerhalb der Friedhofsgesellschaft sind zeitgleich mit wichtigen zeitgeschichtlichen Entwicklungen. Als markantes Beispiel sei hier die Einweihung des Versöhnungsfriedhofes, das heißt die erste Beerdigung, zu nennen, die zeitlgleich mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die ost- und westdeutsche Regierung am 21.06.1990 stattfindet.

Neben den dominanten Hauptthemen, Tod und Sterben, Deutschland zu Zeiten der Wiedervereinigung sowie der immer noch schwierigen Nachbarschaft zwischen Polen und Deutschland, dreht sich eine wichtige Nebenhandlung um den Bengalen Subhas Chandra Chatterjee, der in Danzig mit Erfolg ein Fahrradrikscha-Unternehmen gründet. In der folgenden Arbeit soll die Figur des Subha Chandra Chatterjee näher analysiert werden. Dabei soll besonderes Augenmerk auf Grass’ autobiographischen Bezug zu Indien sowie dessen literarische Verarbeitung, auf die utopischen Dimensionen Chatterjees Vorhaben und deren Verwirklichung sowie auf eine mögliche Verbindung zu Salman Rushdie gelegt werden.

Persönliche Indien-Erfahrungen von Günter Grass und deren literarische Verarbeitung

Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus

1978 beginnt Volker Schlöndorff an seiner Verfilmung von Grass’ Blechtrommel. Grass arbeitet unter anderem am Drehbuch mit, und im Laufe der Zusammenarbeit mit Schlöndorff entwickelt sich zwischen den beiden eine Freundschaft. Nach seinem ersten Indien-Aufenthalt 1975 reist Grass nun im Jahre 1979 mit seiner Frau und teilweise zusammen mit dem Ehepaar Schlöndorff durch Asien. Auf dieser Reise werden Pläne für ein weiteres Filmprojekt zur Bevölkerungsfrage geschmiedet, quasi als Parodie der eigenen Indienfahrt, das jedoch niemals realisiert werden wird. Günter und Ute Grass reisen im Auftrag des Goethe-Instituts nach Japan, Indonesien, Thailand, Hongkong, Indien, Kenia. Die nicht realisierten Filmpläne sind in Kopfgeburten in lockerer Entwurfsform mit eingeflossen und dienen dort als formale Leitlinie. „Deshalb sagte ich zu Volker Schlöndorff, den wir mit Margarethe von Trotta in Djakarta und danach in Kairo trafen: „Wir sollten, wenn wir den Film machen, in Indien drehen oder auf Java oder – nachdem ich jetzt dagewesen bin – in China, falls wir da Dreherlaubnis bekommen.““[2] „Schon merke ich, daß für den Film zu schreiben, verführerisch ist. Es liegt so viel Material rum. Einstellungen ergeben sich aus Einstellungen. Alles verkürzt sich auf „action“. Immer das Bild sprechen lassen. Immer den Schneidetisch mitdenken. Bildsprache. Handlungsverschnitt.“[3]

Hauptfiguren der Erzählung sind Harm und Dörte Peters, die zum Teil die Grass’sche Asienreise nachreisen, kinderloses Lehrerehepaar aus dem norddeutschen Itzehoe, „anhaltend sich selbst reflektierende Veteranen des Studentenprotests“[4],die auf einer Asienreise diskutieren, ob es in heutigen Zeiten vernünftig ist, Kinder in die Welt zu setzen. Außerdem drehen sich ihre Gespräche auch um tagespolitische Themen wie zum Beispiel Abrüstung, Dritte Welt, die Grünen und Atomkraft. Pünktlich zum Wahlkampf 1980 treffen sie wieder in Schleswig-Holstein ein. Das Lehrerpaar ist politisch aktiv, auch zum Thema ‚Dritte Welt‘: “Proteinmangel und andere Sorgen der dritten Welt sind ihnen näher als Wohlgeld und Rentenreform.“[5] Zwar versucht das Lehrerehepaar seinem Indienurlaub fern des Massentourismus zu verbringen, indem es sich dem pseudoalternativen Reiseunternehmen „Sisyphos“ anschließt, jedoch besteht stets eine Distanz zu dem indischen Alltag, sie bewegen sich lediglich gut geführt von ihrem alternativen Reiseleiter Dr. Wenthien abseits der Touristenpfade. Zum echten Indienerlebnis gehört eine Nacht im Slum, aber ohne jegliches Risiko:“...mit keimfreien Hotelwasser in Flaschen, mit immunisierenden Tabletten, mit Keksen und in Klarsichtfolie verpacktem Obst.“[6] Auch Günter und Ute Grass legen nicht ihren gewohnten Wohlstand vollständig ab, jedoch besteht der Unterschied zu Harm und Dörte Peters darin, daß sie ihr statistisches Wissen zulassen, Eindrücke an sich herankommen lassen und somit die Distanz zu Indien verkleinern:

„Ich nehme mich von so gemischten Bedürfnissen nicht aus. So etwa reisten Ute und ich, wenn auch ohne Prospekt. Wir besuchten am Morgen den einen, den anderen Slum, ruhten mittags im klimatisierten Hotel, besichtigten am späten Nachmittag buddhistische Tempelanlagen, hörten uns am Abend (nach meinem obligaten Vortag) bei Drinks und Häppchen den Bericht einiger Experten über eine zweihundert Meilen entfernte Hungerregion an, die wir am folgenden Tag aufsuchten. Aus mitgebrachter Distanz beteiligt, bescheiden überlegen, aufmerksam, angestengt frei von Ekel. Mein statistisches Wissen hatte ich während der Anreise abgelegt und mich zum Schwamm erklärt, der aufnimmt. Ich stellte nur selten Fragen, hörte, sah, roch und machte keine Notizen. [...] Ich schämte mich, schamlos zu sein. Jetzt will ich Harm und Dörte auf unsere Reise schicken, aber sie widersprechen mir. Sie wollen ihr Vorwissen nicht ablegen.“[7]

Zynischerweise ist es eine aus Deutschland mitgebrachte Leberwurst, die Harm veranlaßt, eher ungewollt Einblicke in den indischen Alltag zu bekommen. Auf der Suche nach dem Empfänger der Leberwurst, einem Schulfreund, der jetzt auf Bali wohnt, bewegt sich Harm unabhängig von der Reisegruppe: „Wo immer Harm schwitzend mit der Leberwurst in der Tragetasche, sein Zettelchen vorweist, wird er in eine andere Richtung geschickt. Ihm unverständlicher Wortschwall. Kaufangebote. Trinkgelder für immer heitere Burschen, die ihn in abgelegene Budenquartiere führen. Viel untouristische Realität. Und das bei Mittagshitze, während Dörte im Schatten unter Hotelpalmen liegt.“[8] Jedoch führen diese Erlebnisse bei Harm nicht zu Reflektionen. Am Ende ihres Indientrips haben Dörte und Harm ihr Interesse für die dritte Welt zwar um ihr Faktenwissen vermehrt, es findet jedoch kein Sensibilisierungsprozeß statt.

Obwohl Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus größtenteils in Indien spielt, bewegen sich die Themenkomplexe weitgehend im deutschen Raum. Erst in dem späteren Zunge zeigen steigt Grass verstärkt in die indische Thematik ein, und die Distanz scheint zu schwinden.

Die Vermischung von literarischem Ausdruck und politischer Meinungsäußerung

in Grass’ Werken ruft bei den Kritikern immer wieder negative Reaktionen hervor. Wie bereits zuvor bei örtlich betäubt und dem Tagebuch einer Schnecke fallen die Rezensionen zu den Kopfgeburten eher negativ aus. Bei einzelnen Teilen des Buches sind sich die Rezensenten jedoch weitgehend einig: die Widmung und den ernst gemeinten und bewegenden Nachruf an Schriftstellerkollegen und Freund Nicolas Born, der 1979 an Krebs verstorben ist, wird weitgehend als positiv gewertet.

[...]


[1] Vgl. Günter Grass: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus, S. 102.

[2] Günter Grass: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus, S. 13.

[3] Günter Grass: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus, S.32.

[4] Günter Grass: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus,???

[5] Günter Grass: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus, ???.

[6] Günter Grass: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus, ???.

[7] Günter Grass: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus, ???.

[8] Günter Grass: Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus, ???.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Indische Elemente in Günter Grass Roman Unkenrufe
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Institut für neuere deutsche Literatur und Medien)
Veranstaltung
Hauptseminar Günter Grass
Note
2+
Autor
Jahr
2001
Seiten
26
Katalognummer
V5523
ISBN (eBook)
9783638133692
Dateigröße
604 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der vorliegenden Arbeit werden die indischen Elemente in Grass Unkenrufe näher betrachtet. Dabei soll besonderes Augenmerk auf Grass' autobiographischen Bezug zu Indien sowie dessen literarische Verarbeitung, auf die utopischen Dimensionen Chatterjees Vorhaben und deren Verwirklichung sowie auf eine mögliche Verbindung zu Salman Rushdie gelegt werden. 182 Kb
Schlagworte
Indische, Elemente, Günter, Grass, Roman, Unkenrufe, Hauptseminar, Günter, Grass
Arbeit zitieren
Melanie Jürgens (Autor:in), 2001, Indische Elemente in Günter Grass Roman Unkenrufe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5523

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